Digitalisierungsschub: Wo soziale Distanz zu resilienteren Geschäftsmodellen führt

Es bleiben herausfordernde Zeiten für Unternehmen und Organisationen – auch wenn die soziale Distanzierung zur Eindämmung der Covid-19- Pandemie inzwischen etwas gelockert wird, sind wir alle auf der Suche nach einer „neuen Normalität“. Gönnt man sich einen kleinen Blick zurück auf die letzten Wochen, ist es durchaus beeindruckend was umgesetzt wurde und wird, um die Situation zu meistern. Kundenbedürfnisse wurden in erstaunlich kurzer Zeit digital erfüllt und Technologien, die bisher eher vor sich hindümpelten, werden nun intensiv genutzt. Mein Kollege Johannes Pfeffer und ich glauben fest daran, dass dieser Entwicklungsschub Unternehmen und Organisationen nach vorn bringt und viele oft innovative Veränderungen nicht wieder verschwinden werden!

Entlang einer allgemeinen Customer Journey haben wir vor allem vier Kundenbedürfnisse identifiziert, für die über viele Branchen hinweg gerade digitale Lösungen gefunden werden, was zu flexibleren und resilienteren Geschäftsmodellen führt.

Beratung und Kundenservice

Zu Beginn der Customer Journey ist aus unserer Sicht aktuell am meisten Bewegung (s. Abbildung unten). Denn auch wenn die physischen Kundenkommunikations- und Servicekanäle zurzeit eingeschränkt sind, wollen Kunden weiter betreut werden. In allen Branchen finden sich hierzu innovative Beispiele. Wir haben einige ausgewählt:

Um seine Mitarbeiter im Laden vor Ansteckung zu schützen und sie zu entlasten, setzt ein EDEKA-Marktleiter in der Nähe von Hamburg jetzt auf die Kundenberatung durch "Pepper", einen kleinen humanoiden Roboter. Die britische Kaufhauskette John Lewis & Partners berät ihre Kunden in den Bereichen Innendesign von Wohn- und Kinderzimmer oder Küche sowie Fashion Styling kostenlos in Videoterminen. Die Servicemitarbeiter, welche üblicherweise die Beratung im Kaufhaus übernehmen, verschaffen sich mithilfe der Videoberatung ein Bild der individuellen Situation und schicken den Kunden im Anschluss an das Gespräch personalisierte Produktvorschläge digital zu.

Ähnliche Beratungsangebote per Videokonferenz gibt es neu zum Beispiel im Bereich der Weiterbildung wie es die IHK Akademie Schwaben umsetzt oder auch Bankkunden können per Videokonferenz viele Fragen klären. Spannend sind auch Video-Ident-Verfahren, welche beispielsweise von der Commerzbank und der Onlinebank N26 angeboten werden. Diese ermöglichen es, sich für eine Kontoeröffnung digital zu verifizieren.

Die Beispiele zeigen, dass nicht nur digitalisiert, sondern auch neuer Kundenmehrwert geschaffen wird (bessere Beratung durch Kenntnis der Verhältnisse vor Ort, Beschleunigung eines bisher aufwendigen postalischen Prozesses etc.). Haben Sie Ihre Servicekanäle optimal aufgestellt, um im engen Kontakt mit den Kunden zu bleiben und sie zu behalten?

Einkaufen

Persönliches Einkaufen bleibt sicher noch eine längere Zeit eingeschränkt. Auch, wenn die Geschäfte langsam wieder öffnen, schränken uns Schutzmasken doch ein und für Risikogruppen bleibt ein Einkauf nicht ungefährlich. Da wundert es nicht, dass Alternativen Hochkonjunktur haben.

Das Onlineshopping von Lebensmitteln oder Online-Apotheken gibt es bereits seit geraumer Zeit, jedoch waren diese Angebote bisher nur mäßig gefragt. Nun ist die Nachfrage so hoch, dass sich Interessierte über einen Liveticker auf dem Smartphone informieren müssen, wann Lieferkapazitäten frei werden.

Auch Markenartikelhersteller, die bisher fast ausschließlich auf persönlichen Verkauf gesetzt haben, reagieren. Hier gilt es, virtuell beeindruckende Einkaufserlebnisse zu schaffen. Der Konzern Fiat Chrysler Automobiles (FCA) präsentiert seine Modellpalette zum Beispiel ab sofort auch in digitalen Showrooms mit virtuellen Animationen, Informationsvideos und Online-Kaufberatung. Der Elektro-Auto-Pionier Tesla demonstriert schon seit einigen Jahren wie man als Autohersteller sogar vollkommen auf den Online-Vertrieb setzen kann. Es bleibt abzuwarten, ob diese Entwicklungen aufgrund der Corona-Krise auch von den traditionellen Herstellern übernommen wird.

Auch der B2B-Bereich setzt zunehmend auf digitales Einkaufen: So bringt die Digital-Plattform Xometry, Auftraggeber und zertifizierte Produzenten für CNC- und Blechbearbeitungen oder 3D-Druckaufträge zusammen. Die Plattform verzeichnet aktuell keine Einbrüche. Die Auftragsbücher der angeschlossenen Produzenten bleiben gefüllt.

Leistungserbringung

Natürlich wurden auch vor Ausbruch der Pandemie viele Leistungen von Unternehmen und Organisationen digital erbracht. Um die Leistungserbringung auch in Zeiten der sozialen Distanz aufrecht erhalten zu können, sind nun aber auch digitale Formate in erstaunlich vielen Bereichen anzutreffen, in denen dies bisher nur spärlich oder gar nicht angeboten wurde.

