Warum sind bestimmte Automobilhersteller in der Lage, einen Kleinwagen in wenigen Stunden zu montieren (Quelle: Wikipedia)? Und warum dauert hingegen allein die Patient*innenaufnahme im Krankenhaus oft genauso lange? Der Unterschied besteht darin, dass Prozesse bei Ersterem synchronisiert, standardisiert und (teil-)automatisiert ablaufen und bei Letzterem derzeit noch nicht. Dabei wäre es wichtig, gerade in einem so essentiellen Bereich wie dem Gesundheitswesen konsequentes Prozessmanagement zu etablieren – um Abläufe zu optimieren und damit die Patient Journey zu verbessern.
Das Prozessmanagement hat die Aufgabe Geschäftsprozesse zu kontrollieren, zu organisieren und zu managen. Ziel ist die Strukturierung und Anpassung der Geschäftsprozesse, sodass Arbeitsabläufe mit der Unternehmensausrichtung, den Bedürfnissen der Stakeholder sowie der Kunden synchronisiert werden (Quelle: Gaitanides, M.). Die Umsetzung von Prozessmanagement im Gesundheitswesen wird aktuell mit unterschiedlicher Konsequenz verfolgt, von „nicht existent“ bis hin zu „vollumfänglicher Bestandteil der Unternehmensstrategie“.
Die Gesundheitsbranche ist dahingehend in zwei Lager geteilt. Auf der einen Seite stehen Organisationen (Krankenhäuser, öffentlicher Gesundheitsdienst [ÖGD] ), deren Strukturen und Prozesse historisch gewachsen sind und die sich zuweilen als äußerst komplex darstellen. Auf der anderen Seite stehen profitable Unternehmen (Pharmaunternehmen, Krankenkassen), für die die Effizienzsteigerung und die Geschäftsprozessoptimierung eine inhärente Überlebensstrategie in einem hart umkämpften Markt darstellen.
Während Letztere schon lange verschiedene Formen und Ausprägungen des Prozessmanagements nutzen, ist gerade in den Bereichen des Krankenhauswesens und des ÖGDs keine flächendeckende Umsetzung von einem Prozessmanagement erkennbar. Im Bereich der Krankenhäuser gibt es immerhin schon einige Erfolgsgeschichten im Zusammenhang mit dem Prozessmanagement, die zur Steigerung der Patientenzufriedenheit, zur Verkürzung von Wartezeiten und zur Reduktion von Kosten geführt haben (Quellen: Signavio; Celonis).
Vorteile eines guten Prozessmanagements
Gerade im Gesundheitswesen, wo die korrekte Durchführung von Arbeitsabläufen über die Gesundheit oder sogar das Leben des Einzelnen (Krankenhaus) oder auch ganzer Bevölkerungsgruppen (Gesundheitsamt) entscheidet, wäre es wünschenswert, eine Prozesseffizienz wie in der Automobilindustrie erreichen zu wollen. Darauf zahlt gutes Prozessmanagement ein.
Grundsätzlich hat ein richtig ausgeführtes Prozessmanagement positive Effekte auf die wesentlichen für den Unternehmenserfolg relevanten Aspekte:
1. Zeit- und Kosten:
Durch die Optimierung von Prozessen und der Vermeidung von Redundanzen und Fehlern sowie ineffizienter Ressourcennutzung werden Durchlaufzeiten und Kosten reduziert.
2. Qualität:
Einheitliche Dokumentationen und klare Prozessbeschreibungen reduzieren Fehler im Prozessablauf. Dadurch werden z. B. Behandlungsfehler im Krankenhaus oder Bearbeitungsfehler im ÖGD vermieden. Durchgeführte Arbeiten entsprechen demnach definierten Qualitätsstandards. Durch die Messbarkeit und Standardisierung von Prozessen werden Verbesserungspotenziale, z.B. über Process Mining identifiziert und implementiert.
3. Umsatz:
Die abgestimmte Nutzung von Ressourcen (z. B. Betten oder medizinische Geräte) verringert Leerlaufzeiten und damit ungenutztes Kapital. Die optimierte Auslastung der zur Verfügung stehenden Ressourcen erlaubt einen maximierten „return on investment“ für jede technische, personelle oder materielle Ressource.
