Vom Messen, Teilen und Vertrauen

Janine Langlotz ist Head of Digital Communications Strategies in der Kommunikation der Bayer AG. Neben der ‚Digitalstrategie 2021‘ kümmert sie sich um strategische Kernprojekte, wie die Förderung des Employee Engagements in sozialen Medien, Chatbot-Entwicklungen und das interne Digital Community Management mit rund 60 Ländern. Im Rahmen unserer Interviewreihe COMRebels sprachen wir mit der Kommunikationswissenschaftlerin über aktuelle Chancen und Herausforderungen in der Unternehmenskommunikation, über die Trends der kommenden Jahre und warum Mut und Experimentierfreudigkeit immer wichtiger werden, selbst wenn man dabei auch mal gegen eine Wand läuft.

Die Unternehmens­marke verliert in der Kommunikation an Bedeutung, die Verbreitung von Informationen und der Dialog mit den Zielgruppen liegt zunehmend in den Händen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über ihre Social-Media-Accounts selbst ihre Empfänger adressieren. Fördert ihr diese Entwicklung bei Bayer?

Aus Sicht der digitalen Kommunikation kann ich bestätigen, dass die Markenkommunikation mehr und mehr durch die Mitarbeiter erfolgt, und wir begrüßen und fördern das bei Bayer. Das bedeutet aber auch, dass die Unternehmenskommunikation Mitarbeiter beim Kommunizieren begleiten sollte. Wir müssen die Haltung des Unternehmens zu bestimmten Themen klarmachen. So merken wir beispielsweise seit der Akquisition von Monsanto, dass unsere Mitarbeiter mit immer mehr Fragen konfrontiert und auch auf kritische Themen angesprochen werden. Wir zeigen intern, wie das Unternehmen zu diesen Themen steht, was unsere Kollegen dazu sagen können und wie sie dabei vermeiden, mit den Tücken der Social-Media-Kommunikation konfrontiert zu sein. Über eine zentrale Anlaufstelle helfen wir MitarbeiterInnen dabei, Fragen zu beantworten und übernehmen mit den Corporate-Kanälen, sobald die Anfragen für den einzelnen Mitarbeiter nicht mehr handhabbar sind. Dabei geht es keinesfalls darum, Mitarbeiter zu kontrollieren, sondern vielmehr darum, ihnen ermutigend und beratend zur Seite zu stehen. „Enabling durch Empowerment“, wie es so schön heißt, hat längst die klassischen Kontrollreflexe in der Unternehmenskommunikation ersetzt. So lassen wir Kontrollverlust zu, aber unterstützen, wenn wir gebraucht werden.

Du sprichst vom Kontrollverlust der Zentralkommunikation?

Na ja, also Zentralkommunikation klingt irgendwie wie aus dem letzten Jahrhundert. Ja, bei Bayer gibt es eine Corporate-Function, aus der heraus wir bestimmte Themen leiten. Korrekt. Am Ende ist es doch so, dass wir Kommunikatoren unsere Hoheit (wenn wir so etwas je gehabt haben) über die Informationsverbreitung an die Mitarbeiter abgeben und damit einverstanden sind, dass die Message nicht mehr 1:1 dem entspricht, was wir in der Pressemitteilung formuliert haben. Das heißt ebenso, dass ein Kulturwandel stattfinden muss; zunächst einmal in der Kommunikationsabteilung selbst. Die Mitarbeiter sollten spüren: „Hier tut sich etwas, ich darf nach draußen gehen, ich darf selbst das Gespräch suchen und wenn etwas schiefgeht, dann steht das Unternehmen hinter mir“.

Das heißt, ihr fördert ganz gezielt, dass Mitarbeiter aktiver Teil der Marken­kommunikation sind? Wie läuft das konkret?

Unser Augenmerk liegt zunächst einmal darauf, Argumente zu liefern. Diese versuchen wir den Mitarbeitern über verschiedene Formate mitzugeben, z.B. über kleine Q&As, eine Mitarbeiter-App und kuratierte Social Media Posts. So liefern wir häppchenweise kleine Content-Pakete. Dann müssen wir schauen, wie unsere Kolleginnen und Kollegen damit umgehen und was für ein Feedback sie uns geben. Und dann geht es natürlich darum, uns ihrem Verhalten und ihren Vorlieben anzupassen. Wir erhalten sehr positive Resonanz auf Botschaften, die nicht allzu ‚corporate-lastig‘ sind. Auch vorformulierte Posts sollten versuchen, eine hohe Authentizität zu transportieren. Denn die Mitarbeiter sind nicht nur ein Katalysator, um mehr Durchschlagskraft in sozialen Medien zu haben, sondern auch, um glaubwürdig diejenigen Netzwerke zu erreichen, die die Corporate Brand mit ihren Kanälen niemals erreichen würde.