Am beeindruckendsten ist sicher die Umstellung, die Schüler und Studenten seit einigen Wochen meistern müssen. Digitales Lernen wird nicht mehr im Zuständigkeitsstreit zwischen Bund und Ländern zerrieben, sondern mit viel Engagement von allen Beteiligten umgesetzt.

Aber auch viele Freizeit- und Unterhaltungsaktivitäten, wie beispielsweise Musikunterricht, Kunst-Workshops, Fitnesskurse, oder Konzerte werden nun digital durchgeführt. Das Berliner Unternehmen ArtNight zum Beispiel hat sein Geschäftsmodell radikal digitalisiert und bietet nun statt physischer Events in Bars und Restaurants Online-Tutorials und ein Kunst-Set mit den notwendigen Utensilien an. Das Weingut Biewers bietet nun digitale Weinproben unter dem Motto „Jeder für sich und alle zusammen“ über Social Media Livestreams an. Während an einer traditionellen Verkostung in der Vinothek 80 Personen teilnehmen können, wurden für die digitale Verkostung im Voraus mehr als 200 Probepakete im Wert von 45 bis 80 € bestellt.

Auch im großen Bereich der Weiterbildung erfreuen sich digitale Formate großer Beliebtheit - Messen finden digital statt und Webinare sind so gut besucht wie noch nie – und werden mit Hochdruck weiterentwickelt. Mit innovativen Tools wie dem nextmoderator entstehen virtuelle Konferenzen, die digitale Co-Creation im Plenum und in themenspezifischen Breakouts ermöglichen wie beispielsweise beim CIXX Think Thank 2020 der Detecon (hier gibt es einen spannenden Einblick wie das aussehen kann).

Selbst öffentliche Verwaltungen und das Gesundheitswesen arbeiten aktuell mit Hochdruck daran, ihre Leistungen weiter erbringen zu können. Zahlreiche Städte- und Gemeindeverwaltungen, unter vielen anderen Berlin, Hamburg, München und Köln, bieten ihren Bürgern einige Dienste und Leistungen, wie zum Beispiel die Beantragung von Führungszeugnissen, Baugenehmigungen, Kfz-Zulassungen, Wunschkennzeichen und vielen weiteren Anliegen nun auch online an. Teilweise können Arzttermine per Videokonferenz wahrgenommen werden und Unternehmen wie Jameda  (Plattform für Arztterminvereinbarungen („Einkauf“) und Praxisbewertungen), TeleClinic (Telemedizin Unternehmen) oder Kinderheldin (Online-Hebammenberatung) verzeichnen ein enormes Wachstum der Nachfragen im Bereich der Fernbehandlungen.

Kundendienst – Reparatur und Wartung

Auch wenn zu Hause oder an der Maschine im Betrieb etwas klemmt, ist persönliche Hilfe vor Ort nicht immer erwünscht oder möglich.

Das Unternehmen iFixit, welches eine Plattform mit zahlreichen Reparaturanleitungen und einer Ersatzteilbörse betreibt, hat unter dem Motto „#FixAtHome“ eine Online Challenge gestartet, die Menschen anregt, Reparaturen im eigenen Haushalt vorzunehmen. Außerdem entstehen einige Communities, die digitale Reparaturberatungen anbieten und so virtuelle Ferndiagnosen ermöglichen. Eine Beratung, welche zuvor beispielsweise in einem Reparaturcafé stattgefunden hätte, erfolgt jetzt per Videokonferenz. Wäre das nicht auch eine Option für Handwerker, um Anfahrtswege zu sparen und Serviceleistungen über ein größeres Gebiet anzubieten?

Eine andere Möglichkeit ist die digitale Fernwartung. Bei modernen vernetzten Kraftfahrzeugen ist dies bereits ausführbar. Hier sollte es neben den Entwicklungen zum autonomen Fahren ebenfalls einen deutlichen Entwicklungsschub geben. In den Bereichen Informations- und Kommunikationstechnik, Maschinenbau und Energie ist diese digitale Art der Wartung auch schon in einem größeren Maße verfügbar. Insbesondere kann eine vorbeugende Instandhaltung aus der Ferne dafür sorgen, dass größere Probleme frühzeitig eliminiert und so Ausfälle vermieden werden. Mit der zunehmenden Vernetzung von Objekten wird diese Art des Kundendienstes in Zukunft noch stärker wachsen.

Ideen für das eigene Geschäftsmodell entdeckt?

Zusammenfassend veranschaulicht unsere Abbildung die Relevanz der Kundenbedürfnisse für die einzelnen Branchen und zeigt unsere Einschätzung zum Digitalisierungsschub. Schauen Sie doch mal, ob Sie Ihre Branche auch so eingeschätzt hätten!

Aus unserer Sicht, sind es neben dem Bildungsbereich, dem Gesundheitswesen und der öffentlichen Verwaltung insbesondere auch der Handel und die Automobilbranche, die aktuell innovative Wege finden, ihre Geschäftsmodelle zu adaptieren. Aber keine Branche bleibt von den Auswirkungen der Pandemie verschont. Wir freuen uns, wenn Sie die eine oder andere Idee für Ihr Geschäftsmodell entdeckt haben. Oder vielleicht haben Sie noch weitere innovative Ideen, die Sie mit uns teilen und diskutieren möchten?

Bleiben Sie gesund und Ihr Unternehmen resilient!

Der Beitrag erschien im Original am 18.5.2020 auf dem Linkedin-Kanal unseres Alumnus Dr. Britta Cornelius.