Green IT – damit die IT kein Klimakiller wird

Vom Stromverbrauch in Rechenzentren bis zum Elektroschrott aus ausgemusterter Hardware – die Ansatzpunkte von Green IT für Unternehmen sind vielfältig. Unsere Experten Dr. Rainer Weidmann und Dr. Tim Krüger erklären im Interview, was heute schon möglich ist, welche Vision sie für die Zukunft sehen - und wie ersichtlich die Schnittstelle zu mehr Effizienz ist.

Detecon: Wie sieht eine ganzheitliche Sicht auf die CO2-Bilanz von IT aus?

Weidmann: Wir schauen uns den ganzen Lebenszyklus an, und zwar von der Produktion über den regulären Betrieb bis hin zur Außerbetriebnahme und der Verschrottung. Green IT betrachtet nicht nur Hardware – also Server, Bildschirme oder Speicher –, sondern vor allem auch die Rechenzentren. Dort stehen nicht Kilowatt, sondern Megawatt. Energetisch gesehen sind das deshalb die Hot Spots. Und dort ist es immens wichtig zu fragen, wie ich denn eigentlich meine Energie beschaffe.

Welche Möglichkeiten gibt es bereits für die „grüne“ Energiebeschaffung?

Weidmann: Theoretisch kann eine Brennstoffzelle 25kW IT versorgen. Wenn die Brennstoffzelle mit Biogas betrieben wird, läuft das CO2-neutral. Eine Alternative ist grüner Wasserstoff, also Wasserstoff, der durch Photosynthese oder durch Elektrolyse aus Strom von erneuerbaren Energien wie Windkraft hergestellt wird. Das Problem bei erneuerbaren Energieträgern wie Wind und Solar ist derzeit noch, dass sie zwar über den ganzen Globus verteilt ausreichend Energie liefern, man aber lokal durchaus Flauten einkalkulieren muss. Deshalb ist die Energiespeicherung mit solchen Anlagen derzeit das größte Problem.

Krüger: Der grüne Wasserstoff ist eine gute Variante für eine Kopplung mit geringem CO2-Ausstoß. Die Herausforderung liegt momentan darin, dass grüner Wasserstoff noch deutlich teurer ist. Insbesondere in Norddeutschland gibt es aber bereits viele Initiativen, um in den nächsten zehn Jahren den Ausstoß deutlich zu senken, den Windstrom zu nutzen und den Wasserstoff leicht speicherbar herzustellen - auch wenn bei der Erzeugung die Energieeffizienz geringer ist, als den Strom direkt zu verbrauchen. Eine andere Hürde ist es, die schwankenden Einspeisungen von Wind- und Solarstrom zu puffern, wo es auch noch nicht die technologischen Lösungen gibt, die man sich wünscht. Allerdings wird durch den Verbund des europäischen Stromes eine gewisse Verteilung möglich.

Ein innovativer Ansatz in Bezug auf die Rechenzentren als Hauptverbraucher ist auch die Fernwärmeauskopplung. Die Wärme in dem Rechenzentrum wird dabei noch anderweitig genutzt. Bei der Lastverschiebung wird die Rechenlast dann gesteigert, wenn gerade viel Strom aus erneuerbaren Energiequellen eingespeist wird.

Wie bewerten Sieden aktuellen Stellenwert von Green IT in den Unternehmen?

Weidmann: Grundsätzlich sehen wir das Thema auf einem guten Weg. In Zeiten von Corona liegt der Fokus natürlich nicht auf Green IT. Auch wir haben Projekte, die jetzt erst einmal verschoben worden sind. Aber die Uhr tickt, das zeigt das aktuelle Geschehen in der Welt. Und Politik und Gesetzgebung sind gezwungen, zu reagieren. Das heißt auch, dass die Preise für CO2 sowie viele gesetzliche Vorgaben kommen werden. Wenn die Unternehmen etwas am Geldbeutel spüren, dann werden sie reagieren. Und natürlich gehen wir mit einem entsprechenden Portfolio auf die Unternehmen zu.

Was sieht solch ein Portfolio aus?

Weidmann: Um CO2 einsparen zu können, bleiben immer zwei Möglichkeiten: Entweder ein Unternehmen wechselt die Technik, oder ein Unternehmen spart Strom. Hierzu kann man einen Business Case rechnen.

Krüger: Generell sehe ich drei zentrale Einflüsse:

1. die Umweltgesetzgebung,
2. die Kundenerwartung und
3. die Energiekosten.

Was die Umweltgesetzgebung betrifft, so fördert die Politik Klimaschutz und Energieeffizienz und setzt zum Teil strenge Vorgaben, deren Nicht-Einhaltung zu Strafzahlungen führt. Ein bekanntes Beispiel sind die CO2-Grenzwerte für Neuwagen. Auch von den Preisen für CO2 geht eine gewisse Steuerungswirkung aus. Wir empfehlen allerdings den Unternehmen, diesem Trend zuvor zu kommen, denn ein Rechenzentrum wird für etwa zehn Jahre initial geplant und ist später nur sehr schwer umzusteuern.

Was die Kundenerwartung betrifft, so sehen wir nicht erst seit der Fridays-for-Future-Bewegung, dass die Klimabilanz eines Unternehmens für dessen Kunden an Bedeutung gewinnt. Dieser Trend wird sich weiter fortsetzen.

