Zweite Welle der Digitalisierung: Wie Telcos das Momentum für sich gewinnen

Die Telekommunikationsbranche steht inmitten massiver Umbrüche. Auf dem Weg zu einer aussichtsreichen Positionierung für die Zukunft ist die Analyse der Marktveränderungen deshalb unabdingbar. Es zeigt sich, dass scheinbar dominierende Entwicklungen wie die enorme Marktmacht vieler Hyperscaler für Telekommunikationsunternehmen nicht unabänderlich sind. Ein Aufruf, das Momentum der Digitalisierung jetzt zu nutzen.

Im Tagesgeschäft unserer Kunden stehen meist kurz- bis mittelfristige Handlungen und Entwicklungen im Vordergrund.  So gerät leicht aus dem Blickfeld, vor welch umfangreichen Marktveränderungen die Telekommunikationsbranche steht - und auch welchen sie bereits begegnet. Nehmen wir „die Cloud“ und „mobile Commerce“: vor gerade einmal zehn Jahren wurden diese zwei Buzzwords noch skeptisch beäugt. Heute nutzen, ganz selbstverständlich, Konsumenten und Unternehmen täglich milliardenfach diese Dienste.

Fundamentale Veränderung der Wettbewerbsbedingungen

Betrachten wir Marktveränderungen im Zeitverlauf, lässt sich erkennen, dass selbst scheinbar dominierende Entwicklungen wie die enorme Marktmacht vieler Hyperscaler, nicht unveränderlich sind. So hat die enorme hohe Durchdringung digitaler Dienste der letzten Dekade in fast alle Facetten unseres Lebens und Wirtschaftens hinein, weitere, entscheidende Effekte: uns allen, egal ob wir als Unternehmer, Angestellte, Politiker, geschäftliche oder private Nutzer digital Dienste nutzen, wird nunmehr deren Wirkmacht und tiefgreifender struktureller Einfluss zunehmend bewusst.

Was vorgestern noch undenkbar war, ist heute nicht wegdenkbar – und daher für übermorgen vorzudenken.

Clemens Aumann

Das entscheidend Neue ist, dass sich diese Erkenntnis nunmehr in weiten Teilen gesellschaftlicher und politischer Stakeholder durchsetzt und damit vermehrt Einfluss auf konkretes politisches und unternehmerisches Handeln nimmt: eine Vielzahl aktueller Initiativen auf politischer wir wirtschaftlicher Ebene demonstriert dies deutlich. Für Telcos bedeutet dies: Die wettbewerblichen Rahmenbedingungen aller Marktteilnehmer werden sich (erneut) fundamental ändern.

Zweite Welle der Digitalisierung: Geregelter Wettlauf um Gigabit-Gesellschaften

Während sich in der ersten Welle des Digitalisierungswettbewerbs der Erfolg der Internetgiganten unter einer weitgehenden Abwesenheit von regulatorischen Bedingungen und industriepolitischen Ambitionen eingestellt hat, wird die zweite Welle in einem deutlich stärker regulierten Umfeld stattfinden.

Regulierung wird sich stärker horizontal statt vertikal ausrichten und dabei die schwindenden Grenzen zwischen den Industrien berücksichtigen. Alle wichtigen Rechtsbereiche werden an die Erkenntnisse der ersten Welle mit ihren zum Teil negativen Auswirkungen angepasst werden. Zu diesen Rechtsbereichen zählen zum Beispiel das Wettbewerbsrecht, Steuerecht, Medienrecht, Verbraucherschutz, Strafrecht oder bisherige, eher vertikal ausgerichtete, sektorspezifische Regulierungen. Die Bedeutung dieser zweiten Welle für den zukünftigen Wohlstand der Nationen und Generationen wird zu weiteren industriepolitischen Initiativen führen, die die technologischen Entwicklungen befeuern dürften.

Wenn man sich auf die Suche nach einem ikonischen Moment als Auslöser für diese zweite Welle machen würde, käme der Cambridge Analytica Skandal in Frage, weil dieser Datenskandal die Gefahren der datenzentrischen Geschäftsmodelle der großen Internetplayer einem großen Publikum drastisch vor Augen geführt hat und für weltweite Resonanz und grundsätzliche Diskussionen gesorgt hat.

Wir haben sechs Treiber identifiziert, die maßgeblich auf den Umbruch und das Momentum für Telcos wirken:

Abbildung: Sechs Treiber, die signifikant das Momentum beeinflussen

Diese sechs Treiber haben einen Kulminationspunkt erreicht, der die Telcos vor grundlegende Positionierungsentscheidungen stellt. Die folgenden fünf Thesen fassen unseren Blick auf die Zukunft zusammen:

Fünf Thesen zur Zukunft der Telcos

1. Telcos werden in den nächsten Jahren einen Konsolidierungsprozess durchlaufen.

In Europa, wo es mehr als 100 Netzbetreiber in einem Wirtschaftsraum von ungefähr 500 Millionen Einwohnern gibt, wird es verstärkt zu länderübergreifenden Zusammenschlüssen und Konsolidierungen innerhalb eines Landes kommen. Dieser Prozess wird vor allem durch ökonomische Zwänge getrieben. Die notwendigen, riesigen Investitionen in breitbandige Infrastrukturen bei gleichzeitiger Stabilität oder sogar Reduktion der Endkundenpreise wird die Ergebnissituation stark belasten und Netzbetreiber zu verstärkter Kooperation oder Konsolidierung zwingen.

