Strategisches Prozessmanagement: Essenzieller Baustein der digitalen Transformation

Schlecht ausdefinierte Geschäftsprozesse und mangelnde Transparenz sind immer noch die großen Stolpersteine in der Umsetzung der digitalen Transformation. Beides lässt sich mit Hilfe von strategischem Prozessmanagement überwinden.  

Das strategische Prozessmanagement ist ein Unternehmensbereich, der sich auf die organisations- und unternehmensübergreifenden Geschäftsprozesse konzentriert. Es setzt die Vorgaben der Unternehmensstrategie für die Gesamtheit der Geschäftsprozesse um und initiiert Maßnahmen zur Prozessverbesserung und zur Sicherung von Erfolgspotenzialen.

Da innerhalb eines Unternehmens Prozesse allgegenwärtig sind, ist es wichtig, ein geeignetes Prozessmanagement aufzusetzen, bevor man bestehende Prozesse optimiert. Das strategische Prozessmanagement vereint somit die Unternehmensvision mit den tatsächlichen Schritten innerhalb eines Unternehmens, die unternommen werden müssen (operatives Prozessmanagement), um einer Strategie zu folgen oder Unternehmensziele zu erreichen.

Vor der Einführung des strategischen Prozessmanagements ist die Klärung der Ziele von entscheidender Bedeutung. In Visions- und Strategie-Workshops kann strukturiert bewertet werden, wie das künftige strategische Prozessmanagement ausgerichtet sein sollte und welche strategischen Themen es abdeckt.

Kernbestandteile des Strategischen Prozessmanagements 

Neben dem übergeordneten Ziel des strategischen Prozessmanagements, die allgemeine Unternehmensstrategie umzusetzen, gibt es außerdem noch eigene untergeordnete Ziele des strategischen Prozessmanagements, welche erreicht werden sollten.

1. Transparenz über komplexe Prozesslandschaften schaffen

Durch die Implementierung eines Prozessmodells, einer Governance, Richtlinien und Vorgaben zur Rollenbeschreibung und Prozessmodellierung trägt das strategische Prozessmanagement in erheblichem Maße zur Schaffung von Transparenz, Unterstützung der Unternehmensstrategie und zum Erfolg des Unternehmens bei.

Durch die einheitliche, hierarchische Abbildung der Prozesse und Prozessschritte wird in komplexen Prozesslandschaften die Grundlage für erfolgreiche Geschäftsprozessanalysen und -optimierungen erreicht. Somit ist das strategische Prozessmanagement ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Umsetzung einer Digitalisierungsstrategie.

Hierfür ist es wichtig, dass durch das strategische Prozessmanagement Rollen, Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Kriterien für Prozessfreigaben klar definiert und beschrieben sind, damit sowohl die Zusammenarbeit mit allen beteiligten Einheiten als auch Entscheidungs- und Eskalationswege eindeutig geregelt sind.

2. Der Kunde im Fokus

In erfolgreichen Unternehmen steht der Kunde im Fokus, daher haben die Kunde-zu-Kunde-Prozesse, wie z.B. Request-to-Offer, Order-to-Cash oder Fault-to-Restauration, für das strategische Prozessmanagement eine besondere Bedeutung.

Hier werden die Wertschöpfungsketten, die einen Mehrwert für den Kunden erzeugen, durch die organisationsübergreifenden Geschäftsprozesse abgebildet. Neben den Kunde-zu-Kunde-Prozessen ist zu unterscheiden in Leistungsprozesse, die das Leistungsportfolio abbilden, wie Produkte und Lösungen, die für den Kunden bereitgestellt bzw. betrieben werden, oder die kaufmännische Abwicklung von Aufträgen, sowie die „klassischen“ Support-Prozesse, die das Geschäft unterstützen, wie z.B. die Prozesse von Procurement, Human Resource Management und Finance.

