Iris Hilb, DB Cargo: Über Kundenzentrierung und Digitalisierung

Bis 2030 will die DB Cargo rund 25 Millionen der heutigen Lkw-Fahrten über die Schiene transportieren. Der Güterverkehr auf der Schiene soll bis dahin den Marktanteil von 19 auf 25 Prozent erhöhen. Dafür setzt einer der führenden globalen Logistikdienstleister auf Digitalisierung, Automatisierung, flexible sowie individualisierte Transportangebote und ein Expresszug-Netzwerk. Ob Einzelwagen, Ganzzug, eigener Gleisanschluss oder Umschlagmöglichkeiten im Railport: Die Anforderungen der Kunden an den Transport ihrer Waren und Güter sind sehr unterschiedlich. Und damit die Kunden immer wissen, wo sich ihre Transporte gerade befinden, hat die DB Cargo ihre Güterwagen mit GPS und Sensorik ausgestattet. Iris Hilb, bei der DB Cargo verantwortlich für das Customer Service-Center, Wagon Management und IT-Sales über die Arbeit für und mit den Kunden.

Detecon: DB Cargo hat in diesem, von der Pandemie geplagten Jahr, die Zeichen auf Zukunft gesetzt. Mitten im zweiten Lockdown haben Sie mit dem Stahlhersteller ArcelorMittal einen Zehn-Jahres-Vertrag über die Belieferung mit Rohstoffen abgeschlossen. Es scheint vieles zu passen?

Iris Hilb: Wir haben uns das Ziel gesetzt, uns zum führenden europäischen Bahnlogistik-Unternehmen weiterzuentwickeln. Und zwar mit dem Herzstück unseres europäischen Schienennetzwerks, was uns von fast allen anderen Logistikdienstleistern unterscheidet.

Wir wollen für unsere Kunden die Logistikketten door-to-door organisieren und sind überzeugt davon, dass wir damit nicht nur bestehende Kundenbeziehungen ausbauen, sondern auch neue Kunden gewinnen werden - auch solche, die keinen Gleisanschluss haben.

Auch die Politik will mehr Güter von der Straße auf die Schiene bringen. Wirkt sich dies heute schon auf Ihr Geschäft aus?

Wir registrieren seit einiger Zeit ein deutlich höheres Interesse am Transport über die Schiene, was auf die zu Recht intensiv geführte Klimadebatte zurückzuführen ist. Viele Kunden bzw. Branchen befassen sich heute mit dem Gedanken, mehr Ware auf der Schiene zu transportieren oder erstmals auf die Schiene umzusteigen. Ein gutes Beispiel ist die Konsumgüterbranche, die bisher sehr stark auf Lkw-Transporte setzt.

Ihr Ansprechpartner für Nordics Railway

Unser Angebot im Bereich der Digitalisierung des Bahnbetriebs präsentieren wir am 9. November 2022 auf dem Scandinavian Rail Optimisation Event in Stockholm.

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Das heißt doch letztendlich, dass Sie Ihre Services flexibilisieren und stärker auf individuelle Anforderungen der Kunden eingehen? 

Der Kunde steht im Mittelpunkt. Kunden und Branchen haben unterschiedliche Anforderungen, die im Zentrum unseres Handelns stehen. Einige Beispiele:

Im Kundenservice haben wir konsequent “one face to the customer” umgesetzt und in die persönliche Betreuung der Kunden im Tagesgeschäft investiert. Kompetente Ansprechpartner, die sich im Logistiknetzwerk der Kunden sehr gut auskennen, stehen bereit. So können wir zum Beispiel bei Problemen oder Störungen die richtige Lösung für den Kunden finden.

Auch unser Produktangebot muss gute Antworten auf die Anforderungen der Märkte bereithalten. Wir wollen neue Kunden von der Straße holen und da kommt es auf das richtige Logistikangebot an. Um wettbewerbsfähige Laufzeiten anzubieten, wollen wir den Einzelwagenverkehr stärken und Expressangebote door-to-door aufbauen. Damit kommen wir auch unserem Ziel einen großen Schritt näher, europäischer Bahnlogistiker zu werden, also mehr zu machen als den reinen Schienentransport - einen Gesamttransport vom Start bis Ziel.

Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?

Digitalisierung und Automatisierung helfen uns ein großes Stück weiter.
Automatisierung schafft Effizienz. In unserem Wagenladungsverkehr laufen zum Beispiel heute schon 85 Prozent aller Kundenaufträge vollautomatisiert in unseren Betrieb, der auf dieser Basis die Sendungen zum Ziel befördert. Hier haben wir also schon einen Großteil der Strecke zurückgelegt. Das werden wir auch im kombinierten Verkehr umsetzen.

