Marcell Vollmer: Process Mining – Der Hebel zur smarten Prozessoptimierung

Dr. Marcell Vollmer ist seit August 2019 Chief Innovation Officer bei Celonis und spricht im Interview mit unseren Detecon-Beratern über die Process-Mining-Technologie von Celonis. Durch höhere Transparenz und eine bessere Visualisierung sollen operative Prozesse optimiert und eine höhere Automatisierung erreicht werden. Unternehmen wird es so ermöglicht, die Effizienz zu steigern und ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Außerdem erfahren Sie hier, welche Visionen Marcell Vollmer für Celonis hat und welche Bedeutung Nachhaltigkeit auch im eigenen Unternehmen beigemessen wird.

Das Wachstum des weltweiten realen Bruttoinlandsproduktes schwächelte in den letzten Jahren. Die abzusehende Erholung der Weltwirtschaft in 2020 wird nun durch die Corona-Krise gehemmt. Erwartest du bei Celonis in diesen wirtschaftlich unsicheren Zeiten eine verstärkte Nachfrage nach Effizienzmaßnahmen?

Marcell Vollmer: Schon vor der Ausbreitung des Coronavirus konnte man damit rechnen, dass sich das wirtschaftliche Wachstum in 2020 etwas abschwächen wird. Die Diskussion ging also bereits im letzten Jahr stärker in Richtung Automatisierung, Digitalisierung und Einsparpotenziale. Dieser Trend ist durch die aktuelle Krise sehr stark verschärft worden. Unsere Technologie kann Unternehmen dabei helfen, kritische Prozesse in der Supply Chain und in Bezug auf Liquidität zu verstehen und anzupassen, um diese Krise zu meistern. Celonis hilft, Supply-Chain-Prozesse zu verstehen, die möglicherweise an die aktuelle Situation angepasst werden müssen, um Waren schnell an die Kunden zu liefern. Dies können Medikamente, Lebensmittel oder andere kritische Güter sein. Celonis hilft auch bei der Identifizierung von Risiken in der Lieferkette, um Einblicke in Risikofaktoren zu erhalten, zum Beispiel Fälle bei denen die Lieferanten wahrscheinlich nicht rechtzeitig liefern werden. Das System kann Vorschläge zu alternativen Anbietern machen, die mit größerer Wahrscheinlichkeit liefern können.

Erwartest du, dass Unternehmen durch die aktuelle Situation eher in Technologien wie Celonis investieren, was zuvor auf die lange Bank geschoben wurde?

Ja, auf jeden Fall, das trifft den Kern ziemlich genau. Die Nachfrage nach unserer Software wird noch zunehmen, weil Unternehmen jetzt verstärkt auf Effizienz achten und achten müssen. Wir unterstützen nicht nur dabei, die Prozesseffizienz zu steigern, sondern sorgen gleichzeitig dafür, dass sich die Unternehmen stärker auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.

Mindestens genauso wichtig sind Fragen wie: Wie kann Celonis den Fachbereichen helfen, die Marktnachfrage besser zu erkennen und zu bedienen? Und wie können Unternehmen Customer Experience Data nutzen, um einen besseren Überblick über ihre Kundendaten zu haben und diese zu nutzen, um Mehrwert für ihre Kunden zu liefern? Dieser Ansatz hilft Unternehmen, sich optimal aufzustellen. Damit müssen sich die Unternehmen jetzt aufstellen.

Welche Chancen bietet Process Mining mit Celonis im Zuge der Steigerung von Effizienz?

Celonis ist als Marktführer für das Thema Process Analytics – Process Mining als Fachbegriff – bekannt. Wir bieten die Möglichkeit, Prozesse zu visualisieren und bereits im nächsten Schritt die notwendigen Optimierungen und Automatisierungen direkt in den Backend-Systemen vorzunehmen. Das ist unsere große Stärke: Wir zeigen relativ komplexe Enterprise-Ressource-Planning-Strukturen transparent auf. In Europa und Deutschland sind dies meistens SAP-Systeme, aber auch CRM-Systeme oder Datenbanken, wobei die Systemlandschaft dabei nur bedingt eine Rolle spielt. Celonis ist absolut IT-System-agnostisch.

Kannst du das präzisieren?

