Simone Wamsteker, Detecon: Lernen ist eine Change Journey ohne Endpunkt

Digitalisierung erfordert bestimmte Skills und verändert das Lernen in Unternehmen. Welche Skills ein erfolgreicher Player im Bereich Connected Industries benötigt, wie Weiterbildung den Mitarbeiter*innen Spaß machen kann und warum lebenslänglich hier durchaus positiv gemeint ist, verrät uns Simone Wamsteker, CHRO Detecon, im Interview.

Ganz offensichtlich fehlen in vielen Unternehmen Skills für die Umsetzung der Digitalisierung. Welche Skills brauchen Unternehmen, die im Kontext von Connected Industries eine führende Rolle einnehmen wollen?

Das Stichwort steckt bereits in der Frage. Es geht um Connected Industries, um Connected Learning – und die Schlüsselqualifikation, die wir brauchen, ist genau diese Querschnittsqualifikation. Klassisches Wissen über eine Funktion, einen Bereich oder eine Industrie ist genauso wichtig wie die technische Kompetenz, etwas digitalisieren zu können und eben zu wissen, wie eine Cloud funktioniert oder wie man einen Prozess automatisiert. Und da erschließt sich schon, woher der Mangel an Skills kommt. Denn vieles in unserem Bildungssystem und auch das, was wir im Moment noch in vielen Unternehmen machen, ist sehr eindimensional. Entweder habe ich ein Training zur Industrie oder zur Funktion oder ich habe ein Training zu technischen Kompetenzen. Es gibt noch gar nicht so viele Angebote, die diese verschiedenen Sichtweisen integrieren. Somit fehlen uns die Leute mit Querschnittsqualifikationen.

Hat das auch einen Einfluss auf Soft Skills?

Natürlich. Denn genau diese Übersetzungsleistung, die ich hinkriegen muss, bedeutet, dass ich mein Gegenüber verstehen muss. Ich muss mich auf eine andere Sichtweise einstellen und kommunizieren können. Außerdem geht es um Ganzheitlichkeit. Man muss sich das komplette Paket anschauen. Mitarbeiter*innen, die ganzheitlich denken und keinen Tunnelblick haben, werden in Zukunft erfolgreich sein.

Wenn wir uns zum Beispiel Uber mit der Taxi-Lösung anschauen, dann war die ursprüngliche Idee nicht einfach, die Leistung Taxifahrt zu verbessern, sondern die Beförderung auf eine komplett andere Plattform zu stellen und zu überlegen, was den Kunden antreibt, welche Parameter ihm wichtig sind. An diesem Beispiel kann man gut die Denkweise ableiten, die heute gebraucht wird.  

Die Kritik richtet sich auch an das Weiterbildungsangebot von Unternehmen, das oft an den tatsächlichen Bedarfen der Mitarbeiter vorbeigeht. Woran liegt das?

Ich glaube, dass es sehr oft an der Kommunikation liegt. Ganz oft versteht die eine Seite die andere nicht. Unsere Kunden fragen bei uns zum Beispiel ganz spezifische Skills nach und erzeugen damit in den Fachbereichen Bedarf. Oftmals lässt sich dieser Bedarf aber für Außenstehende aufgrund des Fachjargons nicht vollumfänglich nachvollziehen. Für diejenigen, die die entsprechenden Trainings bereitstellen sollen, ist es dann schwer, genau diese Nuancen im Bedarf zu berücksichtigen. Da hat sich einfach am Bedarf etwas verändert: In der Vergangenheit mussten Trainingsangebote gar nicht so differenziert sein, da es zunächst mal um die Vermittlung von Grundwissen ging. Bei den passgenauen Lösungen, die wir heute für unsere Kunden schneidern, funktioniert der „One size fits all“-Ansatz nicht mehr.

Außerdem muss man als Unternehmen die Sicht auf diejenigen Skills haben, die in zwei oder drei Jahren relevant sind. Da geht es um die Talent Supply Chain – ein fürchterliches Wort, hinter dem aber eine sehr valide Überlegung steht: Wie sieht mein Talent über die Jahre hinweg aus? Da kann ich nicht beim Heute aufhören, sondern frühestens beim Übermorgen. Das sollte für jede moderne HR- oder Weiterbildungsabteilung im Mittelpunkt stehen.

Wer muss hier zuerst aktiv werden im Unternehmen: Die Führungskräfte? Die Mitarbeiter*innen? Die HR-Abteilung?

Ich wünsche mir, dass es HR ist – gar keine Frage. Ich wünsche mir, dass HR so aufgestellt ist, dass das unser Markenkern ist. Das Aushängeschild dafür, dass das Unternehmen nicht für heutige Skills, sondern für die Zukunft steht. Das ist meine Vision. Natürlich schaffen wir das als HR nicht allein, sondern nur gemeinsam mit dem Business. Aber ich finde, dass der Impuls, über diesen Horizont heute hinauszudenken, von HR kommen muss.