4. Strategie:
Abgestimmte Prozesse sollten durch Prozessmanagement mit der Unternehmensstrategie im Einklang stehen. Das hilft, strategieabweichende oder schädliche Arbeitsabläufe, Handlungen oder Entscheidungen zu vermeiden.
Das Prozessmanagement birgt darüber hinaus auch Potenziale, die einen positiven Einfluss auf Arbeitskultur, Arbeitssicherheit sowie Team-Building und Zukunftsfähigkeit haben:
1. Erhöhte Nachverfolgbarkeit:
Durch die Standardisierung, die damit verbundene Reproduzierbarkeit und die einheitliche (grafische) Dokumentation sind Prozesse ständig nachverfolgbar und durch verschiedene KPIs messbar.
2. Bessere Zusammenarbeit:
Eine klare Darstellung von Prozessen und Verantwortlichkeiten trägt dazu bei, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Abteilungen und Teams zu verbessern und somit die Effizienz und Produktivität zu steigern.
3. Compliance:
Das Prozessmanagement und die Standardisierung von Prozessen erlauben die durchgängige Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und interner Richtlinien. Die Einhaltung vorgegebener Prozesse reduziert verschiedene Risiken, da z. B. bestimmte Behandlungsabläufe, Hygienemaßnahmen, Dokumentationspflichten etc. strikter eingehalten werden.
4. Digitalisierung:
Die Standardisierung der Prozesse und Durchführung der Arbeitsabläufe zeigt unmittelbar Prozesse auf, die ein hohes Digitalisierungspotenzial aufweisen. Diese Prozesse können mit Hilfe geeigneter Technologien (teil-)automatisiert werden, wodurch sich wiederum weitere positive Effekte in Bezug auf Zeit, Kosten, Qualität, Nachverfolgbarkeit und Compliance ergeben.
Für eine bessere Patient*innenerfahrung
Neben dem direkten Einfluss auf die Organisation und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden zieht all dies eine immense Verbesserung der Patient*innenerfahrung nach sich. Das folgende Beispiel der Notaufnahme eines Krankenhauses in Deutschland soll dies verdeutlichen (Quelle: Celonis).
Die Arbeitsabläufe in einer Notaufnahme sind häufig durch ein heterogenes Patient*innenaufkommen bestimmt. Die Anmeldung der Patient*innen sowie der Triage-Ablauf wird nicht nach einem festgelegten Standardvorgehen durchgeführt, was zu fehlerhaften Arbeitsabläufen und Misskommunikation unter Mitarbeitenden führen kann – und in der Folge hohe Wartezeiten für Patient*innen. Zudem fehlen oft die adäquaten technische Tools, um Patient*innendaten richtig zu erfassen, was die Dokumentation und Nachverfolgbarkeit sowie Einstufung nach Kritikalität von Fällen kompliziert.
Ein konsequentes Prozessmanagement unter Betrachtung bisheriger Abläufe kann hier Abhilfe schaffen. So können durch die Dokumentation und Veranschaulichung von Prozessen Störfaktoren eliminiert und Optimierungspotenziale erschlossen werden. Durch Schulungen von Mitarbeitenden zur Triage und zur Patient*innenerfassung kann zudem die Arbeitsausführung standardisiert werden. Eine technische Optimierung durch geeignete Systeme erlaubt eine schnellere und effizientere Patient*innenaufnahme und die Einstufung der Kritikalität einzelner Fälle. Wartezeiten können so signifikant verringert und die Fehleranfälligkeit minimiert werden.
Im Sinne der Customer Centricity kann Prozessmanagement somit einen wichtigen Beitrag leisten, um die Patient*innenversorgung und Behandlungsqualität in der Gesundheitsbranche zu verbessern. Ein Bestreben, das nicht nur eine bessere Patient*innenerfahung nach sich zieht, sondern auch buchstäblich Leben rettet.
Vielen Dank an Co-Autor Mohammed Moussa!