Dr. Bernhard Zünkeler: Wie funktional-emotionale Bürowelten Identität stiften

Als Partner des Kommunikationsbüros E105 begleitete Dr. Bernhard Zünkeler bereits vor knapp 10 Jahren die New Work Transformation der Detecon. Als Chef-Kurator verantwortete er gemeinsam mit dem Künstler-Kollektiv freeters die künstlerische Gestaltung unserer Räumlichkeiten – ein Katalysator für Kreativität und Innovationskraft. In unserer Reihe „Working in the New Reality” sprach Dr. Tanja Matt mit dem Geschäftsführer Dr. Bernhard Zünkeler über die Bürowelten der Zukunft und darüber, wie die globale Corona-Krise sich auf Büros, Home Offices und die Zusammenarbeit im Team auswirkt.  

Dr. Tanja Matt: Die Coronakrise hat uns Anfang 2020 alle überrascht und die Arbeitswelt inzwischen nachhaltig verändert. Was sind aus Deiner Sicht die wichtigsten Veränderungen im Hinblick auf Bürowelten / „Places“?

Dr. Bernhard Zünkeler: Die Corona-Krise hat auf extreme Art einen Prozess beschleunigt, der seit Entwicklung von Smartphones und der Verbindung mit dem Internet unaufhaltsam im Gange ist. Dabei sehe ich zwei Veränderungsrichtungen:  
1. Places sind nicht länger nur analog zu verstehen, sondern werden zunehmend eine digitale Komponente finden. Filme wie Ready-Player-One von Steven Spielberg oder Avatar von James Cameron und Computer-Spiele wie Minecraft geben einen kleinen Vorgeschmack, wohin die Reise des virtuellen Raumes gehen kann.  
2. Der Ort der physischen Zusammenkunft wird vor allem für kollektive Kreativ-Prozesse immer wichtiger und der klassische Betriebs-Einzelarbeitsplatz immer unwichtiger. Viele aufwendige Einzelarbeiten werden zunehmend durch Algorithmen ersetzt oder die individuelle Arbeit wird mobil von einem anderen Ort aus erledigt, der größere Einzelfreiheiten ermöglicht als im „Büro zu erscheinen“. Für kollektive Kreativ-Prozesse und auch Team-Building ist allerdings die körperlich sinnliche Erfahrung eine wichtige Säule, um Innovation voranzutreiben. Da sollte Raum nochmal ganz anders interpretiert werden, wie es der jetzt vorherrschende „Neutral-Zustand“ der betrieblichen Einrichtungen vorlebt. 
 

Wie beeinflusst die (veränderte) Arbeitsumgebung die Arbeitsweise bzw. Zusammenarbeit?

Generell betrachtet lässt sich durch das Setting jede innere Einstellung zur Aufgabe ändern. Im seinem Buch „Thinking, Fast and Slow“ hat Daniel Kahneman hinlänglich beschrieben, wie dieser sog. Priming-Effekt unserer Intuition funktioniert. Das kann jeder an sich selbst testen. Im Konzertsaal, einem Gewächshaus oder einem Schwimmbad kommen einem schlicht andere Gedanken wie in einem Büro. Man geht an die jeweilige Aufgabe anders heran. Das hat nicht nur etwas mit Konzentration zu tun, sondern ist viel komplexer und lässt sich noch deutlich steigern. Historisch betrachtet hat vor allem der Zisterzienser-Orden mit seinen europaweiten Klosterbauten und der entsprechenden funktional-psychologischen Ausrichtung auf Jahrhunderte unsere urbane Organisation von öffentlichem Raum und unser soziales Gebäudeverständnis geprägt. Irgendwie sind diese Erkenntnisse im Zuge eines extrem auf quantitatives Wachstum ausgerichteten industriell-funktionalen Gewichtung verloren gegangen. Das fortschreitende Bedürfnis echter qualitativer Innovationen wird hoffentlich dafür sorgen, dass die Human-Komponente und Einbettung in nachhaltige Prozesse diesen Trend der letzten 200 Jahre wieder umdrehen. 
Im speziellen kann man die Auswirkung der Arbeitsumgebung auf Arbeitsweise insbesondere an kollektiven Prozessen ersehen. Zu den wichtigsten Treibern von motivierender Kooperation zählen Inspiration, Imagination und Improvisation. Diese drei Schlüsselfaktoren für Innovation lassen sich ideal durch passende Raumgestaltungen unterstützen, weil man auf sehr plakative und nachhaltige Art physische Spuren hinterlässt. Diese Spuren lassen sich durch Zoom-Events oder gemeinsame genutzte Formate wie Slack oder CEO-Newsletter nur bedingt erzeugen. Das sinnliche Element kommt da etwas zu kurz, um jenseits von digitaler Effizienz wirklich effektiv zu sein. Denn trotz aller Fortschritte, sind wir evolutiv gesehen, gerade von den „Bäumen gesprungen“. Ich bin überzeugt, dass wir derzeit sehr hinter unserem Gestaltungspotential zurückbleiben. Wir brauchen mehr Mut! Ein Aufenthalt im beeindruckenden Pantheon in Rom ist da ganz aufschlussreich. Das Gebäude wurde vor 2000 Jahren errichtet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass heutige Bürobauten im Jahre 4021 wirklich als inspirierend gelten.

Aktuell wird überall dort im Home Office gearbeitet, wo es möglich ist – um die Gefahr der Infektion zu vermeiden bzw. zu verringern. Und schon jetzt ist absehbar, dass Home Office auch nach Ende der Pandemie eine Konstante im Arbeitsleben bleiben wird. Das physische Zusammentreffen von Mitarbeitenden wird es trotzdem nicht gänzlich verdrängen können. Was kann das Büro als Ort leisten, was das Home Office nicht leisten kann? Wie spiegeln sich diese hybriden Arbeitsmodelle mit durchschnittlich 40% mobilem Arbeiten in den Räumlichkeiten wider? Gehen wir nur noch für die persönliche, soziale Interaktion ins Büro?