Zu guter Letzt bleiben die Energiekosten. Energieeffiziente IT spart Stromkosten, gerade bei den Rechenzentren. In Anbetracht der steigenden Strompreise und den nach wie vor wachsenden Rechenzentren überzeugt vor allem dieser Punkt konservative Entscheider. Zudem ist es vergleichsweise leicht, dieses Einsparpotenzial auszunutzen, weil die neue Technik deutlich energieeffizienter und grüner Strom verfügbar ist. Aber auch in den Bereichen Einkauf von ressourcenschonender oder -sparender Hardware bis hin zu Nutzungsdauern, der weiteren Verwertung und des Recyclings gibt es viele Möglichkeiten. Aufgrund der Vielzahl der Optionen sehen wir die IT durchaus in der Pflicht. Allerdings sehen wir in den Maßnahmen auch viele Chancen für die IT.

Immer wieder wird auf das Mindset hingewiesen, das Unternehmen benötigen, um Green IT zu etablieren? Inwieweit profitieren Unternehmen davon?

Krüger: Bei den großen Unternehmen wie Apple, Google oder auch der Deutschen Telekom ist dieses Mindset zweifellos vorhanden. Alle haben sich verpflichtet, erneuerbare Energien zu nutzen und betreiben ihre Rechenzentren damit. Eine gute Vorbildwirkung haben diese Unternehmen vor allem dann, wenn sie dies offen kommunizieren. Apple legt zum Beispiel offen, dass sie bis 2030 auch bezüglich der Herstellung von IT klimaneutral werden und setzt das entsprechend in der Zuliefererkette durch. Unter dem Gesichtspunkt des Images ist das eine clevere Entscheidung. Diese Unternehmen profitieren davon, dass sie ein wichtiges Trendthema aktiv mitgestalten und als Vorreiter von Kunden und Aktionären wahrgenommen werden.

Wie wird ein Rechenzentrum „Green IT-freundlich" umgebaut?

Weidmann: Der aus meiner Sicht größte Faktor ist die Klimatisierung. Hier macht es unheimlich viel aus, ob man ein Rechenzentrum mit 20 Grad Lufttemperatur betreibt, oder ob du sagst, ich gehe auf 27 Grad. Und wenn man das Ganze noch mit sogenannten Einhausungen versieht, also möglichst auf eine Vermischung im Rechenzentrum verzichtet, könnten von der Gesamtenergie vom Rechenzentrum aus gesehen über 30% Energieersparnis drin sein. Nur durch die Klimatisierung.

Krüger: Richtig. Im Rechenzentrum werden Lüfter oft mit mehr Energie betrieben, als wirklich notwendig ist für die Kühlung. Und das ist ein wesentliches Einsparpotenzial.

Die Schnittstelle zur Effizienz ist ersichtlich. Was ist hier alles möglich?

Weidmann: Man muss sich vor allem über Redundanzen Gedanken machen. Ein Rechenzentrum hat ja immer noch Dieselgeneratoren für den Notstrombetrieb, falls die Stadtwerke mal nicht liefern können. Diese Konzepte zu überdenken, ist aktuell noch Vision. Denkbar ist zum Beispiel eine Giga-Batterie, die mit Wind oder Solar betrieben wird. Welche Flächen man dafür braucht, muss man dann ausrechnen.

Krüger: Europaweit gibt es das Potenzial, die überliegenden Netze noch besser zu verbinden und dadurch grade die variablen Lasten von erneuerbaren Energien leichter zu verteilen. In Deutschland sollen noch weitere Stromtrassen gebaut werden, um dann zum Beispiel den Windstrom aus dem Norden auch in den verbrauchsstarken Süden zu bekommen. Auf einer europaweiten Skala kann man dann auch planen, mehr Strom in Süddeutschland durch Solarenergie zu erzeugen oder teilweise in Norwegen in Wasserkraft zwischen zu speichern.

Aus Sicht des Rechenzentrums gibt es ebenfalls zwei Verschiebungsmöglichkeiten: Ich kann die Lastverteilung lokal verteilen und die meiste Rechenlast auf das Rechenzentrum verteilen, das in der Region steht, in der gerade viel erneuerbare Energien erzeugt werden. Damit bringe ich die Rechenleistung zum Strom. Die zweite Möglichkeit ist die temporäre Lastverteilung: ich rechne zeitlich im Tagesverlauf dann am meisten, wenn gerade viel Strom an einem Ort da ist.

Dank IoT können wir immer mehr Geräte miteinander vernetzen. Ist das nicht kontraproduktiv für die Green IT-Bilanz?

Krüger: Tatsächlich wird es immer mehr Sensorik geben. Die zugesetzten Kleingeräte haben mehrere Verbraucher, die wiederum zentral kommunizieren müssen über WLAN, 5G oder anderen Mobilfunk. Selbstverständlich lohnt es sich, schon allein aufgrund der Anzahl der Geräte zu schauen, ob diese energieeffizient betrieben werden und vernetzt sind. Hier gibt es bereits erste Überlegungen, die Rechenleistung näher an das Endgerät zu bringen, zum Beispiel in Form von Edge-Rechenzentren.

Weidmann: Dann steht das Rechenzentrum direkt neben dem Solarpark. Man baut kleine Edge Data Center in den Fuß eines Windkraftrades und somit direkt in die Quelle. Damit das Rechenzentrum auch Strom hat, wenn sich das Windrad mal nicht dreht, ist es an das normale Netz angeschlossen. Die Transportkosten für Strom entfielen somit gänzlich. Das ist Green IT in der Zukunft!

Vielen Dank Euch für das aufschlussreiche Interview!