Kundenservice 2025: „Hallo, Kollege Roboter, kannst Du übernehmen?“

Der Kundenservice in der Telekommunikationsbranche trifft auf eine Klientel, die bereits überwiegend digital lebt. Die Herausforderung für die Zukunft besteht daher darin, digitale und menschliche Fähigkeiten für eine lösungsorientierte und empathische Kundenservice-Interaktion intelligent zu verbinden. Was bedeutet das für die Kundenzentrierung und die Welt der Service Mitarbeiter*innen? Gereon Hammel von der Deutschen Telekom Service GmbH und Detecons Asscociate Partner Andreas Penkert wagen einen visionären Ausblick.

Kunden leben bereits digital - mit Folgen für den Kundenservice

Die Telekommunikationsindustrie, mit ihrem Service-intensiven Geschäft und hohem Kontaktvolumen, treibt in diesem Zusammenhang unter anderem die Frage um: Wie können digitale und menschliche Fähigkeiten zukünftig intelligent kombiniert für eine empathische, individuelle, hochwertige und effiziente Kundenservice-Interaktion eingesetzt werden?

Die Kundschaft lebt längst digital – über alle Altersgruppen und Segmente hinweg – und die Corona Pandemie sorgt hier für einen beschleunigenden Sondereffekt. Zahlen belegen das: zum Beispiel shoppen 86% der Befragten einer branchenübergeifenden Studie (HDE Onlinereport 2019) online, weil es bequemer erscheint. Eine Mehrheit der Befragten ist zudem bereit, mit einem Chatbot zu kommunizieren. Die Deutsche Telekom erwartet allein von 2020 auf 2024 einen Anstieg der voll automatisieren Chatdialoge von 8% auf 29% Anteil am Kontaktvolumen. Im medizinischen Sektor ist die Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung zur Inanspruchnahme von ärztlicher Beratung via Chat oder Videokonferenz allein in den letzten Monaten seit Ausbruch von Corona um mehr als 60% gestiegen (Detecon Research).

Kundenservice aus Sicht der Kunden, der Technik und der Servicemitarbeiter

Die Telekommunikationsbranche stellt sich hier zurecht die Frage: Wo geht die Reise hin? Wagen wir also eine visionäre Reise in die Zukunft und für den Kundenservice 2025 aus drei relevanten Perspektiven: 1. Kund*innen, 2. Technologie und 3. Service-Agent*innen.

1. Kunden wollen sofortige Lösung gerne im digitalen Kanal, im Bedarfsfall macht der Mensch den Unterschied

Kund*innen erwarten, den für sie persönlich schnellsten und bequemsten Kontaktkanal rund um die Uhr nahtlos nutzen zu können. Eine sofortige sowie proaktive, individuelle Lösung aller Probleme wird vorausgesetzt. Anliegen lösen Kund*innen am liebsten digital selbst, im Spezialfall macht der Mensch nach wie vor den Unterschied. Innovation und Integrität werden mehr geschätzt, Markentreue verliert ihre Bedeutung.

Welche Erwartungen von Kund*innenseite an den Kundenservice ihres Telekommunikationsanbieters resultieren daraus?

Omnichannel: Kund*innen bevorzugen den Kanal, der für sie im jeweiligen Kontext am bequemsten ist und wechseln diesen nach Bedarf flexibel. Schon heute informieren sich 72% der Kunden zuerst online bevor sie einen Live Agenten anrufen und 69% haben parallel eine Firmen Website oder App offen. Laut McKinsey nutzen schon heute 50% der Kunden 3-5 Kanäle für Support. Wichtig ist lediglich, dass das Anliegen schnell gelöst wird. Das Smartphone ist der wichtigste Kontaktkanal, wobei alle Geräte und Touchpoints miteinander verbunden sind. Disney-Freizeitparks sind ein leuchtendes Beispiel, wie das heute schon funktioniert: der Besuch und Aufenthalt im Freizeitpark kann online von zuhause im Detail geplant werden, das spart zeitraubende Orientierung und Suche vor Ort. Gäste der Hilton Hotels genießen es, mit Hilfe der Hilton Honor App ihr Zimmer online auszuwählen, zu buchen sowie über das Smartphone ein- und wieder auszuchecken. Der Weg zur Rezeption? Komplett überflüssig – das Smartphone dient schließlich auch als Zimmerschlüssel.

