Die sogenannte New Space Economy macht seit einiger Zeit Furore mit ihren Plänen, hunderte oder sogar tausende von Satelliten in den Orbit zu schießen und damit weltweit Connectivity und ausgewählte Use Cases zu bedienen, die bis dato den Netzbetreibern vorbehalten waren. Inwieweit sich hieraus eine ernste Konkurrenzsituation für Netzbetreiber ergibt, erklärt Dr. Hans-Peter Petry, Vorstandsvorsitzender des DeSK (Deutsches Zentrum für Satellitenkommunikation).
Detecon: Herr Dr. Petry, welche Aktivitäten sehen Sie zurzeit im Kontext der New Space Economy und wie unterscheiden sich diese?
Dr. Petry: Die globale Verfügbarkeit leistungsfähiger breitbandiger Infrastruktur für feste und mobile Kommunikationsdienste ist selbstredend ein höchst attraktives Feld - nicht nur in Not- oder Katastrophenfällen, sondern generell. Im Bereich der Navigation ist dies schon lange Standard: Dienste wie weltweit verfügbares GPS sind zur Selbstverständlichkeit geworden und aus unserer digitalen Welt nicht mehr wegzudenken.
Durch den technischen Fortschritt in den letzten Jahren ergibt sich seit einiger Zeit die Möglichkeit, dies auch für bidirektionale und sogar breitbandige Kommunikation zu realisieren. Eine besondere Bedeutung nehmen dabei Konstellationen niedrigfliegender Satelliten ein, die ab einer bestimmten Anzahl breitbandige Kommunikation mit einer hinreichenden Systemkapazität und geringer Latenz ermöglichen.
Es ist daher nicht erstaunlich, dass es schon seit einiger Zeit enorme Anstrengungen gibt, diesen attraktiven Markt möglichst früh anzugehen, um sich eine entsprechende Position zu sichern. Die Protagonisten der sogenannten „New Space Economy“ kommen daher nicht aus dem klassischen Bereich der Satellitenhersteller und Netzbetreiber, sondern sind ausnahmslos neue Spieler in unterschiedlichen Größenordnungen von kleinen Startups wie Kepler, Clyde Space, Lynk oder SpaceMobile bis hin zu globalen Akteuren wie SpaceX, O3b, OneWeb, Samsung und Google. Viele dieser Aktivitäten sind schon gut bekannt, bei anderen verhält man sich noch sehr bedeckt. Die Liste ließe sich weiter fortsetzen.
Gemeinsam für alle bisher bekannten Ansätze ist, dass es proprietäre Lösungen sind, ein typisches Merkmal für „Early Adopters“. Dies ist natürlich mit Risiken verbunden. Erste Fehlschläge - Beispiel OneWeb - sind schon erkennbar. Die proprietären Ansätze führen zu sehr unterschiedlichen Konfigurationen von mehreren hundert Satelliten bis zu einigen Zehntausend per Konstellation.
Auf welche Geschäftsfelder zielt die New Space Economy ab? Stellen sie nur die Infrastruktur oder realisieren diese Player auch Dienste für bestimmte Endkunden? Und: Ist das der richtige Weg oder muss man noch weiter denken?
Entsprechend der Vielfalt der Lösungen gibt es auch verschiedenste Stoßrichtungen für Anwendungsszenarien, die von klarer Positionierung für eine bestimmte Dienstgruppe – Beispiel IoT - bis hin zur Bereitstellung von dienstunabhängigen „Datenpipes“ reichen. Ein wirklicher Durchbruch ist aber nach meiner Auffassung nur dann zu erzielen, wenn diese neuen Lösungen sich nahtlos in bestehende und zukünftige Netze integrieren.
Dies bedeutet, dass für viele Anwendungsfälle vorhandene und zukünftige Endgeräte verwendet werden können und damit die Fokussierung auf bestimmte Dienste aufgehoben wird. Darüber hinaus entfällt dann eine natürliche Konkurrenzsituation, denn die neuen Satellitennetze ergänzen das vorhandene Netz und stehen nicht im Konflikt dazu. Natürlich kann man sich auch auf Bereiche fokussieren, bei denen die Satellitentechnik unabdingbar ist. Das sind zum Beispiel die maritime Kommunikation oder die Luftfahrt. Die entsprechenden Marktsegmente sind aber erfahrungsgemäß klein.
