Die Corona-Krise macht nachdenklich. Unser Hauptaugenmerk richtet sich auf Betroffene, Schwache und Gefährdete, die alle akute Hilfe und eine neue Perspektive benötigen. Angesichts der Heftigkeit des Ausbruchs der Krise wirkt das Gerede von der „VUCA“-World (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) mit dem in den letzten Jahren nicht zuletzt auch die Beraterzunft gerne unterwegs war, fast wie eine leere Plattitüde. Vieles ändert sich im sozialen Miteinander, in den Verhältnissen Bürger/Staat sowie Unternehmen/Staat und mit Sicherheit auch in der einen oder anderen gesellschafts- und/oder wirtschaftspolitischen Anschauung.
Einige Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle stehen auf der Kippe, weil sie unter den radikal veränderten Umständen irrelevant und/oder nicht überlebensfähig geworden sind. Dazu gehören sowohl Akteure aus schon länger bedrohten Branchen wie dem stationären Einzelhandel, Unternehmen aus Branchen wie Automobilbau oder Luftverkehr, die schon durch die Klimadebatte unter hohem Transformationsdruck stehen, aber auch bisher als Zukunftsmodell hochgepriesene Startups wie Flixbus oder Uber. Und auch wir als Berater, die wir lange mit dem Mantra „Consulting is People Business“ unser Geschäftsmodell betrieben haben, stellen uns die Frage, wie Projekte akquiriert und abgewickelt werden können, wenn sich Menschen nicht mehr begegnen dürfen?
Wenn Buzzwords ihre Strahlkraft verlieren, sind es oft einfache, altbewährte Weisheiten, die ihre Berechtigung behalten: „Not macht erfinderisch“, galt schon lange, bevor Professoren, digitale Influencer und Berater die Innovationsfähigkeit zur Problemzone jedes Unternehmens erklärten und alle Zukunftsprojekte zwingend disruptiv und exponentiell skalierend zu sein hatten. Wozu unternehmerische Kreativität fähig ist, sehen wir aktuell in vielen kleinen Beispielen, die in üblichen Zeiten nicht den Weg in die Presse gefunden hätten. Wir sind beeindruckt, mit welcher Ingenuität gerade auch kleine und mittelständische Unternehmen bemüht sind, ihren Geschäftsbetrieb fortzuführen und für ihre Kunden weiter da zu sein. Anfangen müssen wir hier in der Gesundheitsbranche, in der sich Krankenhäuser neu organisieren, um auf das Schlimmste vorbereitet zu sein, in der die dort Beschäftigten persönlich den höchsten Einsatz zeigen, um für ihre Patienten da zu sein, und dennoch bei vielen Arbeitsmitteln und eigener Ausstattung improvisieren müssen. Ihnen gilt unser höchster Respekt!
Kreative Ideen und Notfallpläne
Abseits dieses absoluten Sturmzentrums gelingt es vielen Unternehmen mit kreativen Ideen und Notfallplänen, ihr Geschäft am Leben zu halten. Viele Schulen stellten mit als erste auf Online-Betrieb um, und den Lehrern gelingt es, die Kinder interessiert und motiviert zu halten. Konferenzen und Workshops werden eilig als Webinare oder Online-Meetings organisiert und erweisen sich als hilfreich. Fitness-Klubs und Kulturschaffende beginnen, ihre Angebote zu streamen, und die Gäste sind dankbar. Handwerker bieten Remote-Unterstützung bei der Reparatur kleiner Schäden an, und Kunden lernen einiges dabei. Auto- und Fahrradhändler mit angeschlossener Werkstatt bieten Click-and-Collect-Modelle an und sichern so die Mobilität Ihrer Kunden. Lebensmitteleinzelhändler, die bisher vor der Marktmacht von Amazon und Co zu erstarren schienen, bieten für einen kleinen Aufpreis Lieferservices an, und viele, gerade ältere Kunden sind hocherfreut über diesen Beitrag zur ihrer Versorgungssicherheit.
Viele dieser teils improvisierten Angebote kommen gut an. Warum sollten Unternehmen sie nicht auf Dauer beibehalten? Aus manchen Use Cases lassen sich – strukturiert weiterentwickelt – Ansätze für völlig neue oder erweiterte Geschäftsmodelle gewinnen. Das gilt insbesondere umso mehr für die großen Transformationen, die aktuell etwa im Bereich Supply Chain, Logistik und Produktion von statten gehen.
