Wenn Friedhelm Hillebrand ins Erzählen kommt über jene Tage, als der Mobilfunk digital wurde, dann ist der Zuhörer hin- und hergerissen zwischen bloßem Erstaunen und purer Faszination. Hillebrand verantwortete die deutschen Beiträge zur Entwicklung des multinationalen GSM-Standards im Mobilfunk und die Einführung des D1-Netzes, das vor genau 25 Jahren, am 1. Juli 1992, das Licht der Welt erblickte. Wir sprachen mit Friedhelm Hillebrand in seinem Haus in Bonn über das größte und spannendste Detecon-Projekt aller Zeiten namens ‚Digitale Mobilkommunikation‘. Und darüber, warum er mit der Erfindung der SMS (Short Message Service) zwar nicht reich wurde, aber dennoch sehr zufrieden ist.
Herr Hillebrand, erinnern Sie sich noch an die Anfänge des GSM-Projekts?
F. Hillebrand: Die Entwicklung begann in einer eigentlich hoffnungslosen Situation. Mitte der 80er Jahre hatten wir in Europa nur nationale Netze, die nicht grenzübergreifend funktionierten. Die Hersteller wachten über ihre Heimatmärkte, die Telekom-Netzbetreiber waren wenig interessiert, da sie das Potential als gering einschätzten. Wir hatten damals das B-Netz mit 27.000 Teilnehmern. Das musste wegen Überfüllung geschlossen werden. Deshalb wurde kurzerhand die Grundgebühr auf 180 Mark hochgesetzt. Als 1986/87 das C-Netz kam, kosteten die ersten Autotelefongeräte etwa 4.000 Mark. Und es gab keine Hoffnung, dass es jemals billiger würde. Die Frequenzen, die wir für den Mobilfunk brauchten, waren fast alle vom Militär besetzt. Die einzige Möglichkeit, diesen Rahmenbedingungen zu entkommen, war ein europäischer Standard.
Kein optimaler Zeitpunkt, um den Auftrag für die Entwicklung eines digitalen Mobilfunknetzes zu übernehmen, oder?
Ich kam 1983 in den Mobilfunk. Auftrag war die Entwicklung eines deutsch-französischen analogen Netzes. Aber was sollten wir mit einem weiteren analogen Netz? SEL Alcatel hatte in einem großen Forschungsprojekt herausgefunden: Digitale Technik ist möglich. In einer Marktstudie prognostizierten sie eine Million Teilnehmer in Deutschland im Jahr 2000. Sie sind ausgelacht worden als Spinner.
Dennoch ist das Projekt auf den Weg gebracht worden. Wie kam es dazu?
Mein Team und ich waren fasziniert und haben uns hingesetzt und überlegt: Warum nicht? Erster Anwendungszweck waren Autotelefone. Unsere Markt- und Netzplanung ergab: Es ist realistisch, aber nur wenn es genügend hohe Stückzahlen von Endgeräten in einem gemeinsamen europäischen Markt gibt. Letztlich konnten wir, Dr. Klaus Spindler, Frieder Pernice und ich, auch den damaligen Postminister Schwarz-Schilling davon überzeugen, dass wir ab Anfang der 90er Jahre ein digitales pan-europäisches Netz brauchen. Damit gingen wir im Herbst 1984 in die existierende europäische Arbeitsgruppe GSM (Groupe Spécial Mobil), die ein pan-europäisches System standardisieren sollte, aber seit einigen Jahren vor sich hin dümpelte. Unser deutsch-französischer Plan wirkte europaweit wie ein Paukenschlag, weil plötzlich zwei Länder, die etwa 40 Prozent des Marktes hatten, erklärten, dass sie bald eine europäische Lösung wollten.
Und es ist Ihnen gelungen, andere europäische Länder sofort mit ins Boot zu holen?
Es waren sehr harte und langwierige Verhandlungen. Es gab eine sehr intensive Planungsphase bis 1987, bis wir in der Gruppe GSM schrittweise eine Einigung über die Grundkonzepte des Systems errungen haben. Dabei ging es insbesondere um Dienste wie SMS, Systemarchitektur, Sprachdigitalisierung mit niedrigen Bitraten und digitale Funkübertragung. Besonders schwierig war die Auswahl des digitalen Funkübertragungsverfahrens. In dem entscheidenden GSMTreffen im Februar 1987 einigten sich 13 europäische Länder auf ein Schmalband-TDMA-Verfahren, während wir als deutsche Delegation die Vorgabe hatten, ein Breitband-TDMA-Verfahren zu unterstützen. Damit drohte das ganze Projekt zu kollabieren, da Einstimmigkeit erforderlich war.