Unterstützt wird das strategische Prozessmanagement durch das operative Prozessmanagement, welches in den jeweiligen Geschäftsbereichen verortet ist. Die Leistungs- und Support-Prozesse werden hier, in den Fachbereichen, operativ verantwortet, modelliert, analysiert, designed und gemessen. Eine erfolgreiche Interaktion des strategischen mit dem operativen Prozessmanagement garantiert somit eine ganzheitliche prozessuale Darstellung des Unternehmens und schafft die Voraussetzung für eine erfolgreiche digitale Transformation.

3. Kontinuierliche Prozessverbesserung

Im Spannungsfeld von internationalem Wettbewerb und Kostendruck ist es wichtig, dass Unternehmen effektiv und effizient arbeiten. Ein strategisches Prozessmanagement sollte demnach dafür Sorge tragen, dass Prozesse nicht einmalig bzw. „für die Schublade“ modelliert werden, sondern kontinuierlich gemonitort werden, beispielsweise durch ein Process Mining, und falls möglich, verbessert werden. Durch die übergeordnete Position kann das strategische Prozessmanagement darüber hinaus erkennen, welche Synergien sich produkt- und prozessübergreifend realisieren lassen.

4. Prozessdigitalisierung & -automatisierung

Zur weiteren Effizienzsteigerung sollten Unternehmen auch über mögliche Prozessdigitalisierungs- und -automatisierungsmaßnahmen nachdenken. Beispielsweise können Softwarelösungen sowie Robotic-Process-Automation-basierte Softwareroboter nicht nur Aufgaben in kürzerer Zeit und mit höherer Qualität erledigen, sondern befreien die Mitarbeiter auch von lästigen, repetitiven Tätigkeiten. Das strategische Prozessmanagement sollte also in enger Abstimmung mit der IT für einen sinnvollen Einsatz von intelligenten Tools in den Prozessen sorgen.

5. Etablieren einer Prozess-Community

Im Fokus des strategischen Prozessmanagement sollte ebenfalls eine starke Prozess-Community liegen. Nur im engen Austausch zwischen Prozessmodellierern, Business- und Produkt-Vertretern sowie der IT kann eine nachhaltig hohe Prozessqualität sichergestellt werden. Das strategische Prozessmanagement sollte in diesem Kontext als Facilitator und Moderator dienen und fortlaufend Formate und Touchpoints bereitstellen, um den Austausch zu fördern und gemeinsame Werte zu etablieren.

Die Erfahrung zeigt darüber hinaus, dass ein strategisches Prozessmanagement vermehrt das Augenmerk auf die Stärkung der User und Customer Journeys legen sollte. Die Schnittstelle zu den verantwortlichen Unternehmensbereichen, falls vorhanden, ist zu fördern. Zuletzt sollten auch der reibungslose Ablauf von Zertifizierungen sowie das Erhalten der entsprechenden Zertifikate sichergestellt werden.

Im Anschluss an die Definition der strategischen Themen sollten diese auch zur Maßgabe für das tägliche Handeln des strategischen Prozessmanagements werden. So empfiehlt es sich, bspw. nach dem OKR-Ansatz greifbare kurzfristige Ziele und Messgrößen bzw. KPIs aus den definierten Themen abzuleiten. Die Initiativen und Aktivitäten des strategischen Prozessmanagements sollten dann wiederum diese Messgrößen bzw. KPIs unterstützen, sodass ein klarer Link zwischen Vision, Strategie bis hin zu den Aktivitäten der Unternehmung hergestellt ist.

Abbildung 1: Beispielhafte Kaskadierung von Vision hin zu Measures/Initiatives

Instrumente des strategischen Prozessmanagements

Bei der erfolgreichen Umsetzung der zuvor definierten Strategie zeigen sich folgende Instrumente besonders effektiv:

  • Process Framework
  • Process Governance
  • Gremien zur Prozessverbesserung
  • Prozess-Blueprints und Arbeitshilfen

Das Process Framework ist das vom Unternehmen definierte Rahmenwerk, also eine Abbildung aller Unternehmensprozesse (Kunde-zu-Kunde-, Geschäfts- und Support-Prozesse). Die Prozesslandschaft eines Unternehmens wird durch diese Struktur transparent und die Anforderungen und Ziele des Unternehmens werden durch das Process Framework unterstützt.

