Der ‚Bosch-Weg‘: Innovation prägt unser tägliches Handeln

Christoph Kübel, Geschäftsführer und Arbeitsdirektor des Technologie- und Dienstleistungsunternehmens Bosch, spricht mit Detecon-Partner Marc Wagner über den Wandel von Bosch vom Automobilzulieferer zum Anbieter von Mobilitätslösungen und darüber, wie man Mitarbeiter erfolgreich für die digitale Zukunft qualifiziert, neue Talente für sich gewinnt und Raum für Höchstleistungen schafft.

Wir haben bei Detecon eine Studie zum Thema Innovationskultur durchgeführt und haben zu diesem Zweck eine ganze Reihe von Unternehmen befragt, wie es um das Thema ‚Innovationskultur in Deutschland‘ bestellt ist. Das Ergebnis war ernüchternd und die Quintessenz war: Wir können sehr gut inkrementell verbessern und sind in der Lage, uns kostenmäßig sehr effizient aufzustellen. Wenn es aber um radikale Innovation geht, dann ist uns das Gründer-Gen eines Herrn Bosch verloren gegangen. Trifft dies auch auf Bosch selbst zu?

Nein, das Thema Innovation prägt unser tägliches Handeln. Ich beobachte vielmehr, dass die Innovationsgeschwindigkeit in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Wir befinden uns in einer großen Transformation. Deshalb arbeiten wir intensiv daran, die Gründer-Gene unserer Mitarbeiter zu fördern und stellen sehr Vieles, auch Grundsätzliches, in Frage.

Welches sind dabei Ihre Haupt-Transformations- und Innovationsfelder?

Wir sind erfolgreich auf dem Weg, ein führender Anbieter im Internet der Dinge zu werden. Gleichzeitig treiben wir die Transformation vom Automobilzulieferer zum Anbieter von Mobilitätslösungen voran. Beides bedeutet große Veränderungen für unsere Organisation und unser Produktportfolio. Damit dieser Wandel gelingen kann, benötigen wir einen kulturellen Wandel im Unternehmen. Denn ein vernetztes Unternehmen braucht vernetzte Mitarbeiter. Und das wirkt sich auf Führung und Zusammenarbeit aus.

Wir entwickeln bereits seit 2012 unsere Führungskultur weiter. Sie ist geprägt von Offenheit und Vertrauen. Dazu gehört auch, die Eigenverantwortung aller Mitarbeiter zu stärken, indem wir ihnen Freiraum geben. So hat jeder Mitarbeiter seit einigen Jahren grundsätzlich Anspruch darauf, selbst über Zeitpunkt und Ort seiner Arbeit zu entscheiden – solange die Art der Arbeit das erlaubt. Auf diese Weise fördern wir nicht nur die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, sondern auch die Kreativität unserer Mitarbeiter. Denn gute Ideen entstehen häufig gerade nicht am Schreibtisch. Wenn ich am Empfang oder in der Fertigung tätig bin, funktioniert das mobile Arbeiten natürlich nicht so einfach. Aber auch hier arbeiten wir an Lösungen, um eine höhere Flexibilität zu ermöglichen.

Um weiterhin kreativ und innovativ zu sein, benötigen wir auch eine gelebte Lernkultur. Zur Lernkultur gehört für mich, dass wir alle uns kontinuierlich weiterbilden, während und außerhalb der Arbeitszeit. Genauso gehört es für mich aber auch dazu Risiken einzugehen. Scheitern gehört dazu, will man innovativ und erfolgreich sein.

Das klingt ja fast schon so, als hätten Sie unser Buch gelesen (beide lachen). Beschreiben Sie doch einmal die Führungskraft von morgen.

Unser Bild der Führungskraft hat sich massiv gewandelt. Weg vom ‚Chef‘, der alle Entscheidungen trifft, hin zu einem Coach, der Barrieren aus dem Weg räumt, das Team unterstützt und Wertschätzung vermittelt. Jemand, der das Geschäft versteht und klare Visionen sowie Strategien für die Zukunft aufzeigt. Wir sind überzeugt, dass eine Führungskraft heutzutage nicht immer die beste Lösung parat haben kann und deshalb Entscheidungen nicht mehr nur hierarchisch getroffen werden sollten. Stattdessen schafft die Führungskraft einen Rahmen, eine Atmosphäre, in der die Ideen von Experten angehört, im Team bewertet und umgesetzt werden. An dem Thema arbeiten wir sehr intensiv mithilfe einer offenen Feedback-Kultur und transparenter Kommunikation. Für Mitarbeiter ist es extrem wichtig zu wissen, wohin wir uns entwickeln und was unsere Vision ist. Denn ein Transformationsprozess bringt natürlich immer auch eine gewisse Unsicherheit mit sich.