Die Digitalisierung ermöglicht es uns ferner, die Interaktionen mit unseren Kunden im Tagesgeschäft zu digitalisieren und e-Services mit Mehrwert für unsere Kunden in den Markt zu bringen. Dafür steht link2rail. Auch hier stehen die logistischen Anforderungen unserer Kunden und der einzelnen Branchen im Zentrum. So gibt es zum Beispiel eine Branchenlösung für die Recycling-Branche, die wir kontinuierlich mit den Kunden weiterentwickeln. Diese e-Services helfen zudem bei den täglichen Abläufen, wie der Buchung, Transportüberwachung, Sendungsverfolgung und Abrechnung. Und es gibt nützliche Anwendungen rund um die Gütertransporte wie die Netzwerkkarte, die Schienenzugangsstellensuche, die Fahrplanauskunft, oder den Güterwagenkatalog.

Darüber hinaus ist die Digitalisierung geeignet, unser europäisches Netzwerk besser zu steuern. Hier geht es um frühzeitige Bereitstellung von Daten, um zum Beispiel Störungen früher zu erkennen und Lösungen im Sinne unserer Kunden zu suchen.

Was genau verbessert sich durch die Digitalisierung im europäischen Netzwerk?

Es gibt zwei wesentliche Bereiche, in denen wir besser werden. Erstens schließen wir Informationslücken, “weiße Flecken”, in Europa. Wenn Informationen über Rückstaus und Störungen an irgendeiner Stelle in der europäischen Logistikkette fehlen, verliert man wichtige Zeit. Zum Beispiel auf Basis von GPS-Daten erkennen wir solche Situationen früher und steuern die Logistikketten besser.

Zweitens: Wir bereinigen Informationsasymmetrien in den Prozessen. Ein Beispiel: In Europa müssen sehr viele Beteiligte an einer Logistikkette oft quer durch mehrere Länder zusammenarbeiten. In dieser Kette Informationen über Störungen zu teilen, ist extrem wichtig. Wenn man weiß, dass schon beim Start eines Transports etwas nicht rund läuft, haben alle Akteure mehr Spielraum, eine alternative Lösung für den Transport zu finden und Probleme für die Logistik unserer Kunden zu vermeiden.  

Welche Rolle spielt das Customer Lab in Duisburg für die digitale Transformation?

Digitalisierung kann kein Selbstzweck sein, sondern sollte etwas mit unserem Geschäft zu tun haben, also einen Kundennutzen erzeugen. Im Customer Lab entwickeln wir zusammen mit Kunden digitale Lösungen, die eine spezifische Anforderung dieses Kunden erfüllen. Mit diesem Tool können die Wagenflotten digital geplant und disponiert werden. So bekommt der Kunde Transparenz über alle Wagen und kann zum Beispiel mit wenigen Klicks online Wagen für die nächste Beladung disponieren und den nächsten Einsatz beauftragen.

Ihre Kernflotte von rund 63.000 Wagen ist inzwischen weitgehend vernetzt und übermittelt ihre aktuellen Standorte per GPS. Welche Bedeutung haben Daten für Ihr Geschäft?

Das war ein wichtiger Meilenstein. Die GPS- und auch Sensordaten liefern wesentliche Informationen für unsere digitalen Angebote für Kunden und für Steuerungsinstrumente in unserem Netzwerk. Neben diesen neuen Datenquellen verfügen wir über eine riesige Fülle von Daten aus verschiedenen anderen Quellen, wie zum Beispiel IT-Bestandssystemen oder Datenplattformen im Bahnsektor.

Daten allein helfen aber nur bedingt weiter. Die Kunst ist es, alle Datenquellen intelligent zu verknüpfen und damit steuerungsrelevante Events für Kunden und uns selbst zu generieren. So können wir unsere link2rail Services weiter ausbauen, den Mehrwert für unsere Kunden erhöhen. Ein wichtiges Beispiel ist unser Track&Trace Service, mit dem unsere Kunden ihre Sendungen überwachen und Verzögerungen frühzeitig erkennen können.

Früher hatten Sie demnach keinen Überblick über Ihren Wagenfuhrpark?

Früher war das in Teilen nicht ganz einfach. Besonders, wenn die Wagen im Ausland waren. Mit GPS haben wir das heute im Griff. Die Technologie schließt also unsere blinden Flecken im europäischen Netzwerk. GPS-Daten bieten somit ein Upgrade für unsere Datenwelt.

Sind die Kunden auch in den Datenfluss eingebunden?

Wir können die Systeme unserer Kunden direkt über API-Schnittstellen mit unseren Systemen verbinden. Dann bekommt der Kunde seine Informationen direkt in sein Inhouse-System und kann diese Daten besser für sich nutzbar machen. Zudem haben die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Kundenservice und in unserem Operations Center die gleiche Informationslage. Damit kann bei Störungen schnell agiert werden. Das ist insbesondere bei zeitkritischen Transporten ein großer Vorteil. Hier setzt dann auch unsere persönliche Kundenbetreuung an und entwickelt mit den Kunden Lösungen, die auf seine Logistik abgestimmt sind.