Aber es geht auch um Qualität. Wir setzen auf hochqualitativen Content und nicht auf Masse! Zu oft tendiert man dazu, sinnlos Posts in Social Media ‚rauszupusten‘, weil man sich selbst den Druck macht, eine hohe Frequenz aufrecht zu halten. Wir müssen unseren Kanal-Managern und engagierten Mitarbeitern beibringen, sich zu fragen, wer ihre Zielgruppe ist und wie sie diese bestmöglich erreichen. Die Frage ist eben nicht: „Wie komme ich auf meine 5 Tweets pro Tag?“

Baut ihr auch gezielt Influencer auf, die mit gutem Beispiel vorangehen?

Das tun wir, obwohl wir das Wort Influencer lieber vermeiden. Zum einen konzentrieren wir uns darauf, Kollegen im Senior Management weiterzuentwickeln, die bereits social-media-affin sind, und ihnen beim weiteren Aufbau ihres Personal Brands zu helfen. Zum anderen suchen wir gezielt Fachexperten im Unternehmen und unterstützen sie von Anfang an beim Aufbau ihrer Social-Media-Aktivitäten. Oft haben Kollegen große Lust, nach draußen zu treten, haben aber Angst, angegriffen zu werden oder gar einen Shitstorm auszulösen. Dann lautet unsere Message: „Fang an, trau dich, wir sind für dich da!“

Ich glaube, es funktioniert ganz viel über Vorbilder im Unternehmen. Ich muss jemanden haben, der mir eine Richtschnur bietet. Diese Person sollte man intern auch als solche positionieren, d.h. zu Wort kommen lassen. Ich sage nicht, dass es der CEO sein muss, das kann z.B. auch jemand sein, der für Innovation, Forschung oder Marketing steht.

Wenn jeder mit jedem kommunizieren kann und auch soll: Welche Rolle spielt dann künftig noch der Bereich Unternehmenskommunikation?

Es ist sicherlich noch ein weiter Weg, bis jeder, der will, zum Kommunikator geworden ist. Aber die Unternehmenskommunikation wird auch dann ihre Daseinsberechtigung haben. Sie wird sich weiterhin um die Corporate-Kanäle kümmern, aber auch mehr und mehr Richtlinien entwickeln und Leitplanken setzen. Es wird nicht mehr darum gehen, starr vorzugeben, was wer sagen und tun darf. Es geht vielmehr darum aufzuzeigen, in welchem kommunikativen Rahmen wir uns bewegen, dann aber die Mitarbeiter dazu zu motivieren, sich auszutoben, kreativ zu sein und ihre eigenen Netzwerke auszubauen.

Wir empfehlen unseren Kunden im Rahmen unseres ‚Company ReBuilding-Ansatzes‘ die Etablierung einer neuen Rolle: der des Com-Agents. Also weg von der zentralen Querschnittsfunktion, hin zu einem Pool von Com-Experten, die befristet einem Projekt, einem Team oder einem Thema zugeordnet sind. Eine temporäre Rolle, die dem agilen Arbeiten in Unternehmen gerecht wird. Ist das denkbar auch bei Bayer?

Dieses Modell leben wir in ähnlicher Weise schon. Bei Bayer nennen wir das Business Partnering. Wir haben Kommunikatoren, die bei HR, Corporate Innovation oder in der IT-Abteilung angesiedelt sind und dort die Kommunikationstätigkeiten unterstützen – nach innen, aber auch nach außen. Dabei hängt der Erfolg vom Kompetenzportfolio des einzelnen Business Partners ab, und davon, wie er seine Rolle interpretiert. Ich glaube auch, dass unsere Business Partner im Moment noch nicht in der Lage sind, das komplette digitale Portfolio zu bespielen. Oft dominiert hier noch das Mindset: „Lasst uns einen Intranet-Artikel schreiben und fertig.“ Gemeinsam müssen wir uns in den Teams motivieren, neue Wege zu gehen, mit Social-Intranet-Möglichkeiten zu spielen und wieder mehr inhouse zu lösen.

Welche Fähigkeiten braucht der Kommunikator in Zukunft?