Pro Land wird es zwei bis maximal drei landesweit agierende Netzbetreiber geben. Im Ergebnis wird es zukünftig in Europa eine Handvoll Telco-Gruppen geben. Der Prozess beginnt mit Kooperationen im Netzbereich, zum Beispiel Tower Sharing, Network Sharing, Joint Ventures für den Netzausbau; und endet bei der gemeinsamen Entwicklung und Bereitstellung von Diensten im Wholesale- und/oder Retail-Markt. Kleinere Carrier mit einer schwächeren Marktposition oder Nachzügler werden ihr Heil in engen Kooperationen mit den Hyperscalern suchen (siehe das Beispiel AWS und Dish in den USA) oder mit anderen Carriern zusammengehen. Nicht auszuschließen ist es, das Hyperscaler versuchen werden, Anteile an Telcos zu kaufen, um sich eine exklusive Kooperation zu sichern.

2. Die wenigsten Telcos werden ein vertikal integriertes Geschäftsmodell für alle Kundensegmente realisieren oder beibehalten können. Der Prozess der Desintegration der klassischen Telco-Wertschöpfungskette wird weiter fortschreiten. Das Wettbewerbsfeld fächert sich weiter auf. Es wird fokussierte Anbieter geben, die sich bestimmte Bausteine der Wertschöpfungskette rausgreifen.

3. Viele Telcos werden den Endkundenkontakt an die Hyperscaler verlieren und sich auf ein Wholesale-Geschäftsmodell konzentrieren. Der Prozess inkludiert auch die klassische Anschlussleistung und beginnt bei den großen internationalen Unternehmenskunden, Campus-Netzen oder im IoT Bereich und wird Schritt für Schritt auch die kleineren Kunden erreichen. Die Abhängigkeit der Telcos von den Hyperscalern wird allerdings beherrschbar sein, da neue regulatorische Rahmenbedingungen - siehe DMA und DSA in der EU - Interoperabilität, Open Access und Data Portability verlangen sowie Lock-in Tendenzen verhindern.

4. Einige wenige Telcos haben die Chance, auf Augenhöhe mit den Hyperscalern zu konkurrieren und den Endkundenkontakt auf der Diensteebene zu behalten. Dies setzt allerdings voraus, dass sie über bestimmte Assets und Fähigkeiten verfügen und diese in der Zeit, die ihnen noch bleibt, konsequent stärken und ausspielen. Diese Telco müssen in der Lage sein, in Ökosystemen und Partnerschaften auf allen Stufen der Wertschöpfung zu handeln. Die Präsenz auf der Endkundenseite wird hierbei abgesichert durch Dienste, die durch ein Partner-Ökosystem, das auch Hyperscaler inkludiert, bereitgestellt werden und durch innovative, konvergente Dienste, die in Eigenregie entwickelt werden und die im Gegensatz zu den Diensten der Hyperscaler primär national oder lokal skalieren.

Vor dem Hintergrund der skizzierten Treiber wird es neue Möglichkeiten geben, die über die reine Konnektivität hinausgehen. Hier sind Sicherheitslösungen, Cloud-Angebote, IoT, Campus-Lösungen, Smart City, Ee-learning und Kollaborationsplattformen zu nennen. Chancen für neue Dienste oder die Revitalisierung bereits bestehender Dienste ergeben sich möglicherweise durch die neuen regulatorischen Entwicklungen oder durch industriepolitische Initiativen wie das europäische GAIA-X. Partnerschaften und die Beteiligung an kontinentalen und regionalen Ökosystemen schaffen hier Chance für Topline-Wachstum und Kundenbindung. Hierfür sind allerdings massive Bemühungen notwendig, die die Customer Experience über alle Touchpoints hinweg optimiert.

5. Telcos müssen auf Greenfield-Ansätze setzen und radikale Schritte machen, um rechtzeitig die notwendige Effizienz, Automatisierung und Flexibilität in der internen Leistungserbringung zu erreichen. Die inkrementelle Weiterentwicklung von bestehenden IT-Systemen, Prozessen oder Netzarchitekturen dauert zu lange, ist zu komplex und schafft nicht die erforderlichen Freiräume.

Positionierungsoptionen für Telcos

Grundsätzlich haben die Netzbetreiber die Wahl zwischen zwei Positionierungsoptionen:

  1. Infrastructure Broker - einem eher infrastrukturorientierten Geschäft,

    oder
     
  2. Integrated Service Orchestrator, einem Geschäftsmodell, welches weiterhin die Dienstebene und den Endkundenkontakt inkludiert.

Die verschiedenen Positionierungsoptionen lassen sich entlang der Wertschöpfungskette abbilden, deren Endpunkte jeweils für die eine oder andere extreme Positionierungsalternative stehen.

Welche der Optionen - auch zwischen diesen beiden Extrempunkten - für einzelne Carrier in Frage kommen, hängt wesentlich von der konkreten Ausprägung und Intensität der oben genannten Treiber in den jeweiligen Märkten sowie den verfügbaren Assets und Ambitionen der Telcos ab.