Rebuilding HR: Wird HR überhaupt noch benötigt?

Der CHRO wird dem CDO den Rang ablaufen!“ Das haben wir bereits 2016 beschrieben, und beobachten seitdem, wie der HR-Funktion mehr und mehr eine entscheidende Rolle in Unternehmen zukommt – vorausgesetzt, sie ist richtig aufgestellt. In diesem Beitrag gehen wir der Frage nach, welche Rolle HR bzw. People Management im Kontext von Company ReBuilding haben kann. Wie trägt HR dazu bei, dass sich grade auch große Unternehmen gegen die zahlreichen Startups und ‚digitalen Angreifer‘ erfolgreich aufstellen und die häufig überlebenswichtigen radikalen Innovationen umsetzen?

Wird HR überhaupt noch benötigt oder eher zukünftig durch intelligente Plattformen wie z.B. Upwork, Tara oder iCombine ersetzt? Verbleibende Aufgaben könnten auf Führungskräfte verlagert werden - sofern wir überhaupt noch klassische Führungskräfte haben. Unsere Antwort ist ein klares: JEIN. Wie sieht sie also aus, die Rolle von HR in der digitalisierten Welt? Was ist unter ReBuilding HR zu verstehen?

1. Talent Management steht im Zentrum

Wir leben in einer Zeit, in der ein technologischer Durchbruch den nächsten jagt. Aber Technologie macht längst nicht mehr den Unterschied. Denn sie ist nahezu frei verfügbar, IT-Infrastruktur wird dank Moore‘s Law immer preiswerter. Der Differenzierungsfaktor im digitalen Zeitalter ist der Mensch! Und zwar der Mensch, der über die richtigen Fähigkeiten und das richtige Mindset verfügt - Kreativität, emotionale Intelligenz, weit reichendes Technologieverständnis - und der dabei nicht nur in Luftschlössern denkt, sondern auch  Umsetzungsstärke beweist. Diese Talente zu identifizieren, zu rekrutieren und im Unternehmen zu entwickeln und zu halten, das wird zukünftig die Aufgabe aller Mitarbeiter sein - und definitiv auch im Zentrum einer People Management Rolle stehen. Und ist letztlich auch das Prio-1-Thema eines jeden CEO. Aber dies nur am Rande…

2. Auswahl des High-Performing Team

In unserem Company ReBuilding Ansatz beschreiben wir, dass die Geburtsstunde einer neuen Einheit (Zelle) im Unternehmen in der Auswahl eines High-Performing Teams besteht. Entscheidend dabei: klassische Assessment Methoden von Personaldienstleistern springen meist viel zu kurz, ja führen sogar zur Auswahl der völlig falschen Personen. Hier spielen Themen wie Diversität, eine stärken- und potenzialbasierte Auswahl ebenso wie aktuelle Fähigkeiten eine entscheidende Rolle. Die Auswahl dieses Teams ist entscheidend, bildet die DNA der neuen Zelle und verantwortet die Entwicklung des neuen Geschäftsmodells. Wie die Autoren von „Good to Great“ so schön beschreiben, ist der erfolgskritische Schritt für Unternehmen (und deren Transformation): Get the right people on the bus! Dieser Auswahlprozess kann u.a. durch die Formulierung von Challenges (vgl. z.B. Denkwerkzeuge für Höchstleister, G. Wohland) angestoßen werden, welche eine optimale Vorauswahl von Talenten für das High Performing Team bietet. Die optimale Begleitung dieses Prozesses ist eine ganz wesentliche Aufgabe der Personalmanagement-Funktion im Company ReBuilding Kontext.

3. People Management wird zu Plattform- und Netzwerkmanagement

Wer von Ihnen kennt die Plattform Upwork oder die Softwarelösung Tara. Beides sind Beispiele für Lösungen, wie zukünftig die Workforce im Kontext von Company ReBuilding gesteuert und optimal allokiert werden kann. Upwork ist die größte Freelancer-Datenbank der Welt und bietet nicht nur die Möglichkeit, sich die für die jeweilige Tätigkeit optimale Einzelperson anhand von Kundenurteilen, Zertifizierungen etc. auszuwählen, sondern auch auf Grundlage von sozialen Informationen Teams zusammenzustellen, die nicht nur verfügbar sind, sondern auch optimal auf die jeweilige Fragestellung passen. Tara ist in der Lage, IT Projektmanagement – zumindest für Backend-Lösungen – nahezu vollständig zu automatisieren. Oder denken Sie mal an das unglaubliche Potenzial von LinkedIn, wo Mitarbeiter freiwillig ihre Daten aktualisieren und Skills mehr oder weniger automatisch erfasst und von der Crowd bewertet werden.

