Bessere Wertschöpfung dank Industrial Connectivity

Industrial Connectivity ermöglicht es Fertigungsunternehmen, ihre Wertschöpfung mit Hilfe innovativer Technologien entlang der gesamten Prozesskette zu optimieren. Raik Wehser, Partner bei Detecon und verantwortlich für den Bereich Manufacturing, erläutert, wie Digital Twins, 5G-Netze und neue Ökosysteme Produzenten bei aktuellen Herausforderungen unterstützen können.

Welche Rolle spielt Industrial Connectivity beim Aufbau von Digitalstrategien?

Sie spielt eine zentrale Rolle. Es geht um die Schaffung einer geeigneten Infrastruktur, um Entwicklung, Produktion und Betrieb bestmöglich zu unterstützen. Dabei können viele Technologien zum Einsatz kommen. Neben Wifi und Ultra-Breitband können gerade 5G-Technologien die Skalierbarkeit und Innovationsfähigkeit gewährleisten. Wichtig ist: Industrial Connectivity bedeutet, den optimalen Mix aus Technologien entlang der spezifischen Wertschöpfung des Unternehmens auszuwählen bzw. bereitzustellen. Die digitale Transformation zielt auf Produktivität und Effizienz ab. Ein höherer Automatisierungsgrad wie auch bessere Transparenz und Steuerbarkeit von Abläufen in Produktion und Entwicklung brauchen die Vernetzung aller für die Wertschöpfung relevanten Komponenten.

Dabei muss mit Sicherheit auch die IT- und Informationssicherheit entsprechend berücksichtigt und ganzheitlich als strategischer Ansatz implementieren werden. Worauf sollten Firmen da besonders achten?

Um Intellectual Property besser zu schützen und Risiken zu minimieren, müssen alle Bereiche in den Fokus: Eine Strategie sollte folgende, wesentliche Themen umfassen: Physical Security (u.a. Zutrittsschutz des Perimeters), Cyber Security (u.a. Schutz vor unberechtigtem Zugriff der IT-Systeme) und insbesondere die Schärfung des Sicherheitsbewusstseins von Mitarbeitern. Wir testen dann zum Beispiel mit Phishing-E-Mails, wo es im Unternehmen noch Schwachstellen gibt. Wie viele Mitarbeiter öffnen die Mail und warum? Auswertungen zeigen so, an welcher Stelle gezielt Maßnahmen anzusetzen sind. Die Supply-Chain-Security wiederum prüft zudem ganzheitlich, dass angemessene Sicherheitsstandards in der Lieferantenkette eingehalten werden. Wo laufen welche Information-Security-Management-Systeme und sind externe Mitarbeiter entsprechend geschult? Auch das Incident und Business Continuity Management betrachten wir: Wie ist das Unternehmen im Ernstfall aufgestellt? Sind Risiken im Incident-Fall durch Recovery- und Wiederanlaufprozesse abgesichert? Eine IT braucht keine Bauzäune – trotzdem oder gerade deswegen kann eine umfassende Sicherheit nur gemeinsam mit allen Bereichen gelingen.

Digital Twins werden im Zusammenhang mit den Digitalisierungsstrategien der Industrie immer wieder heiß diskutiert. Welche Hausaufgaben sind hier noch zu tun?

Genau genommen ist das reine, virtuelle Abbild etwa eines Maschinenparks lediglich ein sogenannter „Digital Shadow“. Von einem richtigen Digital Twin sprechen wir erst dann, wenn dieser bidirektional in die Realität eingreift. Beispiel: Ein Lager läuft voll. Der Digital Twin erkennt dies und sorgt automatisiert für das Anfahren eines Alternativlagers. Anhand der Simulation von Abläufen, etwa von Fertigungsrobotern, lässt sich durch Parameter frühzeitig erkennen, ob Kollisionen an einer Anlage drohen. Entscheidend für den Nutzen eines Digital Twin ist dessen maßgeschneiderte Entwicklungstiefe. Denn hundertprozentige Realitätsnähe ist zu aufwändig. Für den Return of Investment muss die Granularität der Realitätsabbildung eng mit den erhofften Effekten, etwa eingesparten Kollisionen, korrelieren.

Ein besonders spannender Case betrifft die Digitalisierung des Lifecycle Managements. Dafür werde digitale Zwillinge von Gebäuden angefertigt – und dann?

Gebäude verfügen über eine Vielfalt von Funktionen. Fenster gehen auf und zu, Türen schließen, Heizung und Wasserversorgung laufen. Der Digital Twin kann nun viele Gebäudefunktionen automatisieren. Sicherheitstüren müssen etwa Prüfzyklen unterliegen. Auch Fenster müssen nachts geschlossen sein. Digitalisierte Prüfungen durch Sensoren an Fenstern und Türen verringern den Aufwand für den Sicherheitsdienst erheblich. Neben einfachen Funktionsprüfungen kann das gesamte Facility Management digital gesteuert werden. Wo läuft was leer und ist nachzufüllen? Wie leite ich Ortsunkundige zu einer versteckten Maschine? Auch die Auslastung von Räumen lässt sich mit Anwesenheitssensoren messen und steuern. Generell gilt auch hier: Die Tiefe der Abbildungen ist relevant für den Nutzen von Use Cases.

IoT-Plattformen sollen den Wert von Daten noch stärker nutzen. Auf welche Herausforderungen müssen sich Unternehmen hier einstellen?

Ob Digital Twin oder IoT-Plattform: Wichtig ist, dass die Daten- und Informationsmodelle zunächst wirklich funktionieren. Wie ist die Semantik? Maschinen müssen Daten interpretieren können. Ein sinnvolles Informationsmodell muss alle Bereiche, von der Entwicklung bis zur Fertigung und Qualitätssicherung, zusammenbringen.

Welche Rolle kommt sogenannten „Ökosysteme aus Partnern“ im Bereich Industrial Connectivity zu? Zählt der Kooperationsgedanke noch zu wenig in deutschen Unternehmen?

Die Komplexität nimmt überall zu und überfordert bisherige Strukturen in Entwicklung oder Produktion. Produkte bestehen mittlerweile aus einer Vielzahl von Einzelkomponenten. OEMs, Fertiger und Dienstleister geben auch bewusst große (Teil-)Projekte ab, die über Generalunternehmer gesteuert werden. Intelligent konzipiert ist 1 und 1 dann mehr als 2. Wir brauchen für komplexe Ökosysteme einfach Schulterschlüsse unter Partnern, da sich Aspekte oft gut ergänzen. Richtig vernetzt, haben Unternehmen so die Chance, an diesen komplexen Herausforderungen zu wachsen.