Die Granularität der Prozesse sollte im Process Framework top-down von Prozess-Ebene zu Prozess-Ebene zunehmen. Zusätzlich ist darauf zu achten, dass klare Verantwortlichkeiten in den Prozessbereichen definiert sind und über das strategische Prozessmanagement die Zusammenarbeit der Bereiche gefördert wird. Der zentrale Mehrwert des Frameworks ist die Herstellung einer single-source-of-truth für Prozesse. Es gewährleistet so eine Übersichtlichkeit der Abläufe in der komplexen Organisation.

Neben dem Process Framework ist die Process Governance ein weiterer wichtiger Bestandteil des Instrumentariums des strategischen Prozessmanagements. Die Process Governance stellt sicher, dass alle Initiativen zur Prozessentwicklung und -verbesserung vollständig mit den Geschäftszielen und der allgemeinen Geschäftsstrategie des Unternehmens in Einklang stehen. Sie beinhaltet die „Leitplanken“, innerhalb derer das Unternehmen prozessbezogen arbeitet, und sorgt somit für den Erfolg der Prozessmanagement-Initiativen innerhalb der Organisation. Da die Prozessverantwortlichen in der Folge nach einheitlichen Regeln arbeiten, wird eine hohe Prozessqualität sichergestellt.

Ein weiteres Instrument des strategischen Prozessmanagements sind Gremien zur Prozessverbesserung. Zum Beispiel ist ein Process Improvement Team ein Gremium von Prozess-Experten, das multidisziplinär aufgestellt ist und das Ziel der Realisierung von Synergie-Effekte in der Prozesslandschaft verfolgt. So sollten in dieser Gruppe, neben strategischen Prozess Managern, Vertreter aus den Geschäftsprozessen, der IT, der Prozess-Modellierung und dem Business im aktiven Austausch sein. Die Zusammenarbeit sollte dahingehend organisiert sein, dass über Regelmeetings, Sharepoints und Portale Prozess-Themen platziert werden können. Der Mehrwert solcher Gremien besteht in der kontinuierlichen Weiterentwicklung und Verbesserung der Prozesslandschaft.

Um Maßgaben des strategischen Prozessmanagements im Unternehmen auszurollen, ist neben den anderen Instrumenten die Entwicklung von Prozess-Blueprints und Arbeitshilfen sinnvoll. Prozess-Blueprints sind verallgemeinerte Darstellungen von Prozessabläufen, die in graphischer Form in einem generalisierten Prozessdiagramm, heute meist nach BPM/N 2.0 modelliert, dargestellt werden. Inhalte der Aufgaben, Anweisungen zur Kommunikation und Interaktion mit Kunden und anderen Prozess-Rollen sowie Input/Output-Faktoren und Beschreibungen der Prozess-Rolle, die die jeweilige Aufgabe erledigt, komplettieren die Blueprints. Der Mehrwert dieser Art der Darstellung ist die leichtere Identifikation und Umsetzung von potentiellen Verbesserungen. Außerdem können die Blueprints für künftige Prozess-Abbildungen als Vorlage genutzt werden. Zusätzlich zu den Blueprints ist es sinnvoll, bedarfsgerecht weitere Arbeitshilfen für das operative Prozessmanagement bereitzustellen.

Neben diesen Instrumenten können selbstverständlich weitere Instrumente eingesetzt werden. Welche Instrumente erfolgversprechend sind, ist vom jeweiligen Unternehmenskontext abhängig.

Implementierung des strategischen Prozessmanagements

Wie ein strategisches Prozessmanagement aufzubauen ist, hängt von vielen Rahmenparametern wie der Organisationsgröße, der Fertigungstiefe oder der Menge der Produkte und Dienstleistungen der Unternehmung ab. Einige grundsätzliche Schritte sollten beim Aufbau des strategischen Prozessmanagements allerdings in sämtlichen Kontexten Beachtung finden:

1. Das Fundament: Team-Aufbau u. Vision 

Im ersten Schritt ist es wichtig, im Team des strategischen Prozessmanagements eine gemeinsame Vision für die Einheit zu entwickeln. Wie hierbei vorzugehen ist, haben wir im Abschnitt „Ziele des strategischen Prozessmanagements“ beschrieben. Neben der Entwicklung der Vision sollte auch das Team, bspw. durch Team-Building-Maßnahmen, aufgebaut werden und die Aufgaben innerhalb des Teams entsprechend der Stärken der Team-Mitglieder verteilt werden. So wird nicht nur für das strategische Prozessmanagement, sondern auch für die ganze Prozess-Community ein starkes Fundament gelegt.

