CFOs im Web3: “5 Jahre kann man das noch aussitzen, danach wird‘s eng.“

Im Web 3.0 sollen Werte direkt und sicher von Nutzer zu Nutzer transferiert werden. Die Blockchain-Technologie hat hier insbesondere für Projekte, die auf Finanzflüsse abzielen und diese verbessern, einen großen Innovationshebel. Unsere Detecon-Experten Björn Froese und Hans-Werner Hatting sprachen dazu mit Dr. Karl-Michael Henneking, der sich als Mitbegründer des global agierenden Distributed Economy Netzwerks Untitled INC aktiv für die Nutzung der Blockchain-Technologie einsetzt. Seine Botschaft an alle CFOs: „Jetzt kann man das Thema Digitale Assets als CFO vielleicht noch aussitzen, die nächsten fünf Jahre vielleicht, aber danach wird‘s eng.“

Hans-Werner Hatting: Wie bist du zu Web3 gekommen?

Ich bin seit 2016 im Blockchain Space unterwegs. Zum Thema Blockchain bin ich über Initial Coin Offerings (ICOs) gekommen. ICOs waren und sind aus Sicht von Unternehmens- bzw. Start-Up Finanzierung revolutionär! Ich habe von ICOs erstmal 2016 auf einer Konferenz in Berlin gehört: Ein Projekt sammelt aus dem Stegreif 200 Millionen USD ein, allein auf Basis eines White Papers!

In 2016 habe ich gemeinsam mit anderen Blockchain-Enthusiaten das Expertennetzwerk Untitled INC gegründet, mit dem wir in Web 3.0-Projekte investieren und auch eigene Web 3.0-Unternehmen aufbauen. Weiter helfen wir anderen Playern, ihre Projekte hochzuskalieren und beraten institutionelle Kunden wie z.B. Banken und VCs im Bereich Digital Assets. Untitled INC ist ein internationales Netzwerk von Blockchain-, Web 3.0- und Digital-Asset-Experten, die auf allen Kontinenten der Welt verteilt sind.

Im Kern geht es bei Web 3.0 um ein „Internet of Value“, also wie man Werte im Internet – und nicht nur Inhalte wie in Web 2.0 – direkt und sicher von Nutzer zu Nutzer transferieren kann. Damit hat die Blockchain-Technologie insbesondere für Projekte, die auf Finanzflüsse abzielen und diese verbessern, einen großen Innovationshebel.

Dazu gehören auch ICOs. So haben wir mit dem Untitled INC Ableger Untitled Investment Expertise auch ein Framework entwickelt, um ICO-Projekte bewerten zu können. Dazu verwenden wir eine Mischung aus klassischen VC-, aber auch M&A- und Post-Merger-Bewertungskriterien, zudem Web3-spezifische Kriterien wie die Tokenomics eines Projektes. Dieses Framework, das wir ICO360 nennen, geht weit über das hinaus, was selbst von professionellen Investoren normalerweise zur Bewertung von Web3-Projekten herangezogen wird.

Web 3.0 wird zunehmend interessanter für institutionelle Anleger aus der Finanzindustrie – und zwar umso mehr, als sich der regulatorische Rahmen entwickelt und insbesondere in Europa klarer definiert wird. So werden insbesondere auch Banken und große Fondverwalter von ihren Kunden gedrängt, Anlageprodukte anzubieten, um von der Web3-Bewegung profitieren zu können.

Björn Froese: In Deutschland war einer der Aspekte, die den ICO-Boom befeuert haben, dass das bestehende Gesellschaftsrecht nicht auf eine Firmenbeteiligung der Mitarbeiter ohne Stimmrechtsbeteiligung ausgelegt war. Hat das tatsächlich eine große Rolle gespielt und existiert im Ausland eine ähnliche Logik, mit einer Beteiligung über Token die Leute ausschließlich finanziell zu beteiligen?

Da sind mehrere Dinge zusammengekommen. Die Web3-Bewegung ist weniger regulatorisch oder rechtlich, sondern vor allem Tech-getrieben, verbunden mit der Möglichkeit, große Finanzvolumen wie die besagten 200 Millionen USD auf einmal einzusammeln. Natürlich ist auch viel Spekulation dabei. Darüber hinaus hat die Preisentwicklung von Krypto-Werten mediale Aufmerksamkeit geweckt, die wiederum dazu geführt hat, dass sich immer mehr Leute für die Technologie interessieren. Die rechtlichen Aspekte, die du ansprichst, sind meiner Meinung nach nicht so sehr der Treiber gewesen.

In den letzten zwei Jahren gewinnt aber das Thema DAO, also Decentralized Autonomous Organisation, international an Gewicht. Unter anderem auch, um vorzubeugen, dass man bei einer zentralisierten Organisation unter die klassische Finanzregulierung fällt. Je mehr ein Projekt die Governance dezentralisiert, umso mehr baut es eine gewisse regulatorische Firewall auf.