Welche dieser skizzierten Aktivitäten haben aus Ihrer Sicht den höchsten Reifegrad und sind in der Lage, in die klassischen Geschäftsfelder der Telcos einzudringen oder diese zu komplementieren?
Von den bekannten Lösungen ist sicher die Starlink Konstellation von Elon Musk am weitesten fortgeschritten. Dies beruht zum einen auf dem sehr modernen, voll digitalen Nutzlastdesign, zum anderen hat Starlink auch den Vorteil eines eigenen Trägersystems (Space-X). Starlink hat insbesondere hinsichtlich Entwicklungszeit und Kosten neue Maßstäbe gesetzt. Elon Musk sieht seine Lösung aber nicht als Konkurrent zu terrestrischen Netzen und Netzbetreibern, sondern als Ergänzung. Er ist also vermutlich auch offen für entsprechende Partnerschaften.
Auch die Fokussierung auf eine bestimmte Dienstgruppe (Kepler, IoT) kann Erfolg haben. Die entsprechende Konstellation ist wesentlich kleiner und weniger komplex, die Satelliten sind kleiner und kostengünstiger und ein Betrieb ist in kürzeren Zeiträumen möglich, da IoT-Anwendungen nicht unbedingt eine durchgängige Kommunikation von Anfang an brauchen. Die angedachten Lösungen anderer möglicher Spieler wie Samsung, Microsoft, Google oder Facebook sind noch zu wenig bekannt, um hier eine Aussage treffen zu können. Die restlichen Player werden es nach meiner Einschätzung sehr schwer haben.
Fest steht auf jeden Fall: Kein Satellitensystem kann die Kapazität terrestrischer Netze erreichen. Insofern ist ein Ersatz schwer möglich. Konstellationen können aber durch die besseren Sichtbarkeitsbedingungen einen höheren Grad an Abdeckung ermöglichen. Hier liegt die Lösung des Problems: Satellitensysteme können die Abdeckung, die mit terrestrischen Netzen nur schwer oder gar nicht erreichbar ist, ergänzen. Die hierfür notwendige Kapazität ist gut darstellbar.
Zur Person: Dr. Hans-Peter Petry
Dr. Hans-Peter Petry war nach seiner industriellen Laufbahn bei führenden Herstellern der Telekommunikationsbranche als Managing Partner bei Detecon tätig. Bis zu seiner Pensionierung war er Leiter des Bereichs Telekommunikationstechnologien. Seit 2018 ist Dr. Petry Vorsitzender des Vorstandes des Deutschen Zentrums für Satelliten-Kommunikation e.V. (DeSK).
Wie sieht es mit der Ökonomie aus? Sind diese alternativen satellitengestützten Infrastrukturen überhaupt in der Lage, unter Kosten-Nutzen-Aspekten oder Effizienzgesichtspunkten mit den terrestrischen Netzen, egal ob Mobilfunk oder Festnetz, mitzuhalten?
Die übliche Vorgehensweise bei Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, mögliche Umsätze mit Kosten für Entwicklung und Betrieb gegenzurechnen, sehe ich aktuell als sehr schwierig bis unmöglich an, da erforderliche Marktentwicklungen kaum abschätzbar sind. Trotzdem kann man eine Aussage machen.
Dimensioniert man eine Beispielkonfiguration für eine Abdeckung von etwa fünf bis zehn Prozent der terrestrischen Netze (Mobilfunk) und vergleicht das mit den Kosten, die für eine entsprechende terrestrische Lösung nötig wären, um eine Abdeckung nahe an 100 Prozent zu erreichen, ist die Konstellation allein auf Deutschland bezogen klar im Vorteil. Dies ist begründet durch die stark überproportional ansteigenden Kosten für terrestrische Netze mit hohen Abdeckungsgraden.
Dieser Effekt gilt schon für Mobilfunknetze der vierten Generation und verstärkt sich mit 5G, da wegen der angestrebten höheren Datenraten auch höhere Trägerfrequenzen verwendet werden, die die Ausbreitungsprobleme nicht verbessern. Ähnliches gilt für Festnetze. Auch hier können Satelliten die verbleibende Lücke zumindest teilweise schließen. Entsprechende Datenraten müssen allerdings bereitgestellt werden. Dies ist mit geeignet dimensionierten Endgeräten möglich.
Welche Use Cases sind aus Ihrer Sicht besonders erfolgversprechend?
