Hyperscaler wie Google oder Amazon werden in das Territorium der Carrier eindringen, um Rechenleistung an Edge-Standorten zu hosten. Georg Kopf, Managing Consultant bei Detecon, fragte Detecons Subject Matter Expert Szymon Lis, wie Telcos in diesem Wettbewerbsumfeld agieren sollten - und warum Ökosysteme hier so wichtig werden.
Georg Kopf: Was ist die Motivation von Public-Cloud-Anbietern, den sogenannten Hyperscalern wie Google oder Amazon, in das Gebiet von Carriern einzudringen, um Rechenleistung an Edge-Standorten zu hosten?
Szymon Lis: Das aktuelle Internet-Setup ist bis zu einem gewissen Grad "isoliert". Telekommunikationsunternehmen haben ihre Cloud-Infrastruktur als eine Art internes Ökosystem aufgebaut. Auch Public-Cloud-Anbieter haben ihre Ökosysteme als eine Art internes System implementiert, weit weg vom Endkunden, z. B. in Bezug auf die Latenz.
Eine neue Welle von Anwendungen und Diensten erfordert ein Edge-Ökosystem, das sich in der Nähe des Endkunden befindet. Dies ist besonders wichtig für videorelevante Angebote wie VR/AR, Gaming oder für kleine Geräte, bei denen das Hosting von Rechenleistung aufgrund der kleinen Formfaktoren schwierig ist. Zusätzlich zu B2C-Dienstangeboten gibt es neue Geschäftsmöglichkeiten beim Aufbau von 5G-Campusnetzen für Unternehmen mit Rechenleistung, die auf dem Campusgelände gehostet wird.
Um die Vorteile niedriger Latenzzeiten und hoher Bandbreiten des Cloud Computing der nächsten Generation zu nutzen, müssen Hyperscaler daher ihre Cloud-Ökosysteme am Rande des Internets näher an die Endkunden heranbringen.
Was sind die Vorteile und Herausforderungen, wenn die Rechenleistung näher am Endkunden ist?
Kundenerlebnis und Kundenzufriedenheit stehen im Mittelpunkt. Eine große Anzahl neuer Anwendungen und Dienste, insbesondere, wenn sie 5G-getrieben sind, werden sehr niedrige Latenzzeiten und hohe Bandbreiten erfordern. Das Wachstum der Erwartungen in Richtung Echtzeit-Erlebnisse ist ein weiterer Faktor, der nur durch das Hosting von Anwendungen am Edge erfüllt werden kann. Im Hinblick auf die Sicherheit wird auch der Datenschutz eine wichtige Rolle innerhalb eines Ökosystems für Anwendungen der neuen Generation spielen. Diese Daten lokal zu halten, ohne sie über das Internet transportieren zu müssen, wird definitiv einen Vorteil darstellen.
Ein weiterer Vorteil ist rein netzwerktechnischer Natur. Die heutige zentralisierte Cloud-Computing-Architektur und das Versenden großer Datenmengen ist kosten- und zeitintensiv (Latenz). Durch die vollständige Verarbeitung oder sogar Vorverarbeitung der Daten vor Ort, in der Nähe der Endkunden, entlasten Telcos ihre Backbone-Netze, was zu einer optimierten Leistung und Kosten führt.
Wie können Telco's ihr Standing am Edge verbessern und welche Entscheidungen müssen sie treffen?
Partnerschaften - so einfach ist das. Telcos müssen mit Hyperscalern, aber auch mit Entwicklergemeinschaften zusammenarbeiten. Das Edge-Ökosystem bietet sicherlich neue Möglichkeiten, aber Telcos müssen auch ihre Kontrollpunkte wie Konnektivität, Servicequalität und direkte Beziehungen zu Verbrauchern und Unternehmen beibehalten.
Telcos sollten ihre Netzwerk-Assets für Hyperscaler öffnen, gleichzeitig können Hyperscaler Partnerschaften mit Anwendungsentwicklern erleichtern. Network as a Service zur Monetarisierung von Telco-Assets sollte der nächste Schritt sein.
Was sind die neuesten Entwicklungen im Edge-Ökosystem?
Das vergangene Jahr war voll von neuen Entwicklungen, die von Hyperscalern, Unternehmen und Telcos ausgingen. Um nur einige von ihnen zu nennen:
Hyperscaler stellen weiterhin ihre eigenen Edge-Zonen bereit, bei denen es sich um kleine verteilte Rechenzentren hauptsächlich in den USA handelt. AWS hat gerade eine weitere Miniaturisierung seiner Outpost-Produktlinie angekündigt und zwei vollständig verwaltete Typen von Pizzaboxen mit den gleichen APIs und der gleichen Infrastruktur wie AWS Public Cloud eingeführt. Dieses Produkt würde sich gut für SoHo oder sogar 5G-Türme von Telekommunikationsunternehmen eignen.
Im Unternehmensbereich sehen wir auch einen großen Hype mit Giganten wie Ericsson, Volkswagen, FedEx, die entweder Proof of Concepts auf Basis ihrer eigenen verteilten kleinen Rechenzentren durchführen oder Partnerschaften mit Hyperscalern eingehen.
Ein weiteres Beispiel ist die Edge-Computing-as-a-Service-Initiative, die Edge-Computing, Netzwerk-as-a-Service und Automatisierung kombiniert. Diese Initiative wird sowohl von Telekommunikationsunternehmen (BT, Orange, Verizon) als auch von Hyperscalern (AWS) und Microsoft angeführt.
Und nicht zuletzt hat der Telekom-Konzern eigene Entwicklungen, zum Beispiel mit MobiledgeX, einer Tochterfirma mit Sitz im Valley, die gerade eine Partnerschaft mit Google angekündigt hat, um den Zugang zur Telco-Infrastruktur für Anthos zu aggregieren. Erwähnen möchte ich auch die 5G-Campus-Netzlösungen der Deutschen Telekom, die lokales Computing einbeziehen.
Wie sollten sich alle Beteiligten aus Sicht von Detecon verhalten, um von diesen neuen Marktchancen zu profitieren?
Die Realität ist, dass ein Edge-Ökosystem noch unreif ist und alle Akteure gerade erst begonnen haben, sich zu positionieren. Wir alle haben bereits Ankündigungen von ersten Partnerschaften gesehen, z. B. AWS - Verizon, MicroSoft - AT&T und so weiter. Die gesamte ICT-Branche muss jedoch Geschäftsfälle und Technologiemodelle identifizieren und beweisen, wer der Endkunde ist. Dann kann das Edge-Ökosystem in großem Maßstab und mit vernünftigen Argumenten durchstarten.
Aus der Perspektive eines Telekommunikationsanbieters ist es von größter Bedeutung, vom ersten Tag an Teil des Edge-Ökosystems zu sein. Und um eine Wiederholung der verlorenen Schlacht von vor 10/15 Jahren im OTT-Bereich zu vermeiden. Telcos müssen ihre Rechte in Bereichen wie physischen Zugangsstandorten, IaaS und Konnektivität behalten und in den Ko-Wettbewerbsmodus mit Hyperscalern gehen.
Auf der einen Seite ist es gut, die Einführung zu beschleunigen, aber auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass die Energie verpufft und der Markt zu sehr fragmentiert wird. Irgendwann kann dies zu einem Konsolidierungsbedarf führen.
Sicherlich gibt es keine "Einheitsgröße", aber es sollte eine Win-Win-Lösung für alle Marktteilnehmer angestrebt werden.