DAOs haben eine sehr spezielle Form von Governance. Strategische und wichtige finanzielle Entscheidungen werden durch die Token-Investoren getroffen. Das operative Team besteht dagegen – vereinfacht gesagt – aus freien Mitarbeitern oder freiwilligen Kontributoren, die diese Entscheidungen umsetzen. DAOs sind also organisatorisch anderes als klassische Unternehmen aufgestellt.

Regulatorische und rechtliche Themen gewinnen in letzter Zeit zunehmend an Bedeutung. Je mehr institutionelle Player aus der Finanzindustrie in den Markt kommen, umso wichtiger wird die Regulatorik. Wenn ein Krypto-Projekt regulatorisch nicht abgesichert ist, schieben die Compliance-Abteilungen sofort einen Riegel vor.

Unser Interviewpartner: Dr. Karl-Michael Henneking

Dr. Karl-Michael Henneking ist Mitbegründer des global agierenden Distributed Economy Netzwerks Untitled INC und setzt sich aktiv für die Nutzung der Blockchain-Technologie ein. Seine vielfältigen Aktivitäten werden durch seine Publikationen zum Thema Innovation, Digitalisierung und Digitale Transformation sowie seine Rolle als aktiver Investor und Podcast-Host im Rahmen des Untitled Investment Talks unterstrichen.

Sein Herz schlägt für die digitale Transformation in all ihren Facetten, was sich in seiner langjährigen Erfahrung in Führungspositionen auf Geschäftsleitungs-, Vorstands- und Aufsichtsratsebene widerspiegelt. Seine Kompetenzen in Strategie und Innovation, der Leitung großer digitaler Transformationsprojekte, Company Building sowie Venture Capital und Mergers & Acquisitions hat er in mehr als 30 Ländern rund um den Globus eingesetzt.

Im Laufe seiner Karriere hat Dr. Henneking große Telekommunikationsunternehmen sowie schnell wachsende Start-Ups aufgebaut und einen der ersten Corporate VCs auf der arabischen Halbinsel gegründet. Er ist Alumnus der Detecon, wo er zuletzt als Head of Global Competence Practice Strategy & Marketing tätig war.

Björn Froese: In Europa haben wir die Markets in Crypto Assets-Regulierung, kurz MiCAR. Ist das der richtige Weg, um ausreichend Vertrauen zu schaffen?

Ja, MiCAR ist ein ganz großes Ding, auch international. Das würde man eigentlich nicht erwarten. Aber wenn man aktuell mit Gründern aus Amerika spricht, wird oft empfohlen, ein Krypto-Startup nicht in Amerika, sondern in Europa aufzubauen, da in den USA die regulatorische Situation nicht ausreichend geklärt ist. Es gibt dort unterschiedliche Regulierungsbehörden, z.B. neben der Börsenaufsicht SEC (US Securities and Exchange Commission) die CFTC (Commodity Futures Trading Commission) für Termingeschäfte, Bankenregulierer, zudem hat jeder Bundesstaat noch seine eigenen regulatorischen Auflagen. Es gibt aber in den USA keinen harmonisierten regulatorischen Rahmen, wie er mit der MiCAR in Europa entwickelt wurde. Jede Behörde legt deshalb ihre eigenen Maßstäbe an, vieles ist ungeklärt oder nicht zeitgemäß.

Nach den kritischen Entwicklungen rund um die FTX-Börse, Voyager und Terra Luna praktiziert z.B. Gary Gensler, der Vorsitzende der SEC, zurzeit Regulierung mittels Enforcement von Einzelfallentscheidungen durch seine Behörde. Das treibt Projekte und Innovation im Prinzip aus den USA heraus. Wir sehen das sehr deutlich am Beispiel der kürzlich gegen die Kryptobörse Coinbase eingereichten Klagen. Coinbase ist ein nach SEC-Regeln börsengelistetes Unternehmen, das darauf bedacht ist, regulatorisch konform vorzugehen. Die SEC, soweit man Medienberichten folgt, verhält sich Coinbase gegenüber jedoch eher unprofessionell, in dem sie den Dialog über offene regulatorische Fragen, z.B. ob bestimmte Krypto Assets als Wertpapiere zu klassifizieren sind oder nicht, Monate lang verweigert, aber dann dennoch Coinbase zu genau diesen Punkten verklagt. Und Coinbase ist hier nur die Spitze des Eisbergs.