Bis auf IoT sehe ich eine Fokussierung auf bestimmte Use Cases kritisch. Man darf nicht vergessen: Trotz einer wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit benötigen Satellitensysteme und insbesondere große Konstellationen erhebliche Mittel für Entwicklung und Betrieb. Es vergeht eine gewisse Zeit bis zur ersten Inbetriebnahme. Daher handelt es sich selbstverständlich um große und weitreichende strategische Entscheidungen. Die Kompatibilität mit terrestrischen Netzen und die Bereitstellung des kompletten Dienstspektrums als Ergänzung ist deshalb der richtige Weg.
Ein weiterer Aspekt scheint mir aber ebenfalls wichtig: Bestimmte zukünftige Use Cases setzen stillschweigend im Hintergrund eine vollständige Netzabdeckung voraus, ohne die nur eine eigeschränkte Funktionsweise möglich ist. Stellvertretend seien hier autonome Verkehrssysteme genannt. Lokale Sensorik und regionale Mobilfunknetze können sicher viele Betriebsmodi abdecken, für eine durchgängig hohe Sicherheitsstufe ist aber die erreichbare Netzabdeckung nicht ausreichend. Auch hier können moderne Satellitensysteme das fehlende Kettenglied sein. Eine entsprechende Diskussion ist aber noch zu führen.
Derartige Überlegungen können zu einem wichtigen Treiber werden.
Welche Rolle spielt die Standardisierung in diesem Wettbewerbsumfeld? Ist die Integration der Satellitentechnik in die Mobilfunkstandardisierung nicht conditio sine qua non für den ökonomischen Erfolg und die Attraktivität bestimmter Use Cases?
Die Integration in bestehende terrestrische Netze, insbesondere für Mobilfunkanwendungen, ist in der Tat unabdingbar. Hier haben alle aktuell laufenden Vorhaben noch erheblichen Nachholbedarf. Das eröffnet natürlich auch Chancen für Markteinsteiger zu einem späteren Zeitpunkt. Diese Thematik ist erkannt worden. Entsprechende Standardisierungsaktivitäten im 3GPP Umfeld wurden gestartet und haben inzwischen einen hohen Standard erreicht, der möglichen weiteren Systementwicklern entsprechende Planungssicherheit gibt. Vorteilhaft ist in diesem Zusammenhang, das entsprechende Satellitennetze funktional und apparativ einen hohen Synergiegrad mit modernen terrestrischen Lösungen, insbesondere 5G, aufweisen.
Wie steht Europa im internationalen Wettbewerbsvergleich da? Gibt es auch hier nennenswerte Initiativen, die auf Augenhöhe mit den insbesondere amerikanischen Akteuren mithalten können? Welche Voraussetzungen wären hierzulande zu schaffen?
Hier ergibt sich ein etwas zwiespältiges Bild. Bei kritischen Technologien kann Europa und insbesondere Deutschland gut mithalten. Hierzu gehören insbesondere hochleistungsfähige Antennen mit vielen dynamisch steuerbaren Beams - Stichwort Massive MIMO -, digitale Nutzlaststrukturen - Stichworte Software Defined Radio (SDR), On Board Processor (OBP) - und kosteneffiziente optische Terminals für Intersatellitenverbindungen und Verbindungen zum Bodensegment. Notwendige Systemaktivitäten stecken aber noch in den Kinderschuhen.
Um dies voranzutreiben, sind gemeinsame Aktivitäten von Politik, Industrie, Netzbetreibern und Regulierungsbehörden erforderlich. Mehr noch: Eigentlich macht dies nur im europäischen Umfeld Sinn. Hierzu müssen aber noch erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um die moderne Satellitentechnik bekannter zu machen und ihre Vorteile erkennen und einordnen zu können.
Aktuell beginnen im Rahmen der European Space Agency (ESA) die ersten Studien im Rahmen der längerfristigen Technologieprogramme. Berücksichtigt man die bisher bekannten Zeitverläufe derartiger Vorhaben, ist mit kurzfristigen europäischen Lösungen nach meiner Einschätzung nicht zu rechnen. Die Satellitentechnik schaut daher recht neidisch auf die Automobilindustrie, die ähnliche Paradigmenwechsel durchläuft und anfänglich auch deutlich im Rückstand war. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung ist es dort aber gelungen, den Rückstand etwas zu verkleinern.
Wir müssen daher weiter für die Vorteile der Satellitenkommunikation werben, und vielleicht kann dieses Interview etwas dazu beitragen.
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