Digitalisierung und Automatisierung – der Einkauf der Deutschen Telekom ist dazu bereits sehr gut aufgestellt. Karim Ouali, VP Procurement Steering and Digitalization der Deutschen Telekom, spricht im Interview mit Detecon-Beratern Michael Meissner und Dominik Söhnle über den Weg dorthin und wie seine Vision eines modernen Einkaufs aussieht.
Detecon: Digital Efficiency sehen wir als eines der großen Zukunftsthemen. Digitalisierung und Automatisierung sind hierbei zwei unverzichtbare Begriffe. Wo ziehst du bzw. die Deutsche Telekom die Grenze zwischen Digitalisierung und Automatisierung? Und was wird jetzt durch Digitalisierung aus deiner Sicht anders?
Karim Ouali: Automatisierung ist der erste Schritt nach der elektronischen Datenverarbeitung. Automatisieren heißt also: nicht wertschöpfende Tätigkeiten durch eine Maschine zu ersetzen. Es geht dabei hauptsächlich um das Ziel, effizienter zu werden. Daher ist eines der Trade-offs der Automatisierung die Qualität. Die Qualität nimmt häufig ab, je mehr man automatisiert. Wir sind durch die Automatisierung zwar effizienter geworden, aber ich wäre vorsichtig pauschal zu behaupten, dass wir dadurch automatisch auch besser werden.
Digitalisierung geht für mich einen Schritt weiter: Produzierte Daten werden intelligent verarbeitet. Das Ziel von Digitalisierung ist nicht, die Effizienz zu steigern. Dies ist vielleicht ein Abfallprodukt. Das Hauptziel der Digitalisierung ist, den Output zu erhöhen. Dies können Savings, die Risikolandschaft oder auch die Qualität sein.
Nach zehn bis zwölf Jahren Automatisierung sind wir in diesem Bereich gut unterwegs. Nun legen wir den Fokus auf Digitalisierung, vor allem im Bereich des strategischen Sourcings. Und da heißt die Mission, Savings zu generieren und den Output zu erhöhen. Wir sind überzeugt, dass die Digitalisierung dabei einen großen Hebel setzen kann.
Die operativen Prozesse fokussieren nach wie vor relativ stark Automatisierungsfragen und somit Effizienzsteigerung. Der strategische Einkauf hat im Rahmen der Digitalisierung und Output-Orientierung seine Prioritäten anders gesetzt. Kannst du das noch etwas schärfen?
Im operativen Einkauf werden die Kerntätigkeiten automatisiert. Dazu gehören Bestellanlagen, Rechnungszahlung oder auch die Rechnungsprüfung. Hier sind wir sehr weit. Im strategischen Einkauf wird die Kernaufgabe digitalisiert, aber nicht automatisiert. Nichtsdestotrotz haben wir Nebentätigkeiten, also nicht-wertschöpfende Tätigkeiten im strategischen Einkauf, die wir auch automatisieren können, wie zum Beispiel das Dokumentieren der Vergabeergebnisse. Wenn diese fertig verhandelt sind, braucht kein teuer bezahlter Einkäufer den Vertrag in SAP anlegen. Das kann ein Bot tun. Die Tätigkeiten, wie ein Einkäufer seine Verhandlung vorbereitet und durchführt, können und sollen digitalisiert werden. Man kann dem Einkäufer smarte Daten zur Analyse geben, damit er seine Verhandlungsposition stärkt. Aber ich gehe nicht davon aus, dass wir den strategischen Einkäufer durch Digitalisierung abschaffen werden.
Beim Thema Procurement Analytics habt ihr einen sehr großen Fokus daraufgelegt, verschiedene Daten und Informationen über ganz unterschiedliche Tools und Methoden zusammenzutragen. Wie hängt das mit Digitalisierung aus deiner Sicht zusammen?
Die erfolgreichen Einkauforganisationen werden sich dadurch auszeichnen, dass sie relevante Daten nicht nur produzieren, sondern diese auch intelligent verarbeiten. Daher ist das Thema Data Analytics der Key Enabler der Digitalisierung. Das ist das Herz der Digitalisierung.
Allerdings müssen die Daten erst einmal produziert werden, bevor sie verarbeitet werden können. Prozesse müssen standardisiert sein. Das haben wir bereits umgesetzt. Zudem haben wir mit Ivalua auch eine standardisierte transaktionale Einkaufslandschaft eingesetzt. Auf welchem System man arbeitet, spielt dabei keine Rolle - wichtig ist es jedoch, eine Plattform zu haben, da diese auch eine Standardisierung der Prozesse pflegt.
Die operative Welt mit SAP und die Sourcing-Landschaft mit Ivalua sind zwei wesentliche Informationsproduzenten. Diese erzeugen viele Daten, die mit einer smarten Analyseplattform sehr schnell und effizient verarbeitet werden können. Mittlerweile sind wir dabei, diese mit externen Daten zu kombinieren, beispielsweise von Risk Management Plattformen oder Rating Agenturen. Wenn die internen mit den externen Daten korrelieren, bereiten wir eine Verhandlung anders vor.