Normalerweise liebt die Tech-Szene Regulierung ja überhaupt nicht. Aber sie sieht jetzt die Vorteile: Chaos in den USA versus einem über die letzten Jahre in Europa entwickelten regulatorischen Rahmen, der große Teile des Krypto-Spaces abdeckt. Die MiCA-Regulierung, die in diesem Jahr vom EU-Parlament verabschiedet wurde und jetzt in den einzelnen Staaten implementiert wird, entwickelt sich für den Standort Europa zu einem großen Vorteil.

Und das schlägt sich auch in Zahlen nieder, wenn man einen Vergleich zwischen USA und Europa zieht: Der Anteil der weltweiten VC-Investitionen in Krypto-Projekte lag in Q1/2022 in Europa bei ungefähr 5 Prozent, während er in Q1/2023 auf mehr als 45 Prozent gestiegen ist. Das entspricht einem Faktor 10X und ist im Wesentlichen zulasten der USA gegangen. In Europa gibt es fast 4000 Krypto-Unternehmen und damit ist Europa weltweit führend in der Unternehmensansiedlung. MICAR ist also offensichtlich hilfreich für den Standort, auch wenn nicht unbedingt jeder im Krypto-Space MICAR vollständig positiv bewertet.

Die bestehende MiCAR hat auch nicht alles reguliert und z.B. bei DeFi (Decentralized Finance) Instrumenten noch einiges offengelassen, auch NFTs (Non-Fungible Token) sind eine Grauzone. Aber was die Stablecoin-Regulierung angeht, ist MiCAR sehr klar. Der klassische Stablecoin-Market, also Token, die an Fiat-Währungen gebunden sind, ist derzeit noch primär auf den US-Dollar ausgerichtet. Durch MiCAR wird nun institutionellen Playern die Möglichkeiten gegeben, sich mit Euro-Stablecoins in dem Markt zu positionieren und das ist sicherlich ein großer Verdienst von MiCAR.

Deutschland preschte übrigens bereits vor zwei Jahren vor mit einer Regelung zur Kryptowährungsverwahrung und einem strukturierten Lizenzprozess, der als internationaler Benchmark gilt. Dazu gibt es einen guten Überblicksbeitrag von Untitled Investment Expertise. Auch ein Meilenstein und ein Bereich, bei dem Startups von einem klaren regulatorischen Framework profitieren und selbst die US Tech- und VC-Szene neidisch nach Europa blickt.

Hans-Werner Hatting: Warum soll sich ein CFO mit einem Thema wie Stablecoins befassen?

Ein CFO sollte sich meiner Meinung nach aus mehreren Gründen mit dem Krypto-Bereich befassen, Stablecoins können ein Grund sein.

Für den CFO stellt sich zum Beispiel die Frage, wie er mit seiner Treasury umgeht. Kurzfristig: business as usual. Bei langfristiger Perspektive ergeben sich finanzstrategische Fragestellungen. So verlieren Fiat-Währungen inflationsbedingt an Wert. Die Fiat-Währungen sind auch nicht mehr an einen Goldstandard gebunden, Bretton Woods ist 1971 aufgehoben worden. Letzteres hat ja das Quantitative Easing erst möglich gemacht, also die Geldmengenausweitung durch die Zentralbanken.

Macht es da jetzt langfristig Sinn, größere Positionen Cash zu halten? Ein erster Ansatzpunkt, sich aus Sicht eines CFOs mit Kryptowährungen zu befassen! Das haben z.B. Michael Saylor und sein Unternehmen Micro Strategy in den USA getan: Micro Strategy hat sich entschieden, signifikante Teile seiner Treasury in Bitcoin anzulegen. Das sind mittlerweile mehr als 4 Milliarden USD. Dem ist Elon Musk mit Tesla zum Teil gefolgt und es gibt auch eine Reihe von Finanzinstitutionen, die Teile ihrer Treasury als Hedge gegen Geldentwertung in Bitcoin anlegen. Das ist sicherlich der große Wurf, und setzt einen langfristige Planungshorizont von fünf Jahren und mehr voraus.

Es gibt aber auch bei kurzfristiger Betrachtung Möglichkeiten, von Finanzinstrumenten auf Basis digitaler Assets zu profitieren. Hier spielen Stablecoins unter anderem eine Rolle, wenn es um die Verzinsung der Treasury geht. Zwar hat sich das Zinsregime (in den letzten Monaten) geändert, aber bis vor einem Jahr haben wir Null- oder in Europa sogar Negativzinsen gehabt, während man im DeFi-Bereich zweistellige Renditen realisiert, und zwar mit Geld, das man nicht für Jahre anlegt, sondern das tagesverfügbar ist. Man muss sich einfach vorstellen, man könnte 10 Prozent Zinsen plus auf Tagesgeld oder ein Girokonto in Deutschland erhalten. Das sind ganz neue Möglichkeiten, von denen ein Unternehmen finanziell auch kurzfristig profitieren kann.

