Ein erfolgreiches digitales Ökosystem: Was ist die Geschichte dahinter?

Welche ist die innovativste Region der Welt? Für die Beantwortung dieser Frage würden die allermeisten Menschen intuitiv einen Blick auf die Vereinigten Staaten werfen. Doch eine genauere Betrachtung offenbart ein weiteres beeindruckendes Zentrum des Unternehmertums: Israel! Mit über 6.000 Startups gilt das Land als Weltrekordhalter im Verhältnis zu seiner Einwohnerzahl. Tel Aviv wird oft als das zweite Silicon Valley bezeichnet. Hunderte von Weltkonzernen zieht es mit Büros und Forschungseinrichtungen in das Land, um von dem Geist und der Kultur des Unternehmertums zu profitieren. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass ein großes Ökosystem des Unternehmertums wächst. Jan Pfeifer und Stephan Glasmacher von Detecon haben mit der Gründerin Chedva Kleinhandler gesprochen, die auch in den USA sehr erfolgreich ist. Sie hat uns ihr persönliches Verständnis über das israelische Ökosystem des Unternehmertums erläutert.

Das erste Netzwerk

Wenn es um das besondere israelische Ökosystem geht, kommt man nicht umhin, einen Blick auf die Verteidigungsstreitkräfte zu werfen. Sie gelten gemeinhin als einer der Hauptgründe für den Startup-Boom und das wachsende Ökosystem im Land. Und das hat mehrere Gründe. Mehr als 150.000 aktive Soldaten und 450.000 Reservisten gehören dem israelischen Militär an. Nach der Schule werden die jungen Erwachsenen, egal ob Männer oder Frauen, zum Militär eingezogen. Drei Jahre lang dienen die jungen Erwachsenen in der israelischen Armee.

Zuallererst muss erwähnt werden, dass der Militärdienst in vielen Fällen mehr ist als nur ein Dienst an der Waffe. "Im Militär gibt es intelligente Einheiten mit fortschrittlichen Technologien", erklärt Chedva Kleinhandler. Dadurch haben sie Zugang zu Technologien, die den meisten Menschen verwehrt sind. "Nach ihrem Dienst fragen sie sich: Was können wir mit solchen Technologien noch anfangen?", sagt Kleinhandler. Es ist kein Zufall, dass viele Tech-Startups von Leuten aus solchen Einheiten gegründet werden - wie auch von Leuten aus dem Militär generell. "Leute aus der Armee werden zu deinen Brüdern", sagt sie. Dadurch entsteht ein sehr starkes Netzwerk.

Außerdem sammeln die Soldaten schon früh Lebenserfahrung, von der sie später im Leben profitieren können. Während in anderen Ländern, wie hier in Deutschland, die Mehrheit der Absolventen nach dem Abitur an die Universität geht, geht die israelische Jugend einen ganz anderen Weg. Während ihres Militärdienstes sammeln sie Erfahrungen als Teamplayer und Führungspersönlichkeiten und lernen, kreativ zu sein, indem sie in Extremsituationen Lösungen finden. Wenn die jungen Erwachsenen nach drei Jahren ihren Militärdienst beenden und an die Universität gehen, haben sie in dieser Hinsicht einen Vorsprung. Und, vor allem, ein unglaublich großes und starkes Netzwerk.

Die israelische Marktstruktur

Natürlich kann das Militär nicht der einzige Grund sein, um das Ökosystem zu erklären. Also wollen wir einen Blick auf die bestehenden Ökosysteme in Israel werfen und kommen zu dem scheinbar seltsamen Schluss: Was ein wachsendes Ökosystem von Startups und Unternehmern begünstigt, ist ein fehlendes Ökosystem von Großunternehmen.

In Israel gibt es, anders als in Deutschland, kaum große Märkte mit etablierten Konzernen, die den Menschen eine Vielzahl von Arbeitsplätzen bieten. Kurzum: Es gibt keine Komfortzone, wie wir sie aus anderen Ländern kennen. Israelis haben weniger Möglichkeiten, von der Schule oder Universität in ein großes Unternehmen zu wechseln und es sich dort über Jahre bequem zu machen. Das kann auch eine Herausforderung für Gründer sein, die anschließend in ausländische Märkte gehen, erklärt Kleinhandler: "Es ist einfacher, die eigenen Märkte zu bedienen. In Israel muss man aus seiner Komfortzone herausgehen und verstehen, wie fremde Märkte funktionieren und wo man hin will. Das ist einerseits eine Herausforderung, andererseits aber auch eine Chance, denn man muss sich mit den Eigenheiten der verschiedenen Märkte auseinandersetzen." Dieses Gespür für Märkte jenseits der eigenen Komfortzone kann den Gründern helfen, unterschiedliche Märkte zu verstehen und damit Lücken zu schließen.

Außerdem forciert diese israelische Marktstruktur die staatliche Förderung, die den Startups weitere Unterstützung bietet. "Wenn Ihre Technologie gut genug ist, können Sie bis zu 75 % der Finanzierung von der Regierung erhalten", sagt Kleinhandler. "Sie wollen Startups ermutigen, die mehr Arbeitsplätze in Israel schaffen und es wettbewerbsfähig machen können." "Sie" ist die Israel Innovation Authority, eine Organisation innerhalb des Wirtschaftsministeriums. In Israel hat die Regierung die Bedeutung von Startups und Innovation in unserer sich schnell verändernden Umwelt erkannt. Was machen andere Regierungen, vor allem in Europa oder Deutschland? Es scheint, dass ein zentralisiertes System wie in Israel hier nicht durchsetzbar ist.

Vertrautheit der Gründung

All dies begünstigt ein großes Ökosystem des Unternehmertums, das zum Erfolg führt. Die immens hohe Dichte an Startups im Land scheint uns dabei ein selbstbeschleunigender Prozess zu sein. "In Israel kennt jeder einen Cousin, einen Freund, einen Klassenkameraden, der ein Startup hat - das ist sehr vertraut", erklärt Kleinhandler. In anderen Gesellschaften gibt es eine solche Infrastruktur nicht in diesem Ausmaß, weshalb sich der Schritt dort oft als größere Herausforderung erweist. Selbst wenn es gute Ideen gibt, gibt es zu viele Bedenken über die genaue Umsetzung, welche Regeln bei der Gründung beachtet werden müssen und was im Falle eines Scheiterns passiert - einfach weil es nicht vertraut ist. In Israel ist das anders, erklärt Kleinhandler: "Gründungen sind nicht seltsam. Wenn du eine Idee hast, wenn du ein Startup gründen willst, will dir jeder zu allem einen Rat geben." Stellen Sie sich vor, Ihnen würde etwas Ähnliches in Westeuropa passieren....

Wie auch immer - der europäische Weg für ein digitales Ökosystem muss seinen eigenen Weg finden und auch die üblichen Akteure mit einbeziehen. Wir vertrauen auf die (langsam) entstehenden Startup-Zentren, wie Berlin oder Köln.

Wir bedanken uns bei Chedva Kleinhandler für die interessanten Einblicke in das israelische Startup-Ökosystem!