Digitalisierung von Krankenhäusern – welcher Reifegrad ist gefordert?

Für erfolgreiche Digitalisierungsprojekte braucht es einen guten Überblick über die eigene digitale Maturität. Doch wie kann diese erfolgreich bestimmt werden? Ein Überblick über die Schwachstellen bei der Digitalisierung in Krankenhäusern und was bei der Reifegradmessung berücksichtigt werden sollte. 

Warum immer Digitalisierung?

Zu Beginn sollte die wichtigste Frage geklärt werden: Sind Maßnahmen in Richtung Digitalisierung für ein Krankenhaus erforderlich und wenn ja, welche?

Dies lässt sich an dieser Stelle nicht pauschal für ein spezifisches Krankenhaus beantworten. Doch ein Blick in die Vergleiche mit anderen Branchen zeigt, dass vor allem Krankenhäuser noch deutlich aufholen können. Zudem kann dabei viel Geld eingespart werden. Schätzungen gehen von 6,5 bis 10 % der Gesamtkosten aus.

Das klingt beim ersten Lesen vielversprechend. Allerdings gibt es einen Haken an der Sache. Die oben genannten Argumente zeigen nämlich noch lange nicht, welche digitalen Projekte sich für ein Krankenhaus eignen. Die Digitalisierung bestimmter Bereiche mag der einen Klinik große Vorteile verschaffen, kann bei einer anderen aber auch keinen oder nur einen sehr geringen Effekt haben. Dies zeigt sich darin, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Methoden und Angebote gibt, die digitale Maturität festzustellen.

Methoden für die Bestimmung der digitalen Reife im Krankenhaus

Eine der bekanntesten digitalen Maturitätsmessungen wird im DACH-Raum nur selten verwendet. Dabei handelt es sich um die Bestimmung des Digitalisierungsgrades über das amerikanische EMRAM (Electronic Medical Records Adoption Model von HIMSS Analytics). Diese Bewertungsskala hat bereits in mehreren tausend Kliniken weltweit Anwendung gefunden. Krankenhäuser werden anhand des Modells auf einer Skala von 0 bis 7 bewertet. Stufe Null (keine Labor-, Radiologie-, Apotheken-Datenausgabe online über externe Service Provider) ist die niedrigste Wertung und Stufe sieben (vollständig papierloses EMR-Umfeld) die Höchste.

Beispielsweise gibt es in Deutschland aktuell nur ein Krankenhaus mit der zweithöchsten Einstufung von 6 (Medius Klinik Nürtingen, Quelle: HIMSS). Allerdings wurden grundsätzlich nur sehr wenige Krankenhäuser anhand des EMRAM-Modells überprüft und bewertet. Die Bewertung nach der EMRAM-Logik ist umstritten, was auch im Aufbau des Scores begründet ist: es gibt feste Kriterien, welche für jede Stufe erfüllt sein müssen, wodurch stufenweise ein bestimmter EMRAM-Score zugewiesen wird. Ein Krankenhaus kann sehr gut digitalisiert sein, jedoch eine der Bedingungen von Stufe vier nicht erfüllen, wodurch es lediglich Stufe drei auf der Bewertungsskala erreicht. Die Aussagekraft des EMRAMs hat daher eine stark beschränkte Gültigkeit.

Typische Schwachstellen bei der Digitalisierung

Es gibt typische Bereiche, die in Krankenhäusern unzureichend digitalisiert sind und bei denen eine Digitalisierung zu einer deutlichen Effizienzsteigerung führt. Einige Beispiele aus unseren Erfahrungen:

Patientenaufnahme: 

  • Online oder mobile Terminbuchungen und das rechtzeitige Absagen von Terminen oder Terminverschiebungen und
  • Digitalisierung von Überweisungen und Wartezeiten erzeugen eine komplett andere Patienten Journey, die sich positiv auf das Krankenhaus auswirkt. Gleichzeitig steigt die Effizienz und Ressourcen können sinnvoller eingesetzt werden.