Sie haben, und da teile ich Ihre Meinung zu 100%, die Bedeutung von (wir nennen es) ‚High Performing Teams‘ beschrieben, in denen die Führungskraft eine ganz neue Rolle bekommt. Wie kommt es zu diesen Teams? Wie kriege ich fluide Strukturen geschaffen, in denen einzelnen Mitarbeitern Aufgaben nicht aufgrund ihrer hierarchischen Zuordnung zugeteilt werden, sondern passend zu ihren Fähigkeiten und Interessen. Im Zweifelsfall also in ständig neuen (Projekt-)Teams?

Die erste wichtige Voraussetzung hierfür ist die Abschaffung der persönlichen Incentivierung auf Basis von persönlichen Zielen. Und das haben wir bereits vor einigen Jahren getan. Bei Bosch ist es nicht mehr entscheidend, welche fünf Ziele ich persönlich verfolge. Der Bonus für alle Mitarbeiter, vom Tarifmitarbeiter bis zum Geschäftsführer, richtet sich einzig und allein nach dem Ergebnis des Unternehmens und des jeweiligen Geschäftsbereichs, in dem der- oder diejenige tätig ist. Das öffnet den Blick - weg vom persönlichen Verantwortungsbereich hin zu den Interessen des Gesamtunternehmens.

Zweitens sind wir überzeugt davon, dass viele Innovationen an den Schnittstellen zwischen den Geschäftsbereichen entstehen. Deshalb stellen wir ein Budget von mehreren hundert Millionen Euro für Ideen außerhalb der Entwicklungsaktivitäten einzelner Geschäftsbereiche bereit. Hierfür gibt es einmal jährlich einen so genannten Call for ideas, für den sich Mitarbeiter bewerben können.

Und drittens gründen wir gezielt Start-ups. Auch da können Mitarbeiter aus allen Bereichen mitarbeiten, temporär oder dauerhaft, übrigens auch Führungskräfte. Beispielsweise haben wir jetzt gerade in Ludwigsburg unsere Bosch Startup Plattform ‚grow‘ vergrößert…

… da waren wir mit dabei. Die Fläche wurde von einem Künstlerteam ausgestattet, mit dem wir regelmäßig zusammenarbeiten.

Ein wunderbares Projekt! Wir entwickeln dort nicht nur neues Geschäft, sondern tragen auch den Unternehmergeist ins Unternehmen.

Essentiell dabei ist ein tiefes Verständnis für unsere Kunden und ihre eigentlichen Bedürfnisse. Bedürfnisse, die sie zum Teil nicht einmal selbst formulieren können. Daher haben wir in den letzten Jahren das Thema User Experience fest im Unternehmen verankert. Sehr weit sind wir in unserem Geschäftsbereich Power Tools, also bei unseren Elektrowerkzeugen und Gartengeräten. Hier haben wir unsere Organisationsstrukturen komplett neu ausgerichtet. Wir haben Abteilungen aufgelöst und Hierarchien abgebaut. Stattdessen arbeiten wir in crossfunktionalen Teams, die jeweils eine Produktgruppe verantworten und den Kunden frühzeitig in Neuentwicklungen einbinden.

Wir wollen Mitarbeiter noch stärker als bisher entsprechend ihrer Expertise und ihren Interessen einsetzen und sie regelmäßig zwischen verschiedenen Teams wechseln lassen. Das ist übrigens nicht neu innerhalb unseres Unternehmens. Wir haben schon immer das Prinzip verfolgt, dass sich Mitarbeiter nach drei bis fünf Jahren verändern und in einen neuen Bereich, in eine neue Aufgabe wechseln. Das unterstützen wir ganz gezielt, vor allem bei Führungskräften. Und das hilft uns jetzt natürlich sehr, wenn es darum geht, Mitarbeiter miteinander zu vernetzen.