Vorgabe heißt: Sie waren gar nicht überzeugt, dass das breitbandige TDMA-Verfahren die bessere Lösung war?
In Deutschland hielten wir auf der Arbeitsebene, Armin Silberhorn, Frieder Pernice und ich, auch das TDMA-Schmalband-Verfahren für technisch und wirtschaftlich besser. In einem längeren Diskussionsprozess in der damaligen DBP Telekom konnten wir den Minister davon überzeugen. Dasselbe gelang unseren französischen Kollegen. Den Durchbruch brachte im Mai 1987 ein Treffen in Bonn, wo die vier großen europäischen Länder Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien vereinbart haben, dass die Mehrheitsmeinung von Madeira einstimmig unterstützt werden sollte. Im Herbst desselben Jahres verpflichteten sich die Betreiber von 15 europäischen Ländern, das GSM-System ab 1991 einzuführen. Damit war ein stabiler Rahmen für die weitere Entwicklung gesetzt.
Wie kam Detecon ins Spiel?
Es wurde nun ernst in Deutschland. Und es wurde vor allem schnell klar, dass es Wettbewerb geben würde, und dass das in der vorhandenen Struktur der alten ‚Bundespost Telekom‘ nicht ging. Telekom-Manager Armin Silberhorn hat schließlich den Vorschlag gemacht, das Ganze als Projekt bei Detecon anzusiedeln. Detecon-Geschäftsführer war der frühere Post-Staatssekretär Dietrich Elias, der seinerzeit ohnehin gerade damit unterwegs war, der Telekom im Übergang zum Wettbewerb zu helfen.
Friedhelm Hillebrand
Friedhelm Hillebrand studierte Elektrotechnik mit Schwerpunkt Nachrichtentechnik (Telekommunikation) an der RWTH Aachen. Von 1970 bis 1987 arbeitete er in verschiedenen ManagementPositionen bei der Deutschen Bundespost Telekom, von 1987 bis 1992 bei der Detecon. Nach der Einführung des D1-Netzes war er in diversen hochrangigen internationalen Gremien zum Thema Mobilfunk vertreten. Seit 2002 ist er Geschäftsführender Gesellschafter des Beratungsunternehmens Hillebrand Consulting GmbH, das Patentanwälte, Netzbetreiber und Hersteller in Patentfragen berät und unterstützt. Darüber hinaus ist er Autor mehrerer Fachbücher:
- Die Pionierzeit des GSM-Standards und des D1-Netzes von 1982 bis 1992 (J. Schlembach, 2013)
- Short Message Service – The Creation of Personal Global Text Messaging (John Wiley & Sons, Ltd., 2010)
- GSM and UMTS – The Creation of Global Mobile Communications (John Wiley & Sons, Ltd., 2002)
Friedhelm Hillebrand ist von der amerikanischen Wireless History Foundation in die ‚Wireless Hall of Fame‘ aufgenommen worden.
Damit waren die Würfel gefallen?
Im Frühjahr 1987 wurde ich zur Detecon beurlaubt, um das neue Projekt vorzubereiten. Im Frühsommer 1987 fiel die Entscheidung, dass das Detecon-Projekt ‚Digitale Mobilkommunikation‘ laufen würde. Es gab eine erste Kapazität von 40 Stellen. Da saß ich nun allein und durfte drei frühere Postler mitnehmen. Der Rest sollte im Markt rekrutiert werden. Wir hatten noch keine Mitarbeiter, aber ich habe in unserem ersten Büro in der Friesdorfer Straße in Bonn erst einmal für 40 Büros Mobiliar bestellt. Denn ich war mir sicher: Es muss bald rappeln im Karton, wenn wir Erfolg haben wollen.
Wie gestaltete sich der Start vom ‚Nullpunkt‘?
Im August 1987 bin ich allein mit zwei Sekretärinnen in die 40 Büros eingezogen. Schließlich kamen auch im Herbst die drei Darmstädter Postkollegen. Da wir nur wenig Know-how in der Systementwicklung hatten, hat Dietrich Elias die Industrie angeschrieben mit der Bitte, uns zwölf Leute zu geben, jeweils beurlaubt für ein gutes Jahr. Die sollten die Ergebnisse der Standardisierung überprüfen und Verbesserungsvorschläge machen. Eine gute Idee, denn davon haben am Ende beide Seiten profitiert. Wir konnten von ihrem Know-how partizipieren, die Industrie gewann dadurch schnell Kenntnisse über den neuen Standard.
Wie ging es weiter?
