Die Corona-Krise beeinflusst auch die Arbeit in den öffentlichen Verwaltungen. Wie Verwaltungen und Praxen digital helfen können, erklärt Smart-City-Experte Claus Eßmann, Principal bei Adjuitec, im Interview.
Vielerorts wurde der Publikumsverkehr massiv eingeschränkt. Ist das nicht ein Aufbruchsignal für versäumte Digitalisierungsaktivitäten?
Zumindest wird jetzt deutlich, dass das Onlinezugangsgesetz (OZG), das fordert, dem Bürger alle Verwaltungsleistungen auch online zugänglich zu machen, kein lästiges Übel ist, sondern ein effektives Instrument, um adäquat in Krisen administrativ arbeiten zu können. Wäre E-Government – inklusive Laptop und VPN-Zugang für die Mitarbeiter – durchgängig realisiert, gäbe es ja keinen Stau von Aufgaben. In Estland braucht man nur noch für Hochzeit, Scheidung und Hauskauf persönlich zu erscheinen, alle anderen Anträge lassen sich über das Internet stellen und bearbeiten.
Ich rate allerdings nicht dazu, jetzt blindlings schnelle und einfache Lösungen zu bauen, also etwa eine eilige Webschnittstelle für Formulare und Anträge ins Netz zu heben. Will man dies machen, sollte man sich den Augenblick mehr Zeit nehmen und überlegen, welche Schnittstellen denn später, etwa im Sinne des OZG, anzubinden sind, und dies bei der Realisierung von Anfang an mitberücksichtigen. Ansonsten kann die Behörde hinterher Konzepte und Konfigurationen doch wieder nur neu machen. Dies kostet nicht nur Geld, sondern auch neuen Schulungsaufwand bei den Mitarbeitern.
Sollten Städte und Kommunen jetzt nicht auch stärker den Plattform-Gedanken vorantreiben?
Genau, ich würde mir mehr konkrete Hilfsangebote im Web der Kommunen wünschen, etwa im Sinne einer organisierten Bürgerbeteiligungsplattform. Dort könnten etwa Kooperationen zwischen Lieferdiensten und Supermärkten und anderen Geschäften eine Heimat finden. Oder Vermittlungsplattformen für Erntehelfer und weitere gefragte Dienstleistungs- oder Mobilitätsservices. Die gebündelte Darstellung auf offiziellen Webseiten würde den Bürgern nicht nur Transparenz, sondern auch Handlungssicherheit bieten, nicht an dubiose Anbieter zu geraten. Weiterhin können Dinge, die gut funktionieren, sich später auch auf größere Smart-City-Plattformen übertragen lassen. Hierzu sollten sich die Verwaltungen allerdings ein paar Gedanken über Ziele und Strategien machen, damit entsprechende Services von vorneherein flexibel und vielseitig einsetzbar aufgesetzt sind.
Welche weiteren Innovationen bieten sich in der aktuellen Phase an?
Telemedizin ist hier ein wichtiges Stichwort! Noch viel zu wenige Arztpraxen bieten dies an. Nicht nur Patienten, sondern auch das eigene Personal könnte sich somit vor möglichen Infektionen besser schützen, aber dennoch Sprechstunden durchführen. Gerade in ländlichen Regionen wäre dies besonders hilfreich.
Die Praxen stehen mit der Organisation ihrer Infrastruktur aber meist alleine da. Die meist proprietären Systeme sind untereinander schlecht verbunden. Wohl gibt es Initiativen der Bundesländer zum flächendeckenden Ausbau von Telemedizin, dies geschieht aber nicht schnell genug. Man muss nicht unbedingt darauf warten.
Warum nicht Patientengespräche über ein sicheres audiovisuelles Chattool anbieten: Etwa Microsoft Teams, WebEx, HangOut oder Skype? Es gibt gute Sicherheitskonzepte, die Übertragung der persönlichen Daten hier sicher zu gestalten. Mithilfe von Sensoren wie Smart Wearables könnte man zumindest auch Vitalfunktionen leicht und mittelschwer Erkrankter überwachen und besprechen. Oder Rezepte online ausstellen und Apotheken in den Anwendungsfall miteinbeziehen. Praxispersonal sollte den Telemedizin-Service dann beim Patienten bekannt und ihn mit der Bedienung vertraut machen.
Könnten smarte Applikationen den Kampf gegen das Coronavirus nicht generell noch stärker unterstützen?
Das geschieht ja auch in Deutschland schon teilweise. Das Robert-Koch-Institut hat kürzlich eine Anwendung präsentiert, die auf freiwilliger Basis und verschlüsselt Vitaldaten von Fitness-Armbändern und Smartwatches sammelt, um Symptome frühzeitig zu erkennen und Daten zur Ausbreitung der Infektionen zu gewinnen. Zudem ist ja nach wie vor auch eine App im Gespräch, die anhand von Bluetooth oder GPS informieren soll, wenn jemand Kontakt zu Personen hatte, die positiv auf das Coronavirus getestet wurden.
Daneben gibt es vielfältige Anwendungsfälle, die allerdings gemeinhin sehr kritisch betrachtet werden, weil dazu Daten benötigt werden, die wir aber sonst völlig freiwillig an Google oder Apple übermitteln: So würde auch eine Kombination von Handy- und Autodaten, etwa über die SIM-Karte im Auto, die Rückverfolgung von Infektionsketten erleichtern. Theoretisch lassen sich darüber hinaus auch Ausgangseinschränkungen automatisch kontrollieren, aber damit wären wir dann schon recht weit auf dem Weg zum Überwachungsstaat.