Gläserne Bürger im smarten Verkehrssystem?

Ein smartes Verkehrssystem braucht keinen gläsernen Bürger. Dies ist eine der Thesen, welche innerhalb der Detecon Smart Mobility Studie abgeleitet wurde. Doch wie sieht das aus Sicht der unterschiedlichen Beteiligten aus? In diesem Artikel diskutieren wir die These aus der Perspektive von Staat, Mobilitätsdienstleistern und Bürger*innen. Wie weit muss und darf das Sammeln und Verarbeiten von Daten gehen? Wie viele und welche Art von Daten braucht es für ein smartes Verkehrssystem und was sagt der Datenschutz dazu? Durch das Einbeziehen von kritischen Erfolgsfaktoren und anhand bestehender Use Cases werden aktuelle sowie zukünftige Herausforderungen an die Stakeholder erörtert. Abschließend resultieren wir, dass eine deutschlandweite Gesamtarchitektur des Verkehrssystems ein für alle Stakeholder suffizientes Zielbild darstellt.

Mobilität und die Art zu reisen werden sich zukünftig stark ändern und an die Bedürfnisse der Reisenden anpassen. Es geht nicht mehr nur darum schnell ans Ziel zu kommen, sondern in der Zeit, in der man unterwegs ist, sich anderen Aktivitäten, wie z.B. lernen, arbeiten und lesen widmen zu können. Anders ausgedrückt geht es um die Bewältigung einer Strecke mit einer beliebigen Kombination verschiedener Verkehrsmitteln, und zwar möglichst bequem, kostengünstig und schnell. Dafür ist die Digitalisierung und Vernetzung aller Verkehrsmittel notwendig, damit ein einheitliches und intelligentes Gesamtsystem, das s.g. smarte Verkehrssystem, entstehen kann. Es fokussiert das Erfassen, Übermitteln, Verarbeiten und Nutzen verkehrsbezogener Daten mit dem Ziel der Organisation, Information und Lenkung des Verkehrs unter der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien.

Dieses smarte Verkehrssystem benötigt Daten um seinen Service in vollstem Umfang erbringen zu können. Datenschützer können allerdings aufatmen: Reisende zu gläsernen Bürgern zu machen, ist keine Notwendigkeit, um das Mobilitäts-Ökosystem intelligent zu gestalten. Primär liegt der Fokus nämlich auf den Verkehrsdaten, wie z.B. Bewegungsdaten der Verkehrsmittel, Störfälle und historische Daten, sowie auf der Analyse aggregierter und anonymisierter Bewegungsdaten des Reisenden. Wir möchten auf intelligente Anwendungsfälle innerhalb der Stadt eingehen und nutzen daher explizit das Wort Bürger. Als einen gläsernen Bürger definieren wir Bürger*innen, die jegliche Daten, z.B. Standort, individuelle Identifier zur Erstellung von (Bewegungs-)Profilen, Kontaktdaten, Kamera und Mikrofon, preisgeben müssen, um Services/Dienste, in diesem Fall Mobilitäts-Services, nutzen zu können.

Da bereits schon eine Vielzahl an Daten vorliegen, wird es nicht zwingend notwendig sein, noch mehr Daten zu erfassen. Es wird zukünftig eher darum gehen, diese Daten richtig zu nutzen und auszuwerten (Artikel zum Thema: Die Daten im Heuhaufen), um das Mobilitäts-Ökosystem stetig zu optimieren und zu verbessern (durch neue bedarfsorientierte Bahnhöfe, Umschlagplätze, Buslinien, etc.).

Zu viele Köche verderben den Brei?

Zunächst gilt es die Stakeholder zu betrachten, unter Einfluss derer das intelligente Verkehrssystem reift. In diesem Zusammenhang sind drei Key Player in der Studie identifiziert worden: der Staat, gewinnorientierte Mobilitätsbetreiber sowie der (gläserne?) Bürger.

Der Staat als Wächter und Lenker

Das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) engagiert sich maßgeblich für eine intelligentere Gestaltung des Verkehrs. Die Umsetzung der EU-Richtlinie 2010/40/EU „zum Rahmen für die Einführung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern“ wurde in der Bundesrepublik durch das „intelligente Verkehrssystem Gesetz (IVS-G) Mitte 2013 umgesetzt. Dieses Gesetz steckt die vorrangigen Anwendungsbereiche ab, welche Verkehrssicherheit, Nutzungsoptimierung, Kontinuität sowie die Schnittstellen zu verschiedenen Verkehrsträgern beinhalten. Hervorzuheben ist hierbei, dass es eine bundesgesetzliche Regelung braucht, um personenbezogene Daten zu erheben, verarbeiten oder zu nutzen.

