Franz Seiser & Friedbert Rich: Wie die Deutsche Telekom das Potenzial und die Herausforderungen von ORAN sieht

Disaggregation der Mobilfunknetze - oder Open RAN - bilden den Weg in eine breitere Multi-Vendor-Umgebung zur Förderung des Wettbewerbs, Beschleunigung der Innovationszyklen und Reduktion der Gesamtkosten (auch „Total Cost of Ownership“ oder kurz TCO). Franz Seiser und Friedbert Rich berichten über die Beweggründe und die Motivation der Deutschen Telekom, das Thema ORAN voranzutreiben. Sie geben spannende Einblicke in die Strategie sowie die Lessons Learned aus dem Umgang mit SRAN-Vendoren und spiegeln ihre Sicht auf die Chancen und Risiken von ORAN.

Welche Vorteile hat die ORAN-Technologie für die Deutsche Telekom als Operator?

F. Seiser: In erster Linie erwarten wir von ORAN mehr Flexibilität, mehr Geschwindigkeit und am Ende des Tages auch eine niedrigere TCO. Ermöglicht wird es dadurch, dass wir mit ORAN viel tiefer in eine Softwarewelt einsteigen. Sprich, durch die Virtualisierung des Basebands und einer Cloudifizierung können wir im RAN-Umfeld all diese Vorteile und darüber hinaus auch die Geschwindigkeit von Cloud-Technologien gezielt nutzen. Konkret bedeutet das: Software-Upgrades können viel schneller und individuell zugeschnitten ausgerollt werden. Außerdem können neue Funktionalitäten schneller getestet und im Endeffekt auch viel schneller den Kunden zur Verfügung gestellt werden.

Der zweite Faktor ist sicherlich die Programmierbarkeit an sich. Speziell der RAN Intelligent Controller (RIC), wird es uns ermöglichen, die Radioschnittstelle flexibler zu gestalten und Services viel schneller zu deployen.

Als dritter wesentlicher Faktor kommt dann auch noch der größere Wettbewerb hinzu. Hier ist die Hoffnung, dass dieser langfristig zu mehr Innovationen und auch niedrigeren TCOs führen wird.

F. Rich: Bei allen technischen Vorteilen ist für mich der dritte Faktor, Wettbewerb, sehr wichtig. Mit der Disaggregation und der Einführung von ORAN ergibt sich für uns als Deutsche Telekom mit Blick auf die Anbieter eine höhere Auswahl und noch mehr Innovationskraft:

In welchen Bereichen sieht die Deutsche Telekom einen konkreten Handlungsbedarf im Vergleich zu SRAN?

F. Rich: Auf der einen Seite gibt es natürlich die internen Herausforderungen. Größter Handlungsbedarf bedingt durch ORAN und die Disaggregation als solche besteht hier sicherlich bei der Entwicklung eines neuen Operating Models. Viele interne Abläufe und Prozesse im RAN-Bereich werden sich ändern müssen, vieles wird hinzukommen und vieles wiederum muss konsolidiert werden, sodass die Vorteile von ORAN auch vollständig ausgeschöpft werden können.

F. Seiser: Auf der anderen Seite darf man auch die Marktseite nicht vergessen. Wir haben in dem sich jetzt entwickelnden Ökosystem auch noch eine ganze Menge Arbeit vor uns – auch beziehungsweise gerade als Operator. Die neuen Player, die in den nächsten Jahren in den Markt eintreten, werden voraussichtlich von uns eine Menge Hilfe benötigen. ORAN ist heute in einigen Bereichen noch nicht konkurrenzfähig. Wir als Operator müssen hier Prioritäten setzen und dem Markt eine Richtung geben. Wir sprachen ja eben von Wettbewerb, daher ist ein Interesse an zahlreichen konkurrenzfähigen Playern am Markt nur logisch. Einerseits fördert es Innovationen und neue Lösungen, andererseits kann es uns ermöglichen, die TCO zu verringern.

Unsere Interviewpartner

Franz Seiser ist Vice President und Executive Lead für "Access Disaggregation" im Bereich "Technology Architecture and Innovation" der Deutschen Telekom Gruppe. In dieser Funktion treibt er die Entwicklung und Implementierung innovativer, flexibler und effizienter Netzarchitekturen für die Deutsche Telekom voran, die sowohl Fest- als auch Mobilfunknetze umfassen. Heute konzentriert sich Franz sehr stark auf das offene RAN und leitet die Bemühungen der Deutschen Telekom, dieses zu einer wettbewerbsfähigen Lösung zu entwickeln.

Friedbert Rich ist Head of Super Squad RAN bei der Deutschen Telekom Gruppe. Er hat die Programmrolle Radio Acess Diaggregation inne und führt zudem den Lead Deployment & Operations.

Welche strategischen Fragen müssen dabei in Betracht gezogen werden?

