Die fortschreitende Digitalisierung in Deutschland macht auch vor der Wasserwirtschaft keinen Halt. Analog zur Entwicklung in der Industrie spricht man hierbei von der Wasserwirtschaft 4.0. Von der Automatisierung der Geschäftsprozesse über digitale Produkte bis hin zur Vernetzung ganzer Anlagen betrifft die Digitalisierung alle Wertschöpfungsstufen. Mit ihr können einerseits wertvolle Ressourcen, wie Energie- und Wasserverluste reduziert und andererseits die Ver- und Entsorgungssicherheit erhöht werden. Erste Leuchtturmprojekte zur Digitalisierung der Wasserwirtschaft, wie beispielsweise der flächendeckende Einsatz von IoT-fähiger Hardware, wurden bereits umgesetzt. Neue Studien zeigen jedoch auch auf, dass in vielen Bereichen der Branche noch Verbesserungspotenziale bestehen, die für eine vollständige Transformation hin zu einer Wasserwirtschaft 4.0 realisiert werden können.
Anwendungsfälle für Digitalisierungsmaßnahmen in der Wasserwirtschaft
Die Wasserwirtschaft hat bereits ein breites Spektrum an Leuchtturmprojekten im Bereich Digitalisierung umgesetzt, die als Best Practices für die Branche genutzt werden können. Zudem lassen sich neben branchenabhängigen Lösungsansätzen auch Use Cases aus der Energiewirtschaft übertragen. Analog zur Energiewirtschaft gibt es in der Wasserwirtschaft bereits mehrere Pilotprojekte, in denen die verbundenen Grundwasserzähler die Daten per Funk an die Applikation im Rechenzentrum oder gar in der Cloud überträgt, die somit die manuelle Messungen überflüssig machen. Der messbare Nutzen liegt sowohl in der Prozesskostenreduzierung als auch in der nachweislichen Verbesserung der Datenqualität aufgrund zeitgleich vorliegender Messresultate mit höherer Genauigkeit und früherer Verfügbarkeit. Mithilfe einer passenden Mobilfunkanbindung und entsprechender Hardware lässt sich dieses Konzept auch auf andere Versorger und Gebiete übertragen.Neben dem Einsatz von Hardware zur Förderung der Digitalisierung besteht zudem die Möglichkeit, Applikationsplattformen zur Unterstützung der betrieblichen Funktionen und mögliche Neuausrichtung der Prozesse einzusetzen, wie zum Beispiel für das Workforce Management. Ein relevanter Use Case für solch eine Plattform stellt die Abwicklung von Bürgeranfragen in der Gewässerunterhaltung dar. Hierbei werden Informationen und Aufträge für die Bearbeitung dieser Anfragen übermittelt. Meist noch telefonische oder schriftliche Anfragen von Bürgern werden von Mitarbeitern mit allen für den Einsatz relevanten Daten und Informationen erfasst, über eine Grob- und Feindisposition als Serviceauftrag terminiert und dem zuständigen technischen Mitarbeiter zugewiesen. Diese den Serviceauftrag umfassenden Informationen sind per App jederzeit abrufbar und können die notwendigen Tätigkeiten optimal unterstützen. Zudem kann über die Plattform auch die Disposition der notwendigen Materialien im „Hintergrund“ erfolgen und bereitgestellt werden. In der Regel werden auch Navigationsfunktionen angeboten, die noch zur Fahrtzeitoptimierung beitragen können. Sind die Tätigkeiten abgeschlossen, kann der Auftrag mit allen relevanten Informationen sowie notwendigem Bildmaterial/Fotos beendet und die Daten an die Plattform übertragen werden. Für solche Anwendungen ist es jedoch von zentraler Bedeutung, die eigenen Mitarbeiter*innen für den Umgang mit den neuen digitalen Werkzeugen zu schulen. Selbstverständlich sind solche Plattformen auch für andere Anwendungsfälle, wie beispielsweise der (inter-)nationalen Datenbereitstellung von wasserwirtschaftlichen Messdaten denkbar, solange einheitliche Datenformate und ‑schnittstellen etabliert werden.
Marcus FelsmannDie Wasserwirtschaft hat bereits ein breites Spektrum an Digitalisierungsprojekten umgesetzt, die als Best Practices genutzt werden können.
