„Gemeinnutz geht vor Eigennutz“ – Beratung in der öffentlichen Verwaltung

Welche besonderen Merkmale und Herausforderungen bergen Beratungsprojekte für Behörden und Verwaltungen? Dazu sprach Prof. Dr. Thomas Deelmann, Wirtschaftswissenschaftler und Dozent an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung, mit Stefan Schult, Partner bei Detecon. Das folgende (gekürzte) Interview ist dem Buch „Verwaltungsberatung – Leitfaden für Consultants und Behörden“ von Prof. Dr. Thomas Deelmann entnommen. Die Publikation lässt sich über den Erich-Schmidt-Verlag bestellen.

Prof. Deelmann: Herr Schult, als Berater haben Sie mit Unternehmen der Privatwirtschaft und auch mit Behörden gearbeitet. Wo ist aus Ihrer Sicht der größte Unterschied zwischen beiden?

Stefan Schult: Der kulturelle Unterschied in der Arbeit mit Behörden und Unternehmen ist aus Sicht eines Beratungsunternehmens spürbar. Der Unterschied liegt im Mindset, obwohl beide Organisationsformen überwiegend die gleiche Hard- und Software nutzen. Die Technologie ist hochgradig standardisiert und in der Regel an die Prozesse angepasst. Der Beratungsansatz in einer Behörde fokussiert sich im ersten Schritt stärker auf Kollaboration, Softpower und Transparenz. Im direkten Vergleich setzt die Beratung in einem Unternehmen agile und gemixte Teams mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten voraus. Hier spielen Wettbewerbsdruck und Gewinnstreben im Sinne von Effektivität und Effizienz eine besondere Rolle.

Und wenn wir etwas tiefer einsteigen: Wie wirkt sich das auf einzelne Projekte aus?

Eine Behörde muss im Vergleich zu einem Unternehmen neben dem Erreichen eines Mehrwertes vor allem Achtsam mit Steuergeldern umgehen und unterliegt im Kern dem Haushalts- beziehungsweise Vergaberecht. Insbesondere das Thema Verwaltung muss und wird effizient umgesetzt. Hierbei eignen sich insbesondere Methoden wie das Programm- und Projektmanagement, agiles Transformationsmanagement und weitere Kreativtechniken.

Der wesentliche Unterschied zwischen Behörden und Unternehmen liegt vor allem in folgenden fünf Punkten: Das ist der Projektreifegrad von Organisationen, die Verfügbarkeit von Top-Projektleitern und Experten, das proaktive Ressourcenmanagement, die Schaffung von virtuellen und organisatorischen Kreativräumen sowie die kommerziellen Rahmenbedingungen, also beispielsweise die Bereitstellung von Budgets über die Jahresscheibe hinaus. Hier sind Unternehmen typischerweise etwas weiter und fortgeschrittener – auch wenn einige Behörden schnell aufholen!

Und wie ist es mit der Anbahnung von Beratungsprojekten?

Der klassische Weg zu einem Beratungsprojekt in einer Behörde führt über eine Vergabe/Ausschreibung. Diese Ausschreibungen werden von eigenen Fachexperten inhaltlich beschrieben und in der Regel über eine Vergabestelle ausgeschrieben (national und europäisch).

In dieser Phase verläuft die Zusammenarbeit sehr formal und Rückfragen sind meistens ausschließlich über Bieterfragen möglich. Eine weitere Interaktion zwischen Fachbereich, also dem Projektträger, und potenziellen Dienstleistern, dem Berater, ist in der Regel nicht erwünscht. Der Zuschlag erfolgt eher aus wirtschaftlichen Gründen, dabei wird der Preis oftmals stärker gewichtet als die Leistung.

Die Anbahnung von Beratungsprojekten in einem Unternehmen ist unkomplizierter und im Vergleich mit mehr Interaktion verbunden. Insbesondere die konzeptionelle Phase wird tendenziell mit Beratungshäusern im Sinne einer Best-Practice-Logik oder auch Lessons Learned vorbesprochen und in einem Pitch, das ist eine Vorstellungs- beziehungsweise Präsentationsrunde, umgesetzt. Unternehmen achten sehr auf die Erfahrung, Mindset und Softskills von Beratern und erkennen diese über Interviews oder Teamvorstellungen. Die Interaktion ist weitaus direkter und persönlicher.