F. Rich: Schauen wir doch auf das Target Operating Model, kurz TOM, als eine der Hauptherausforderungen zurück. Strategisch ergibt sich hier logischerweise folgende Kernfrage: Make or Buy? Die Anforderung an das neue TOM wird sein, den optimalen Mix von In- und Outsourcing widerzuspiegeln. Wir als Operator müssen daher entscheiden, welche Teile der Wertschöpfungskette wir selbst übernehmen und wieviel Verantwortung, zum Beispiel für Systemintegration, wir nach außen geben wollen. Hier bedarf es starker strategischer Abwägungen, da die Konsequenzen durch eine Forcierung der einen oder anderen Seite natürlich grundlegende Auswirkungen auf die Prozesse und Aktivitäten haben wird.

Was kann ein Operator tun, um ein innovatives ORAN Ökosystem zu fördern?

F. Seiser: Aus meiner Sicht gibt es hier zwei zu forcierende Handlungsstränge. Einerseits gilt es, heutige SRAN Supplier dazu zu bewegen, ORAN zu unterstützen. Unser besonderes Augenmerk gilt hier den großen europäischen Anbietern. Deren Konkurrenzfähigkeit liegt stark in unserem Interesse, nicht zuletzt deswegen, weil wir glauben, dass Europa hier zukünftig weltweit eine Vorreiterrolle einnehmen kann.

Andererseits, und damit zum zweiten Handlungsstrang kommend, ist es wichtig, starke Anreize für neue Marktteilnehmer zu schaffen. Nur so wird es möglich sein, dass die nicht unerheblichen Investitionen getätigt werden, die nötig sind, um innovative Produkte zu entwickeln. Wir und die anderen europäischen Netzbetreiber müssen gemeinsam klar machen, dass es hier ein großes gemeinsames Commitment zu ORAN gibt und ein komplett neuer Markt entsteht, an dem die neuen Player in Zukunft teilhaben können. Die Deutsche Telekom forciert dies einerseits durch Initiativen wie dem i14y Lab in Berlin, das Entwicklern eine Vendor-unabhängige Umgebung bereitstellt, in welcher innovative Open-RAN-Lösungen entwickelt und getestet werden können. Andererseits sind wir Teil der ORAN Alliance und haben darüber hinaus mit Europas größten Netzbetreibern Orange, Vodafone, Telefónica und TIM eine klare Absichtserklärung in Form eines MoU zu ORAN unterzeichnet, um unser Interesse diesbezüglich nochmal zu unterstreichen. Nur mit dem gemeinsamen Commitment aller Beteiligten kann der Wettbewerb geschaffen werden, von dem letztlich alle profitieren können.

F. Rich: Zusätzlich dürfen wir als führende Telco jetzt nicht den einfachsten und billigsten Weg gehen, insbesondere nicht in der Anfangsphase. Damit ein ORAN Ökosystem funktioniert, benötigt es starke Partnerschaften – mit Netzbetreibern und Lieferanten. Hier müssen wir als Operator die Bereitschaft zeigen zu investieren und gemeinsam mit unseren Partnern die Lösungen von morgen entwickeln. Nur durch ein beidseitiges Geben und Nehmen können die Innovationen entwickelt werden, die es braucht, um ORAN konkurrenzfähig zu machen.

Worin bestehen die Chancen und Gefahren eines neuen Operating Models zur Einführung von ORAN?

F. Seiser: Die Chancen liegen sicherlich in einer gesteigerten Kontrolle und deutlich weniger Abhängigkeiten von großen Herstellern. Es wird einfacher sein, neue Innovationen einzuführen, wenn man die Zügel am Ende des Tages selbst in der Hand hat. Das geht jedoch einher mit massiven neuen Anforderungen an uns und unsere Mitarbeiter. Die Gefahr ist dabei ganz klar, die nötigen Skills und Prozesse nicht schnell genug etabliert zu bekommen. Als Operator muss ich mir kritisch die Frage stellen, ob ich das nötige Tempo bei der Umsetzung der notwendigen Veränderungen etablieren kann, während ich gleichzeitig weiß, dass ich „on the way“ lernen und adaptieren muss – und das bei hohem Effizienzdruck.

F. Rich: Uns ist klar, dass sich die RAN Technologie in den nächsten Jahren grundsätzlich verändern wird – völlig unabhängig von der Disaggregation. Und das bedeutet auch, dass wir uns bereits heute damit beschäftigen müssen, wie unser Operating Model von morgen aussieht und auch, wie wir in Zukunft zusammenarbeiten werden. Wir sprechen hier über neue Arbeitsweisen, die aber in einer Organisation erst einmal etabliert werden müssen. ORAN kann also eine Chance sein, zusammen mit Virtualisierung und Cloudifizierung, diesen Wandel Schritt für Schritt voranzutreiben.

Das Interview führten