Das BMVI verantwortet ferner den „nationalen Aktionsplan Straße“, im Rahmen dessen ein Mobilitäts Daten Marktplatz aufgebaut wurde. Datengeber können hier verkehrsrelevante Online-Daten für sogenannte Datennehmer zur Verfügung stellen. Auf Basis der auf der Plattform verfügbaren Daten wurden eine Reihe von Use Cases erstellt, welche sich teilweise im Live-Betrieb befinden. Unter anderem kooperieren die Stadt Frankfurt a.M. und der Navigationsdienst TomTom, um den Verkehr in der Metropolregion Frankfurt möglichst effizient zu steuern. TomTom stellt aufbereitete Floating Car Data bereit, welche durch die Integrierte Gesamtverkehrsleitzentrale (IGLZ) den Verkehrsteilnehmern zur Verfügung gestellt wird. Dem Staat kommt somit die Rolle des Wächters und Lenkers zu. Er trägt Sorge dafür, dass die Rechte seiner Bürger oberste Priorität haben, und steckt gleichzeitig den Rahmen für einen vernetzten Austausch aller Ökosystemteilnehmer ab.

Nutzungsprofile und neue Business Cases für den Mobilitätsdienstleister

Das grundlegende Interesse, mit Hilfe von historischen sowie Live-Daten das Verkehrsgeschehen positiv zu beeinflussen, steht ebenfalls mit auf der Agenda der Mobilitätsdienstleister und OEMs. Nichtsdestotrotz präsumieren wir, dass die Motivation, Daten zu erheben, zu verarbeiten und zu nutzen, primär monetär getrieben ist. Nutzungsdaten jeglicher Art können ausgewertet werden, um die Endkunden besser kennenzulernen. Dies geschieht beispielsweise in Form von unpersonalisierten Nutzungsprofilen. Unter Beachtung selbiger ist es einerseits dem Stakeholder möglich, Unfallrisiken zu minimieren. Andererseits werden Produkte entsprechend des Nutzungsverhaltens optimiert oder die Möglichkeiten für neue Business Cases erörtert, was künftig vermehrt Third Partys, wie beispielsweise Versicherungsunternehmen, in das Ökosystem eintreten lässt.

Schnell, effizient und zuverlässig – so will der Bürger ans Ziel kommen

Zu guter Letzt haben wir noch den Bürger als wohl wichtigsten Stakeholder im Mobilitäts-Ökosystem. Er ist derjenige, der maßgeblich dazu beiträgt, dass die Services, welche von den Mobilitätsanbietern angeboten werden, auch erfolgreich sind. Wenn der Bürger die Services oder die Technik als solche nicht akzeptiert, wird auch das Konzept Smart Mobility scheitern. Alles steht und fällt mit dem Anwender. Dabei steht für den Bürger im Fokus, schnell, effizient und mit vergleichsweise wenig Aufwand (bezogen auf den finanziellen und Umsteige-Aufwand) an ein Ziel zu kommen. So würde beispielsweise ein Reisender eher auf das Auto zurückgreifen, wenn er die geplante Strecke so schneller, zuverlässiger und kostengünstiger bestreiten kann.

Wünschenswert ist daher eine bessere und zuverlässigere Abstimmung der Verkehrsmittel untereinander und auf den aktuellen Standort des Bürgers. Dazu muss der Bürger natürlich Daten von sich preisgeben: Standort, Reisebeginn und Reiseziel, ggf. Zahlungsinformationen, um notwendige Reservierungen/Tickets vor Antritt der Reise kaufen zu können.

Der Datenschutz darf hier nicht außer Acht gelassen werden. Seit Einführung der DSGVO im letzten Jahr findet das Thema immer mehr Beachtung und gewinnt an Bedeutung.

Appell zum Datenschutz

Sämtliche IoT-Geräte sammeln stetig Daten, welche oftmals dem BDSG sowie der DSGVO unterliegen. Darüber hinaus entsteht durch die Vernetzung dieser IoT-Geräte über das Internet und durch die generelle Konnektivität ein möglicher Angriffspunkt für Sicherheitsattacken, weswegen die Themen Datenschutz und Datensicherheit auch im Bereich Smart Mobility eine große Rolle spielen. Das übergeordnete Ziel ist dabei die Gewährleistung der von den Datenschutzgesetzen vorgeschriebenen Transparenz, Sicherheit und Privatsphäre bei den personenbezogenen Daten gegenüber dem Nutzer. So müssen bspw. Daten anonymisiert und kollektiv betrachtet werden, um das Risiko der Erstellung von individuellen Bewegungsmustern zu vermeiden. Ebenso müssen Technologien zur Vermeidung von Cyber-Security-Attacken innerhalb des Mobility-Systems implementiert werden.