Der Kommunikator braucht zunächst einmal ganz viel Neugier und Spaß daran, zu experimentieren. Er braucht Lust auf neue Kanäle, neue Formate, neue Ausspielungsmöglichkeiten. Noch nie sind so schnell neue Kanäle und Formate aus dem Boden geschossen. Deren Bedeutung verstehen wir nur, wenn wir sie ausprobieren. Ich will da noch gar nicht von Instagram TV sprechen, aber jeder Kommunikator sollte z.B. einfach mal für sich einen Instagram Account aufsetzen, Insta-Stories ausprobieren und ein Gefühl dafür bekommen, wie schnell die Kommunikation aktuell ist. Nur so erkennt man, ob man irgendwo ‚Nachholbedarf‘ hat.

Immer wichtiger wird auch, das Interesse an Daten zu wecken und die Fähigkeit zu fördern, diese zu lesen. Ich bin der Überzeugung, dass Kommunikation nicht mehr mit dem Zeitpunkt endet, in dem ich Content ausspiele, sondern sie beginnt dann erst. Denn jetzt startet der Dialog. Für uns war es ein Riesenschritt, damit anzufangen, den Leuten da draußen zu antworten. Ich glaube auch, dass eine Social-Media-Strategie zu 40% aus der Content-Strategie und zu 60% aus einem klugen Community-Management-Konzept besteht. Wie spreche ich meine Zielgruppe an? Wie komme ich in den Austausch? Wie bringe ich mich auch dort ins Gespräch, wo nicht über mich gesprochen wird? Um diese Fragen zu beantworten, muss ich die richtigen Listening-Tools einsetzen, Daten lesen können und die Learnings daraus ernst nehmen. Das wird die gesamte Kommunikationsarbeit verändern, inklusive der Media Relations.

Es geht auch darum, die Angst davor zu verlieren, dass andere in mein Terrain eindringen. Wir sollten noch mehr als heute teilen und vertrauen lernen. Die Kommunikationsabteilung ist nicht immer die zentrale Anlaufstelle für alle medialen Stakeholder und steuert alles alleine. Am besten gelingt Kommunikation, wenn wir Kollegen aus unterschiedlichen Bereichen an einen Tisch bringen, die Themen gemeinsam diskutieren und aus verschiedenen Perspektiven bearbeiten. Ich glaube, das ist der Mentalitätswechsel, der stattfinden muss. Wir müssen bereit sein, fach- und hierarchieübergreifend voneinander zu lernen und Informationen und Erfahrungen miteinander zu teilen. Die Unternehmenskommunikation kann diesen Prozess steuern.

Also weg von der produzierenden Funktion, hin zu einer beratenden Funktion des Kommunikators?

Teils-teils. Ich finde es schade, wenn Kommunikatoren nicht mehr selbst schreiben können, nicht mehr Photoshop bedienen und auch keine Videos mehr schneiden können. Gerade in der internen Kommunikation würde ich sagen, Selfmade-Videos oder mal eine selbst gebaute kleine Grafik können dazu beitragen, schneller und menschlicher zu kommunizieren. Wenn ich das aber nie gemacht habe, kann ich solche Aufgaben nicht mal eben übernehmen.

Wichtig ist also, dass man das, was man selber leisten kann und wodurch man Content-Produktionskosten reduziert, selbst übernimmt. Und parallel Kommunikations-Wissen in der Organisation aufbaut, z.B. in Form von Tutorials oder Styleguides. Ich glaube, es ist ein Mix aus beidem.

Informationen wirken nur nachhaltig durch Geschichten, die berühren. Ist Storytelling auch für euch das Thema der Stunde?

Ich kann nicht alles über Geschichten transportieren. Und die Bedeutung dieses Themas variiert sicherlich von Unternehmen zu Unternehmen. Für uns ist es wichtig, die Fragen unserer Zielgruppen zu antizipieren. Unsere Klientel sucht nach Help-Content. Je mehr Sprachassistenten in Umlauf gebracht werden, desto mehr stellt der User konkrete Fragen. Ich muss also Content anbieten, der genau diese Fragen beantwortet –  d. h. Tipps geben und Hilfestellungen anbieten. Dabei müssen wir auch ein Auge auf die Themen haben, die unser Wettbewerb besetzt und wo sich für uns Lücken auftun. Also zum Beispiel entdecken, dass es irgendwo in den USA einen kleinen Mikro-Blog gibt, der ein spezifisches Thema behandelt, das aber nicht gut präsentiert wird. Warum bauen wir dazu nicht eine Infografik oder ein kleines Tutorial? Wir müssen regelmäßig Google, Pinterest und Instagram ‚anschmeißen‘, zuhören, hinschauen und herausfinden, wo wir noch Akzente setzen können.

Vor einigen Tagen haben wir in einer Konferenz die Frage gestellt, welches die erste App ist, die die Teilnehmer morgens öffnen. Ratet mal, was die Antwort war...

