Ökosysteme im Gesundheitswesen

Die Digitalisierung in der Gesundheitsbranche ist auf einem Höhenflug. Die Gründe dafür liegen nicht nur in staatlichen Förderprogrammen und regulatorischen Verpflichtungen, sondern auch in neu auf den Markt strömenden Ökosystemen und der zunehmenden Akzeptanz der Patienten, sich auf digitalisierte Ökosysteme einzulassen. Lesen Sie von den Detecon Experten Christian Hammann, Fabian Brüning und Pascal Frank, warum „Mut zur Lücke“ gut ist und wie man Sackgassen bei der Öksystemauswahl vermeidet.

Untersuchungen zeigen, dass bereits 75 % der befragten Personen heute frei verfügbare Gesundheits- und Fitness Apps nutzen (Quelle: Bitcom Research 2020). Über 50 % der befragten Personen können sich vorstellen, sich einem Gesundheits-Ökosystem anzuschließen, um etwa Video-Sprechstunden mit ihrem behandelnden Arzt durchzuführen oder elektronische Rezepte zu erhalten und zu nutzen. Und über 73 % der befragten Personen in nahezu allen Altersgruppen können sich vorstellen, eine elektronische Patientenakte zu führen.

Was ist eigentlich ein Ökosystem?

Ursprünglich aus der Biologie kommend lässt sich ein Ökosystem als offener, dynamischer Komplex von Gemeinschaften innerhalb einer erfassbaren Umgebung verstehen, welche als funktionelle Einheiten in Wechselwirkung und Abhängigkeit stehen (Quelle). Wesentlich sind dabei ausgeglichene Wechselwirkungen, so dass das Ökosystem stabil funktioniert. Dabei muss es gegenüber inneren, sowie äußeren Einflüssen so robust sein, dass das Zusammenspiel im Ökosystem jederzeit stabilisiert werden kann.

In der Natur verlaufen diese Prozesse organisch über eine sehr lange Zeit, wobei die Evolution eine unbeschreibliche Vielzahl von Ökosystemen hervorgebracht hat - und ebenso viele Ökosysteme untergehen lassen hat.

Übernehmen wir die Systematik des Ökosystems nun in den Gesundheitsmarkt, so werden in unserer heutigen schnelllebigen Zeit einige Punkte deutlich:

Health-Ökosysteme entstehen nur gezielt und anorganisch

Kleinere Anbieter wie Docbox, Bluecare oder Post-E-Health haben sich aufgemacht, Kommunikationsplattformen aufzubauen, damit Arzt, Patient oder Versicherung im Sinne einer optimalen End-to-End-Patientenorientierung möglichst digital auf einer Plattform miteinander kommunizieren können. Aber auch große internationale Technologiekonzerne wie Google, Amazon, Microsoft oder Apple haben den Markt für sich entdeckt und begründen eigene Wege, wie in Zukunft die Vernetzung aller Player im Gesundheitssystem volldigital stattfinden kann. Dabei stehen nicht nur die herkömmlichen Bedürfnisse der digitalen Kommunikation im Falle einer Arztbehandlung im Fokus, sondern es geht auch um die Nutzung von Smart Devices zur Erfassung des Gesundheitszustandes der Patienten und die daraus mögliche Unterstützung von Krankheitsdiagnosen und Behandlungswegen. Hinzu kommt, dass regulatorisch gewisse Ökosysteme vorgegeben sind, um zum Beispiel die Elektronische Patientenakte nutzen zu können. Abbildung 1 zeigt, wie sich  die großen Technologieanbieter im Markt positionieren:

Abbildung 1: Positionierung von Technologieanbietern im Markt

So schnell, wie sie kommen, so schnell gehen sie wieder

All die neuen Anbieter von Gesundheits-Ökosystemen wollen also etwas vom großen Kuchen abbekommen. Hier kann man erneut eine Analogie aus der Biologie übernehmen: „Survival of the Fittest“ – nur die am besten angepassten werden überleben.

Werden die regulatorischen Anforderungen hinsichtlich des Datenschutzes, der Transparenz und Freizügigkeit für die großen internationalen Anbieter zu hoch, könnte der lokale Markt unattraktiv werden. Es wäre nicht das erste Mal, dass große Anbieter hohe Millionenbeträge in neue Produktideen investieren, nur um dann das neue Produkt mangels ausreichender Gewinnmarge vom Markt zu nehmen. Kleineren Anbietern hingegen könnte unterwegs die Luft ausgehen. Vor allem dann, wenn sich eine Mehrheit von Kunden zu einem alternativen Ökosystem orientiert.

Konsequenzen für die Ausrichtung der Digitalisierung auf ein Ökosystem

Es wäre jedoch falsch, sich davon aufhalten zu lassen. Dafür ist das Potential, welches in der patientenorientierten Zusammenarbeit und dem Austausch innerhalb der Ökosysteme liegt, viel zu groß.

Genauso falsch wäre es, sich nur auf ein einziges Ökosystem einzulassen – decken doch viele Ökosysteme unterschiedliche Aspekte ab, die von der reinen Kommunikation bis hin zur Erfassung von Gesundheits- und Lebensdaten reichen.

Wichtig: Die eigene Digitalisierungsstrategie

Wo möchte ich hin? Was möchte ich in den nächsten Jahren digitalisieren?  Wie sieht meine Ziellandschaft aus, auf der ich als Partner im Gesundheitswesen relevante Geschäftsprozesse abbilde und wie sieht meine End-to-End-Patientenorientierung aus?

Wenn diese Überlegungen getroffen sind, können gezielt Ökosysteme evaluiert werden ohne, dass man am Ende mit einer teuren und ineffektiven Vielzahl an unterschiedlichen Plattformen und Lösungen dasteht.

Ebenfalls wichtig: Geeignete Ökosysteme sind offen und basieren auf Standards

Es sollten keine Gruppen innerhalb des Gesundheitsmarktes von vornherein ausgeschlossen werden. Wichtig ist auch der Einsatz von Standards. Idealerweise kann zum Beispiel ein Arzttermin, welcher aus einem Ökosystem heraus erstellt wird in einem anderen Ökosystem empfangen und verarbeitet werden und umgekehrt.

Dafür haben sich über die Jahre innerhalb der technischen Lösungen im Gesundheitsmarkt Standards zu Schnittstellen, aber auch zu bildgebenden Verfahren und zu Dateiformaten gebildet. Werden diese in einem gewählten Ökosystem berücksichtigt, dann ist das Risiko, sich in eine Sackgasse hinein zu digitalisieren, stark verringert. Bei der Auswahl eines Ökosystems sind Sackgassen zu vermeiden.

Abbildung 2: Vermeidung von Sackgassen bei der Ökosystemauswahl

Wenn es den Technologieanbietern gelingt, ihre Ökosysteme so offen und standardisiert zu gestalten, dass einzelne Plattformen in Symbiose zueinander genutzt werden können anstatt miteinander zu konkurrenzieren und sich auszuschließen, dann gibt das dem Gesundheitsmarkt die übergreifende, nachhaltige und effektive Digitalisierungsbasis, welche so dringend benötigt wird.