Nutzen Sie auch Künstliche Intelligenz für die Auswertung der Daten?

KI-Prognostik nutzen wir für die ETA-Bestimmung (Estimated Time of Arrival), wo viele Daten in Echtzeit für eine gute Prognose wichtig sind. Wir haben seit gut einem Jahr eine KI-Trainingsfabrik live, die wir mit Echzeitdaten füttern. Wir kombinieren das mit “natürlicher Intelligenz”, indem wir die Expertise unserer Fachleute aus der Disposition nutzen. Sie können unter anderem sehr gut beurteilen, welche Daten wir eventuell noch für die KI brauchen und sie können auch beurteilen, ob die Ergebnisse der KI wirklich für die Praxis taugen. Das ist ein weiterer Meilenstein für unsere Kunden, aber auch für unsere eigenen Steuerungsaufgaben im Netzwerk.

Die Corona-Pandemie hat auch bestehende Prozesse auf den Prüfstand gestellt. Gibt es irgendwelche Dinge, die sich durch Corona für die DB Cargo – positiv oder negativ – verändert haben?

Beim ersten Lockdown im Frühjahr 2020 wurden wir vor eine große Aufgabe gestellt. Im unserem Kundenservice in Duisburg arbeiten rund 1.000 Kolleginnen und Kollegen, die sich um das Tagesgeschäft wie Auftragsabwicklung und Störungsmanagement kümmern. Diese mussten in kürzester Zeit in weiten Teilen ihre Arbeit aus dem Homeoffice erledigen, ein Kraftakt, der aber hervorragend funktioniert hat. An einigen Stellen konnten wir sogar effizienter arbeiten. Wir werden also einige Dinge auf Dauer in unseren Alltag aufnehmen, zum Beispiel über neue Home-Office-Regelungen.  

Was uns allen aber fehlt und nur in Grenzen digital geht, ist der direkte Kundenkontakt, zum Beispiel in unserem Customer Lab in Duisburg. Dorthin laden wir Kunden ein, arbeiten zusammen an deren Geschäftsprozessen und entwickeln digitale Lösungen für unsere Service-Plattform link2rail. Die Anforderungen der Kunden können in einer digitalen Fabrik in neue Services umgesetzt werden. Solche Workshops sind virtuell schlecht durchführbar.

Angenommen, es gäbe die „gute Fee“ des Schienengüterverkehrs: Was würden Sie sich wünschen?

Ich wünsche mir zunächst etwas nicht Digitales, nämlich wieder persönliche Kontakte mit unseren Kunden und den Kolleginnen und Kollegen zu haben. Davon lebt unser Geschäft und auch die weitere Entwicklung von link2rail. In diesem Thema haben wir uns für das nächste Jahr viel vorgenommen.

Ein weiterer Wunsch ist, dass wir die Innovationen im Schienengüterverkehr weiter vorantreiben. Dazu zählt zum Beispiel eine Innovation bei unseren Güterwagen – unser neuer modularer und multifunktionaler Güterwagen (m2), den wir ab nächstem Jahr in den Markt bringen. Unsere spezialisierte Wagenflotte wird, wie im kombinierten Verkehr, in Tragwagen und Behälter getrennt – auch für schwere Güter. Dieses Thema steht am Anfang, hat aber das Potenzial, unser Geschäft grundlegend zu verändern. Wir können uns damit einen alten Wunsch erfüllen, Wagen branchenübergreifend einzusetzen und so besser auszulasten.

All diese Innovationen, egal ob digital oder bei unseren Assets, tragen wesentlich zu unserer Wettbewerbsfähigkeit und damit zur Steigerung des Schienengüterverkehrs bei.

Zur Person: Iris Hilb

Die studierte Betriebswirtin ist seit 25 Jahren bei der DB Cargo und war von Beginn an im Vertrieb. Der positive Umweltaspekt beim Schienentransport war für sie ein wichtiger Motivationsfaktor, bei DB Cargo einzusteigen. Heute leitet Iris Hilb einen Querschnittsbereich für alle Vertriebsteams und sorgt dafür, dass die Teams erfolgreich im Markt sind. Dazu gehört der operative Kundenservice mit dem Kundencenter in Duisburg, wo die gesamte Auftragsabwicklung inklusive des Störungsmanagements zusammenlaufen. Dazu kommt die Wagenflotte der DB Cargo, die als vertriebliche Aufgabe gilt, da die Disposition großen Einfluss auf den Vertrieb und die Zufriedenheit der Kunden hat.