Hans-Werner Hatting: Wo liegen die anderen Gründe?

Man schaue sich einmal an, wie Unternehmen jetzt funktionieren, wie sie vor 10 oder 20 Jahren funktioniert haben – und wie sie in 10 oder 20 Jahren funktionieren werden. Da sieht man sehr deutlich einen Trend zur Dekonstruktion der Unternehmen, d.h., dass sie sich zunehmend von festen Einheiten zu fluiden Netzwerken entwickeln, bei denen es viele Freelancer gibt, die nicht fest im Unternehmen angestellt sind. Die Extremform davon sind die eben angesprochenen DAOs, die im Wesentlichen aus freien Mitarbeitern bestehen.

Diese DAO Contributors werden schon heute zum großen Teil mit Stablecoins bezahlt, weil sie über die ganze Welt verteilt arbeiten, man aber nicht drei Tage warten und auch nicht jedes Mal 30 Dollar Bankgebühren plus Währungstauschgebühren bezahlen möchte, um Geld in das Land des Mitarbeiters zu transferieren. Insbesondere bei Freelancern, die in weniger entwickelten Ländern mit schlechtem Zugang zum traditionellen Bankensystem arbeiten, ist es einfacher, Transaktionen mit Hilfe von Stablecoins vorzunehmen. Wie kann man schnell und unkompliziert Geld transferieren, auch im Rahmen der klassischen Payroll-Funktion im Finanzbereich eines Unternehmens - das ist etwas, womit sich CFOs auseinandersetzen sollten, und da spielen Stablecoins eine Rolle.

Darüber hinaus ist die Projektfinanzierung interessant. Das hat nicht notwendigerweise etwas mit Stablecoins zu tun, sondern ist eine moderne Finanzierungsform über die Ausgabe von Token. Zum Beispiel gibt die größte Krypto-Börse Binance eigene Token aus. Es gibt auch Anwendungen außerhalb von Web 3.0, z.B. im Kunstmarkt, Stadion-Finanzierungen im Sportbereich oder Immobilienfinanzierungen, die über Token-Sales funktionieren.

Und mittlerweile sind wir durch regulatorische Fortschritte – insbesondere das Gesetz für elektronische Wertpapiere in Deutschland – auch so weit, dass Anleihen über die Blockchain begeben werden können. So hat Siemens erst kürzlich eine entsprechende Anleihe im Wert von 60 Millionen Euro platziert. Hier steht der Effizienzaspekt des Einsatzes von Blockchain-Technologie im Zentrum: Beim klassischen Prozess der Begebung einer Anleihe gibt es einige Intermediäre wie z.B. Clearing Häuser und Zentralverwalter in der Prozesskette. Viele Prozesse sind papiergebunden, sie dauern lange und verursachen unnötige Kosten.

Dagegen kann der Prozess auf einer Blockchain Ende zu Ende weitestgehend automatisiert werden. Statt Wochen kann eine Transaktion hier in zwei Tagen abgeschlossen werden. Im Beispiel von Siemens ließen sich sogar noch weitere Effizienzen heben, wenn die Zahlungsabwicklung nicht über Euros, also Fiat-Währungen und Bankkonten, sondern mit einem Euro-Stablecoin durchgeführt werden. Digitale Wertpapiere sind sicherlich auch ein sehr interessantes Gebiet für CFOs.

Björn Froese: Wo siehst du hier die Banken, vor allem auch die deutschen Banken? Sind sie zum Beispiel schon an den Central Bank Digital Currencies (CDBCs) dran? Und hast Du den Eindruck, dass sie sich bereits ausreichend positionieren?

Jede größere deutsche Bank hat ein Krypto-Projekt sowie Teams, die sich mit digitalen Assets beschäftigen. Nicht nur CBDCs (digitale Zentralbankwährungen), sondern generell Blockchain, Krypto und digitale Assets.

Bezüglich der CBDCs steht allerdings noch viel in den Sternen. Es ist in Europa und den USA zurzeit noch nicht mal klar, welche Technologie verwendet werden soll. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird das keine dezentralisierte öffentliche Blockchain-Technologie sein, sondern ein zentralisiertes System für Retail-CBDCs und Wholesale-CBDCs. Außerdem kann es Interessenskonflikte geben zwischen der Zentralbank und den Geschäftsbanken. So sind Geschäftsbanken sicherlich nicht an einer Retail CBDC interessiert, bei der die Zentralbank unter Umgehung der Geschäftsbanken über ein Wallet statt über ein Bankkonto direkt mit dem Endkunden interagiert.

