Digital Finance: Transformation des Betriebsmodells

Digital Finance, Finanztransformation, Finance 4.0 oder auch Agile Finance - all diese Begriffe werden derzeit verwendet, um die aktuellen Veränderungen im Finanz- und Controllingbereich zu beschreiben. Doch was bedeutet das konkret? Digital Finance ist mehr als nur die Einführung einer neuen Softwarelösung. Vielmehr geht es um das Zusammenspiel von Technologien und Tools mit Prozessen, Governance, Menschen, Organisation und Kultur. Auf den Punkt gebracht: Es geht um die Transformation des gesamten Betriebsmodells.

Der Schlüssel für eine erfolgreiche Transformation des Finanz-Bereichs liegt heute aus unserer Sicht in der Standardisierung, Zentralisierung und Automatisierung von Prozessen. Bereits vor zirka zehn Jahren haben H. Deistler und C. Knoche (siehe H. Deistler & C Knoche, 2010, „Organisation des CFO-Bereichs bei sich ändernden Rahmenbedinungen“, ZfCM Controlling & Management, Sonderheft 2) darauf hingewiesen, dass insbesondere das Reporting standardisiert und entsprechende Lösungen wie PowerBI oder Tableau eingeführt werden müssen.

CFO-Bereich: Neue Rollen, neue Ansprüche und Verantwortlichkeiten, neue Tools

Zu dieser Zeit stellten die Finanzbereiche die Datenerfassung, -verarbeitung und das Reporting in den Vordergrund. Um Ressourcen zu sparen, wurden zudem Shared Service Center in Nearshore-Ländern aufgebaut, um repetitive Aufgaben effizienter und vor allem kostengünstiger zu verarbeiten. Mittlerweile haben die Unternehmen jedoch begonnen, diese Nearshore-Kapazitäten wieder zu reduzieren und durch hochgradig kosteneffiziente Prozessautomatisierung und immer weitergehende Digitalisierung zu ersetzen (siehe ACCA, The Associations of Certified Accountants, 2015: The Robots are Coming? Implications for Finance Shared Service).

Die Digitalisierung hält Tools bereit, die es auch den Mitarbeiter*innen im Finanzbereich ermöglicht, sich stärker auf qualitative Aufgaben zu konzentrieren. Um die benötigten Daten zu identifizieren, extrahieren, umzuwandeln und auszuwerten, müssen diese jedoch die richtigen Fähigkeiten besitzen. Ein Beispiel hierfür ist die Analyse von Ursache-Wirkungsbeziehungen bei abweichenden Kennzahlen und die Ableitung entsprechender Maßnahmen zur Gegensteuerung. Darüber hinaus werden Expertenskills benötigt, um die Arbeitsabläufe identifizieren und beschreiben sowie die Automatisierung umsetzen zu können. Daher wird das Upskilling von Mitarbeiter*innen in der Finanzabteilung für ein fortschreitendes IT-Verständnis und -Wissen immer wichtiger, um mit State-of-the-Art-Systemen umgehen zu können und von externen Dienstleistern unabhängiger zu werden. Das Ziel ist es, innerhalb der Finanzorganisation die neuesten Technologietrends optimal zu nutzen.

Effizienzsteigerung durch Prozessautomatisierung

Unserer Erfahrung nach setzen die Unternehmen im deutschsprachigen Raum vorrangig die folgenden Maßnahmen zur Optimierung ihrer Finanzabteilungen um: Process Excellence, agile Arbeitsweisen, Intelligente Prozessautomatisierung und das damit einhergehende Training und Recruiting. Die größten umsetzbaren Potenziale liegen in der Prozessautomatisierung.

Vor allem die Einführung einer Intelligenten Prozessautomatisierung stellt für Unternehmen eine große Herausforderung dar, bietet aber auch das größte Potenzial, um das Betriebsmodell der nächsten Generation voranzutreiben. Aber wie sieht dieses Potenzial aus?

Intelligente Prozessautomatisierung ist ein Oberbegriff, der Prozessautomatisierung, Analytik und maschinelles Lernen vereint. Er umfasst die folgenden Kerntechnologien:

Robotic Process Automation (RPA): RPA ist ein Tool, mit dem Benutzer so genannte "Bots" konfigurieren können, um ausgewählte regelbasierte Aufgaben auf strukturierten Daten nachzuahmen oder zu emulieren. Dies beinhaltet die Manipulation von Daten, Weiterleitung von Daten an und von verschiedenen Anwendungen, Auslösung von Antworten oder Ausführung von Transaktionen, Durchführung von Berechnungen, Erstellung und Überprüfung von Geschäftsdokumenten, Berichten und Dateien.

Laut Gartner kann ein Bot bis zu 30-mal die Arbeit eines menschlichen Vollzeitbeschäftigten ersetzen und kostet in der Regel ein Drittel des Aufwandes eines Offshore-Mitarbeiters und ein Fünftel des Aufwandes eines Onshore-Mitarbeiters. Bots arbeiten unabhängig von Zeit und Ort und können manuelle Fehler in allen Bereichen der Finanzberichterstattung weitgehend eliminieren.