Sobald in Unternehmen IT-Systeme vorhanden sind – und damit transaktionale Event-Daten – können wir die gesamten Prozesse sehr gut visualisieren und mithilfe unserer Technologie anzeigen, an welcher Stelle im Prozess Transaktionen relativ reibungslos ablaufen und wo eine hohe Automatisierung bereits erreicht wurde. Darüber hinaus sieht man aber auch, wo eventuelle Bottlenecks entstehen und kann Bereiche mit geringerem Automatisierungsgrad, höherem Nachbearbeitungsbedarf oder suboptimalen Prozessen identifizieren.

Ein gutes Beispiel sind Shared Service Center: Jeden Tag gehen in den Shared Service Centern dieser Welt unzählige Rechnungen – viele sogar noch als Papierbeleg – ein, die keine Bestellnummer haben. Diese müssen dann erst einmal manuell der Bestellnummer zugeordnet werden. Dafür wird beispielsweise geprüft, ob es eine Bestellnummer gibt und der Lieferant nur vergessen hat, sie anzugeben oder ob die Fachseite die Bestellung initiiert hat, ohne dem Einkaufsprozess zu folgen. Solche Bearbeitungsschritte im Prozess sind natürlich unnötiger Aufwand.

Lass uns noch einmal zurück auf die möglich anstehende Rezession kommen. Siehst du gerade jetzt für deutsche Konzerne und den Mittelstand die Chance ihre Digitalisierung kräftig voranzutreiben?

Viele Unternehmen sind bereits aktiv in der Digitalisierung. Was man allerdings sieht, sind regional große Unterschiede. In den USA liegt ein sehr starker Fokus darauf, tiefgreifend die Geschäftsmodelle anzupassen oder sogar ganz Neue zu entwickeln. In Europa und somit auch in Deutschland hängt diese Entwicklung sehr stark von der Industrie und den jeweiligen Bereichen ab. Im Procurement-Bereich wird beispielsweise durchaus anerkannt, dass die Digitalisierung notwendig ist und das Geschäftsmodell die Geschäftsgrundlage verändert. Wenn man aber fragt, was bisher tatsächlich passiert ist, dann wundert man sich doch, dass trotz 83 Prozent Zustimmung zu dem Thema “Digitalisierung verändert meinen Bereich“ in der Realisierung sehr wenig passiert ist. Man ist sich also bewusst, dass die Digitalisierung wichtig ist, macht aber erst mal wie gewohnt weiter. Die Gefahr dabei liegt auf der Hand: Die Unternehmen treffen noch nicht die richtigen Maßnahmen, um für die Zukunft gewappnet zu sein.

Inwiefern kann Process Mining hier die Unternehmen konkret unterstützen?

Process Mining als Technologie hilft dabei, alle Prozesse – von der Supply Chain über Manufacturing, Buchhaltung bis hin zu Prozessen an den Kundenschnittstellen – zu analysieren, zu visualisieren und aufzuzeigen, wo Automatisierungspotenzial besteht. Warum ist Amazon oder Uber beispielsweise so erfolgreich? Weil der Bestellprozess super einfach und aus Kundensicht gedacht ist. Amazon ist keine Produkt-, sondern eine Prozess-Company. Uber ist ein Service-Unternehmen zur Vermittlung von Fahrdienstleistungen. Es wurde extrem darauf geachtet, dass alle Prozesse nahtlos ineinandergreifen. Und das ist genau das, was auch Process Mining ermöglicht. Es macht die Unternehmen fit für die Zukunft.

Welche Produkt-Vision hast du für 2025 im Hinblick auf Innovationen; wie beispielsweise Robotics Process Automation (RPA)?

Unternehmen werden weiter die Digitalisierung massiv vorantreiben und brauchen Unterstützung für kundenzentrierte und hoch effiziente Prozesse. Celonis unterstützt dabei, die digitale Transformation zu beschleunigen und bietet Cloud-Lösungen, die es den Unternehmen ermöglicht, alle Geschäftsprozesse effizient und effektiv zu steuern.

Bei RPA stellt sich für mich eher die Frage, ob man dann Technologien wie RPA überhaupt noch braucht. RPA ist eine gute Form, um Dinge, die nicht integriert sind, zu überbrücken. Ich finde es allerdings wichtig, nicht das Symptom zu beheben, sondern die Ursache zu finden und zu beheben. RPA arbeitet aber stärker auf einer Symptomebene. Wir hingegen versuchen, wirklich in die Systeme reinzugehen und aufzuzeigen, was die eigentliche Ursache ist, warum zum Beispiel eine Bestellung nicht mit der Bestellnummer auf der Rechnung zurückkommt. Unser Fokus liegt eher auf nachhaltigen Änderungen.