Da sich das Gesamtsystem Smart Mobility aus mehreren Stakeholdern zusammensetzt, muss der Datenschutzgedanke bei allen Beteiligten (wieder) geweckt werden und die Relevanz muss jedem bekannt sein. Ansonsten drohen Datenmissbrauch und Cyber-Attacken. Es reicht nicht, wenn Datenschutzmaßnahmen lediglich von einem Anbieter um- und eingesetzt werden, denn eine Kette ist bekanntlich nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Soll das smarte Verkehrssystem zukünftig erfolgreich in Städten integriert werden, so müssen sich  Unternehmen und Städte verstärkt mit dem Thema Datenschutz auseinandersetzen und Lösungen finden, dies auch zielführend umzusetzen. Ansonsten können bei Verletzung von Gesetzen und Richtlinien Sanktionen und finanzielle Schäden drohen.

„Data is the new oil“

Wie sieht der Umgang mit Daten in einem smarten Verkehrssystem aktuell aus? Generell gilt: „Data is the new oil“, jetzt und in Zukunft. Daher ist die allem übergeordnete Frage, zu welchem „Preis“ der Bürger in den Genuss von optimierten Verkehrsflüssen oder intermodaler Mobilität kommt. Dieses wird mittelfristig über autonome Fahrzeuge abgebildet werden können. Allein durch GPS, Geschwindigkeit, Bremsverhalten, Kraftstoffverbrauch, Sonar, Lidar und Kameras werden Milliarden Datensätze gesammelt und ausgewertet, um die neuronalen Netze und Algorithmen stetig zu verbessern und eine somit möglichst unfallfreie, sparsame und autonome Reise gewährleisten zu können. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die gesammelten Daten keineswegs lediglich von Automobilherstellern gespeichert werden. Zulieferer bzw. Drittanbieter der Automobilindustrie steuern eine Großzahl der verbauten Sensorik und Software von extern zum Fahrzeugbau bei und kommen somit ebenfalls in den Genuss des neuen Öls. Mit HERE, dem Anbieter eines Online-Geodatendienstes sowie von Navigationssoftware, lässt sich das Szenario veranschaulichen. Die von HERE erfassten Daten stammen etwa aus Smartphones, Fahrzeug- und Straßensensoren sowie Navigationssystemen. Partner und/oder Anteilseigner von HERE sind unter anderem Audi, BMW, Daimler, AWS, NVIDIA, Mobileye, Bosch, Continental und der chinesische Tech-Gigant Tencent, welche allesamt ein gesteigertes Interesse an den aggregierten Daten haben dürften.

Gemäß den identifizierten Stakeholdern ist auch hier der Blick gen Staat von Bedeutung. Öffentliche Forschungseinrichtungen wie die TU Berlin in Kooperation mit Partnern aus der Industrie haben unlängst ein autonomes Testfeld in der Berliner Innenstadt umgesetzt. Um die finale Stufe des autonomen Fahrens, Level 5 – es gibt nur noch Passagiere ohne Fahraufgabe –, zu erreichen, bedarf es neben den Fahrzeugsensoren auch Informationen aus externer Sensorik, welche unter anderem das Verhalten aller Verkehrsteilnehmer erfasst. Auch hier wurde es sich zum Ziel gesetzt, einen unfallfreien Verkehrsfluss zu gewährleisten.

Ein Vorreiter hinsichtlich autonomen öffentlichen Nahverkehrs ist die Stadt Monheim in Nordrhein-Westfalen. Mobilitätsexperten schauen sich bereits seit einigen Jahren interessiert die Umsetzung der autonomen Strategie der Kleinstadt an. Hier entsteht ein Testfeld mit autonom fahrenden (Elektro-)Bussen. Die Machbarkeitsstudie der Detecon hilft dabei, den Blick mittel- und langfristig auszurichten und Insellösungen bei der Planung zu vermeiden.  Stattdessen sollte bei zunehmender Komplexität des intelligenten Verkehrssystems auf zentralisierte Smart-City-Plattformen gesetzt werden.

