DigitalLife@Daimler

Seit 2011 steht das Programm DigitalLife bei Daimler für grenzen- und bedingungslose Innovation. Hier laufen alle Aktivitäten rund um das Thema Digitalisierung zusammen, der digitale Wandel soll geschäftsfeldübergreifend vorangebracht werden. Zahlreiche Innovations-Initiativen und ein umfassendes Fortbildungsprogramm werden hier derzeit gebündelt. Dass dabei auch schon mal Umwege gegangen und Rückschläge weggesteckt werden müssen, berichtet Programmleiter Markus Hägele im Interview mit Detecon-Partner Marc Wagner.

Marc Wagner: Digitalisierung ist weltweit das Thema der Stunde. Auch in der Vergangenheit gab es Phasen der Automatisierung und der Transformation. Was ist aus deiner Sicht heute anders als früher?

Markus Hägele: Die digitale Transformation tangiert alle Bereiche und Wertschöpfungsstufen eines Unternehmens, also nicht nur die Kundenschnittstelle, sondern auch Mitarbeiter, Prozesse und Systeme. In allen Unternehmen, über alle Branchen hinweg, bei sämtlichen Geschäftsmodellen. Die disruptive Kraft ist größer als bei allen Innovationswellen, die wir zuvor erlebt haben. Das Smartphone und der Zugang zu Informationen haben unsere Wahrnehmung der Welt und somit auch unsere Erwartungen an Unternehmen fundamental verändert.

Welches sind vor diesem Hintergrund die konkreten Herausforderungen für die Automobilindustrie?

Wir fassen diese zusammen unter dem Akronym CASE. Das steht für Connected - Autonomous - Shared – Electrified. Vier Themen, die das Kundenverhalten, und damit unsere Produkte und Services, künftig prägen werden. Bei Connected geht es um die Digitalisierung und Vernetzung des Fahrzeugs. Autonomous beschreibt selbstfahrende Fahrzeuge. Electrified steht für die Elektrifizierung, welche in aller Munde ist. Shared beinhaltet das Konzept von Shared Mobility und weitere Mobility Services. Hier waren wir schon relativ früh mit Car2Go und anderen Services unterwegs.

Diese vier Mega-Trends prägen die Zukunft der Automobilindustrie. Und die betreffen alle Prozesse und Systeme, vor allem aber auch unsere Mitarbeiter. Die Kolleginnen und Kollegen müssen die Digitalisierung unterstützen und mit ihren Fähigkeiten, ihrer Neugierde und ihrem Willen diese Themen vorantreiben.

Es wird gerne gesagt: „…weg vom klassischen Automobilanbieter, hin zu einem Anbieter von Mobilitätsdienstleistungen“. Was heißt das konkret?

Wir waren immer schon bestrebt, das perfekte Fahr-Erlebnis für unsere Kunden zu schaffen. Früher wurden unsere Autos von Ingenieuren konstruiert, heute sind es zusätzlich die Informatiker, die ein Fahrzeug entwickeln. Es bedarf also anderer Kompetenzen, um im Wettbewerb mitzuhalten. Wir agieren in zwei unterschiedlichen Welten: einerseits müssen wir unser Kerngeschäft weiterentwickeln und auch hier innovativ sein. Andererseits müssen wir neue Geschäftsfelder erschließen. Das eine kann ohne das andere nicht bestehen.

Du beschreibst das Prinzip der Ambidextrie also das Modell, gleichzeitig in der Lage zu sein, das Kerngeschäft immer effizienter und besser zu machen, aber auf der anderen Seite immer mehr radikale Innovationen hervorzubringen, die im Zweifelsfall das bestehende Geschäft komplett auf den Kopf stellen. Meine Beobachtung sagt mir, dass wir uns in Deutschland, was radikale Innovativen betrifft, häufig schwertun und das Heil außerhalb des Unternehmens suchen. Wir gründen Digital Labs, beteiligen uns an Startups und lagern Innovation aus, weil uns das einfacher erscheint. Wie siehst du das?

