Virtualisierung und Cloud

Die Telekommunikationsindustrie im Umbruch?

Managed Services hat die gängige Arbeitsteilung der Aufgaben zwischen Systemlieferanten und Netzbetreiber vollständig aufgebrochen. Nun steht eine nächste große Änderung in der Telekommunikationsindustrie vor der Tür: Die Virtualisierung klassischer Netzwerk-Funktionalitäten und die Verlagerung der steuernden Software in eine Cloud. Gibt es eine weitere Verschiebung in der Wertschöpfungskette? Und in welche Richtung?

Transformation der Telcos – Konzentration auf Kernkompetenzen

Über Jahrzehnte planten, bauten und betrieben Netzbetreiber ihr Telekommunikationsnetz selbständig. Unterstützt wurden sie von Systemlieferanten, welche die Netzwerkausrüstung – bestehend aus Hardware und Software – entwickelten, diese dem Netzbetreiber verkauften und ihn mit Supportleistungen beim Betrieb zur Seite standen. Neben Marketing und Vertrieb waren Netzbau und -betrieb die dritte Kernkompetenz eines klassischen Netzbetreibers. Der Netzbetreiber war auch Service Provider, der die Telekommunikationsdienste für seine Kunden erbrachte.

Bei der Suche nach neuen Geschäftsfeldern stiessen die Systemlieferanten aber immer wieder in die Domäne des klassischen Netzbetreibers vor. Netze wurden im „Turnkey“ gebaut, vor allem für neu in den Markt eintretende Mobilfunknetzbetreiber. Bis zur Übergabe des Netzes an den Betreiber übernahm der Systemlieferant vielleicht sogar den Betrieb des Netzes. In den Nuller-Jahren lagen Outsourcing und Network Managed Services im Trend. Der Outsourcing-Nehmer, typischerweise ein klassischer Systemlieferant wie Ericsson, Alcatel-Lucent oder später auch Huawei, übernahm z. B. die Verantwortung für Bau und Betrieb des Telco-Netzes des Outsourcing-Gebers, dem ursprünglichen Netzbetreiber. Auch in der Schweiz schlugen Sunrise und Orange (heute Salt) vor ca. 10 Jahren diesen Weg ein. In Europa sind Kosteneinsparungen der Hauptgrund für Network Managed Services / Outsourcing, in anderen Regionen wie Afrika oder Asien stehen der Zugang zu Knowledge und Skills und, damit verknüpft, Aspekte der Netzqualität mit ganz oben auf der Prioritätenliste. In den späten Nuller-Jahren prägten zusätzlich die Over-the-Top Provider wie WhatsApp und Skype einen neuen Trend und machten den Netzbetreibern eine weitere Domäne streitig, nämliche die des Sprach- und Text Service Providers. Das Konzept der „Telekommunikationsdienste aus einer Hand“ war nicht mehr zu halten.

Virtualisierung von Netzen umfasst Software und Hardware – Der Fokus liegt auf Effizienz- und Qualitätssteigerung von Netzleistung

Die Virtualisierung der Netzkomponenten oder ganzer Netze ist aktuell ein „Mega“-Trend in der Branche. Anstelle von klassischen Applikationen, die auf dedizierter und unter Umständen optimierter Hardware laufen, kommen neu auch Applikationen zum Einsatz, die auf virtualisierten Servern installiert werden. Selbst klassische Telekommunikationssysteme wie zum Beispiel EPC (Evolved Packet Core) oder IMS (IP Multimedia Subsystem) könnten mittels virtueller Applikationen realisiert werden, in diesem Fall also vEPC und vIMS. Network Function Virtualization (NFV) ist hier das Stichwort. Bei 5G wird man dieses Konzept mit Network Slicing auf das ganze Netz ausweiten und mit Edge Computing die Netzkomponenten stark dezentralisieren. Virtuelle Infrastruktur ersetzt dedizierter Hardware, z. B. in folgender Ausprägung:

  • COTS HW (commercial off-the-shelf hardware) bildet die Grundlage
  • Ein Software-Layer realisiert die Virtualisierung und stellt virtuelle Server zur Verfügung
  • Die vApps werden auf den virtuellen Servern installiert
  • Kommunikation zwischen Applikationen oder Applikationsteilen wird zum Beispiel über SDN (Software Defined Networks) sichergestellt

Die virtuelle Umgebung wird gegebenenfalls, je nach Anwendungsfall, mit hoch performanter Hardware für Sonderanwendungen ergänzt. Immer dort, wo die Performance der Massenproduktion nicht ausreicht und mit spezieller Hardware (noch) nachgeholfen werden muss.
Was verspricht man sich von NFV? Die Erwartungen sind hoch: Kosteneinsparungen, höhere Flexibilität, kürzere Time-to-Market und dynamische, automatisierte Zuordnung von Ressourcen sind unter anderem die erwarteten Vorteile. Der Stand der Entwicklung ist zwar noch nicht ganz so weit, schon in Kürze wird man diese Vorteile aber realisieren können.