Beispielsweise wurde bereits viel S/4HANA in die Unternehmen verkauft, allerdings noch nicht so viel implementiert, und der erforderliche Migrationsprozess bietet auch wieder große Chancen für Process Mining. Oder wenn Unternehmen zum Beispiel die Systeme umstellen, für die systemspezifische Roboter programmiert wurden, laufen die Roboter in Zukunft ins Leere. Denn sobald eine kleine Komponente im System geändert wird, funktioniert der Roboter nicht mehr. Man kann den Roboter zwar neu aufsetzen, sinnvoller ist jedoch, dass der automatisierte Prozess nahtlos in die Systemlandschaft integriert wird und funktioniert. Genau das, versuchen wir mit Process Mining zu erreichen.

Das heißt, du baust an der perfekten Welt?

Eine perfekte Welt gibt es nicht. Es gibt auch keine perfekte Software. Aber wir können die Welt verbessern. Das ist die Motivation der drei Gründer von Celonis, deren Innovation mittlerweile eine Technologie ist, die von Deutschland ausgehend in der ganzen Welt nachgefragt wird. Dafür hat Celonis im letzten Jahr den Zukunftspreis vom deutschen Bundespräsidenten sowie den Game Changer Award von Bain und dem Manager Magazin gewonnen, um nur mal zwei Preise zu nennen. Und Gartner hat mittlerweile die Process Mining Technologie als eigene Kategorie und Celonis als klaren Marktführer definiert.

Ein Thema, welches sicherlich viel Innovation benötigt, ist das Thema Nachhaltigkeit. Hat Celonis das Potenzial, für mehr Nachhaltigkeit im Unternehmen zu sorgen? Gibt es da Gedanken und vielleicht auch schon Erfahrungen mit ersten Unternehmen, die Celonis dafür nutzen?

Nachhaltigkeit ist ein Top-Thema, und zwar nicht nur als Hype, sondern auf lange Sicht. Wir haben eben nur einen Planeten. Deshalb ist Nachhaltigkeit ein erklärtes Ziel von Unternehmen, das wir als Celonis unterstützen und auch intern umsetzen. Wir können einen Beitrag dazu leisten, damit Unternehmen nachhaltig wirtschaften und über die Transparenz und effizientere Abläufe ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen können.

Transparenz über die gesamte Lieferkette, ist dabei besonders entscheidend. Kunden fragen verstärkt nach, woher ihre Produkte kommen: Das Palmöl in Nutella - ist es nachhaltig oder nicht? Woher stammt die Baumwolle meiner Strickjacke und woher das Kobalt für die Elektrobatterien bei Tesla? Welche Lebensbedingungen, welche Arbeitsbedingungen existieren vor Ort jeweils? Die Software von Celonis kann sicherstellen, dass Unternehmen Transparenz über die gesamte Lieferkette end-to-end erhalten und somit auch den Nachweis erbringen können, dass nur Produkte von nachhaltigen Lieferanten verwendet werden.

Seit kurzem ist Detecon Partner von Celonis. Als Management- und Technologieberatung werden wir künftig Celonis-Lösungen beim Kunden implementieren. Bitte vervollständige den Satz: Die Partnerschaft mit Partnern wie der Detecon bedeutet für mich…

…dass unsere Kunden das Beste aus beiden Welten geboten bekommen: Auf der einen Seite bietet Celonis mit der Technologie die Plattform. Auf der anderen Seite stellen die Partner mit ihrer Industrie- und Prozessexpertise den bestmöglichen Mehrwert einer Implementierung und Nutzung der Software sicher. Ein weiterer Aspekt ist die bessere Skalierbarkeit. Aktuell haben wir 800 Mitarbeiter und wachsen sehr schnell. Um aber die Implementierung bei unserem ständig wachsenden Kundenstamm in jeder Hinsicht abdecken zu können, brauchen wir Partner. Jetzt und auch in der Zukunft.

 

Das Interview führten Florian Zenke, Christian Trost und Dominik Söhnle.