Die öffentliche Verwaltung am Scheideweg

Um die deutsche Verwaltung resilient, also zukunftssicher und krisenfest aufzustellen, muss sie ihre eigene Organisation grundlegend in Frage stellen. Wie gut es ihr gelingt, Antworten auf die aktuellen Herausforderungen zu finden, wird darüber entscheiden, wie flexibel die Verwaltung in Zukunft auf Krisen reagieren und mit den sich stark verändernden Bedingungen in unserer Gesellschaft umgehen kann.

Die deutsche Verwaltung steht vor einer gewaltigen Transformationsaufgabe. Neben aktuellen Entwicklungen und Ereignissen wie der Covid-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine, wird diese Transformation durch zwei langfristige Trends getrieben: den demographischen Wandel sowie die allgemeine Entwicklung hin zu einer digitalen Gesellschaft.

Durch den massiven Fachkräftemangel wird sich die öffentliche Verwaltung in Zukunft insbesondere mit der demographischen Entwicklung beschäftigen müssen. Bereits dieses Jahr schätzt der Deutsche Beamtenbund die Zahl der nicht besetzten Stellen in der Verwaltung auf 360.000. Die besonders geburtenreichen Jahrgänge gehen erst ab Ende dieses Jahrzehnts in Ruhestand, wodurch nahezu jeder vierte Verwaltungsmitarbeitende austreten wird.

Die Verwaltung in Deutschland muss darauf reagieren: Prozesse müssen automatisiert und weniger arbeitsintensiv gestaltet werden, die IT-Unterstützung in den Behörden und insbesondere die Vernetzung der Verwaltung muss erheblich ausgebaut werden, um dem demographischen Wandel zu begegnen. Dies allein wir aber nicht reichen, um die öffentliche Verwaltung nachhaltig zu modernisieren. Unsere Gesellschaft wird immer digitaler, diverser und schnelllebiger. Die deutsche Verwaltung reagiert zwar zunehmend darauf, bleibt jedoch hinter den eigenen Ansprüchen zurück.

Verwaltungsdienstleistungen so einfach wie Onlineshopping

Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zurecht, dass sie Verwaltungsdienstleistungen so einfach in Anspruch nehmen können wie das Onlineshopping. Auch die Mitarbeitenden in der Verwaltung wünschen sich einen modernen Arbeitsplatz und durchgehend digitale Lösungen. All das ist möglich, wie unzählige Beispiele aus der Industrie und privaten Wirtschaft zeigen. Jedoch erfordert der breite Einsatz moderner Lösungen bisweilen einen Kulturwandel in den Behörden und an einigen Stellen sogar das Anpassen von Verordnungen oder Gesetzen, um den modernen Prozessen gerecht zu werden.

Dieser Kulturwandel muss von einer konsequenten Serviceorientierung getrieben sein, um das Mindset und Handeln der öffentlichen Verwaltung auf das positive Gestalten eines modernen und digitalen gesellschaftlichen Zusammenlebens auszurichten.

Grenzlose Zusammenarbeit, aber digital

Neben den zuvor geschilderten Herausforderungen sieht sich die öffentliche Verwaltung mit ihrer eigenen Komplexität konfrontiert. Die Zusammenarbeit der Verwaltungen der deutschen Bundesländer sowie über die europäischen Länder hinweg hat nämlich enorm an Bedeutung gewonnen – und wird in den nächsten Jahren durch äußere Zwänge sowie einen gestiegenen Wunsch zur gegenseitigen Zusammenarbeit noch relevanter werden.

Der Krieg in der Ukraine sowie die Covid-Pandemie wirken dabei als Beschleuniger, welche die Versäumnisse der vergangenen Jahre und die noch bestehenden Herausforderungen schärfer in den Fokus rücken. Größte Herausforderung: Die Verwaltung kann nicht nur vor Ort, sondern überregional und international die Erfüllung staatlicher Aufgaben wie die der öffentlichen Sicherheit und Gesundheit sicherstellen.

Dabei steht außer Frage, dass ein sinnvoller Informationsaustausch nicht mehr analog, sondern digital und automatisiert stattfinden muss. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass auf oberster Ebene und vor allem gemeinsam die Fundamente für jegliches Vorhaben gelegt werden. Dies zieht das Einführen einheitlicher Standards nach sich, die Schaffung von technischen Strukturen zum Datenaustausch sowie den Ausbau der digitalen Infrastruktur.

Die öffentliche Verwaltung neu denken

Um den Herausforderungen einer digitalen Welt gerecht zu werden, bedarf es daher nicht weniger als einer kompletten Neugestaltung des Betriebsmodells der öffentlichen Verwaltung. Dabei müssen gewohnten Organisationstrukturen dahingehend in Frage gestellt werden, ob sie auch zukünftig zu einer serviceorientierten, effizienten und resilienten Verwaltung beitragen. Dies umfasst die Betrachtung der Art und Weise, wie alltägliche Verwaltungsprozesse organisiert sind und welche Technologien zu deren Unterstützung eingesetzt werden, aber auch wie die Mitarbeitenden zukünftig befähigt werden.

Sollte die öffentliche Verwaltung in Deutschland ihren Herausforderungen nicht zur Genüge begegnen und ihre digitale Transformation scheitern, wird sie in Zukunft in ihrer Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt sein. Dies wird sich besonders in Hinblick auf etwaige Krisen negativ bemerkbar machen, aber auch generell zum Nachteil für Bürgerinnen und Bürger sowie Wirtschaft und Wissenschaft sein. Daher ist es wichtig, die großen Chancen und Potentiale, die in der Verwaltungsdigitalisierung liegen, zu erkennen und sich nutzbar zu machen. So kann die Verwaltung zukünftig Partner für die Bürgerinnen und Bürger oder Unternehmen werden und sich gleichzeitig als attraktiver Arbeitgeber positionieren.