Ende 1987 hatten wir knapp 40 Mitarbeiter. Und diese Zahl haben wir jedes Jahr fast verdoppelt. 1992 waren etwa 500 Detecon-Mitarbeiter im Projekt Digitale Mobilkommunikation (PDM) und etwa 100 in den Projekten Mobilfunk Marketing (PPM) und Vertrieb Mobilfunk (PVM) beschäftigt. Rückblickend betrachtet war PDM wohl das größte und komplexeste Projekt, das Detecon je gemanaged hat. Wir haben intern alles ‚von null‘ aufgebaut und waren darüber hinaus ja auch noch in 45 europäischen Arbeitsgruppen vertreten. Parallel haben wir das Konzept für das D1-Netz erarbeitet, die Lieferleistungen beauftragt und das Netz schrittweise realisiert. Für die Netzplanung haben wir sieben Detecon-Regionalbüros gegründet, verteilt über ganz Deutschland.
Wie ist es Ihnen gelungen, in so kurzer Zeit so viele Mitarbeiter zu rekrutieren?
Eine große Herausforderung. Personalgewinnung war sehr schwierig. Weil das Ganze ja als Projekt geplant war, durften wir Mitarbeitern nur befristete Arbeitsverträge geben. Denn weder die Post noch Detecon konnten Übernahmegarantien geben. So haben wir in erster Linie viele gute junge Leute bekommen. Absolventen, denen die Befristung egal war. Ende 1989 waren wir schon 175 Mitarbeiter, aber wir hatten natürlich keine Führungskräfte. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir eine richtige Krise. Schließlich ist es mir nach langen Verhandlungen, auch mit Unterstützung der Telekom-Mobilfunkseite, gelungen, alle Verträge zu entfristen. Bei diesem und bei vielen anderen Anlässen fanden wir offene Ohren bei Roland Mahler und seinem Team, unseren Auftraggebern bei der Telekom.
Wie lief es denn unterdessen im Projekt?
1989 startete Mannesmann Mobilfunk in die Entwicklung. Und was kaum einer weiß: Die hatten schon immer ein größeres Team als wir. Eines unserer größten Probleme zu diesem Zeitpunkt: Wir mussten die gesamte deutsche Telekommunikationsindustrie mitnehmen. Mannesmann hingegen konnte sich auf eine Partnerschaft mit Ericsson konzentrieren, die wir wegen ihrer Technologiekompetenz auch gern im Boot gehabt hätten. Wir hatten Siemens, Philips/PKI, SEL Alcatel und Bosch sowie später Motorola an Bord. Diese Techniken alle zum Zusammenspiel zu bewegen, das war manchmal etwas abenteuerlich. Aber das Projekt hatte ein Momentum: Es war das größte Entwicklungsprojekt, das jemals in der deutschen Telekommunikationsindustrie gemacht worden ist. Weil alles neu gemacht werden musste: Digitale Funkübertragung, Sprachdigitalisierung, die meisten Netzfunktionen, Endgeräte.
Das klingt ja so, als habe alles ziemlich reibungslos funktioniert.
Im Prinzip ja, aber es war eine sehr große Anstrengung. Es ging nur, weil die Mitarbeiter Pioniergeist und eine so große Begeisterung für das Projekt entwickelten, wie ich es nie wieder gesehen habe. Dann kam leider noch etwas hinzu, was keiner von uns auf der Rechnung hatte. Irgendwann habe ich der Generaldirektion Telekom die Frage gestellt: Wie sieht’s denn eigentlich mit der Teilnehmerdatenverwaltung und der Gebührendaten-Nachverarbeitung aus? Mit anderen Worten: Wie werden Teilnehmer verwaltet und Rechnungen geschrieben? Die Telekom-Datenverarbeitung winkte sofort ab. Also landete das Thema bei uns zusätzlich auf dem Schreibtisch. Ein hochkomplexes Thema, das uns alle über längeren Zeitraum intensiv beschäftigt hat.
Klappte die Einführung der neuen Technologie fehlerfrei?
1991 wurde die Technik zur Abnahme bereitgestellt. Das haben wir in mehreren Stufen gemacht. Zunächst wurden die Netzkomponenten und die IT-Systeme separat getestet. Hierbei traten die zu erwartenden Zahlen an Fehlern auf, die zu behandeln waren. Die kritischste Etappe war die letzte in Münster. Dort war eine Konfiguration aufgebaut, die alle Netzkomponenten enthielt und die gesamte Datennachverarbeitung für das D1-Netz. Wir hatten eigens eine Container-Siedlung für unsere Mitarbeiter aufgebaut. Es gab größere Probleme im Zusammenspiel von Netz- und IT-Komponenten. Aber alle diese Probleme konnten angemessen gelöst werden. Dabei half es uns, dass der Netzstart wegen fehlender Endgeräte erst Mitte 1992 stattfinden konnte. Wir haben diese Zeit intensiv zum Testen und Nachbessern genutzt, so dass dann der Start des Wirkbetriebs ziemlich problemlos war.