Zusätzlich zu der Optimierung von internen Abläufen und Prozessen schafft die Digitalisierung die Möglichkeit, eine Produktdiversifikation und Erweiterung des Dienstleistungsangebots aufzubauen. Einerseits können digitale Produkte im B2C-Bereich, wie digitale Wasserzähler, die neben dem Wasserverbrauch zusätzlich durch intelligente Sensorik vor Rohrbrüchen warnen und diese automatisch verhindern, eingesetzt werden. Andererseits ermöglichen Dienstleistungen beispielsweise die Bereitstellung einer echtzeitfähigen Verbrauchs- und Rechnungsübersicht über das (Ab‑)Wasservolumen des Kunden auf einer dafür eingerichteten Website/Smartphone-App.
Es zeigt sich, dass die Digitalisierung ein breites Feld an Anwendungsmöglichkeiten in der Wasserwirtschaft bietet, deren Umsetzung die Versorgungsunternehmen jedoch vor eine Reihe von Herausforderungen stellt und einer klaren strategischen Linie bedarf.
Herausforderungen auf dem Weg zur Wasserwirtschaft 4.0
Der Anfang 2021 von der Hochschule Ruhr West veröffentlichte „1. HRW-Digitalisierungsindex für die Wasserwirtschaft (2021)“ hat als einer der ersten Studien den Fortschritt der Digitalisierung mit Fokus auf die Wasserwirtschaft beleuchtet. Ziel war es, einen gesamtheitlichen Überblick über die aktuelle Digitalisierungssituation in allen Wertschöpfungsstufen der Wasserwirtschaft zu erlangen. [HRW, 2021] Als Ergebnis der Studie lässt sich festhalten, dass die Wasserwirtschaft zwar bereits einen beachtlichen Teil ihrer Möglichkeiten ausgeschöpft hat, jedoch in vielen Bereichen noch Verbesserungspotenziale bestehen.
Aus Sicht von Detecon bestehen diese in folgenden Bereichen:
- Fehlende oder unvollständige Digitalisierungsstrategien bei kleinen, mittelständischen und teilweise großen Versorgern, die hauptsächlich Wasserver- und Abwasserentsorgung anbieten
- Veraltete oder unzureichende Risikoanalysen in der IT-und OT-Sicherheit mit anschließender konsistenter Weiterentwicklung der IT-und OT-Systeme
- Zu geringe Daten- und Informationsqualität der von verbauter Sensorik generierten Daten für eine datenbasierte Entscheidungsfindung, lückenhafte Datenübertragung
- Ausbaufähiges Angebot im Bereich digitaler Produkte und Dienstleistungen
- Ausbaufähige Mitarbeiterqualifizierung hinsichtlich aktueller und zukünftig notwendiger Anforderungen an die Digitalisierung mit der Wasserwirtschaft 4.0
Die Digitalisierung in den Unternehmen wird jedoch durch politische Rahmenbedingungen begrenzt. Die kürzlich vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (kurz bdew) veröffentlichte „Wasserstrategie“ zeigt die aktuellen Problemstellungen in der Wasserwirtschaft und adressiert zukünftige Forderungen gegenüber der Politik, um diesen zu begegnen. Neben Problemen, wie beispielsweise den aufkommenden Klimaveränderungen, der Nichteinhaltung der EU-Nitratrichtlinie und der Umsetzung des Vorsorge- und Verursacherprinzips werden auch die unzureichenden Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich der Digitalisierung kritisiert. Konkret wird für die weitere Digitalisierung eine Anpassung des rechtlichen und finanziellen Rahmens beim Einsatz von Funkmesszählern, sowie gleiche Datenbereitstellungspflichten und Datensicherheit für private und öffentliche Unternehmen gefordert. [bdew, 2021]
Letztendlich bedarf es perspektivisch weiterer Schritte in Richtung Digitalisierung von Politik und Versorgungswirtschaft. Neben notwendigen politischen Rahmenbedingungen sollten die Versorger die Planung und Umsetzung von Transformationsmaßnahmen zur weiteren Digitalisierung fördern. Zeitgleich darf diese jedoch nicht dem Selbstzweck dienen. Es soll also nicht einfach alles digitalisiert werden, weil es dem aktuellen Zeitgeist entspricht, sondern nur bei sinnvollen Anwendungsfällen mit entsprechendem langfristigem Nutzen. Dies wird nur dann möglich sein, wenn alle relevanten Teilbereiche eines Unternehmens in gleichem Maße digitalisieren und sich den kommenden Herausforderungen der Wasserwirtschaft 4.0 stellen.