Wir versuchen das Beste aus beiden Welten zu bekommen und manchmal zu vereinen. Das ist nicht immer einfach, aber bringt Vorteile. Man muss nicht immer gleich gründen, aber eine gewisse Separierung macht durchaus Sinn. Eine Organisation muss in der Lage sein, Veränderungen von innen heraus zu treiben und das haben wir bei Daimler seit über 130 Jahren gemacht. Innovation, Fortschritt und Wandel ist Teil unserer DNA  - sonst wären wir nicht da, wo wir jetzt stehen.

Könntest du in zwei Sätzen den Purpose der Initiative DigitalLife@Daimler erklären?

Kurz gesagt geht es bei der Initiative DigitalLife darum, die Digitalisierung im gesamten Konzern breit und ganzheitlich anzugehen. Der Fokus liegt dabei auf dem Menschen: wir bringen Menschen und Ideen zusammen, machen Innovationen sichtbar und treiben diese voran.

Du sagtest bereits, dass für den digitalen Wandel neue Kompetenzen und damit neue Generationen von Mitarbeitern gefragt sind. Wie sorgt Daimler dafür, dass die Kompetenzen, der Spirit und das Wissen der Digital Natives auf die restliche Organisation überspringen?

Wir verfolgen viele unterschiedliche Aktivitäten, um alle Kolleginnen und Kollegen mit auf den Weg der Digitalisierung zu nehmen. Und das ist extrem wichtig. Wir wollen kein ‚Alt und Neu‘ im Sinne von ‚Gut oder Schlecht‘. Auch im Kerngeschäft müssen wir innovativ sein und uns mit den Digitalthemen auseinandersetzen. In jeder E- oder S-Klasse stecken bereits heute eine Menge digitaler Features. Insofern arbeiten wir daran, das Wissen rund um Digitalisierung bei den Mitarbeitern auszubauen. Das hat auch viel mit Mindset zu tun und mit Begeisterungsfähigkeit. Begeisterung versuchen wir zum Beispiel durch den DigitalLife Day weiter zu verstärken, bei dem jährlich tausend Mitarbeiter zusammenkommen und sich von tollen internen und externen Speakern, Marktplätzen und Daimler-Projekten inspirieren lassen. Gleichzeitig pitchen Mitarbeiter dort auf der Bühne ihre Idee, die sie zuvor erarbeitet und umgesetzt haben. Dadurch erkennen die Mitarbeiter, dass auch sie sich einbringen und gute Ideen umsetzen können. Und das ist natürlich sehr motivierend.

Was sind aus deiner Sicht die größten Stolpersteine, wenn es um die Umsetzung der Themen geht, die ihr im Rahmen von DigitalLife adressiert? Schließlich seid ihr ein sehr großes Unternehmen, weshalb es sicherlich auch regionale und kulturelle Unterschiede gibt, die ein Hindernis darstellen können.

Ich glaube, die lokalen Unterschiede sind überhaupt nicht so groß, wie viele denken. Natürlich ist China ein extrem digitaler Markt und aus meiner Sicht oft viel spannender als das Silicon Valley oder andere Märkte. Allerdings muss man alle Märkte betrachten und alle haben natürlich ihre Besonderheiten. Wenn es aber darum geht, mit Begeisterung Innovationen voranzutreiben, dann sind die Kulturen gar nicht so unterschiedlich. Ansonsten ist eine der großen Hürden die Akzeptanz im mittleren Management. Die Lehmschicht, wie sie oft auch bezeichnet wird, die allerdings durchaus vor nachvollziehbaren Herausforderungen steht, da sie im operativen Business oftmals großem Druck ausgesetzt ist. Dabei noch gleichzeitig einen Mitarbeiter zu unterstützen, oder eine Idee aus einem anderen Bereich zu fördern ist nicht immer einfach.

Team DigitalLife@Daimler

Diese Beobachtung teilen wir. In einer Studie, die wir durchgeführt haben, stellten wir fest: „Ideas are cheap. Implementation matters.“ Es geht nicht nur darum, tolle Ideen zu entwickeln, sondern diese auch möglichst schnell und gegen alle Widerstände auf den Markt zu bringen. Wie unterstützt ihr das?