Benötigt man also einen gewissen Fortschritt an Automatisierung, um die nötige Grundlage für eine spätere Digitalisierung zu erhalten?
Nicht zwangsläufig. Für die Digitalisierung ist es wichtig, strukturierte Daten zu haben. Diese erhält man durch standardisierte Prozesse, Stammdaten und eine Maschine, in die man transaktionale Daten eingibt. Wenn es noch dazu automatisiert läuft, ist es umso besser. Dann können wir uns auf die Datenanalyse konzentrieren. Aber Automatisierung selbst ist kein Muss für die Digitalisierung, sondern die Datenproduktion.
Datengetriebener Einkauf – das klingt wie ein Paradigmen-Wechsel in der Art und Weise, wie man mit diesen vielen Informationen arbeiten kann. Wie siehst du das?
Die Frage ist immer, was ich mit den Daten mache. Die Digitalisierung bietet neue Geschäftsmodelle, mit denen wir den Einkauf aber nicht von heute auf morgen auf den Kopf stellen können. Trotzdem bieten die Daten und die Digitalisierung dem Einkauf die Möglichkeit, anders zu agieren.
Bei einer Data Driven Organization oder Data Driven Procurement basiert zum Beispiel die Vorbereitung einer Preis-Verhandlung auf Datenanalyse. Diese würde mir sagen, wie viel Prozent Marge und Risikoposition in dem geforderten Preis enthalten sind und wie viel Euro nicht überschritten werden sollten.
Nach der Datenanalyse, also der Korrelation unserer internen mit den externen Daten, bekommt eine Data Driven Organization Impulse, sobald die Daten sagen, dass zum Beispiel der Jahresabschluss eines Lieferanten kurz bevorsteht, sodass frühzeitig ein neuer Vertrag ausgehandelt werden kann.
Wir rationalisieren den Einkauf nicht, sondern verlagern die Aufgaben. Die Kernaufgabe liegt nicht in einer Face-to-Face-Verhandlung, sondern beim Fördern guter Argumente basierend auf Datenanalyse und Fakten. Nur so kann erfolgreich mit dem Lieferanten verhandelt werden.
Wir machen das noch nicht flächendeckend systematisch, denn wir machen erst die ersten Schritte in Richtung einer Data Driven Organization. Wir haben unsere Vision und einen Plan und wir arbeiten langsam darauf zu.
Wie sieht es im umgekehrten Fall aus, wenn also der Lieferant ebenfalls diese Transparenz über seine Daten besitzt und von euch fordert, die Preise anzupassen? Kann das nicht dazu führen, dass es am Ende zwar Rahmenverträge mit Lieferanten gibt, die Preise sich aber auf aktuelle Tagesdaten berufen?
Auch hier muss mit offenen Karten gespielt werden. Am Ende ist die Frage doch, wer schneller ist. Daher verhandeln wir nicht nur, wenn wir erkennen, dass sich morgen eine Chance ergibt, sondern auch, wenn sich erkennen lässt, dass zum Beispiel die Ölpreise in einem Jahr steigen werden, um die Preise für drei oder vier Jahre zu stabilisieren.
Die Kunst ist es, dem Lieferanten einen Schritt voraus zu sein. Natürlich können wir nicht immer gewinnen. Der eine oder andere Lieferant wird uns auch mal einen Schritt voraus sein. Wenn allerdings Lieferanten und Kunden volle und auch die gleiche Transparenz haben und auf ein Target Costing hinarbeiten, können sie ihre Kräfte bündeln, um einen anderen Mehrwert zu schaffen und sich zum Beispiel auf Innovationen oder bessere Qualität konzentrieren. Leider steht aktuell oftmals nur der Preis im Fokus. Wenn wir es schaffen in Richtung Target Costing zukommen, haben wir einen ersten Sieg erreicht und können partnerschaftlich mit dem Lieferanten über andere Dimensionen reden. Ich sehe das also nicht als Risiko. Es ist nur dann ein Risiko, wenn nur der Lieferant das tut und wir nicht.
Es werden aber nicht nur die Daten genutzt, die aus den eigenen Tools und Prozessen gezogen werden. Da sind noch eine ganze Reihe externe Datenquellen sinnvoll und notwendig, wie das Wissen über den Jahresabschluss des Lieferanten, wie es mit der Bonität aussieht und was Rohstoffe kosten. Wenn ihr an Data Driven Procurement denkt – was für Dimensionen hat das?
Das ist die Kernfrage, denn die Dimensionen hören nicht auf. Wir haben damit angefangen, unsere internen Daten zu strukturieren, und inzwischen eine gute Transparenz über den Spend in allen Dimensionen. Als externe Quellen erhalten wir Informationen über die Risikolage pro Lieferanten, also welche Lieferanten Probleme in welchen Bereichen haben. Metadaten über Lieferanten, zum Beispiel wann die Jahresabschlüsse sind, erhalten wir von Rating-Agenturen.