Meiner Meinung nach haben CBDCs nicht viel mit Krypto und Web 3.0 zu tun. Ich erwarte nicht, dass die CBDCs z.B. in Form von ERC-20-Token auf der Ethereum Blockchain verfügbar gemacht werden und damit interoperabel mit der Mehrheit der heutigen dezentralisierten Finanzanwendungen sind.

Eine wesentliche Frage ist auch, wie CBDCs mit Datensicherheit und Datenvertraulichkeit umgehen. Hier gibt es begründete Zweifel. CBDC-Transaktionen sind nicht notwendigerweise anonym, sondern können anders als bei Bargeld sehr genau verfolgt werden. Auch lassen sich CBDCs ‚programmieren‘, d.h. es könnte z.B. eine Inflationsrate bzw. Geldentwertung programmiert werden oder es könnte die Höhe von Transaktionen oder das maximal verfügbare CBDC-Vermögen von Bürgerinnen oder Bürgern beschränkt werden.

In den USA haben sich schon einige Bundesstaaten gegen die Einführung einer CBDC, also eines digitalen Dollars, positioniert und möchten stattdessen eher Bitcoin nutzen. China ist mit der Einführung eines digitalen Yuan dagegen schon relativ weit fortgeschritten. Dort zeigen sich die Privacy-Probleme dann auch schon sehr deutlich. Aber die EU scheint bei der Planung des digitalen Euro ihre eigenen Umfragen zu ignorieren, die zeigen, dass den Bürgern und Bürgerinnen auch beim digitalen Euro die Anonymität der Bezahlung äußerst wichtig ist.

Positiv für die großen Banken ist, dass es nun die MiCAR-Regulierung gibt. Ohne regulatorische Klarheit sind ihnen die Hände gebunden. Zudem können über das Gesetz über elektronische Wertpapiere (eWpG) in Deutschland mittlerweile Wertpapiere, die man früher nur auf Papier ausgegeben hat, voll elektronisch begeben werden. Davon hat Siemens mit seiner Unternehmensanleihe profitiert. Dieses Gesetz wird jetzt auch auf Aktien ausgeweitet. Das hat jede der größeren Banken auf dem Schirm.

Mit dem Thema Kryptowährungen beschäftigen sich aber auch kleinere und weniger international aufgestellte Player. Beispielsweise ist die Volksbank Mittweida mit sehr innovativen Angeboten am Markt, aber auch Sparkassen setzen sich mit Kryptowährungen auseinander. Beide kümmern sich u.a. um die Frage, wie man dem Retail-Endkunden oder dem B2B-Kunden Investitionen in Bitcoin oder andere Kryptowährungen ermöglichen kann.

Björn Froese: Andererseits hat man Liechtenstein oder die Schweiz, in denen man seine Steuern in Bitcoin zahlen kann. Haben diese Länder von politischer Seite eine umfassendere Strategie oder sind das noch Einzelprojekte?

Das Crypto Valley in Zug in der Schweiz ist sehr bekannt, dort hat u.a. die Ethereum Foundation ihren Sitz. Der Schweizer Staat hat sehr früh begriffen, dass das Thema Blockchain relevant wird und dass es wichtig ist, bei Finanzanwendungen im Web 3.0 ganz vorne mitzuspielen.

Liechtenstein gilt mit seinem Blockchain Act, der die Tokenisierung jeglicher Art von Assets erlaubt, als weltweites Vorbild.

Insgesamt wird damit deutlich, dass es geopolitisch bedeutsam ist, sich als Staat im Bereich neuer Finanztechnologien und Systeme zu positionieren.

Björn Froese: Welche Schlussfolgerungen kann man daraus für den CFO ziehen?

Für den CFO stellt sich persönlich die Frage, ob er weitere fünf Jahre in seinem Job bleibt und dann bald in Rente geht, oder ob er noch zehn Jahre und länger dabei sein wird. Für die eigene berufliche, aber auch die persönliche Weiterbildung sind die Themen Blockchain, Digitale Assets und DeFi sehr relevant.

Warum? Ganz einfach: Um nicht abgehängt zu werden. Über 30% der GenZ und Millennials besitzen Kryptowerte. Die jüngere Genration wächst mit Krypto-Wallets auf. Ob sie in Zukunft noch klassische Bankkonten verwendet, ist eine offene Frage. Außerdem gibt sehr viel Ausbildung im Bereich Krypto für Studenten und Interessierte. Genannt sei hier exemplarisch nur das Blockchain Center an der Frankfurt School of Finance unter Leitung von Professor Sandner: Dort werden die zukünftigen CFO-Kandidaten ausgebildet. Das sind Crypto Natives, die auf den Markt kommen und in fünf bis zehn Jahren die CFO-Positionen besetzen werden.