Proaktivität: Kund*innen wollen Probleme nicht mehr melden, stattdessen frühzeitig und initiativ über Lösungen informiert werden. In diesem Zusammenhang ist die Kommunikation aus Sicht der Kund*innen gut, wenn sie proaktiv, prädiktiv, individuell, einfach und schnell ist. Ein Best Practice für diese Art proaktiven Supports ist der Automobilhersteller Skoda mit seinem Car Connect-Dienst bei Fehlfunktionen: das Fahrzeug meldet Statusdaten automatisiert an einen Server, Service-Mitarbeiter*innen von Skoda vereinbaren dann proaktiv Wartungstermine mit den Kund*innen. Apple-Kunden, die in einen Apple-Store gehen, kennen bereits die direkte, personalisierte Bedienung mittels Abfrage der persönlichen Apple-ID.

Antizipation: Der Telekommunikationsanbieter kennt seine Kund*innen in Zukunft besser, als sie sich selbst, und sieht ihre Bedürfnisse voraus. Personalisierte Produktempfehlungen werden sehr geschätzt und auf Basis von Data Analytics, begleitet von individualisierter Kommunikation, an jedem präferierten Touchpoint bereitgestellt.  Im „Nike Live“ Store-Konzept des gleichnamigen Sportartikelherstellers beispielsweise wird das persönliche Einkaufserlebnis stimuliert, indem auf Basis von Verhaltensdaten (Sport, Kaufen, App-Nutzung) lokaler, registrierter Kunden das Sortiment im zweiwöchigen Turnus aktualisiert wird.

Top Service & Integrität: Ansprüche der Kund*innen an Qualität, Konsistenz und Verlässlichkeit nehmen weiter zu. Die Affinität zu Innovation steigt, die Markentreue hingegen nimmt ab. 84% der Millennials und Gen Z’s würden ihre Lieblingsmarke den Rücken kehren, wenn jemand anderes persönlicheren Service bieten würde (Telesperience). Serviceversprechen und Handeln müssen übereinstimmen – entlang der kundenzentrierten Wertschöpfung aus Marketing, Vertrieb und Service. Tesla zum Beispiel verspricht ein gänzlich neues Fahrerlebnis durch ein System aus Technik, Features und Services – alles digitalisiert und sehr einfach zugänglich für den Kunden. Die Smartphone-App dient als zentraler Hub: Fahrzeugeinstellungen, Service-Upgrades oder Wartungservices sind, je nach Bedarf, individuell und modular anpassbar. Dagegen zielt die HUK Coburg-Versicherung bewusst auf die Kundengruppen, die persönliche Beratung vor Ort oder per Telefon schätzen. Hier wird auf qualifizierte, empathische Problemlösung durch Kundenberater*innen und die Positionierung als Traditionsunternehmen gesetzt.

2. Technologie & Tools ermöglichen digitalen Service

Künstliche Intelligenz und Big Data ermöglichen dem Carrier, Probleme der Kund*innen vorab zu erkennen und Anliegen zu lösen, bevor sie überhaupt entstehen, spätestens aber im Erstkontakt. Text- und Voicebots sind die 1st-Level-Assistenten der Zukunft, KI inklusive proaktiver Tools werden als Kommunikationsmedien auf Kund*innenseite voll akzeptiert. Im individuellen Bedarfsfall übernimmt wieder der Mensch - die Übergabe von Bot an Mitarbeiter ist fließend, ohne Wartezeit.

Wie wird der Kundenservice so digital und gleichzeitig empathisch, um steigende Ansprüche und Erwartungen exzellent zu erfüllen?