Abbildung 2: Die «Akropolis» des strategischen Prozessmanagements

2. Die Säulen: Die Instrumente des strategischen Prozessmanagements initial entwickeln

Nachdem das Fundament für die Zusammenarbeit gelegt ist, gilt es, die im Abschnitt „Instrumente des strategischen Prozessmanagements“ beschriebenen Instrumente initial zu entwickeln. Der Aufbau des Frameworks, der Governance und der Gremien wie dem PIT sowie auch die bereitzustellenden Arbeitshilfen benötigen einige Vorarbeit, bevor sie veröffentlicht werden können.

Es ist zentral, dass die Instrumente nicht nur intern entwickelt werden, sondern an den Stellen, an denen es sinnvoll erscheint, Fachexperten aus der Organisation einbezogen werden. Das sorgt nicht nur für eine hohe Qualität der Instrumente, sondern stellt auch deren Akzeptanz bei den Adressaten derselben sicher.

Nach der initialen Erstellung sollte eine Freigabe der Instrumente durch das Management erfolgen, um ihre Verankerung in der Unternehmung formal abzuschließen. Anzumerken ist, dass die Instrumente nach der initialen Erstellung weiter «leben» sollten. Die Organisation und das strategische Prozessmanagement lernen fortlaufend hinzu. Das sollte sich auch in den Instrumenten widerspiegeln.

3. Das Dach: Intensive Kommunikation mit den Stakeholdern und Integration mit den prozessnahen Einheiten

Ist die Einheit im Arbeitsmodus angekommen und sind die Instrumente etabliert, sollte sich das strategische Prozessmanagement im nächsten Schritt in der Organisation publik machen. Als zentrale Einheit, die nur im Austausch mit seinen Adressaten existieren kann, ist die intensive Kommunikation Voraussetzung für den Erfolg. Nur durch interne Kampagnen lassen sich Inhalte und Präsenz des strategischen Prozessmanagements in den Köpfen der Prozess-Community verankern.

Geeignete Kommunikationsmaßnahmen können hierbei Intranetseiten, Newsletter, Lessons Learned-Sessions oder aber auch Schulungen sein. Nachzudenken ist, abhängig von der Intensität der Auswirkungen der implementierten Veränderungen auf die Organisation, zusätzlich über ein möglicherweise notwendiges Change Management. Neben den Kommunikationsmaßnahmen an die Adressaten des strategischen Prozessmanagements ist auch die Integration mit prozessnahen Einheiten gefordert.

Insbesondere sollte eine Vernetzung mit dem Produktmanagement und der IT erfolgen, da zum einen die Maßgaben des strategischen Prozessmanagements in der Entwicklung der neuen Produktprozesse greifen müssen und zum anderen Prozesse in der heutigen Zeit nicht mehr ohne die darunter liegende IT gedacht werden können.

Strategisches Prozessmanagement mit strategischer Rolle als Impulsgeber und Vorbild im Prozessmanagement 

Auch nach seiner Etablierung sollte das strategische Prozessmanagement seiner strategischen Rolle als Impulsgeber und positives Vorbild im Prozessmanagement gerecht werden. Fortlaufend zeichnen sich neue Trends wie Process Mining oder verschiedene Prozessautomatisierungsmechanismen ab.  Ein strategisches Prozessmanagement sollte in enger Abstimmung mit dem operativen Prozessmanagement kritisch prüfen, inwiefern sich diese Trends in die bestehende Prozesslandschaft integrieren lassen. So wird die Zukunftsfähigkeit des Prozessmanagements und der Unternehmung gesichert.

 

 

Wir danken Lucas Wagner für die Mitarbeit an diesem Artikel!