Der Erfolg gab Ihnen recht…
Ja, ab Mitte 1992 hat das D1-Netz sehr gut funktioniert. Schon 1993/94 setzte wegen des Wettbewerbs und der billigeren Endgeräte eine hohe Last ein. Es war gut, dass wir so ein großes Team hatten, denn diese Mannschaft konnte was tragen. Die Nachfrage zog rapide an. Wir hatten damals einen Planungshorizont von 10 Millionen Teilnehmern im D1-Netz, aber diese Zahl wurde rasch weit übertroffen.
Haben sie zum damaligen Zeitpunkt daran geglaubt, dass der Mobilfunk eines Tages das Festnetz verdrängen würde?
Nein. Ich habe 1984 in die USA geschaut und gedacht: Ja, so eine Million Geräte pro Jahr müsste auch in Europa möglich sein. Aber heute werden für die Mobilfunknetze eine Milliarde Geräte pro Jahr produziert. 1.000 Mal so viel! Im Nachhinein ist es mir oft kalt den Rücken heruntergelaufen, wie mutig es damals war, dass wir voll auf das digitale System gesetzt haben. Weil damit so viele Software-, Hardware- und Standardisierungs-Risiken verbunden waren.
Thema Datenübertragung: War das von Anfang an integraler Bestandteil der Planung oder eher ein Zufalls- bzw. Abfallprodukt?
Bei dem Thema konnte ich eine besondere Fachkompetenz einbringen. Ich hatte vorher in der Datenkommunikation gearbeitet und war verantwortlich für das Daten-Paket-Vermittlungsnetz Datex-P in Deutschland, einer Vorläufertechnologie des Internets. Für die Datenübertragung im GSM-Netz habe ich mir eine Reihe von Konzepten überlegt. Eines davon war der ‚Short Message Service‘, die SMS. Schließlich wurde ich Gründungsvorsitzender der GSM-Untergruppe ‚Datendienste im GSM-System‘. In Zusammenarbeit mit den Geräteherstellern ist so ein guter Satz an Standard-Datendiensten entstanden.
Haben Sie damit gerechnet, dass die SMS eine solch steile Karriere hinlegen würde?
Damit hatte niemand gerechnet. Ein VodafoneManager sagte etwa 1993: „Warum soll ich auf dieser komischen Tastatur etwas reinhacken, wenn ich den Kerl doch anrufen kann?“ Glücklicherweise haben wir die SMS schon 1985 als ‚essentiellen Dienst‘ eingestuft. Das hieß, dass jedes Netz und jedes Endgerät ihn unterstützen muss. Diese Entscheidung habe ich in den europäischen Arbeitsgruppen erwirkt.
Wieso wurde die SMS dann dennoch ein solch großer kommerzieller Erfolg?
Die jungen Leute haben das Thema für sich entdeckt. Die SMS wurde sehr schnell Teil der Jugendkultur, auch weil sie billiger war als ein Telefongespräch. Und natürlich war sie ein Differenzierungsmerkmal für die Jugendlichen: Sie konnten plötzlich etwas, was die ‚Alten‘ nicht konnten. Leider wurde die SMS nicht ausreichend weiterentwickelt, weil sich die Netzbetreiber auf ihrem Geld ausgeruht haben. 2008 wurden mit SMS weltweit über 100 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Der größte Teil davon war Gewinn, weil die Kosten für die Bereitstellung des Dienstes marginal waren.
Im Prinzip haben Sie mit der SMS ja indirekt einen der heute weltweit populärsten Internet-Dienste gleich miterfunden, nämlich Twitter.
Ja, klar. Und Whatsapp auch. Die Grundkonzepte sind gleich. Ein Journalist hat mal was Nettes gesagt: ‚Da Sie der Vater der SMS sind, müssen Sie ja der Großvater von Whatsapp und Twitter sein.
Fühlt es sich für Sie auch so an?
Ja, es ist sehr schön, die Chance gehabt zu haben, zu solch großen Entwicklungen einen Beitrag zu leisten. Obwohl ich finanziell direkt nichts davon gehabt habe. Wir waren öffentlicher Dienst, wir haben keine Patente angemeldet. Den richtig großen Reichtum, den sich heute die Youngsters holen, konnten wir nicht haben, weil es eine andere Zeit war. Das ist schon in Ordnung. Wer kann schon von sich behaupten, dass sieben Milliarden Menschen etwas von einem selber ständig in der Hosentasche herumtragen.