Außerdem binden wir unsere Mitarbeiter viel stärker ein. Im Geschäftsbereich Power Tools ist die Digitalstrategie nicht von einigen wenigen Marketingexperten entwickelt worden, sondern von einem Team aus 100 Power Tools Mitarbeitern weltweit, die sich dafür freiwillig gemeldet hatten. Es sind also nicht mehr nur die Vorgesetzten, die festlegen, wer aus ihrem Team was macht. Es sind vielmehr die Qualifikationen und Interessen der Mitarbeiter, die darüber entscheiden.

Es gibt eine Studie zum Thema Höchstleister, die besagt, Talente identifiziert man letztlich dadurch, dass man Problemstellungen transparent und attraktiv auf einer Plattform präsentiert, dann melden sich die Talente automatisch. Welche Rolle spielt hier künftig HR?

Eine unserer Aufgabe als HR ist es, dafür zu sorgen, dass Bosch ein attraktiver Arbeitgeber ist und bleibt. Nach innen wie außen. Das messen wir alle zwei Jahre in einer weltweit durchgeführten Mitarbeiterbefragung für alle 402 000 Mitarbeiter. Und da haben wir erfreuliche Fortschritte gemacht, was die Verbundenheit, das Engagement und den Stolz, bei Bosch zu arbeiten, betrifft. Der Grund hierfür liegt nicht zuletzt darin, dass wir vieles an unserer Kultur verändert haben. Wir haben zum Beispiel das Thema Purpose, also den Sinn unseres Tuns, stärker in den Mittelpunkt gestellt.

Zum anderen kommen Talente zu uns, weil wir inhaltlich und technologisch hochinteressante Themen anbieten können. Wir wandeln uns zu einem führenden Anbieter im Internet der Dinge. Dafür brauchen wir viele neue Talente, wie z. B. berufserfahrene Software-, IT- und KI-Experten. Wir haben im letzten Jahr mehrere tausend Mitarbeiter in diesen Bereichen eingestellt. Bewerber schätzen, dass wir Raum für Höchstleistung schaffen, zum Beispiel indem wir die Vereinbarkeit von Privatem mit Beruflichem ermöglichen.

Und schließlich haben wir natürlich hochspannende Aufgaben wie im Bereich Mobility Solutions. Wir verändern die Welt in Richtung Elektromobilität und unsere Mitarbeiter haben die Chance, diese Veränderung in Form von innovativen urbanen Mobilitätskonzepten mitzugestalten. Wir haben das breiteste Spektrum in der Elektromobilität, vom Fahrrad über den eScooter bis hin zum Lkw. Wir entwickeln neue Mobilitätsservices wie eScooter Sharing und bringen das automatisierte Fahren auf die Straße.

Also Arbeitgeberattraktivität durch das Besetzen hochinnovativer Zukunftsthemen und eine Kultur, die Fehler erlaubt und Freiräume zulässt. Und wie nehmen sie ihre bestehenden Mitarbeiter mit in die Transformation? Wie sieht Bildung der Zukunft aus? Wie kann ich mir eine selbstlernende Organisation bei Bosch vorstellen?

Das Thema Qualifizierung ist eines der Schlüsselthemen für die Zukunft. Wir arbeiten bei Bosch daran, dass unsere Mitarbeiter mit Freude an neue Themen herangehen und die Bereitschaft haben, sich ständig weiterzuentwickeln, angespornt durch interessante Angebote und gezieltes Kompetenzmanagement. In den vergangenen fünf Jahren haben wir mehr als eine Milliarde Euro in die Weiterbildung unserer Mitarbeiter investiert. Aber das allein reicht nicht. Wir wollen auch eine neue Lernkultur im Unternehmen etablieren und das Lernen in die tägliche Arbeit integrieren, um unsere Mitarbeiter für Neues zu begeistern und mit der hohen Innovationsgeschwindigkeit Schritt zu halten. Dazu haben wir eine neue Initiative ins Leben gerufen, die Bosch Learning Company. Neben Qualifizierungsprogrammen arbeiten wir hier an neuen E-Learning Tools und am Mindset. Denn: Lernbereitschaft ist eine der wichtigsten Kompetenzen heute und in Zukunft.

Vielen Dank, Herr Kübel, für diese spannenden Insights und das angenehme Gespräch. Wir wünschen Ihnen für die Zukunft und all Ihre Vorhaben alles Gute.

Das Interview führte Marc Wagner.

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