Wichtig sind jedoch Breakdowns oder die Breakdown Structure der Produkte. Welche Rohstoffe enthält ein Produkt und welcher davon ist der Kostentreiber? Da reden wir von Procurement Engineering. Diese Daten muss man sich durch Recherche erarbeiten. Wenn ich weiß, welche Rohstoffe ein Produkt enthält, kann ich wiederum Daten kaufen und in den Rohstoffbörsen sehen, wie sich der Preis für eines dieser Rohstoffe entwickelt und welche Tendenzen sich ablesen lassen. Dieser Schritt des Procurement Engineering ist essenziell.
Meine Vision ist es, in alle diese Dimensionen zu gehen und vielmehr Daten zu erhalten als nur „der Vertrag läuft aus“ – wohlwissend, dass ein Mensch diese Masse an Daten nie im Leben verarbeiten kann. Parallel dazu arbeite ich an einer Plattform, die diese Daten korreliert, um daraus Chancen und Risiken zu erkennen, die die Maschine wiederum in Handlungsanweisungen umsetzt. Auch das ist Digitalisierung. Ich automatisiere keine Aufgabe, die da ist, sondern bringe einen neuen Schritt ein, den ein Mensch nicht bewältigen kann. Da brauche ich die Power der Maschine, um die Datenverarbeitung zu komplettieren. Ich bin überzeugt von der Idee und zuversichtlich, dass wir dies schaffen werden. Erste Erfolge bestätigen dies bereits.
Diese Art zu arbeiten – datengetrieben, die gesamten Informationen systematisch aufbereiten, strukturieren und in eine faktenbasierte Diskussion mit den Lieferanten auf Augenhöhe zu kommen – ist eine große Veränderung. Braucht es nicht ganz andere Skills und Fähigkeiten dafür, als manche Einkäufer derzeit überhaupt mitbringen?
Auf jeden Fall. Nicht jeder Einkäufer bringt heutzutage die Fähigkeit mit, Data Analytics zu betreiben, Daten und Zusammenhänge zu verstehen und demzufolge zu handeln. Das Thema Skills kann man jedoch einfacher angehen. Wir können diese Mitarbeiter schulen oder das Team um Personen ergänzen, die die benötigten Skills mitbringen.
Anders steht es um Verständnis und Bereitschaft. Wenn die Einkäufer nicht wollen, dann haben wir ein Problem. Das Thema Wollen ist genauso wichtig, wenn nicht wichtiger als Skills. Hier muss das Thema geschickt angegangen werden. Wir müssen zeigen, dass auch durch das neue Vorgehen ein Einkäufer Gewinne feiern kann. Die Mitarbeiter müssen sehen, dass es funktioniert. Sie müssen vor allem auch den Daten glauben. Das Vertrauen in die automatische Datenverarbeitung bekommt man nicht durch eine Schulungsmaßnahme, sondern nur durch ein Change-Programm - und das gehen wir derzeit an.
Was kommt danach? Ist es vorstellbar, smart contracting insofern umzusetzen, dass sich die Kontrakte von alleine anpassen, wenn beispielsweise ein Rohstoffpreis eine Volatilität zeigt?
Das ist vorstellbar. Für mich ist das allerdings keine Revolution. Smart contracting wäre für mich eine logische Fortsetzung um zu automatisieren, was bereits da ist. Wenn ich über meine Vision für die Zukunft nachdenke, dann frage ich mich: Wie wird verhandelt? Wie werden die Bedarfe definiert? Und hier spanne ich den Bogen in Richtung Blockchain.
Die Lieferkette heute ist linear. Wir als Endkunde verhandeln nur mit dem Original Equipment Manufacturer (OEM) und dieser wiederum mit Sublieferanten. Technisch gesehen und basierend auf Blockchain, ist es möglich, von einer linearen Lieferkette in ein Supplier Network zu gehen. Im Netz zeigt sich unser Bedarf. Darauf aufbauend ergibt sich dann das Lieferantennetzwerk.
Ob dies tatsächlich je bei uns im Unternehmen umgesetzt wird, weiß ich nicht. Dies würde eine Reduzierung der Engineering-Tiefe auf 10% bedeuten. Und gerade unsere Ingenieure in Deutschland haben den stolzen Stempel Made in Germany. Wenn wir als ICT Unternehmen sagen, dass wir die besten Ingenieure haben, aber trotzdem das ganze Liefernetzwerk für eine neue Technologie „fremd“ konzipieren lassen, kratzen wir an einem Ego. Die Kollegen werden das nicht von heute auf morgen akzeptieren. Nichtsdestotrotz: Aus der Einkaufsperspektive betrachtet, sehe ich dort die Revolution vielleicht in 10 oder 15 Jahren. Alles andere ist Evolution, um Schritt für Schritt noch schneller, effizienter und transparenter zu werden.
Danke für das aufschlussreiche Interview!