Was benutzen Sie persönlich denn heute, SMS oder Whatsapp?
Primär E-Mail und SMS. Da ich keine Enkelkinder habe, hatte ich bisher keinen Anstoß für den Einstieg in die Whatsapp-Welt. SMS benutze ich privat intensiv; geschäftlich vorrangig für Kommunikation mit Partnern, die in Meetings sind. Dort sind die Telefone meistens stumm geschaltet. Geschäftlich ist die SMS immer noch der beste Weg, um jemanden persönlich schnell und sicher zu erreichen.
Welche Zukunft hat die SMS unter der Konkurrenz der Internet-Messaging-Dienste?
Die SMS hat ja einige Vorteile. Sie ist sehr robust und sie funktioniert in jedem Gerät von Haus aus. Im ‚Native Mode‘, ohne dass ich irgendetwas aktualisieren muss. Sie müssen keine Adresse kennen, sondern nur die Telefonnummer. Und die SMS hat eine ausgezeichnete Flächendeckung, denn sie nutzt ja die Signalisierungskanäle, also die Steuerungskanäle am Übergang zwischen zwei Funkzellen. Man kann also SMS an Stellen nutzen, wo Telefonie und Internet nicht mehr gehen.
Wo liegen zukünftig die wichtigsten Anwendungszwecke der SMS?
Ganz klar in der Machine-to-Machine-Kommunikation. Messgeräteablesungen oder auch bei den Sicherheitslösungen in Autos, beispielsweise automatisch abgesetzte Unfallmeldungen. Und natürlich im Online-Banking-Bereich, mit dem ‚Mobile TAN‘-Verfahren. Und zu guter Letzt ist die Anwendung natürlich sicherer vor Hackern als Internet-Messaging-Dienste.
Wenn Sie zurückschauen auf diese aufregende Zeit: Haben Sie irgendeinen grundlegenden Fehler gemacht oder würden Sie heute irgendetwas anders machen?
Natürlich machen Sie in solch großen Projekten auch Fehler. Es geht ja immer darum, aus diesen Fehlern zu lernen. Wir hätten, rückblickend betrachtet, viel stärker in die gesamte Telekom-Strategie eingebunden sein müssen. Ich weiß aber nicht, ob uns das hätte gelingen können. Der Vertrag mit der Telekom sah zwar für das Projekt ein hochrangiges SteeringCommittee auf Vorstandsebene vor, aber das ist nie zum Leben erweckt worden. Daher hatten wir immer eine gewisse Kommunikationslücke. Wir konnten nicht ausreichend verdeutlichen, dass das GSM-System kein Mobiltelefonsystem ist, sondern ein Mobilkommunikationssystem. Denn wir haben ja mit der SMS zum Beispiel die Paging-Dienste ganz schnell weggeputzt vom Markt.
Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Detecon?
Detecon war ein Glücksfall für uns, weil wir von den starren Regeln des öffentlichen Dienstes frei wurden. Und weil auf der anderen Seite in der Detecon auch ein Geist herrschte, keine eigenen Regeln zu definieren, sondern sich immer situations- und projektangemessen zu verhalten. Wenn ich mir das, was wir damals machen mussten, mal aus der Sicht einer Detecon-Querschnittsabteilung anschaue, Hausverwaltung oder Personalabteilung, dann muss das dynamische Wachstum dieses Projekts der reinste Horror gewesen sein. Es hat die Firma sehr strapaziert, aber diese Bereiche haben immer sehr kooperativ mit uns zusammengearbeitet und sich mit uns den Herausforderungen gestellt. Dafür bin ich sehr dankbar.
Herr Hillebrand, vielen Dank für das Gespräch! Fällt Ihnen zum Schluss noch eine kleine Anekdote ein?
Ich bin hier vor Jahren mal am Waldrand spazieren gegangen. Ich traf ein paar acht- oder neunjährige Kinder, die tippten SMS-Nachrichten in ihr Telefon. Da habe ich gefragt: ‚Könnt ihr das denn schon?’ Die Kinder antworteten: ‚Wir schon. Aber du? Kannst du das?’ Ich sagte: ‚Ich hab’s erfunden!’ Die Kinder lachten laut und einer rief: ‚So ’ne Ausrede habe ich auch noch nie gehört!’
Vielen Dank für das Interview, Herr Hillebrand.
Das Interview führte Thorsten Cöhring, Detecon.