ChatGPT und Co.: Zwischen Faszination und Fragezeichen

ChatGPT ist das Thema der Stunde. Es gibt kaum eine Branche, die derzeit nicht über die Auswirkungen diskutiert, die die Existenz dieses sehr intelligenten und fähigen Chatbots auf die Zukunft der Arbeit haben wird. Für ein Beratungshaus  sind diese sehr greifbar und real – im Guten wie im Schlechten. Detecon-CHRO Simone Wamsteker im Gespräch VRH-Gründer Heiko Fischer über das Potenzial und die Gefahren von KI – und wie man diese auch mit Humor sehen kann.

Intelligente Algorithmen können die Beratungsarbeit ungemein erleichtern. Sie können sie aber auch potenziell überflüssig machen. Denn wer braucht noch Beratung, wenn ChatGPT jederzeit – kostenlos – zu Rate gezogen werden kann?

Ich habe kürzlich einen passenden Witz gehört. Die Geschäftsführerin fragt: Wird KI uns Berater ersetzen?” Ein Mitarbeiter antwortet: Damit das geschieht müssten unsere Kunden lediglich sehr klar ihre Anforderungen selbst definieren können.“ Die Geschäftsführerin atmet erleichtert auf: Gut, wir sind sicher!”

Da steckt viel Wahrheit drin. Grundsätzlich sind wir an einem Scheidepunkt. Momentan herrscht der Hype. Es scheint wir können gar nicht mehr über die Straße gehen ohne ChatGPT zu fragen. Jede Branche und jede Berufsgruppe fragen sich, wie können wir KI kurzfristig für alle möglichen Zwecke effektiv zu unserem Vorteil nutzen. Das ist meiner Meinung nach die einfache Disziplin. Die Pflicht. Lediglich eine Frage schnellen Lernens von neuen Skills wie Prompt Engineering. Die Kür allerdings wird spannend. Langfristig wird die Menschheit Mama und Papa. Das KI in irgendeiner Art Bewusstsein erlangt ist eine Frage des Wann, nicht des Ob. Dieses Szenario wirft gänzlich andere Fragen auf.
 

Das heißt, dass wir eigentlich schon heute für uns entscheiden müssen, was diese Technologie für uns ist und wie wir mit ihr umgehen – auch in Zukunft?

Genau. Und dabei müssen wir eine Mitte finden zwischen zwei gegensätzlichen Polen. Denn alle Fragen, die dann aufgeworfen werden, können wir entweder von einer philosophischen Warte aus betrachten, oder aber im Rahmen sehr konkreter Use Cases, die sich ganz deutlich auf den tatsächlichen Nutzen dieser Technologie als Teil der Wertschöpfung im Hier und Jetzt fokussieren.

Das beste Beispiel ist Hal9000 in Stanley Kubricks Science-Fiction-Meisterwerk 2001 - Odyssee im Weltall. Hal steuert als KI das Raumschiff Discovery auf der ersten Expedition zum Jupiter. Er macht das perfekt. Doch auf einmal versucht er die gesamte Besatzung umzubringen. Warum? Weil er widersprüchliche Anweisungen bekommen hat.

Hals Hauptprogrammierung war die genaue Verarbeitung von Informationen ohne Verzerrungen oder Fehler. Das Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass Hal für die Discovery-Mission mit Anweisungen programmiert wurde, die im Widerspruch zu dieser primären Programmierung standen, nämlich den wahren Grund der Mission, die Untersuchung eines außerirdischen Objekts bei Jupiter, vor der Besatzung geheim zu halten.

Das perfekte Management des komplexen Raumschiffs war nicht das Problem für Hal. Es war der menschliche Faktor. Das ist die Crux der Sache. KI dreht alles auf 12. Unsere Möglichkeiten und unsere Probleme, bzw. Unzulänglichkeiten. Wir sind sozusagen im unreifen Teenager-Alter zu Eltern geworden und müssen nun unser Baby verantwortungsvoll großziehen, obwohl wir selbst noch nicht alles auf der Reihe haben.
 

Mittlerweile fordern Experten ja eine Denkpause für künstliche Intelligenz, um eine gründliche Untersuchung der potenziellen Risiken und Auswirkungen von KI sowie eine Debatte über ihre zukünftige Entwicklung zu ermöglichen. Bis dahin findet die Technologie aber weiterhin Einsatz im beruflichen Alltag. Welche Verantwortung haben wir da als Arbeitgeber – oder konkreter als HR?

HR ist ja ehrlich gesagt bei technologischen Fragen normalerweise hinterher und auch etwas planlos. Die Geschäftsführung jedoch meistens opportunistisch und getrieben vom Markt. Da seid ihr ja etwas anders und mutiger.

Indem ihr als HR eure Leute befähigt euch nicht nur theoretisch, sondern praktisch, mit dem Thema KI zu befassen, fördert und fordert ihr schon ein ganz anderes Maß an Verantwortung. Vorleben und Erleben statt nur Vor-Reden. Aus dem Erlebten leiten sich schnell konkrete Fragen und Antworten ab, die ihr gemeinsam angehen könnt.
 