Ich halte es für wichtig, früh damit anzufangen, sich mit Zukunftsthemen wie Krypto und Digitale Assets auseinanderzusetzen, weil die Entwicklung schnell fortschreitet und man sich in die Thematik nicht mal kurz in zehn Stunden einarbeitet. Man muss schon ein paar 100 Stunden investieren, um sattelfest zu werden. Das Gute dabei ist: Von denen, die sich einmal in den Kaninchenbau versenkt haben, gibt es nur wenige, die wieder rausklettern oder die nicht davon begeistert sind.

Es ist unglaublich, wie im Web 3.0 Finanzprodukte in kürzester Zeit gebaut werden können. DeFi bildet immer mehr Instrumente der klassischen Finanzwelt ab, innoviert und entwickelt sie rasant schnell weiter. DeFi ist – anders als die IT-Infrastruktur der klassischen Finanzwelt – ein modulares und offenes System, bei dem ein Projekt die Ergebnisse eines anderen Projektes verwenden kann, um darauf aufbauend neue Produkte zu schaffen. So lassen sich in kurzer Zeit völlig neue Finanzprodukte kreieren. Das gab es im Finanzbereich bisher nicht, und ich kenne auch nicht viele andere Tech-Bereiche, in denen in so kurzer Zeit so etwas so schnell möglich ist und umgesetzt wurde.

Für den CFO bedeutet das, dass er dranbleiben sollte. Jetzt kann man das Thema Digitale Assets als CFO vielleicht noch aussitzen, die nächsten 5 Jahre vielleicht, aber danach wird‘s eng.

Hans-Werner Hatting: Welche aktuellen Projekte setzen überzeugende Use Cases um und können zeigen, wohin sich die Dinge entwickeln?

Was man als Neueinsteiger zunächst verfolgen sollte, sind meines Erachtens nach Entwicklungen rund um Bitcoin und Ethereum, sei es im Infrastrukturbereich, also Netzwerk-Innovationen oder Innovationen im Produkt-, Service- und Application-Bereich.

Bei Bitcoin wurde mit dem Lightning Netzwerk die Möglichkeit geschaffen, mit Bitcoins kostengünstig, sehr schnell und auch mit kleineren Beträgen zu bezahlen. In El Salvador hat Bitcoin seit 2021 sogar den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels.

Bitcoin hat jüngst auch den NFT-Trend aufgegriffen mit den sogenannten Ordinals. Auch wenn das zurzeit sicherlich noch Spielerei und Spekulation ist, man kann jetzt Bilder bzw. digitale Kunst, die es erstmal auf der Ethereum-Blockchain gab, also Crypto Punks etc., auch auf der Bitcoin-Chain abbilden. NFTs haben aber im Web 3.0 eine weit über diese Bilder hinausgehende Funktion, und sind wichtig für die sichere peer to peer Übertragung von Vermögenswerten aller Art.

Ethereum mit seinen Smart Contracts, die die Automatisierung von Finanzprozessen erst möglich machen, entwickelt sich als Netz zurzeit weiter von Layer-1 zu Layer2-Protokollen. Auch hier geht es um die Frage, wie man Transaktionen schneller oder günstiger durchführen kann. Man muss in diesem Zusammenhang wissen, dass die Blockchain ja selber nicht unbedingt das effizienteste Medium ist als Datenbanksystem. Sie repliziert aus Sicherheitsgründen, d.h. um manipulationsfrei zu bleiben, viel Informationen. Der Trade-Off dafür ist im Layer One die Skalierbarkeit und die Geschwindigkeit. Layer 2-Netzwerke wie zum Beispiel Arbitrum und in Zukunft auch die Zero Knowledge Proof-Protokolle erlauben dagegen Transaktionen zunächst off-chain zu bündeln und die Transaktionen als Bündel dann on-chain günstiger durchzuführen. Von den L2 Protokollen ist Arbitrum bereits sehr populär und wird mit einer Million Transaktionen pro Tag schon so stark genutzt wie Ethereum selbst.

Wenn man über die Infrastrukturinnovation bei Bitcoin und Ethereum hinaus den Blick auf die Applikationsebene erweitert, gibt es eine Reihe von spannenden Bereichen, zum Beispiel ReFi, also Regenerative Finance, das Metaverse, Digital Identities, oder was in dem NFT-Space über die bekannten Bildchen hinaus passiert. Da ist überall sehr viel Bewegung drin.