Hmm, vielleicht die Wetter-App?

Voll daneben! Es ist Instagram. Achtzig Prozent der Leute, die am Tisch saßen, sagten: „Das erste, was ich morgens mache, ist Bilder auf Instagram anschauen. Dann hab‘ ich gute Laune.“ Wenn dies ein repräsentatives Bild ist, sollten wir dann nicht Instagram viel mehr in den Fokus rücken und nicht nur nebenbei mit-bespielen? Fakt ist jedenfalls: Wir sollten viel stärker das Verhalten und die Bedürfnisse der Menschen beobachten, verstehen und jederzeit flexibel darauf reagieren.

Agiles Arbeiten in flachen Hierarchien erfordert kulturelle Veränderungen nicht nur in der Kommunikation, vor allem aber ganz viel Vertrauen im Unternehmen. Wie wird dieser Change bei Bayer gemeistert?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wirklich agil, schnell und flexibel zu arbeiten und auf das zu reagieren, was da draußen passiert; das ist ein weiter Weg und funktioniert nicht auf Knopfdruck. Je größer das Unternehmen, desto weiter ist die Reise. Wenn sich jemand über ein schlechtes Mindset bei anderen beschwert oder darüber, dass ihn etwas behindert, halte ich es mit Mahatma Gandhi: „Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünscht für diese Welt.“ Wichtig dabei ist, dass man sich ein Netzwerk von Menschen aufbaut, die ebenfalls Lust auf eine neue Kultur haben. Je größer diese Gruppe wird, desto größer die Strahlkraft der Impulse.

Auf welche digitalen Trends und Entwicklungen müssen sich Kommunikatoren in den nächsten 3-5 Jahren einstellen?

Wir müssen den Spagat bewältigen zwischen der schnellen und automatisierten Massenkommunikation und ‚hochwertigen‘ Leitformaten, in die wir großzügig Ressourcen investieren. Ich glaube, wir werden immer vielfältiger in den Endgeräten und in den Nutzungssituationen und können mit unseren kleinen Kommunikationsteams am Ende die Flut an Content, den wir publizieren müssen, wahrscheinlich nicht mehr beherrschen. Wir werden folglich zur Effizienz-Maximierung getrieben. Das kann zum Beispiel mithilfe von Chatbots und automatisierter Content-Erstellung geschehen. Die Systeme werden immer intelligenter und können immer bessere Texte ausspucken: vielleicht lese ich als Kommunikator bald nur noch am Ende drüber und dann geht der Post/die PI/die Intranet-News selbstständig raus.

Solche Lösungen dienen aber nur dazu, in der Vielfalt der Kanäle sichtbar zu bleiben. Ich muss mir gleichzeitig überlegen: Was sind meine 3 bis 4 Leitthemen und Leitformate, in die ich mein Herzblut reinstecke als Kommunikator – und ein bisschen mehr Budget, um hochwertige Inhalte zu kreieren. Um das tun zu können, brauche ich auf der anderen Seite intelligente Tools/KIs. Wir alle brauchen eine bessere Datenbasis! Je größer das Unternehmen, desto mehr Datenbanken habe ich gewöhnlich. Eine in der Unit Marketing, eine bei HR, eine bei Innovation und so weiter. Je mehr Daten, und damit Funktionen, ich zusammenbringe, desto cleverer ist am Ende die AI. Denn der Chatbot ist nur so clever, wie die Daten, auf die er zugreift. Und schon sind wir wieder beim Thema Kultur, denn das hat zunächst weniger mit ‚digital‘ zu tun als damit, Leute zusammenzubringen und über Bereichsgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten.

Was bedeutet dieser digitale Wandel für dich ganz persönlich?

Unglaubliches Potenzial! Wir können heute unheimlich viel erreichen, wenn wir die richtigen Menschen zusammenbringen. Eben die, die Lust haben, etwas zu verändern: junge und seniore, digitale und nicht ganz so digitale… Das ist eine spannende Reise, die ich persönlich unbedingt weitergehen will, auch wenn mir nicht alles immer sofort gelingt. Geduld und positive Energie zahlen sich am Ende aus.

Vielen Dank, liebe Janine, für diese spannenden Einblicke. Abschließend hätten wir gerne noch einen Tipp von dir: Welche beiden Apps braucht der Kommunikator von heute unbedingt für seine Arbeit?

Twitter und einen News-Curator der Wahl, z.B. Flipboard

Danke dir. Wir wünschen dir weiterhin viel Erfolg auf deiner (digitalen) Reise.

Das Interview führte Ingrid Blessing. Vielen Dank für die Mitarbeit.

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