Datengetrieben: Kundenprobleme werden vorhergesagt und gelöst, bevor sie entstehen, spätestens aber abschließend im ersten Kontakt. Service-Agent*innen wissen, warum eine Kund*in anruft und informieren direkt, wenn es ein Problem gibt. Als Basis dafür müssen "Customer Insights" systematisch kanalübergreifend gesammelt und für die Interaktion jederzeit nutzbar gemacht werden. Der Automobilhersteller Volvo liest Maschinendaten über ein Telematiksystem aus, Mitarbeiter beobachten diese Maschinendaten in Echtzeit und senden bei Bedarf Warnmeldungen an Volvo-Händler. Die Händler wiederum nehmen Kontakt mit betroffenen Kund*innen auf und leiten nächste Schritte präventiv ein, bevor es zu Ausfällen, Schäden, etc., kommt.

Bot-to-Bot: Nicht nur Unternehmen, sondern Kund*innen selbst nutzen in der Zukunft den „Kollegen Roboter“. Bei vielen Anliegen lassen Kund*innen den eigenen persönlichen Bot kommunizieren, welcher eigenständig eine Lösung findet. Voice Assistance wird in diesem Kontext zum bevorzugten Kanal. Experten aus dem Münchner Kreis erwarten, das zwischen 2025 und 2029 KI-basierte persönliche Assistenten selbstständig und unabhängig mit andern KI-basierten System kommunizieren können. Google Duplex erledigt heute schon als smarter Personal Digital Assistant kleinere Anliegen wie Termine beim Friseur oder im Restaurant buchen - per Sprachanruf mit echten Menschen, völlig autonom im Hintergrund, ohne aktive Beteiligung des menschlichen „Auftraggebers“. Duplex ist als Sprachinterface auf Google Speaker, Smartphones sowie Chrome Browser einfach zu integrieren.

KI: Kund*innen stört es nicht, wenn sie bei einfachen Anliegen nicht durch Service-Agent*innen betreut werden. Wie schon erwähnt, ist ihnen primär die sofortige Lösung wichtig. Künstliche Intelligenz ist als Gesprächspartner daher voll akzeptiert. In speziellen Fällen, wenn der Bot nicht helfen kann, erfolgt das Hand-Over zur Agent*in nahtlos. Hello Fresh hat dafür den Chatbot „Freddy“ im Einsatz, der - integriert im Facebook Messenger – Kund*innen auf Anfrage mit Rezeptideen aus dem Hello Fresh Blog versorgt. Für regelmäßigen Kund*innenenkontakt stellt „Freddy“ proaktiv Quizfragen rund um gesunde Ernährung oder postet initiativ neue saisonale Rezepte.

3. Die Mitarbeiter*innenwelt wird flexibel, qualifizierter und technischer

Künstliche Intelligenz und Service-Mitarbeiter*innen arbeiten integriert und effizient miteinander für das Wohl der Kund*in. Das Servicecenter wird hybrid – teils virtuell, teils mit Präsenz, dezentral. Die Motivation verschiebt sich zu Impact und real Purpose, der Patchwork-Workstyle hat sich weit verbreitet. Service-Arbeit ist inhaltlich komplexer und anspruchsvoller geworden:  Die „Superagent*in“ ist empathisch, technologisch affin und fachlich hoch kompetent.

Wie konkret verändert das die Service-Organisation und die Welt der Service-Mitarbeiter*innen?

Human-Machine-Interaction: Die Arbeitsmethoden im Kundenservice entwickeln sich von manuellen hin zu kognitiven Fähigkeiten, von Maschinen als Werkzeuge zur selbstverständlichen Mensch-Maschine-Kollaboration. Dabei arbeiten Mensch und Roboter harmonisch Hand in Hand. Das Unternehmen 4tiitoo hat dafür eine KI-basierte Lösung entwickelt, mit der sich Desktop Anwendungsprogrammen per Gesten, Sprache oder einfachen Augenbewegungen (Eye Tracking) einfach und intuitiv steuern lassen. Durch Verringerung der Mausbewegungen steigern Mitarbeiter*innen ihre Effizienz bei weniger manueller Belastung am Arbeitsplatz.