Papierbasierte Dokumentation: 

An einigen Stellen bietet eine papierbasierte Dokumentation Vorteile, häufig können mit einer digitalen Variante jedoch Prozesse optimiert und Kosten gesenkt werden.

Administration:

Ineffiziente Prozesse und nicht funktionierende Schnittstellen bei internen Überweisungen erhöhen den administrativen Aufwand enorm.

Kultur:

Häufig existieren im Gesundheitssystem strikte Hierarchien, gleichzeitig mangelt es an Feedbackmöglichkeiten sowie an einer fehlenden gemeinsamen Vision. Dies sorgt für Missstimmung in der Belegschaft. Die Kultur ist jedoch ein entscheidender Faktor für ein Krankenhaus in Zeiten des Fachkräftemangels und kann zudem bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten ein Risiko darstellen. 

Interoperabilität:

Die Vernetzung einzelner Systeme vor allem mit dem Krankenhausinformationssystem (KIS) sind oft mangelhaft. Es gibt viele Medienumbrüche und parallele Prozesse.

Netzwerke:

Neue Generationen von Netzwerken wie 5G, aber auch bestehende Technologien wie Bluetooth und WLAN werden meist nicht effizient genutzt und würden Prozesse vereinfachen (z. B. Tracking von Geräten oder Betten).

Datensicherheit: 

Diverse Data Breaches zeigen, dass Krankenhausdaten nicht ausreichend geschützt sind. Kommunikation über Medien wie Fax sind kritische Schwachstellen und können im Falle einer Cyberattacke sehr teuer werden.

Welche digitale Reifegradmessung hilft mir?

Eine digitale Reifegradmessung an dieser Stelle zu empfehlen wäre nicht richtig. Es gibt eine Vielzahl von Anbietern und jede Messung hat ihre Vor- und Nachteile. Aus den Erfahrungen unseres eigenen „Maturity Checks“ für Krankenhäuser können wir jedoch einige grundlegende Empfehlungen geben:

  • Jedes Krankenhaus ist in seinen Anforderungen einzigartig. Das bedeutet, dass eine gute Reifegradmessung nicht in einem zu engen Rahmen durchgeführt wird. Es müssen individuelle Anpassungen und Schwerpunkte ermöglicht werden.
  • Rein technische Digitalisierungsgrad-Messungen vergessen einen wichtigen Faktor – den Menschen -, und damit auch das wichtigste Kapital eines Krankenhauses – die eigenen Mitarbeiter*innen. Daher sollten bei einer Prüfung auch die Meinungen und Bedürfnisse des Personals, der Patienten und gegebenenfalls sogar der angeschlossenen MVZ oder niedergelassenen Ärzte eingebunden werden. Diese sind letztendlich von allen digitalen Projekten, Änderungen und Innovationen betroffen. Eine Sicht ausschließlich von der Geschäftsleitung und/oder IT aus ist für eine ehrliche Darstellung nicht ausreichend.
  • Eine gute digitale Reifegradmessung endet nicht mit einer Zahl, die aussagt, wie gut das Krankenhaus digitalisiert ist, sondern leitet aus den Ergebnissen konkrete Handlungsfelder und Schwachstellen ab. Diese können dann verwendet werden, um Projekte besser zu planen und nachhaltig zu implementieren. Unsere Erfahrung zeigt, dass Projekte viel besser von der Belegschaft angenommen werden, wenn diese ausreichend kommuniziert und vor allem Meinungen vorher abgefragt wurden. Eine digitale Reifegradmessung ist die erste, wichtige Kommunikation für erfolgreiche Projekte.

Haben Sie bereits Erfahrungen mit Reifegradmessungen im Krankenhaus? Hier finden Sie unseren Folgeartikel, in welchem wir die „Digitale Patient Journey“ thematisieren.