Why Agile works – Eine neurowissenschaftliche Perspektive

Nachhaltiger Wandel erfordert die Entwicklung eines agilen Mindsets, das neben Veränderungen in der Führungs- und Organisationsstruktur auch die besonderen Merkmale von Unternehmen als soziale Systeme von und für Menschen berücksichtigt. Letzteres macht es erstrebenswert, Agilität auch von psychologischer Warte aus zu beleuchten. Neurowissenschaftliche Erklärungen zur Funktionsweise des menschlichen Gehirns halten ein paar überraschende Einsichten bereit.

Agil sein oder nicht agil sein? Für Unternehmen stellt sich diese Frage heutzutage kaum noch. Agilität ist zu einem selbstverständlichen Faktor für den Erfolg und die Zukunftsfähigkeit von Organisationen geworden. Agilität, das ist kurz gesagt die Fähigkeit von Unternehmen, sich bewusst an neue Gegebenheiten anzupassen. Schnelligkeit spielt dabei eine wichtige Rolle, denn agil ist nur wer in kurzer Zeit proaktiv und effektiv auf Marktveränderungen reagieren kann. Die hohe Komplexität von Unternehmensstrukturen schränkt diese Flexibilität jedoch oft ein. Dem entgehen können Unternehmen, die ein agiles Mindset entwickeln und Agilität in ihre Abläufe integrieren.

Doing agile vs being agile

Der Erfolg einer agilen Methode hängt vom Zusammenspiel einer Vielzahl von Maßnahmen ab. Die Maßnahmen können eingeteilt werden in die zwei Hauptbereiche Doing Agile und Being Agile. Bei Doing Agile geht es lediglich um den Einsatz agiler Tools und Methoden. Being Agile umreißt den Weg zur Entwicklung eines agilen Mindsets – wenn man so will, dem Verständnis hinter Agilität. Mit letzterem stehen und fallen Veränderungsinitiativen. Bei einem Umsetzungsfokus auf Doing Agile, welche deutlich kürzer dauert, warnen Experten davor, agile Werkzeuge und Techniken ohne Kenntnis agiler Denkweisen und Werte umzusetzen (Rahman, 2018). Noch immer scheitern 70 % der Veränderungsinitiativen in Unternehmen nicht an den zur Verfügung stehenden Prozessen, sondern an der Haltung der Mitarbeitenden (Lauer, 2019).

Auch wenn eine agile Transformation ein Langfrist-Projekt ist, erfreut sich Agilität immer höherer Beliebtheit – und nicht nur in der Softwareentwicklung. Ein möglicher Grund neben dem Leistungsversprechen agiler Methoden: Agilität und agiles Arbeiten passen gut zur Natur des Menschen, wie moderne Erkenntnisse zur Arbeitsweise des menschlichen Gehirns nahelegen. Menschen haben von Natur aus alles, was sie brauchen, um agil zu arbeiten. Sie sind neugierig und Meister der Anpassung. Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Dinge, die nicht klar einzuschätzen sind, gehören gewissermaßen zu ihrem Alltag. Veränderung riecht jedoch trotzdem für viele nach Gefahr, wenn auch, eventuell, nur unterbewusst.

Denn Menschen sind Gewohnheitstiere. Sie fühlen sich in ihrem angestammten Umfeld am wohlsten und arbeiten gerne nach gewohnten Arbeitsweisen. Sie brauchen Zeit, sich auf neue Abläufe einzustellen. Daher ist es wichtig, Innovationen möglichst schrittweise einzuführen und Veränderungen emotional aufzuladen. Nur so können negative Lernerfahrungen vermieden werden.