Lösungen wie diese werden zukünftig immer stärker Einzug in Unternehmen erhalten (in Deutschland aufgrund der Regularienlandschaft mit einem entsprechenden Zeitversatz gegenüber z.B. den USA und Asien – was mal wieder für einen entsprechenden Rückstand sorgen wird … doch das auszuführen würde diesen Beitrag sprengen). Ein durch Company Rebuilding gebildetes Ökosystem besteht per Definition aus vielen kleinen, agilen Einheiten und die Wertschöpfung teilt sich nicht nur auf organisch gewachsene Zellstrukturen, sondern auch auf die Co-Kreation mit Kunden und Partnern auf. Dabei sind die entsprechenden Fähigkeiten aller Wertschöpfungsteilnehmer optimal über Plattformen und Technologien wie den oben beschriebenen zu orchestrieren – eine Fähigkeit, die für alle Mitarbeiter (sowohl in der Zellorganisation, als auch im ursprünglichen Konzern) relevant wird. Diese Fähigkeit zu vermitteln und zudem die entsprechende technologische Landschaft gemeinsam mit der IT aufzusetzen, wird eine Kernaufgabe von HR der Zukunft sein. Dass sich über diese Plattformen auch die Beurteilung von Performance völlig neu gestalten wird, dürfte ebenfalls klar sein. Hoffen wir, dass ein entsprechend regulatorischer Rahmen geschaffen wird, der uns diese Möglichkeiten auch in Europa eröffnet.

4. In der Zelle: People Management (größtenteils) als Rolle zusätzlich zu bestehenden Rollen

Zoomen wir einmal in die Zellorganisation hinein: Wir sprechen in unserem Company ReBuilding Ansatz provokativ von Zero Overhead und der Abbildung noch verbleibender (d.h. nicht durch Technologie übernommenen) funktionaler (= nicht wertschöpfender) Aufgaben in Form von Rollen sprechen. Dies ist bis auf wenige Ausnahmen (wie z.B. übergreifende Compliance, Infrastruktur oder Rechtsfragen) auch der Fall. Wenn nahezu alle operativen HR-Aufgaben von digitalen Tools übernommen werden, dann werden die noch verbleibenden Themen in Form von Rollen an Mitarbeiter der jeweiligen Zelleinheiten übertragen, deren Stärkenprofil (z.B. Gallup Strength Finder kann hier eine Indikation sein) eine entsprechende Übernahme empfiehlt. So haben wir z.B. auch in unserer Company ReBuilding Practice innerhalb der Detecon spezifische Rollen zu z.B. Recruiting, Skill-Development, Mindfulness etc. an Mitarbeiter*innen übertragen, die diese Rollen neben ihrer Berater-Tätigkeit übernehmen. Alle Rollen werden mit entsprechenden Freiheitsgraden ausgestattet und können bei Bedarf rotieren. Auch haben wir übergreifend in Form einer agilen Logik eine Product Ownerin für den Gesamtkomplex Employee Experience definiert, welche den Mitarbeiterwert klar im Fokus hat. Diese Kollegin ist allerdings parallel Projektleiterin in diversen Kundenprojekten und füllt die Employee Experience Funktion in einer Rolle aus. Dies kann aus unserer Sicht im Einzelfall durchaus sinnvoll sein, wenn dadurch Skalierungs- und Synergieeffekte gehoben werden können und diese Aufgaben einen spezifischen und messbaren Beitrag in Richtung Kunde oder Mitarbeiter besitzen. Allerdings sollte der Startpunkt immer sein: kein Aufbau von Funktionen, die keine direkte (End-)kundenschnittstelle besitzen. 