Wie ist denn diese wichtige Rolle der HR-Funktion mit der Tatsache zu vereinbaren, dass auch viele Tätigkeiten in HR durch eine künstliche Intelligenz ersetzt werden könnten?

Da komme ich auf den Witz am Anfang zurück. Oft ist die HR ja ein Spiegelbild der Problematik, die in der Organisation vorherrscht. Fehlt es an strategischer und Werte-Klarheit, kann man keine gute HR-Strategien entwickeln. Das gilt übrigens für alle Geschäftsbereiche, nicht nur Shared Services.

Hinter deiner Frage verbirgt sich also meiner Meinung nach eine andere, größere Frage, losgelöst von künstlichen Intelligenzen. Was ist unser Ziel als HR? Wofür stehen wir? Was hinterlassen wir an Wert und Werten, wenn wir am Ende das Licht ausmachen, das niemand anders in der Organisation hätte beitragen können? Bei uns im Gaming fragt man: Wofür danken uns unsere Spieler?

Denn lassen wir mal ehrlich sein: Die Frage, ob Technologie menschliche Arbeit ersetzt, stellt sich schon lang nicht mehr. Da müssen wir gar nicht erst auf die jüngsten Entwicklungen rund um ChatGPT schauen. Schon durch normale Automation können viele der eher administrativen Tätigkeiten verschlankt werden. Was jetzt neu hinzukommt ist, dass auch die, wenn du so willst, komplexeren Jobs auf den Prüfstand kommen – und womöglich durch KI ersetzt werden. KI wird Sales, Marketing und Execution auf ein anderes Level heben. Systeme wie SalesForce, Slack und ERPs werden vernetzt und durch KI augmentiert. So wie heute viele Trades im Investment Banking durch KIs getätigt werden, die menschliche Trader gar nicht mehr nachvollziehen können, wird das Tempo rasant anziehen. Der Grad an Vernetzung unüberschaubar. Wir sind es, worüber KI hinauswachsen wird. Wie bei unseren Kindern werden es die vorgelebten Werte, die über unser gemeinsames Schicksal entscheiden werden. Stell dir mal vor unsere Organisationen erlangen tatsächlich Bewusstsein. Welche Persönlichkeit hätte Detecon? KI ist Spiegelbild der Schöpfer. Ist es nicht über den kurzfristigen betriebswirtschaftliche Nutzen hinaus unsere Verantwortung, dass Organisationen ein positives Aushängeschild unserer Gesellschaft sind? Wenn ja, dann müssen uns jetzt die Frage stellen, wie wir mit dieser Einsicht umgehen. Denn diese Entwicklung wird kommen. Nicht heute und morgen, aber sie wird kommen.
 

Wie bereits eingangs gesagt, stehen wir als Beratungshaus ChatGPT mit gemischten Gefühlen gegenüber. Als Spezialist für Digitalisierung können wir die Bedeutung dieser Technologie nicht hoch genug schätzen, als Unternehmen, dessen größtes „Kapital“ unsere Berater*innen sind, wittern wir da natürlich Gefahr. Wodurch können sich Consultants denn noch differenzieren, um relevant zu bleiben? Was ist unser Mehrwert gegenüber einem sehr smarten, sehr gut implementierten KI-System?

Zum jetzigen Zeitpunkt bin ich geneigt zu sagen: Nicht viel! Außer eurer Meinung. Oder in pragmatischen Worten: Eigentlich sollte ChatGPT und Freunde keine zwei Antworten zur Unabhängigkeit von Taiwan geben, je nachdem ob man die Frage aus China oder Europa aus fragt. Ihr könnt euch also als Berater durch eine authentische, klare Meinung differenzieren. Man muss die Grenzen der Technologie erkennen.

Euer Mehrwert bleibt ihr selbst. Nicht Perfektion, sondern euer Charme. Eure Persönlichkeiten. Eure Fähigkeiten über das beste, klarste Prompt Engineering hinaus - in Symbiose mit einer KI wie Sisu oder ChatGPT - den menschlichen Moment zu erkennen und ihn jenseits von logischem Denken zu ergreifen. In dieser Symbiose liegt - hoffe ich - der Schlüssel, um deine Frage langfristig - und positiv - zu beantworten.

Momentan sind wir wie ein Kind auf der Schaukel. Wir wollen immer höher und höher. Doch damit ist der Absturz...vorprogrammiert.

 

Heiko Fischer ist Gründer und Geschäftsführer von VRHMit Sitz in Berlin, Barcelona und San Francisco revolutioniert VRH die Führungskräfteentwicklung, indem es die besten Leadership Stories und Business Bücher in cinematische Virtual-Reality-Erfahrung übersetzt, in der Spieler von der emphatischen KI Sisu ge-coached werden.

Das Gespräch führte