Warum tun wir uns in Deutschland vergleichsweise schwer mit dem Thema Lernen und Weiterbildung?

Ich glaube, dass das Thema Lernen unterschiedliche Dimensionen hat. Wir müssen begreifen, dass Lernen nicht irgendwann aufhört, sondern eine lebenslange Kompetenz ist. Das haben wir in Deutschland noch nicht gut verinnerlicht. Wir haben uns lange darauf verständigt, dass das Lernen mit dem Schul-, (Berufs-)Ausbildungs- oder Studiumsabschluss beendet ist. Heute wissen wir: da hört es nicht auf. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass wir lebenslang lernen werden. Ein Beispiel hierfür zeigt uns die Digitalisierung aktuell in unserem privaten Umfeld: Wie schnell haben viele Großeltern begriffen, dass sie sich während der Pandemie mit Facetime, Zoom, WhatsApp und Co. auseinandersetzen müssen, wenn sie mit ihren Enkeln in Kontakt bleiben wollen! Ich glaube, meine Eltern hätten sich sicherlich nicht so schnell auf Zoomkonferenzen eingelassen, wenn sie nicht das dringende Bedürfnis gehabt hätten, ihre Enkel beim Auspacken der Geburtstagspäckchen zu sehen.

Aber wir müssen auch weiter nach vorne schauen, um die Kompetenzen zu sehen, die wir in der Zukunft brauchen, und das wieder an die Schulen zurückspielen. Das ist in der Vergangenheit nicht passiert. Vielmehr war die Schule ein abgeschlossenes System, die Ausbildung war ein abgeschlossenes System, die Weiterbildung war ein abgeschlossenes System. Das Zusammenspiel und die Feedbackschleifen zwischen den Systemen haben nicht funktioniert.

Wer nimmt aus Deiner Sicht eine Vorreiterrolle in Sachen Weiterbildung ein?

Im Sinne der Schulbildung sind uns die Skandinavier sicherlich deutlich voraus. Für mich ist allerdings auch Indien ein sehr gutes Beispiel. Hier hat man sich sehr schnell die entscheidende Frage gestellt hat: Womit können wir auf dieser Welt eine Rolle spielen? Die Kompetenz im Bereich IT, die in Indien über die Jahre aufgebaut wurde, ist das Ergebnis der Vision, eine gewichtige Rolle im Weltgeschehen spielen zu können, wenn die Bevölkerung in dieser bestimmten Kompetenz ausgebildet wird. Das beginnt im ganz Kleinen und bei den ganz Kleinen: Jedes Kind in Indien wird in den staatlichen Schulen im zarten Alter von fünf oder sechs Jahren mit dem Computer auf „Du und Du“ gebracht. Und wie lange haben wir in Deutschland gebraucht, um das lang betitelte „Teufelszeug“ bei unseren Kindern im Unterricht zuzulassen? Das heißt, wir brauchen ein Zusammenwirken an verschiedenen Stellen, um diese Vision zu verwirklichen: Wissen, wo man ansetzen kann, und den Prozess durch kontinuierliches Feedback aus der Wirtschaft an die Schulen und umgekehrt immer wieder zu hinterfragen und zu verbessern.

Und wie sieht es mit Unternehmen aus?

Wenn ich aus Unternehmenssicht darauf schaue, dann fallen mir Unternehmen wie Google und Facebook und im deutschsprachigen Raum auch SAP ein. Diese Unternehmen sind sicherlich vorbildlich im Sinne der Weiterbildung. Auf Unternehmensebene kommt noch eine andere Komponente ins Spiel: Es gibt ein inhaltliches Angebot, aber uns fehlt meistens schlicht und ergreifend die Zeit für Weiterbildung. Ein verbindliches „Jawohl, du hast die Zeit, Lernen zu dürfen“ hilft. Bei Google gibt es zum Beispiel einmal die Woche einen halben Tag fest vereinbarte Lernzeit, bei SAP funktioniert es auf monatlicher Basis. So etwas erwarten die Mitarbeiter*innen zu Recht in den Unternehmen, die Vorreiter in der Digitalisierung sind.

Zusammengefasst liegt aus Unternehmenssicht der Schlüssel darin, erstens einen coolen Prozess zu haben – es muss einfach sein, zu lernen. Zweitens müssen die richtigen Inhalte im Sinne von Skills für morgen da sein. Und drittens muss die Bereitschaft des Unternehmens da sein, das Budget bereitzustellen und Zeit für Weiterbildung zu schaffen. Das zeigen übrigens auch die umfangreichen Ergebnisse unserer wissenschaftlich fundierten Future Learning Studie.