Welche Vor- und Nachteile hat die Zusammenarbeit mit Behörden gegenüber der mit Unternehmen?

Jede Zusammenarbeit mit einer Behörde und einem Unternehmen hat seine Vor- und Nachteile. Entscheidend ist, welchen Fokus man setzt und welches Ziel man erreichen möchte.

Ein Vorteil in der Zusammenarbeit mit einer Behörde liegt eher in der langfristigen Geschäftsbeziehung. Rahmenverträge mit Dienstleistungscharakter im öffentlichen Bereich bilden die Basis und haben häufig eine Laufzeit zwischen zwei bis vier Jahren. Es ist jedoch auch zu beachten, dass das vergebene Budget mit strikten Vorgaben verbunden ist (z.B. Freigabe von Haushaltsmitteln, Budget auf Jahresbasis).

Im Vergleich hat die Zusammenarbeit mit Unternehmen den Vorteil, dass Unternehmen nicht dem Vergabe-, Preisprüfungsrecht unterliegen. Festpreis-, Time and Material-, Gewerkeorientierte Beauftragung sind entsprechend möglich. Projektaktivitäten über den Jahreswechsel kommerziell zu managen ist tendenziell einfacher. Die Vorlaufzeit für die Projektanbahnung bzw. Beauftragung sind in einem Unternehmen im Allgemeinen kürzer und die Interaktion und Kommunikation schneller.

Private Auftraggeber erwecken häufig den Anschein, sie seien interessanter. Wie motivieren Sie ihre Kolleginnen und Kollegen für die Arbeit mit dem öffentlichen Sektor?

Im öffentlichen Sektor ist der Fokus anders gesetzt. Hier gilt: „Gemeinnutz geht vor Eigennutz!“ Ähnlich ist es in der Medizin. Ein Notarzt im Krankenhaus arbeitet manchmal 70 Stunden in der Woche, weil er Leben retten möchte, und es ist ein Teil seiner Berufung. Dementsprechend: Wer den Wunsch hat, die Gesellschaft nach vorne zu bringen und Teil von etwas ganz Großem zu sein, der ist persönlich motiviert, um im öffentlichen Sektor zu arbeiten. Es handelt sich um eine persönliche Einstellung und kann nicht erlernt werden. Die Erziehung und das eigene Umfeld sind hier Impulsgeber und Wegbereiter. Auch das Thema Arbeitsplatzsicherheit spielt zukünftig ein wichtiges Argument.

In der privaten Wirtschaft sind die Wettbewerbsfähigkeit und das Gewinnstreben ausgeprägter. Die Bezahlung ist entsprechend höher und gegebenenfalls motivierender. Die Motivation sich unternehmerisch zu betätigen, das Risiko in Kauf zu nehmen, ergebnisorientiert zu arbeiten und den Erfolg durch einen höheren monetären Gewinn – zum Beispiel mit einer variablen Vergütung – zu belohnen, können individuelle Antriebskräfte sein.

Möchten Sie zum Abschluss noch einen Wunsch in Richtung der Anbieter und Nachfrager von Verwaltungsberatung formulieren?

Mein Wunsch ist, dass die öffentlichen Verwaltungen stärker die Vorteile und Chancen, sowie die Mehrwerte einer Verwaltungsberatung erkennen.

Es muss eine Offenheit, ein stärkeres Marketing und eine klare Definition für Beratung oder Verwaltungsberatung her. Noch fehlt es an einem gemeinsamen Verständnis, welches in Zukunft stärker herausgearbeitet und verinnerlicht wird.  

Meiner Ansicht nach ist die öffentliche Verwaltung noch nicht ausreichend für die Dienstleistung wie Verwaltungsberatung aufgestellt. Es fehlt zum Teil der Mut, die notwendigen und erkannten Veränderungen mit Hilfe neutraler Experten anzugehen. Diese vorhandene Kompetenz von Beratern wird von Behörden immer stärker nachgefragt und kann nur bedingt intern bereitgestellt werden.