So herausfordernd die Krise ist und so betroffen uns ihre aktuellen Auswirkungen machen, so wichtiger wird es sein, die richtigen Lehren aus ihr zu ziehen. Hierzu können und müssen die Kreativität und das Innovationsdenken, welche wir in der Krise erleben, einen wesentlichen Beitrag leisten. Eine Rückkehr zu einem modifizierten Vor-Krisen-Modell – etwas größere Läger, ein aufgepfropftes Online- oder Lieferangebot, eine etwas tiefere eigene Wertschöpfung, etwas verkürzte Lieferketten verbunden mit ab und zu mal Home Office – wird uns weder für die nächste Krise, die per definitionem anders als die aktuelle sein wird, wetterfest machen, noch das durch die Krise geänderte Verhalten von Kunden und Mitarbeitern adressieren. Genauso wenig werden uns die Steuerungs- und Optimierungsparameter, nach denen wir bisher unsere Gesellschaft und unser Wirtschaftsleben optimiert haben, helfen, für zukünftige Krisensituationen gewappnet zu sein und in ihnen die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Katalysator für Resilienz
Wir sollten die Krise als Katalysator nutzen, um Geschäftsmodelle zu entwickeln, die sich durch Anpassungsfähigkeit, Agilität und Resilienz auszeichnen. Dazu gehören dann Steuerungsmodelle, wie zum Beispiel OKRs, die nicht auf pseudo-exponentiell mehrjährigen Wachstumsphantasien – die immer ein gleichbleibendes Umfeld voraussetzen – basieren, sondern motivierende Ziele setzen und dabei aber Abweichungen und Anpassungen zulassen.
Dabei sollten wir nicht den Fehler machen, unser Heil in 100% Digitalisierung zu suchen, sondern es kommt auf die intelligente Kombination von menschlichem Handeln mit digitaler Informationsverarbeitung an. Kein Krankenhaus funktioniert ohne Ärzte und Pfleger; der E-Commerce, der aktuell unsere Versorgung sicherstellt, funktioniert nicht ohne Lagerarbeiter und Auslieferungsfahrer. Rein digitale Plattform-Geschäftsmodelle wie Uber, Flixbus und AirBnB geraten in Schwierigkeiten, weil Plattformen, die nicht in der Lage sind, Menschen zusammen zu bringen, in Pandemie-Zeiten rapide an Wert verlieren.
Der Mensch im Mittelpunkt
Der Mensch muss im Mittelpunkt stehen. Das gilt nicht nur für unser aller Gesundheit, sondern auch für Wertschöpfung und Digitalisierung. Digitales Lernen, digitales Einkaufen, digitale Kultur- und Unterhaltungsangebote, digitale Informationsdienste werden durch die Krise an Wert und Nachfrage gewinnen. Gleichzeitig können wir es aber alle kaum erwarten, uns wieder mit Familie, Freunden und Gleichgesinnten in einem Restaurant, einem Konzert und auch einer gut gemachten Einkaufswelt zu treffen. Auch wir Berater entwickeln aktuell aus dem Home Office virtuelle Design Thinking-Formate und andere Wege, um mit unseren Kunden digital im Dialog zu bleiben. Aber auch wir freuen uns auf den Tag, an dem wir wieder Bahn und Flugzeug benutzen können, und uns mit Post-Its oder ähnlichem bewaffnet, gemeinsam mit unseren Klienten in einem Raum unternehmerischen Herausforderungen widmen.
Wir sind überzeugt, dass auch in dieser Krise Ideen und Geschäftsmodellansätze entstehen, die die Zeit nach der Krise prägen werden. Gestärkt daraus hervorgehen werden alle diejenigen, denen es gelingt, die Kreativität, die sie nun in das Notwendige – den Überlebensmodus – stecken, gleich für den Turn-Around, das Durchstarten und den Wandel nach der Krise zu nutzen. Insofern ist die aktuelle Zeit auf jeden Fall die Stunde der Krisenmanager, der vielbeschworenen Macher. Aber sie sollte und muss auch die Stunde der Kreativen und Innovatoren sein, die die langfristigen Hebel in der Veränderung erkennen und daraus ihren Blick auf die Zukunft richten. Jede Krise kann ein Lehrmeister sein, ob sie das ist, hängt einzig und allein von unserer Einstellung ab.
Ob akute Krisenmaßnahmen, schrittweise Anpassungen von Geschäftsmodellen, die Zusammenarbeit mit bisher nicht in Erwägung gezogenen Partnern, neue digitale Services oder radikale Visionen für völligen Neubeginn – die Krise schafft ein starkes Momentum zur Reflexion eigener Strategien. Nutzen Sie es.