Die tabellarische Darstellung bietet einen guten Überblick, welche Art von Daten offiziell für die beschriebenen Use Cases erhoben werden. Auffällig ist hierbei, dass vor allem GPS-Daten der Bürger verarbeitet werden, um den Verkehr smarter zu gestalten. Diese doch recht „persönliche“ Information muss allerdings keineswegs mit dem Nutzer direkt verknüpfbar sein, um relevante Schlüsse für die jeweiligen Use Cases zu ziehen. Ob dies allerdings seitens der Key Stakeholder Zuspruch findet, ist zu bezweifeln.

Was fehlt ist eine deutschlandweite Gesamtarchitektur

Es gibt also bereits einzelne kleinere Use Cases, die den Smart-Mobility-Gedanken aufgreifen und teilweise umsetzen. Dies sind allerdings momentan noch Insellösungen. Daher muss der Fokus auf der Entwicklung einer deutschlandweiten Gesamtarchitektur liegen. Zukünftig sollten alle Services innerhalb der Smart Mobility auf einer Plattform erreichbar sein. Diese Plattform beinhaltet neben relevanten Analyse-Plattformen auch die jeweiligen Services und technische Charakteristiken intelligenter Verkehrsnetze und stellt sie zur Verfügung. Um dieses Ziel zu erreichen müssen allerdings Standards definiert und etabliert werden, auf welche Anbieter bei der Entwicklung von Hardware oder Software zurückgreifen können. So wird letztendlich sichergestellt, dass alle Anbieter im Mobilitäts-Ökosystem „dieselbe Sprache sprechen“. Auch eine Integration verschiedener Lösungen von unterschiedlichen Anbietern ist einfacher, wenn die gleichen Standards genutzt werden.

Eine Vernetzung verschiedener Anbieter über eine Plattform ermöglicht es ebenfalls die angebotenen Services konsolidiert zu betrachten und letztendlich über bspw. eine einzige App zu nutzen und zu bezahlen. Einen ersten Schritt in die Richtung Gesamtarchitektur geht die Stadt Monheim mit ihrem Monheim-Pass. Mit diesem Pass können Einwohner zukünftig städtische Dienstleistungen nutzen und bezahlen.

Was bringt die Zukunft mit einem smarten Verkehrssystem?

Neuartige Technologien wie KI und Big Data werden zukünftig helfen, das Mobilitätsökosystem noch präziser auf den Bedarf der einzelnen Bürger abzustimmen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass dem Datenschutz bald eine noch wichtigere Rolle zugeschrieben werden muss aufgrund der zunehmenden Menge an verfügbaren und zu verarbeitenden Daten. Dabei sind KI und Big Data nicht per se datenschutzkritisch. Es muss allerdings sichergestellt werden, dass alle Beteiligten notwendige Schutzmaßnahmen um- und einsetzen. Um das Risiko „Mensch“ weiter einzudämmen, muss weitere Forschung im Bereich der technologischen Schutzmaßnahmen betrieben werden. So werden IOTA und Blockchain sicherlich in Zukunft noch eine bedeutsame Rolle spielen, wenn es um Sicherheit im Bereich IoT und sichere Datenübertragung geht. Allerdings muss der Bürger die Funktionalitäten der Smart Mobility verstehen und akzeptieren. Es muss deutlich werden, was die individuellen Vorteile eines intelligenten Verkehrssystems sind, ansonsten wird dies auf Ablehnung und Misstrauen bei den Bürgern stoßen.

Die aus unserer Umfrage hervorgegangene Hypothese „ein Smartes Verkehrssystem braucht keinen gläsernen Bürger“ konnten wir bestätigen, wobei wir davon ausgegangen sind, dass zumindest vonseiten der Mobilitätsdienstleister das Erheben personalisierter Daten erstrebenswert ist. Um die Mobilität zukünftig so effizient und präzise wie möglich zu gestalten, spielen die Daten des Bürgers allerdings nur eine Nebenrolle. Hier ist erst einmal nur wichtig, die anonymisierten Daten aus dem Mobilitätsökosystem zu bündeln und einem Verkehrsüberwachungssystem zum Analysieren zur Verfügung zu stellen.

Je nach Anwendungsfall kann sich der Datenbedarf erweitern und weitere Datenquellen müssen betrachtet und in die Analyse hinzugezogen werden. Je größer und komplexer der Anwendungsfall „smartes Verkehrssystem“ zukünftig wird, desto größer wird der Bedarf an weiteren Datenquellen zur Analyse. Dass die Daten dabei allerdings mit Bürgern verknüpft werden müssen, ist unseres Erachtens nach nicht notwendig.