Einerseits unterstützen wir das durch Schulungen. Wir bringen die Teams zusammen, machen einen Risk Assumption Test sowie andere Analysen und gehen anschließend verschiedene Themen mit ihnen durch, damit sie ein Gefühl dafür bekommen, was auf dem Weg zur Implementierung wichtig und notwendig ist. Ich glaube aber, die größere Herausforderung ist, dass wir alle verstehen, dass es nicht die eine große Lösung gibt, sondern dass man immer wieder Umwege gehen muss. Nehmen wir zum Beispiel die Entwicklung einer App. Wenn man merkt, dass die Entwicklung zu teuer oder zu aufwändig ist, muss man seine große Idee vielleicht auch mal in Scheiben schneiden und zunächst durch einen kleinen Erfolg überzeugen, damit der Prozess weitergehen kann. Das gelingt uns zwar oft, aber ehrlicherweise leider nicht immer.

Könntest du denn ein konkretes Beispiel nennen, bei dem das besonders gut gelungen ist? Also ein Beispiel, mit dem ihr auch raus zu den Mitarbeitern gegangen seid, um ihnen zu zeigen, wie es funktionieren kann und dass es sich lohnt, dran zu bleiben.

Wir haben tatsächlich ein Beispiel, das wir öfters nehmen, da es die Bandbreite sehr gut abdeckt. Dieses Beispiel nennt sich pacTris. Auf dem DigitalLife Day haben drei junge Kollegen diese Idee präsentiert und damit gewonnen. Im Kern ging es darum, wie man am intelligentesten den Kofferraum seines Autos belädt. Beispielsweise fährt man in ein Möbelhaus und kauft einen Stuhl und einen Tisch, aber weiß nicht, ob alles ins Auto reinpasst oder nicht. Also schnappt man sich sein Smartphone und stellt mittels einer App fest, ob die Objekte in den Kofferraum passen und wenn ja, wie man sie am besten stapeln muss. Die Idee war ehrlicherweise nicht ganz neu, aber die technische Umsetzung ist das Wesentliche. Früher hat man überlegt, wie man das mit einer entsprechenden Bilderkennung lösen kann, indem über die Kamera am Smartphone die Objektgröße genau bestimmt wird. Doch wie gleiche ich das dann mit dem Kofferraum ab? Die Jungs hatten dabei die ganz einfache Idee, mit dem Barcode zu starten. Denn die meisten Baumärkte und Möbelhäuser haben die Maße ihrer Objekte in Katalogen hinterlegt, sodass man ohne komplizierte Technik und ganz ohne Foto die Maße hat. Wir haben das zunächst für den Smart eingeführt, gehen jetzt über die weiteren Produkte von Mercedes und sind zwischenzeitlich in der Logistik angekommen, wo natürlich auch großes Potenzial ist. Wir sind also von einer kleinen Idee für den Kunden über das Portfolio bis hin zu Geschäftsprozessen in der Logistik gekommen.

In der Tat eine perfekte Erfolgsstory. Lass uns zum Thema New Work kommen. Wofür steht das Thema für dich? Was sind für dich wesentliche Facetten von New Work?

Für mich ist New Work vieles: Selbstbestimmung, Flexibilität, neue Bürokonzepte - vor allem aber auch eine neue Art der Zusammenarbeit, wozu natürlich auch Tools, Technologien und Methoden gehören. Und da sind wir wieder beim Thema Mindset und Kultur. Wollen die Mitarbeiter denn auch zusammenarbeiten? Haben Sie die richtigen Tools, in unserem Fall zum Beispiel das Social Intranet, um zusammenarbeiten zu können? Sind sie bereit zu teilen? „Sharen ist das neue Coden“, d.h. die eigentliche Herausforderung ist nicht das Coden, sondern tatsächlich das Teilen der Information und des Wissens. In dem Zusammenhang geht es bei New Work nicht nur um das „Was ist für mich drin?“, sondern darum „Was ist für uns gemeinsam als Mitarbeiter und das Unternehmen drin?“ Man hat mit New Work zwar mehr Selbstbestimmung und mehr Entscheidungsfreiheit, aber im Sinne des Unternehmens, der Gemeinschaft und der gemeinsamen Ziele, die man verfolgt.