Typische Anwendungsfälle sind beispielsweise

  • Zuordnung von Kreditkartenpositionen zu Reisen in Reisekostenerstattungsprozessen
  • Überprüfung der offenen Bestellungen
  • Mail-to-Ticket-Prozesse in Shared Service Centern
  • Extraktion von Mail-Anhängen und deren Inhalte
  • Stammdatenaktualisierung/-integration und Prüfung von Duplikaten im Datenmanagement
  • Ausbuchung veralteter Waren-/Rechnungseingangspositionen
  • Verteilung eingehender Rechnungen
  • Überwachung der Rechnungsprüfung/-bearbeitung
  • Fehlender Wareneingang mit vorhandener Rechnung

Process Mining: Process Mining ist eine Technik, die objektive, faktenbasierte Einblicke bietet, die von tatsächlichen Daten abgeleitet sind und Unterstützung bei der Prüfung, Analyse und Verbesserung der bestehenden Geschäftsprozesse bieten. Process Mining hilft dabei, „Prozesse so zu verbessern, wie sie sind, und nicht so, wie Sie denken, dass sie sein könnten.“ (Zitat Celonis).

Advanced Analytics: Untersuchung von Daten mit Hilfe von Werkzeugen und Methoden wie Data Mining, Visualisierung, multivariater Statistik, neuronalen Netzen und vielen anderen, um Vorhersagen, Simulationen und Empfehlungen zu erstellen.

Machine Learning (ML): Teilbereich der künstlichen Intelligenz, der es Maschinen ermöglicht, Problemlösungsmodelle zu entwickeln.

Chatbots/Voice bots: Software, die mithilfe der Verarbeitung natürlicher Sprache gesprochene oder geschriebene Eingaben einer Absicht zuordnet. Chatbots können Aufgaben ausführen, kommunizieren, aus Datensätzen lernen und sogar Entscheidungen auf der Grundlage von Emotionserkennung treffen.

Blockchain: Digitaler Mechanismus zur Schaffung einer großen Datenbank, über die zwei oder mehr Teilnehmer eines Peer-to-Peer-Netzes Informationen und Vermögenswerte direkt austauschen können, ohne dass ein vertrauenswürdiger Vermittler, zum Beispiel ein Anwalt, eine Bank, eine Versicherung, erforderlich ist.

Ganzheitlicher Rahmen für die digitale Transformation des CFO-Bereichs

Damit die Transformation gelingt, schlagen wir einen ganzheitlichen Rahmen vor, der die verschiedenen Dimensionen des Betriebsmodells zeigt. Es ist notwendig, integrierte Projekte für alle Dimensionen einzurichten und Silo-Initiativen zu vermeiden.

Darüber hinaus müssen die sich verändernden funktionalen Aufgaben und Verantwortlichkeiten des CFO und der Finanzorganisation berücksichtigt werden. Der CFO spielt bei der Umsetzung der digitalen Transformation eine entscheidende Rolle, da er die Initiativen und Maßnahmen bewertet und die Ressourcen dafür bereitstellt. Er ist heute deutlich stärker datengetrieben in seinem Geschäftsbereich.  

Drei Beispiele zeigen, welche Schritte hierfür notwendig sein können:

  • Einrichtung eines Data Lake und Integration von Nicht-Finanzdaten für eine einheitliche Single-Source-of-Truth über alle Finanzprozesse. Dies bringt Daten in standardisierte Tools und erleichtert Datenerfassung sowie Transparenz.
  • Mit Self-Service-Tools wie SAP Analytics Cloud (SAC) oder PowerBI lassen sich Ad-hoc-Berichte erstellen, und mit Drilldowns können individuelle Analysen für verschiedene Bereiche erstellt werden. Dies ist ebenso wie der Data Lake eine Maßnahme, um Excel und PowerPoint als Reporting-Tools überflüssig zu machen.
  • Rolling Forecast und Planning mit KI/ML-Ansätzen erhöhen den Automatisierungsgrad im Planungsprozess. Ein möglicher Ansatz basiert auf einer Kombination von treiberbasierten und zeitreihenbasierten Modellen zur Erstellung von Prognosen der steuerungsrelevanten Umsatz- und Kostengrößen. Hierfür werden Financials und Non-Financials aus dem Data Lake kombiniert und analysiert. Anschließend kann der Forecast von Experten verifiziert und bewertet über Reporting-Dashboards visualisiert werden. Damit stehen jederzeit Echtzeitdaten zur Verfügung. Außerdem macht dies die Erstellung von Prognosen mit geringem Aufwand möglich, ebenso wie die schnelle Reaktionen auf Veränderungen im Geschäftsumfeld.

In einem Experteninterview des Haufe Verlags (2022) mit Professor Ulrich Egle und Professor Markus Gisler von der Hochschule Luzern stellten beide in ihrem Fazit fest, dass die Finanzorganisation der Zukunft digital und agil sein wird. Doch nur, wenn ein hohes Level an Expertise zu den Rahmenbedingungen und Instrumenten der Digitalisierung erreicht wird, wird es dem CFO-Bereich möglich sein, auf Augenhöhe mit den Fachbereichen zu diskutieren. Im Vordergrund steht die Stärkung der Rolle des CFOs als wertstiftender Business Partner, die bestmögliche Bewertung zukunftsreicher Business Cases und der effektive Einsatz neuer Tools.