Netzbetreiber und Systemlieferanten erhalten neue Rollen – Benefits sind abhängig von Größe und Unternehmensstruktur

Sowohl den Netzbetreibern als auch den Systemlieferanten stellt sich die Frage, wo sie sich in dieser neuen Welt der Virtualisierung und der Überführung in die Cloud wiederfinden. Aus Sicht der Netzbetreiber ergeben sich je nach Größe und Konzernstruktur unterschiedliche Optionen.

Kleine Netzbetreiber, die unabhängig von einem Konzern agieren, können die Konvergenz von IT-Applikationen und klassischen Telekommunikationsnetzfunktionen nutzen. Auf einer einzigen Plattform werden sowohl IT-Applikationen (z. B. ein Abrechnungssystem), als auch Telekommunikations-Applikationen (wie z. B. eine DDOS Protection) installiert.

Aber warum selber produzieren? Insbesondere, wenn man sowieso schon im Outsourcing-Modus agiert? Der Outsourcing-Nehmer, also meistens ein Systemlieferant, kann eine Plattform aufbauen, die mehrere Netzbetreiber bedient. Jeder Operator bekommt eine virtuelle Plattform zur Verfügung gestellt, die auf einer zentralen Plattform eines Systemlieferanten aufsetzt. In diesem Szenario gibt der Netzbetreiber die Verantwortung für die Technik des Kernnetzes vollständig an den Systemlieferanten ab. Der Systemlieferant erzielt Synergien bei der Plattform und im Betrieb. Zu beachten sind allerdings die Randbedingungen z. B. beim Datenschutz, beim Fernmeldegeheimnis und bei der Teilnehmerüberwachung (Lawful Interception), da sie den Transfer kritischer Daten ins Ausland nicht oder nur eingeschränkt zulassen.


Insbesondere für größere Netzbetreiber oder größeren Gruppen von Netzbetreibern bietet sich ein weiterer Ansatz: der Netzbetreiber baut und betreibt die virtuelle Infrastruktur. Der Systemlieferant liefert die Telekommunikations-Applikationen, die dann auf der virtuellen Infrastruktur läuft. Der Netzbetreiber übernimmt hier also die Rolle des Systemintegrators, der Systemlieferant stellt nur noch Software zur Verfügung. Dieses Modell ermöglicht eine weitergehende Unabhängigkeit vom Systemlieferanten. Es erfordert aber, dass der Netzbetreiber das Know-How zur Virtualisierung und zur Systemintegration aufbaut.

Netzbetreibergruppen sind typischerweise multinational. Hier sind, ähnlich wie oben, verschiedene Herausforderungen zu meistern. So zum Beispiel große Signallaufzeiten bei zentralisierten Applikationen oder Randbedingungen im Datenschutz, im Fernmeldegeheimnis und bei der Fernmeldeüberwachung.

Zusammenfassung

Mit der Einführung virtueller Infrastruktur werden die Karten neu gemischt. Netzbetreiber werden zu Cloud Providern, Systemlieferanten werden zu Netzbetreibern, Netzbetreiber zu reinen Service Providern, etc. Interessant wird sein, wie sich Netzbetreiber entwickeln, die bisher auf ihre technologische Unabhängigkeit gesetzt haben, die den neuen Umbruch aber nicht mehr alleine stemmen können. Allianzen sind daher gefragt, entweder mit Systemlieferanten oder mit anderen Netzbetreibern. Am Ende stehen dann hoffentlich die erwarteten Vorteile:

  • Kosteneinsparungen und hohe Flexibilität für die Netzbetreiber (und das schließt die Systemlieferanten mit ein, die diese Rolle für kleinere Netzbetreiber übernehmen könnten)
  • Verringerte Abhängigkeit von einzelnen Systemlieferanten, wenn der Netzbetreiber oder die Netzbetreibergruppe die Infrastruktur selber baut und die Systemintegration übernimmt
  • Neue Einnahmequellen für Systemlieferanten, welche die Infrastruktur für kleinere Netzbetreiber gleich selber bauen und betreiben, und ihre Position als Outsourcing-Nehmer somit festigen.