Ein spannender Aspekt. Wir sagen immer, die größten Feinde von Leadership sind Self Orientation und Fear. Also zum einen Angst zu haben, etwas zu verlieren, und zum anderen, dass man nur den eigenen Nutzen, die eigenen Interessen fokussiert und nicht die Gemeinschaft im Zentrum sieht.

Das eine hat sehr viel mit dem anderen zu tun. Vielen macht es bereits Angst, einfach nur ihr Wissen weiterzugeben, weil sie es aus der Historie nicht gewohnt sind. Das ist in vielen Großkonzern der Fall. Den Mitarbeitern wird immer noch eingetrichtert, dass Wissen Macht ist und dass das Teilen von Wissen einen Wissens- und damit Machtverlust darstellt. Ich glaube, in dieser Hinsicht sind wir in vielen Bereichen schon sehr gut. Das Social Intranet hilft dabei an vielen Stellen, genauso wie die Community Manager Schulung und weitere Enabling Aktivitäten. Natürlich können wir noch besser werden und bieten unter anderem Reverse Mentoring - Programme an oder fördern  Working Out Louds gemeinsam mit einigen anderen Großkonzernen. Insbesondere mit Bosch haben wir grade ein großes Event durchgeführt. Dabei kann man direkt erfahren, was es bringt, sich zu öffnen und Wissen zu teilen.

Du hast bereits das Thema „Vorleben“ angesprochen. Wie muss ich mir das bei euch vorstellen? Gerade auch auf Ebene des Management Boards? Aus meiner Sicht muss es beim Vorstand anfangen und bei der Ebene darunter. Sie müssen sich entsprechend verhalten und zeigen, dass sie über eine Plattform kollaborieren sowie Inhalte teilen ohne sie vorab fünfmal durch einen Kommunikationsbereich laufen zu lassen, bevor sie veröffentlicht werden.

Das ist weniger von der hierarchischen Ebene als vielmehr von persönlichen Erfahrungen abhängig. Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel, deren Kinder in den Sozialen Medien aktiv sind, haben häufig  den selbstverständlichen Umgang mit digitalen Medien gelernt. Trotzdem müssen wir die Akzeptanz weiter ausbauen. Wenn es um Digitalisierung geht, habe ich oft den Eindruck, dass es einfacher ist, das Top Management mit ins Boot zu bekommen. Die Hürde, selbst Texte zu schreiben, ist bei vielen zwar immer noch da, aber es wird mit der Zeit besser werden.

Wenn du auf all die DigitalLife Jahre zurückblickst, was hast du dir einfacher oder anders vorgestellt?

Es ist natürlich immer ein zähes Ringen, so etwas aufzubauen, weiterzutreiben und Synergien zu heben. Man muss auch immer wieder Rückschläge hinnehmen, keine Frage, aber das gehört zum Geschäft.  Große Fehleinschätzungen bzw. Hindernisse in dem Sinne gab es aber nicht. Manchmal würde ich mir nur mehr Geschwindigkeit wünschen.

Zum Abschluss noch eine typische Berater-Frage: Wenn du fünf Jahre in die Zukunft schaust, was glaubst du wird die größte Herausforderung sein, mit der ihr konfrontiert sein werdet?

Ich glaube, die größte Herausforderung wird sein, zu akzeptieren, dass das, was wir bisher an Veränderungen erlebt haben, nur der Anfang ist. Aber mal ehrlich, das war schon immer so. Heute passieren Veränderungen natürlich wesentlich dynamischer und schneller als noch vor 20 oder 30 Jahren. In zwei Jahren haben wir vielleicht ein Niveau erreicht, dass wir heute gerne hätten. Aber bis dahin wird schon wieder Vieles passiert sein und wir starten wieder etwas Neues. Wir müssen immer offen und neugierig sein, die Chancen des Wandels nutzen und weiterhin die Zukunft gestalten wollen. Das ist die ganz große Aufgabe der kommenden Jahre.

Vielen Dank, lieber Markus, und alles Gute weiterhin für DigitalLife.

Das Interview führte Marc Wagner.

 

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