Und natürlich im Bereich DeFi. Hier werden u.a. klassische Festgeld-Finanzinstrumente z.B. auf Basis von Stablecoins nachgebaut, so dass es möglich ist, für das Leihen und Verleihen von Stablecoins attraktive Zinsen im zweistelligen Prozentbereich zu generieren. Über bekannte Finanzinstrumente hinaus werden hier aber auch neue kreiert. Man stelle sich vor, man könnte in der traditionellen Finanzwelt in einen Fond mit verschiedenen verzinslichen Wertpapieren investieren, der automatisch Risiko-gemanaged wird, die Zinsen werden täglich thesauriert und gleichzeitig ist das Kapital als Einlage plus Zinsen jederzeit verfügbar. Quasi eine Kombination aus einem ETF und 24/7 Tagesgeld. So etwas bietet auf Basis von Stablecoins z.B. das Projekt Spool an, für das ich das institutionelle Marketing aufgebaut habe. Und mit dem noch in Stealth Mode befindlichen Projekt Ceres, an dem ich zurzeit arbeite, ermöglichen wir Investoren, die keine Kyptowerte halten oder besitzen wollen, auf reiner Euro Basis an DeFi Yields zu partizipieren.

Björn Froese: Im Telco-Umfeld gibt es zum Beispiel das Heliumprojekt oder Celo, bei beiden ist die Deutsche Telekom investiert. Welche Projekte siehst Du im Telco- oder allgemein im Industriebereich?

Da sprichst Du bereits zwei interessante Projekte an. Wie Helium Telekommunikationsnetzwerke sozusagen crowdfunded aufzubauen, ist eine spannende Entwicklung, insbesondere dort, wo es zu teuer ist, die klassische Telekomunikationsinfrastruktur auszurollen.

Den Zugang zum globalen Finanzsystem u.a. für die Unbanked zu ermöglichen, also finanzielle Inklusion, wie es Celo mit seiner Blockchain unterstützt, ist ein ganz zentrales Thema im Bereich Krypto. Es ist eben einfacher, ein Krypto Wallet aufzusetzen, als sich bei einer Bank für ein Konto zu registrieren. Und über DeFi bekommt man auch Zugang zu ‚Bankprodukten‘, ohne durch das Kreditwürdigkeitsraster zu fallen oder viele Formulare ausfüllen zu müssen.

Für den Telco-Bereich sehe ich weitere spannende Use Cases, z.B. den Einsatz der Blockchain Technologie im Bereich Carrier-zu-Carrier-Abrechnung, also Wholesale generell, und International Roaming im Besonderen. Wholesale ist ein interessantes Anwendungsfeld, weil der Settlement Prozess relativ kompliziert ist, kleine Carrier z.T. lange warten und in Liquiditätsprobleme kommen können. Bei der Deutschen Telekom gibt es für die Abrechnung zwischen einzelnen NatCos meines Wissens nach auch entsprechende Pilotprojekte. Allerdings sind hier noch viele Fragen offen, und sich unternehmensübergreifend, also zwischen Carriern, auf eine Blockchain-Lösung und die entsprechende Governance zu einigen, ist herausfordernd – neben der Integration in die bestehende IT-Infrastruktur.

Ich habe mir vor einiger Zeit einmal 10-15 Use Cases im Telco-Bereich genauer angeschaut, bei denen die Blockchain sinnvoll eingesetzt werden kann, und zu einigen auch publiziert. Insgesamt entwickeln sich industrielle Anwendungen der Blockchain Technologie eher in kleinen Schritten weiter, verglichen mit den Entwicklungen im Finanzbereich. Es braucht deutlich mehr Geduld, um tangible Ergebnisse zu erzielen. Sich dem Thema Blockchain über VC-Investitionen und Partnerschaften zu nähern, statt alles selbst zu bauen, wie die Deutsche Telekom das bei den beiden genannten Beispiel – Helium und Celo – macht, ist sicherlich ein vernünftiger Weg. Aber darüber hinaus gibt es Möglichkeiten, selbst infrastrukturnahe Lösungen anzubieten, wie es u.a. die T-Systems bzw. die MMS mit ihren Staking Services tut.

Björn Froese: Celo erschließt mit der Integration der bislang Unbanked zusätzliche andere Märkte. Ist das ein Potenzial, das gesehen wird, wenn ich plötzlich Hunderte Millionen Menschen zusätzlich erreichen kann und sei erst einmal auch nur mit digitalen Produkten?

In der Diskussion ist Bank the Unbanked schon seit Jahren. Und das ist eine zentrale Value Proposition von Krypto und DeFi. Neben Bank the Unbanked zählen dazu auch die 24/7 Verfügbarkeit von finanziellen Dienstleistungen und die Möglichkeit, Finanzprodukte modular aufzubauen und damit schnell auszurollen.

Bank the Unbanked, finanzielle Inklusion oder allgemeiner die Erschließung von neuen Zielgruppen mit digitalen Finanzprodukten ist ohne Frage ein wichtiges Thema. Wie schon gesagt, liegt die Nutzung von Krypto Wallets und NFTs in jüngeren Generationen schon jetzt bei über 30%. Und gerade in weniger entwickelten Ländern, die entweder unter hoher Inflation leiden, einen restriktiven Zugang zum Bankensystem haben oder wo das Bankensystem weniger gut funktioniert, ist die Krypto-Nutzung nochmal überproportional stärker.

