Carolin Šalé: Mit Foresight gezielt auf Zukunftsszenarien vorbereiten

Auf der Suche nach einer Glaskugel, mit der sich die Zukunft vorhersagen lässt, kommt man mit Foresight schon ziemlich weit. Die Methodik baut darauf, verschiedene Varianten der Zukunft zu antizipieren und konkrete Strategien oder Handlungsempfehlungen abzuleiten. Detecon-Expertin Carolin Šalé erklärt, worauf es ankommt.

Foresight gilt als “second Design Thinking”. Was macht Foresight so besonders?

Es stimmt, dass „Future Thinking” von einigen Expert*innen als das neue Design Thinking gehandelt wird. Ob es das wirklich trifft, wird sich zeigen.

Wir sehen allerdings, dass Foresight ein Momentum erlebt. Das hat mit den unglaublich vielen Veränderungen zu tun, die auf einmal in der Welt geschehen: Kriege, Pandemien, Klimawandel, extrem schnelle, exponentielle Entwicklungen in den Technologien. Unternehmer*innen fragen sich, wie sie beim Wandel mithalten, geschweige denn den Wandel anführen können.

Auf den ersten Blick scheint dies eine unlösbare Aufgabe zu sein, da es unmöglich ist, die Zukunft vorherzusagen. Mit Foresight, genauer gesagt „Strategic Foresight“, ist es jedoch möglich, verschiedene Varianten der Zukunft zu antizipieren und konkrete Strategien oder Handlungsempfehlungen abzuleiten. Sich mit solchen Varianten zu beschäftigen ist essentiell, um auf morgen vorbereitet zu sein. Auch ich weiß natürlich nicht, was in zwanzig Jahren passieren wird, aber ich vertraue dem Foresight-Prozess und komme dadurch zu entscheidungsrelevanten Einschätzungen.

Was ist der Unterschied zwischen Foresight und einem klassischem Trend Radar?

Foresight ist ein Prozess, bei dem man systematisch vor allem Trends, Technologien oder soziale Entwicklungen untersucht, um mögliche Szenarien für die Zukunft zu entwickeln. Dazu nutzen wir beispielsweise Methoden wie das Zukunftsszenario-Design, um das Erlernte greifbarer zu machen.

Das Trend Radar ist ein nützliches Tool, um alle relevanten Technologien und Trends zu identifizieren und in eine gesammelte Ansicht zu bringen. Das ist durchaus hilfreich, da man sich schnell in den Tiefen von Trendreports verlieren kann.

Aus dem Trend Radar können dann Trends identifiziert und gewichtet sowie miteinander kombiniert werden und als Basis für die Beschreibung der Zukunftsszenarien dienen.

Was macht es für Unternehmen generell schwierig, Entscheidungen für die Zukunft zu treffen?

Die Unsicherheit. Wenn es um Entscheidungen für die Zukunft geht, gibt es keinerlei Garantie, dass man auf das richtige Pferd setzt. Und solange wir uns noch nicht in einer Zeitmaschine in die Zukunft versetzen und wieder zurückreisen können, wird es keine hundertprozentige Sicherheit geben.

Das Gute an Strategic Foresight ist jedoch, dass man in verschiedene Varianten einer möglichen Zukunft schaut und sich so auf unterschiedliche Ausrichtungen vorbereitet, anstatt sich nur eine Vision der Zukunft zu erhoffen - und alles auf diese setzt.

Wie würdest du konkret vorgehen, um einen Foresight-Prozess in einem Unternehmen zu etablieren?

Generell gibt es keine Lösung, die für alle Unternehmen gleich anzuwenden ist. Es kommt immer drauf an, wie ein Unternehmen strukturiert ist. Ratsam ist jedoch, Strategic Foresight auf einer übergeordneten Ebene durchzuführen.

Entwickelte Zukunftsszenarien sollten sichtbar und greifbar für alle Teams sein und ein gemeinsames Verständnis generieren. Die einzelnen Teams sollten sich den entwickelten Komponenten von Foresight-Aktivitäten bedienen können – seien es die Zukunftsszenarien, Zukunftspersonas, Trends oder weitere Komponenten. Wir nennen das die „Foresight-Library“. Natürlich haben die Komponenten nicht für jedes Team den richtigen Fokus oder die richtige Detailtiefe, aber sie können als Startpunkt für weitere Entwicklungen dienen. Man muss hier nicht immer das Rad neu erfinden.

Gibt es Fehler, die Unternehmen bei der Ableitung von Zukunftsstrategien oft unterlaufen?

Ja, da gibt es einige, aber ein Fehler, der häufig vorkommt und wirklich schwierig zu vermeiden ist, ist das lineare Denken. Dieses liegt einfach in der Natur des Menschen, sollte aber bei der Antizipation von Zukünften vermieden werden. Denn Technologien entwickeln sich nicht linear, sondern exponentiell. Und das macht einen großen Unterschied.

Um dies zu veranschaulichen, nenne ich gerne ein Beispiel von Peter H. Diamandis: Wenn ich 30 lineare Schritte mache, wären es eins, zwei, drei, vier, fünf. Nach 30 linearen Schritten bin ich 30 Schritte oder 30 Meter entfernt und wir alle können ungefähr sagen, wo wir mit 30 Schritten Entfernung stehen würden. Wenn ich dir aber sagen würde, gehe 30 exponentielle Schritte, eins, zwei, vier, acht, sechzehn, zweiunddreißig, und fragen würde, wo würdest du am Ende stehen, dann würden nur sehr wenige Menschen „eine Milliarde Meter entfernt“ sagen. Das entspricht einer sechsundzwanzigfachen Erdumrundung.

Wenn man versucht, Zukunftsszenarien zu gestalten, unterläuft Beteiligten dieser Fehler sehr schnell. Das führt zu falschen Einschätzungen. Schnell wird dann ein Zukunftsszenario entwickelt, das bereits in fünf, anstatt in zwanzig Jahren eintreten kann.

Was sind wichtige Aktionen oder erste Schritte, die Teams dementsprechend aufsetzen sollten, um besser auf die Zukunft vorbereitet zu sein?

Am wichtigsten ist es, zu Beginn einen Foresight-Prozess zu etablieren. Wenn dieser einmal richtig durchgeführt und aufgesetzt wurde, kann er mit weit weniger Aufwand wiederholt und auch von anderen Teams genutzt werden. Der erste Schritt im Prozess wäre hier das Setzen eines Fokus: Warum und in welchem Bereich möchte ich Foresight betreiben und was ist mein Ziel? Im Anschluss fällt auch das Scouten von relevanten Technologien, Trends und frühen Signalen leichter.

Vielen Dank für diese Insights!