Sind Mitarbeiter*innen für das eigene Unternehmen möglicherweise einfach eine schwierige Zielgruppe?

Nein, das sehe ich nicht so. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vergleichen einfach nur das, was ihnen im Alltag geboten wird, mit dem, was ihnen im Unternehmen geboten wird. Wenn ich also mein Auto mit einem Onlineklick bestellen kann, aber wahnsinnig viel Mühe damit habe, mich intern für ein Training zu registrieren, dann möchte ich mich doch damit schon gar nicht mehr auseinandersetzen. Und da müssen wir ansetzen: Es muss einfach Spaß machen und so viel einfacher sein, als es heute oftmals ist. Die Umsetzung in neue Medien ist ein wichtiges Thema, wir nehmen Inhalte heute anders auf als früher, unsere Aufmerksamkeitsspanne ist deutlich geschrumpft. Das heißt, Lerninhalte müssen heute anders aufbereitet werden, um Spaß zu machen, aber auch um effektiv zu sein. Den Staubwedel anzusetzen, hilft hier enorm, ebenso wie das Einnehmen der Mitarbeiter*innenperspektive. Sich also in unserem Fall zu überlegen, was die Beraterin oder der Berater braucht, um mit einem Thema beim Kunden bestehen zu können. An all dem müssen wir uns messen.

Was muss ein Digital Player heute in puncto Weiterbildung leisten, um junge ebenso wie seniore Talente zu gewinnen und zu halten? Welche Erfolgsfaktoren gibt es aus Deiner Sicht?

Den Mitarbeiter*innen von Leadership-Seite aus das Gefühl mitgeben: Wir wollen es! Wir geben euch Zeit und wir geben euch Geld dafür! Ihr habt es in beiden Händen und ihr könnt es greifen. Der Rest sind dann meistens kleine Stellschrauben. Wenn ich zu meinem Chef/meiner Chefin gehe und sage, ich habe nächste Woche drei Tage Training – dann darf er oder sie noch nicht einmal innerlich mit den Augen rollen. Sondern dann muss er oder sie sagen: „Super gemacht, go for it. Wir kriegen die drei Tage auf dem Projekt überbrückt.“ Das sollte jede/r Mitarbeiter*in mit dem Vorgesetzten im Einzelfall absprechen. Wir müssen eine Kultur schaffen, wo jede/r versteht, dass Training etwas ist, das uns alle weiterbringt.

Neben einem „Clients first“ ist für mich deshalb auch immer ein „Employee first“ wichtig. Das bedeutet, dass Mitarbeiter*innen nicht nur irgendwann mit den richtigen Skills in unser Unternehmen kommen, sondern dass wir seine oder ihre Skills in der richtigen Art und Weise am Markt orientiert aufrechterhalten und weiterentwickeln. Und Mitarbeiter*innen sollen auch nicht denken: „Schön, die Firma investiert in mich!“, sondern ich möchte dahin kommen zu denken: „Gemeinsam investieren wir in uns!“ Ein/e CEO hat den gleichen Anspruch auf Weiterbildung und Training wie ein/e Business Analyst*in, die/den wir morgen einstellen. Wenn wir begreifen, dass uns das gemeinsam hilft, besser zu werden, dann haben wir den richtigen Weg eingeschlagen.

Wieviel Changemanagement steckt heute in der Lernkultur eines Unternehmens?

Es ist eigentlich nur Changemanagement. Und es fängt meines Erachtens in der Gesellschaft an. Da haben wir noch ein ganzes Stück zu gehen, denn wir brauchen dieses gemeinsame Verständnis: Wir sind immer nur so gut wie die Summe unserer Skills und Fähigkeiten – wir gemeinsam. Zu jedem Tag und jeder Stunde ist mein Wissen eigentlich schon nicht mehr aktuell. Dieses Eingeständnis sowie der Entschluss, sich hier auf den Weg zu machen, ist eine Change Journey. Allerdings hat diese Journey keinen Endpunkt – es geht um lebenslanges Lernen. Wir sind damit nie fertig. Das ist vergleichbar mit einem Garten, der auch nie fertig ist. Und genauso, wie wir uns dort bemühen, die Blumen und Pflanzen wachsen zu lassen, müssen wir uns um unsere Talente bemühen.

Wenn Du einen Wunsch frei hast mit Bezug auf die Lernkultur in Unternehmen – welcher wäre das?

Lasst uns auf den Weg machen. Lasst uns diese Journey annehmen und lasst uns begreifen, dass Lernen etwas ist, was zentral im Mittelpunkt unserer Arbeit steht. Sowohl für HR als auch für jeden einzelnen Mitarbeiter und jede einzelne Mitarbeiterin. Diesen Vertrag mit uns selbst zu schließen, wäre mein Wunsch.

Das Interview führte