Welche Lösungen sich letztendlich durchsetzen, kann man schwer sagen. In diesem Feld sind auch Unternehmen aus anderen als dem Krypto-Bereich tätig. Wenn man z.B. mal zurückblickt und nach Afrika schaut, dort sind Mobile-Payment-Systeme ja schon vor mehr als einer Dekade von Telco-Betreibern eingeführt worden. Safaricom in Kenia mit M-Pesa war der Pionier. Was DeFi zurzeit anbietet, ist serviceseitig im Prinzip eine Evolution davon, allerdings auf einer öffentlichen und dezentralisierten Infrastruktur. All das zeigt, dass es echte Nachfrage gibt.

Hans-Werner Hatting: In Afrika gibt es tatsächlich Märkte, wo es Leap Frogging gab. Dort denken viele Menschen beim Thema Finanzen gar nicht mehr an Banken, sondern eben an ein Device, auf dem sie das alles abwickeln können.

Ja, das kann man gar nicht besser formulieren, ihre Bank ist ja oft schon das Mobile Phone.

Genau darum geht es bei der Evolution von Mobile Payment Services durch DeFi, die ich eben angesprochen habe. DeFi Generation 1 ist Payment, also Geld von Person zu Person oder zu Unternehmen zu senden – ohne Bankkonto, einfach vom Mobiltelefon. Die zweite Generation ist: Wie bekomme ich Zugang zu klassischen Finanzprodukten, wenn ich nicht bei einer Bank identifiziert bin? Wie kann ich Geld leihen und verleihen? Wie kann ich einfach auf Börsen handeln? Genau das und vieles mehr ist mit Krypto Wallets und DeFi Services möglich. Das Device in der Hand, mit einem Krypto Wallet, das ist meine neue Bank.

Außerdem haben Nutzer gegenüber dem klassischen Finanzsystem Kostenvorteile, da es weniger Intermediäre in dem Finanzprozess gibt, die Gebühren für ihre Dienstleistungen verlangen. Diese Intermediäre und Gebühren fallen im Web 3.0 zu großen Teilen weg. Deshalb ist DeFi gerade für weniger entwickelte Länder, in denen Kostenbewusstsein eine sehr große Rolle spielt, sehr attraktiv.

Björn Froese: Die VC-Investments waren in letzter Zeit rückläufig, manche haben in Bezug auf Krypto auch von einem Krypto Winter gesprochen. Hast du den Eindruck, dass man jetzt langsam wieder verstärkt investiert oder wie siehst Du die breite Stimmung?

Mit den rückläufigen VC-Investitionen hast Du Recht. Das betrifft nicht nur Krypto, sondern Fintech und VC-Investitionen allgemein. Die VC-Industrie hat im letzten Jahr stark gelitten, das muss man ganz klar sagen.

Das Problem der VC-Industrie ist makroökonomisch bedingt. Das Zinsregime der Zentralbanken hat sich so schnell geändert wie nie zuvor. Die Leitzinsen sind in den USA in 2 Jahren von 0,25 auf 5 Prozent gestiegen. Damit werden Kredite teuer, der Discounted Cash Flow von jungen Wachstumsunternehmen bzw. ihre Bewertungen sinken.

Krypto-Startup- und Projektfinanzierung bildet hier keine Ausnahme und kann sich dieser Entwicklung nicht entziehen.

Mit Blick in die Zukunft erwartet der Markt mittelfristig aber eine Abschwächung der Leitzinssätze, man sieht das an der inversen Zinskurve. Das dürfte etwas Erleichterung bringen. Jedoch ist nicht davon auszugehen, dass wir zur Nullzinspolitik des billigen Geldes in naher Zukunft zurückkehren.

In Bezug auf Krypto-Investitionen glaube ich, dass es weitere regionale Verschiebungen geben wird. Wir haben ja schon darüber gesprochen, dass Europa wegen der regulatorischen Rahmenbedingungen zunehmend interessant wird. In dem zwar insgesamt gesunkenen Pool von Investitionen hat der Anteil von Investitionen in Europa ja bereits erheblich zugenommen.

Wo kommt das Kapital her? Es sind im Wesentlichen US-Unternehmen unter den Top 20 VCs, die in Web 3.0 investieren. Meines Wissens nach ist kein europäisches Unternehmen dabei, vielleicht 2-3 asiatische VCs, ansonsten besteht eine weitgehende US-Dominanz. Ich glaube, das wird auch in naher Zukunft so bleiben.

Björn Froese und Hans-Werner Hatting: Vielen Dank für die vielen Insights aus der Web3-Welt!