Open RAN: Kann sich die Branche neu erfinden?

Trotz erster Erfolge steckt das Ökosystem von Open RAN noch in den Kinderschuhen. Detecon Consultant Nikolay Zhelev hat zentrale Herausforderungen und Schlüsselfaktoren für den Erfolg von Open RAN identifiziert.

Vor 15 Jahren war 3G gerade dabei, in großem Umfang eingeführt zu werden, dazu kamen Hochgeschwindigkeitsdaten (HSDPA) auf den Markt. Betreiber hatten die Wahl zwischen mindestens einem Dutzend - ja, 12! - seriösen Netzwerkanbietern, um Geräte für das Radio Access Network (RAN) zu beziehen. Vor fünf Jahren hat sich diese Auswahl auf etwa sechs reduziert. Im Jahr 2020 halten nur noch drei große Anbieter 80 Prozent des Marktes für fortschrittliche 4G- und 5G-RAN-Produkte, sodass das Ökosystem vor drei großen Herausforderungen steht: Anbieterbindung und damit begrenzter Wettbewerb, Einschränkungen bei der Weiterentwicklung der RAN-Technologie und steigende Gesamtbetriebskosten (TCO).

Wie wir bis hierher gekommen sind und welche Probleme uns beschäftigen

Heutzutage entfallen mindestens 50 Prozent der CAPEX für Mobilfunknetze auf das RAN. Es kann nicht erwartet werden, dass dieser Anteil mit der Einführung von 5G sinkt. Bereinigt um Bauarbeiten, Antennen-Feeder-Komponenten und passives Equipment liegt der Anteil, der an Netzwerkanbieter für aktives RAN-Equipment (Software und Services) geht, bei 20-30 Prozent. Dieser Anteil war in der Vergangenheit sogar noch größer, als jede Generation der RAN-Technologie von verschiedenen Anbietern bereitgestellt wurde - beispielsweise 2G von Anbieter A, 3G von Anbieter B und 4G von Anbieter C.

Aufgrund der hohen Investitionen in RAN lag der Fokus der Betreiber in den frühen 2000er Jahren darauf, die beste Technologie innerhalb des verfügbaren Budgets zu erhalten. Das führte zu Multivendor-Einsätzen, zum Beispiel 3G als Overlay. Gleichzeitig erwies sich die 3G-Technologie als (zu) komplex und erforderte erhebliche F&E-Investitionen, so dass die Anbieter beginnen mussten, in die LTE-Technologie zu investieren. Dieser Ansatz erwies sich für viele Anbieter als nicht tragfähig, vor allem für das Unternehmen Nortel, das Anfang 2009 Konkurs anmeldete. 

In den frühen 2010er Jahren begannen die Betreiber nach einer kosteneffizienten Bereitstellung zu suchen, insbesondere zu Beginn des 4G-Rollouts. In dieser Zeit kam die Idee des Single RAN auf, die sich ab 2015 durchsetzen konnte. Bei einer Single-RAN-Bereitstellung könnte der Betreiber an jedem beliebigen Standort Geräte von einem einzigen Anbieter einsetzen. Der Kostendruck bei den Betreibern hallte bei den Netzwerkanbietern nach, wo eine massive Konsolidierung stattfand und zu einem von drei RAN-Anbietern dominierten Markt führte.

Die derzeit wichtigsten RAN-Anbieter verfügen über hochentwickelte, funktionsreiche und leistungsstarke Lösungen als Ergebnis jahrelanger kontinuierlicher F&E-Investitionen, Konsolidierungen und als die aktivsten 3GPP-Mitglieder. Darüber hinaus liefern diese Anbieter nicht nur die RAN-Software und -Hardware, sondern auch End-to-End-Services einschließlich Systemintegration, d. h. "Plan-Build-Run".

Als Folge der hohen Marktkonzentration sind bestimmte Probleme vorhanden:

  • Keine Interoperabilität zwischen Herstellerprodukten aufgrund geschlossener Schnittstellen
  • Eingeschränkte Flexibilität bei der Anpassung von Roadmaps an Marktbedürfnisse
  • Nicht konkurrenzfähige Preise aufgrund von begrenztem Wettbewerb
  • Hersteller-Lock-in-Effekte

Schaffung und Wachstum von Ökosystemen

Um der schwierigen RAN-Marktentwicklung entgegenzuwirken, haben Betreiber und relativ kleinere "Herausforderer"-Anbieter Initiativen rund um das Thema "offenes RAN" gestartet. Beispiele sind die O-RAN Alliance, TIP OpenRAN und vRAN, wobei einige dieser Initiativen bereits vor 3 bis 4 Jahren entstanden sind.

Hauptziele der Initiativen sind offene Schnittstellen, offene Software-Designs, die verstärkte Nutzung von kommerziell erhältlicher Off-the-shelf (COTS) Hardware und Software, Möglichkeiten zur Durchführung von Interop-Tests und Plugtests, um die Kombination verschiedener Anbieter zu testen. Die Kombination von Lösungen verschiedener Hersteller wird möglich sein, wie in Abbildung 1 dargestellt. Hardware und Software der Hauptkomponenten wie Radio Unit (RU) und Baseband Unit (BBU) könnten von verschiedenen Anbietern bezogen werden.