Neurowissenschaftliche Erkenntnisse in der agilen Praxis

Nach unserer Einschätzung unterstützt das agile Vorgehen in Projekten die Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft. Dies kann gut aufgezeigt werden an dem Vorgehen nach dem Prinzip SCRUM, eines der häufigsten agilen Ansätze:

Das menschliche Gehirn lernt am besten und zuverlässigsten, wenn Informationen und Inhalte schrittweise aufgenommen und in zeitlichen Abständen wiederholt werden. Unsere täglichen Gewohnheiten, einschließlich der Art und Weise, wie wir Aufgaben priorisieren, Entscheidungen treffen und positive Gewohnheiten etablieren, haben darüber hinaus nachweislich einen erheblichen, psychologischen Einfluss auf unseren Erfolg und unser Glücksempfinden.

Agile Prinzipien zahlen genau hierauf ein. Im Kern geht es bei Agilität darum, Teams zu befähigen, eigenverantwortlich Prozesse zu gestalten, die stark kundenorientierte Lösungen möglich machen. Im Ansatz von SCRUM zeigt sich dies durch schlanke Prozesse, inkrementelle Entwicklung entlang regelmäßiger Feedbackschleifen sowie kontinuierliches Lernen. Anstatt klassischen Projektphasen liegt der Fokus von SCRUM auf einem iterativen Prozess mit sogenannten „Sprints“, in dem agilen Framework SAFe auch Iteration genannt. Nach jedem abgeschlossenen Sprint entstehen nacheinander verschiedene Produktinkremente. Diese Sprints werden wiederholt, bis ein zufriedenstellendes markfähiges Produkt entsteht (das sogenannte MVP, Minimum Viable Product). Nach jedem Sprint wird in einer Retrospektive der Projektabschnitt reflektiert und Maßnahmen für den nächsten Sprint ergriffen, damit das Team besser miteinander agieren und arbeiten kann, was in der Konsequenz schnellere und effizientere Ergebnisse ermöglicht. Aus einem großen Projekt werden so mehrere kleine Projekte, in denen sich das Team selbstständig organisiert und mit jedem Abschnitt dazu lernt.

Die SCRUM-Methode setzt dabei ganz auf eine Grundeigenschaft des Menschen als soziales Wesen. Dieses ist nämlich ganz darauf ausgelegt, soziale Verbindungen zu unterstützen und das Funktionieren von Gruppen zu verbessern. Dieser Bedarf an Kommunikation und Interaktion motiviert Menschen dazu, von einem selbstbezogenen Denken zu einem gemeinschaftlichen Denken hinzuwechseln – wenn man so will, Verantwortung für das große Ganze zu übernehmen. Positiver Nebeneffekt: Eine solche, auf menschlichen Beziehungen beruhende Arbeitsorganisation stärkt sowohl die psychische Gesundheit als auch das Selbstvertrauen und fördert ein Gefühl von Selbstwirksamkeit, was wiederum Angst wie auch Stress reduziert.

Agilität, aber bitte mit Hirn

Vor dem Hintergrund dessen, wie sehr agile Methoden auf die Funktionsweise des menschlichen Gehirns einspielen und damit helfen können, das volle Potenzial von Mitarbeitenden auf eine, wenn man so will, natürlich Weise zu erschließen, muss man sich die Frage stellen, ob die wachsende Popularität von Agilität nicht falsch begründet ist. Denn oft steht dabei das Leistungsversprechen agiler Methoden im Vordergrund. Wie sehr sie dem Menschen entgegenkommen, ist ein bislang wenig beachteter Fakt. Dabei sollte dieser eine zentralere Rolle spielen bei der Entscheidung für den Wandel hin zum agilen Arbeiten. Denn die Entwicklung eines agilen Mindsets fängt schon vor dem Nachdenken darüber an.

Referenzen:

Lauer, T., & Lauer, T. (2019). Ursachen gescheiterten Unternehmenswandels. Change Management: Grundlagen und Erfolgsfaktoren, 49-66. https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-59102-4_4

Rahman, A., Agrawal, A., Krishna, R., Sobran, A., & Menzies, T. (2018). “Doing” Agile versus “Being” Agile. https://www.thetalkingmachines.com/article/doing-agile-versus-being-agile-empirical-results-250-projects