Das hängt nach meiner Auffassung viel mit dem Phänomen Identität zusammen. Letztlich ist der Raum zu Hause durch die individuelle Identität des Arbeitnehmers und seiner Familie geprägt. Der betriebliche Raum hat dagegen die Chance Identität auf das kollektive Zusammenarbeiten aller Mitarbeiter auszurichten und damit gemeinschaftlichen Einsatz, Motivation und Wir-Gefühl stark zu prägen. Insofern werden Orte der physischen Zusammenkunft und deren identitäre Gestaltung in den nächsten Jahren viel wichtiger, um die Zentrifugalkräfte des dezentralen Arbeitens auszugleichen. 
Bzgl. hybrider Arbeitsmodelle und entsprechender Räumlichkeiten stehen wir erst ganz am Anfang. Ich sagte bereits, der virtuelle Raum wird eine ganz eigene Kraft werden und hybride Arbeit eigentlich erst definieren. Im Moment findet eine Art Kombination von kollektiver Arbeit mit ICT-Mitteln statt, wobei ICT noch mehr oder weniger in geübten Kooperations-Formaten durchgeführt wird. Dementsprechend werden jetzt überall betriebliche Räume eingerichtet, die technisch so ausgestattet sind, dass man jederzeit „KollegInnen“ „dazu holen“ kann. Das Hybrid-Verständnis wird sich nochmal gewaltig ändern, wenn wir sehen, wie wir mit KI und virtuell optimiertem Raum völlig neue Begegnungsformen und persönliche Performance-Beschleuniger „dazu holen“ können.

Die Räumlichkeiten eines Unternehmens spiegeln im Idealfall auch dessen Identität wider und sind integraler Bestandteil der Employee Experience bzw. des Employer Brandings und der Unternehmensmarke. Damit tragen sie auch zur Mitarbeiterbindung und Kundenwirkung bei. Womit wird das Büro im „neuen Home-Office-Zeitalter“ punkten müssen, um als attraktive Arbeitsumgebung wahrgenommen zu werden?

Das lässt sich mit einem Wort umschreiben: Emotion. Wir brauchen Räume, die vor allem die extrem komplexen Vorgänge unseres kreativen Geistes unterstützen. Im Moment leben wir noch in einer Art funktional-rationalen Ausstattungswelt. Das wird sich meines Erachtens zugunsten eines funktional-emotionalen Ansatzes ändern, weil ich nur so in der Lage sein werde Gruppen hochspezialisierter und eigenverantwortlicher Mitarbeiter langfristig zu binden. Corona wird diesen Trend zur Emotionalität verstärken.

Welche Chancen haben Unternehmen im Umbruch bzw. in der Gestaltung des New Normal?

Ehrlich gesagt werden wir in den nächsten Jahren vor allem eins sehen, dass Normalität eine Illusion ist. Das war sie immer schon. Aber jetzt wird es im VUCA-Land nochmal deutlicher, dass wir uns von linearem Prozess-Verständnis verabschieden sollten. Es gilt die hohe Komplexität und die Eigendynamik nicht kontrollierbarer Kräfte anzuerkennen. Im Grunde ist unser Gehirn das beste Beispiel wie man sich auf die Zufälle des Lebens am besten einstellt. Umwälzungsprozesse hat es immer schon gegeben. Insofern ist jedes Unternehmen gut beraten, sich die grundlegenden Gesetze der Physik, Chemie und Biologie genauer anzusehen und nicht jedem Modetrend hinter herzuschwimmen.  
Die größten Vorteile aus dem sog. New Normal werden nach meiner Überzeugung die ziehen, die sich gezielt mit evolutiven Prozessen und neuronalen Organisationsformen auseinandersetzen. Das ist am Anfang vielleicht etwas schwieriger, da in der Industrie verschiedene „Standard-Einstellungen“ des „Einfach, Geradlinig und Planvoll“ überwunden werden müssen. Aber letztlich haben die Unternehmen, die größten Überlebenschancen, die gelernt haben, „mit ihren Fehlern zu surfen“ und nicht nur der vermeintlich „einfachsten“ Lösung hinterherzurennen, nur weil keiner die Geduld mitbringt, sich eines komplexen Sachverhaltes mit ausreichender Muße zu widmen. Es kann sich in Zukunft sehr rächen, wenn man nur auf Fokus und Schnelligkeit setzt. 
Unternehmen, die diese neuen Ausrichtungen beherzigen, können ganze Branchen aus den Angeln heben. Mit der Kraft von KI wird es in Zukunft möglich sein, bestehende Kräfteverhältnisse grundlegend neu zu ordnen.

Vielen Dank, lieber Bernhard, wir wünschen dir und deinem Team alles Gute für die Zukunft.

Bernhard Zünkeler studierte Rechtswissenschaft und promovierte mit einer Arbeit zur europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit zum Dr. jur. Für mehr als zehn Jahre arbeitete er als Rechtsanwalt und befasste sich schwerpunktmäßig mit Umstrukturierungsprozessen in internationalen Unternehmen. 2009 war er Mitgründer des Forschungsinstituts artlab21, aus dessen Arbeit 2012 das art laboratory ESMoA in Los Angeles hervorging. Als Partner von Orange Council befasste er sich vor allem mit der Integration von art thinking in betriebliche Abläufe und der Implementierung von unkonventionellen Lösungsansätzen. Seit 2020 ist er Geschäftsführer von E105 und hilft Unternehmen und Institutionen Innovationskultur in der Praxis zu verankern.

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