Hybrid Office: Das bisherige Service Center hat sich in ein hybrides Büromodell gewandelt mit neuen Karrierepfaden, Führungskultur & Tools. Durch das neue Arbeitsmodell steigt die Attraktivität des Berufs, gleichzeitig gibt es neue Herausforderungen in Bezug auf die Mitarbeiterführung und Steuerung des Tagesgeschäfts in einem Umfeld, in dem die Mitarbeiter*innen teils vor Ort, teils virtuell verteilt arbeiten. Mehr Selbstbestimmung, OKRs zum Beispiel sind ein sinnvolles Instrument, die Selbststeuerung der Teams sowie die Motivation zu fördern. Als Konsequenz aus den Corona-Erfahrungen schreibt Facebook bereits für bestimmte Jobprofile (z.B. Software Entwickler) reine Remote-Stellen aus und bietet auch bestehenden Mitarbeitern diese Option an. Twitter schickte seine 5.000 Mitarbeiter zu Beginn von Corona ins Home Office und bietet denen, die dauerhaft im Home Office bleiben, 1.000$ Zuschuss für Arbeitsplatz & IT-Ausstattung.

Balance: Die Motivation verschiebt sich zu Work-Life-Balance und Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns – klassische Karrierepfade hingegen werden zunehmend uninteressant.  Ein "Patchwork-Lifestyle" mit einem Mix zwischen privaten und beruflichen Anteilen findet Verbreitung. Nicht nur für Kunden sind "Purpose", "Sustainability" und ethische Unternehmensführung wichtige Kriterien bei der Wahl eines Dienstleistungsanbieters, auch für Mitarbeiter. Patagonia, ein kalifornischer Hersteller von Outdoor-Bekleidung, hat die „Rettung des Heimatplaneten“ als klaren Purpose ausgegeben und sich öffentlich stark gegen Rassismus positioniert. Nach der Purpose-Kampagne war ein klarer Anstieg der Absatzzahlen zu verzeichnen sowie einen Einfluss auf die Mitarbeiterzufriedenheit.

Superagent*in: Den wirklich komplexen Kundenanliegen, bei denen die Maschinen an ihre Grenzen stoßen, werden sich zukünftig die sogenannten Superagent*innen annehmen. Diese Art der Kundenberater*innen treten vor Kund*innen als effektive Problemlöser*in auf: hoch qualifiziert, empathisch, freundlich, lösungsorientiert, befähigt und unterstützt durch den Einsatz neuester Technologie. Bei der T-Mobile US kümmern sich Teams of Experts (TEX)- kleine, regionale Service Teams, um Kundenanliegen persönlich sofort oder diese werden über technische Expert*innen im Team gelöst. TEX sind auf alle notwendigen Produkte sowie technische Lösungen geschult und agieren autark. Bei Kuka arbeiten Mensch und Roboter schon heute Hand in Hand. Bots unterstützen Agenten bei der Beratung, suchen im Hintergrund spezielle Kundenangebote heraus oder übernehmen das Ausfüllen von Anträgen.

Fazit

Zur Umsetzung und Entfaltung der Idee des Kundenservice 2025 ist noch ein ganzes Stück Weg zurück zu legen. Die gute Nachricht ist: die Grundlagen sind gelegt und müssen nun konsequent voran getrieben werden. Die Kund*innen sind bereit und offen für die nächste Stufe der Digitalisierung. Die technologische Dimension, z.B. KI, ist weit genug entwickelt und erprobt, um die Kundeninteraktion in den kommenden Jahren zu revolutionieren. Wenn die Telekommunikationsunternehmen, als Enabler für Digitalisierung der Gesellschaft, hier eine Vorreiterrolle einnehmen und zu Pacemakern des Kundenservice der Zukunft werden - dabei ihre Mitarbeiterschaft wie auch die Kund*innen mitnehmen - kann aus der Vision schon bald erfolgreiche Wirklichkeit werden.