5. Rotation – in der Zelle und darüber hinaus (zum Partner, Kunden, andere Zelle…)

Gerade bei chinesischen Top-Unternehmen ist das Prinzip der Job Rotation vielfach bis auf Top-Management Ebene verankert und bietet eine hohe Lernkurve, das Aufbrechen von Silos sowie die Einnahme neuer Perspektiven (einer Grundvoraussetzung für Innovationen). In einem durch Company ReBuilding geschaffenen Ökosystem spielt die Rotation von Wertschöpfungsteilnehmern eine noch größere Rolle – letztlich durch eine Vielzahl kleiner Einheiten (wir erinnern uns: maximal 150 Personen … die Dunbar Number lässt grüßen. Das Rotationsprinzip geht allerdings noch weiter, nämlich über die Unternehmens- und Zellgrenzen hinaus in Richtung Job-Visiting bei Wertschöpfungspartnern oder dem temporären Shadowing des Wertschöpfungsprozesses durch Kunden. Diesen durchaus komplexen Prozess optimal zu begleiten – ebenfalls die Aufgabe einer People-Management-Rolle. Ganz zu schweigen von der Orchestrierung des Alumni Netzwerks, was zukünftig nicht nur ein Thema für Unternehmensberatungen sein wird. Nicht umsonst sprechen wir ja auch von Netzwerkökonomie.

6. Der Chief Employee Experience Ansatz oder die New Work-Rolle: Die Macht der 5-P…

New Work und die Etablierung des Employee Experience Ansatzes sind aus unserer Sicht ganz entscheidend, wenn es um die Gestaltung von People Management der Zukunft geht. Da wir schon viel über das Thema New Work geschrieben haben und unsere Umsetzungserfahrungen im Buch New Work – auf dem Weg zur neuen Arbeitswelt gut zusammengefasst sind, möchten wir auf das Thema hier nur kurz eingehen. Dass New Work einen wesentlichen Erfolgsfaktor im digitalen Zeitalter darstellt und für viele Talente DAS No.1 Einstiegskriterium darstellt, dürfte inzwischen allseits bekannt sein. Auch der Ansatz des Chief Employee Experience Officers sollte, spätestens seit Airbnb mit Mark Levy einen CEEO eingeführt und dazu umfassend berichtet, hinreichend bekannt sein. Bei diesem Ansatz werden letztlich alle internen Aufgaben, die zur Employee Experience und zum Employee Value beitragen, so gebündelt, dass sich ähnlich wie bei der Customer Journey entlang von Employee Journeys optimale Mitarbeitererlebnisse ergeben. Dabei gelten letztlich genau die gleichen Kriterien wie beim Design von Endkundenprodukten: Einfachheit, One-Click-Prinzip, Coolness etc. Strukturieren lässt sich die Rolle des CEEO entlang der in unserem New Work Ansatz beschriebenen Dimensionen People & Culture, Places & Communities, Plattform & Technology, Principles & Regulations, was letztlich zu Passion & Success führt.

Fazit: HR ist tot – es lebe HR bzw. People Management

Bei keiner Funktion gibt es so zahlreiche Diskussionen rund um das eigene Selbstverständnis wie bei HR. Von massiven Selbstzweifeln, kollektiver Depression über die scheinbare Bedeutungslosigkeit bis hin zu teilweise übertheorisierten Modelldiskussionen. Umso mehr freuen wir uns, dass gerade in den letzten Jahren das Selbstbewusstsein gestiegen ist und man an immer mehr Stellen sieht, wie HR erfolgreich beginnt, die digitale Transformation voranzutreiben.

Dabei kann HR bzw. Peoplemanagement gerade im Zeitalter von Company ReBuilding und beim Aufbau von agilen Netzwerkstrukturen eine ganz entscheidende Rolle einnehmen. Es mag simpel klingen, aber vereinfacht gesagt bedarf es auch hier eines ‚ReBuilding‘, nämlich eines HR-ReBuilding, bei dem Talente und Employee Experience im Fokus stehen und bei dem die handelnden Personen nicht anstarren und hierarchischen Linienrollen festklammert, sondern einen rollenbasierten Ansatz ebenso zulassen wie einen radikalen Skillshift in den eigenen Reihen. Denn dann gilt der von uns bereits 2016 formulierte Satz - wenn auch in leicht abgewandelter Form: „People Management will rise again“.

 

Vielen Dank für die Mitarbeit an diesem Artikel an Verena Vinke.