Figure 1: Distributed RAN and Open RAN

Die Offenheit im RAN wird dadurch sichergestellt, dass eine Disaggregation über definierte Schnittstellen möglich ist, wie in Abbildung 2 dargestellt. Schnittstelle A1 und E2 wird von RIC zwischen Management und der ORAN Distributed Unit (DU) unterstützt. Die Schnittstelle F1/E1/X2 wird durch den Multi-RAT-CU-Stack unterstützt. Das offene Fronthaul wurde von O-RAN spezifiziert, das darauf abzielt, eCPRI zu verbessern, um volle Interoperabilität zu gewährleisten. Man kann erwarten, dass diese offenen Schnittstellen die Grundlage für die Interoperabilität zwischen verschiedenen Anbietern ohne komplexe und kostspielige Integrationen bilden und somit sowohl technische als auch wirtschaftliche Vorteile bringen.

Figure 2: O-RAN interfaces

In Japan ist Rakuten Mobile sehr aktiv und hat mit dem Masseneinsatz von offenen RAN-Komponenten - Hardware und Software von verschiedenen Anbietern - begonnen. Mehrere Unternehmen arbeiten gemeinsam an der Entwicklung und dem Einsatz von offenem 4G/5G-VRAN, basierend auf den Spezifikationen der O-RAN-Allianz, wobei Rakuten als Hauptsystemintegrator fungiert. Bis heute wurden Tausende von Makro-, Kleinzellen- und aktiven Antennen für 4G- und 5G-Mobilfunknetze auf der grünen Wiese ausgerollt.

Einige Betreiber in Europa sind entsprechend dem Beispiel von Rakuten Mobile tätig geworden. Vodafone begann 2019 mit Tests in Großbritannien und Afrika zu beginnen und eine RfQ für Open RAN durchzuführen. In Berlin wurde das weltweit erste O-RAN TIP-Labor für O-RAN-Test und Zertifizierung gegründet. Derzeit arbeiten mehr als 100 Anbieter unterschiedlicher Größe aktiv in den Allianzen mit.

Trotz dieser Erfolge liegen noch viele Herausforderungen vor uns - zunächst einmal gibt es immer noch keine einheitliche Sicht auf das Ökosystem der Zukunft. Die Zusammenarbeit zwischen den Allianzen steckt noch in den Kinderschuhen. Es sind weitere Impulse erforderlich, um die aktuellen Bemühungen von Versuchen und Tests zu kommerziell nutzbaren Lösungen voranzutreiben.

Alle Beteiligten in der RAN-Industrie könnten einige der folgenden Punkte in Betracht ziehen, um das letztendliche Ziel zu erreichen, ein nachhaltiges, innovationsreiches und wettbewerbsfähiges Ökosystem zu schaffen:

  1. Definieren Sie Mindestleistungsanforderungen für Produkte, die für den Einsatz in Städten und auf dem Land, für Brownfield- und Greenfield-Betreiber geeignet sind - und setzen Sie alles an die Erreichung dieser Anforderungen.
  2. Definieren und ermöglichen Sie standardisierte Tests für alle Komponenten der RAN-Lösung in einer Multivendor-Umgebung.
  3. Erwerben Sie Systemintegrationskompetenz, um eine Carrier-Grade-Lösung zusammenstellen zu können.
  4. Identifizieren Sie Verantwortlichkeiten und Rollendefinitionen in der gesamten Lieferkette, und investieren Sie in das Risikomanagement, um sicherzustellen, dass die Gesamtlösung den Anforderungen innerhalb akzeptabler Risikogrenzen entspricht.
  5. Regen Sie Investitionen mit Unterstützung der Hauptakteure an - Betreibern, Verkäufern, Institutionen.

Wichtige Erfolgsfaktoren für Open RAN

Detecon glaubt, dass Open RAN ein sehr sinnvoller Transformationsschritt in der RAN-Industrie ist. Wir haben die Fortschritte in den letzten fünf Jahren untersucht und sehen daher, dass ein gewisses Momentum erforderlich ist, um sich vom Hype zu lösen und die Versprechen zu erfüllen. Die folgenden Erfolgsfaktoren werden für jeden wichtigen Stakeholder im Ökosystem identifiziert.

Betreiber (verschiedene Ebenen):

  • Spezifizieren Sie offene RAN-Anforderungen in RAN RFQ/RFP
  • Starten Sie mittelgroße bis große Pilotprojekte, validieren Sie funktionale und nicht-funktionale Anforderungen sowie die Servicefähigkeiten von Anbietern
  • Bewerten Sie die interne Organisation hinsichtlich der Eignung für die Einführung von Open RAN: Qualifikation der Mitarbeiter (DevOps), Prozesse für den Umgang mit Multivendor-Lösungen, Verantwortung und Verantwortlichkeit im eigenen Haus; Annahme der erforderlichen Änderungen
  • Leitung der Systemintegration einer Multi-Vendor-Lösung

Anbieter (Herausforderer):

  • Stellen Sie sicher, dass die Lieferketten vorhanden sind, um in großem Umfang zu liefern
  • Stellen Sie sicher, dass Leistung und Qualität dem Stand der Technik auf dem Markt entsprechen
  • Bauen Sie eine interne oder partnerschaftliche Organisationsstruktur auf, die in der Lage ist, kommerzielle Projekte über den gesamten Lebenszyklus (Plan-Build-Run) zu liefern

Anbieter (etablierte Unternehmen):

  • Erwägen Sie die (Re)Position gegenüber offenem RAN und gehen Sie Allianzen zur Zusammenarbeit ein.
  • Identifizieren Sie tragfähige Geschäftsmodelle, die IPR, Produktionsführerschaft und e2e-Fähigkeiten nutzen.

 

Vielen Dank an Dr. Xiaowei Zhang für ihre Mitarbeit an diesem Artikel.