Ein solides Wissensmanagement wird für Unternehmen im Zeitalter der Digitalisierung immer wichtiger. Doch wie stellt man sicher, dass sich die Mitarbeiter miteinander vernetzen, ihr Wissen teilen und von einem gegenseitigen Austausch profitieren? Ein Lösungsvorschlag.
Vor dem Hintergrund sich kontinuierlich verändernder Markt- und Wettbewerbsbedingungen sind Unternehmen mehr denn je auf das Talent und Wissen ihrer Mitarbeiter angewiesen. Digitale Talente sind jedoch rar gesät und häufig nur schwer von einem Unternehmenswechsel zu überzeugen. Unternehmen sind daher gut beraten, sich auf die bereits vorhandenen Potenziale der eigenen Mitarbeiter zu fokussieren. Organisationale Lernprozesse und die kontinuierliche Entwicklung kritischer Skills rücken daher in den strategischen Fokus.
Womit sich Unternehmen aktuell noch schwertun und wie mögliche Verbesserungsmaßnahmen aussehen können, zeigt eine Detecon-Studie in Kooperation mit dem Institut für Beschäftigung & Employability (IBE) und dem EdTech-Start-up Humovo. Neben einem inspirierenden und motivierenden Lernumfeld geht es insbesondere darum, eine authentische Lernkultur zu schaffen und diese hierarchieübergreifend zu leben. Hochpersonalisierte Lerninhalte sind dabei genauso wichtig wie die Möglichkeit, den Lernprozess eigenverantwortlich zu steuern und genügend Zeit für die eigene Entwicklung zu erhalten. Doch was nützt die beste Lernerfahrung, wenn das Wissen anschließend nicht mit anderen geteilt wird und die generierten Lerneffekte mit der Zeit verpuffen? Wie stelle ich als Unternehmen sicher, dass sich meine Mitarbeiter miteinander vernetzen, ihr Wissen teilen und von einem gegenseitigen Austausch profitieren?
Wichtiger Teil des Zusammenlebens
Bekanntermaßen ist Glück das einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt. Deshalb teilen wir heute wie selbstverständlich die glücklichen Momente unseres Lebens mit den Menschen in unserem Umfeld und darüber hinaus. Den sonnigen Familienurlaub auf den Kanaren, die Einschulung des Sohnes, die Absolventenfeier der Tochter, die Beförderung des Partners und den Salat im Szenelokal. Momente einfangen und teilen, mögen sie noch so privat sein, hat sich zu einer festen Größe gesellschaftlichen Zusammenlebens entwickelt. Schauen wir genauer hin, wird schnell klar, dass Teilen schon lange vor dem Social-Media-Zeitalter ein grundlegender Teil des menschlichen Zusammenlebens war. Wurden früher Nahrung und andere Ressourcen geteilt, um Existenz und Wohlstand zu sichern, teilen wir heute im Informationszeitalter Erlebnisse und Inhalte aller Art. Die fortschreitende Digitalisierung macht den Austausch von Informationen immer einfacher und bietet vielfältige Möglichkeiten, sich weltweit zu vernetzen. Die sozialen Netzwerke erleben einen regelrechten Boom. Unter den 4,4 Milliarden Internetnutzern verwenden knapp 3,5 Milliarden soziale Netzwerke.
Teilen ist essenziell – privat und im Berufsleben
Aber teilen wir auch gern bei der Arbeit? Ist Wissen, Erfahrung und Ressourcen zu teilen hier ebenso normal wie im privaten Alltag? Die Basis dafür, dass wir überhaupt relevante Informationen und Wissen im Arbeitskontext teilen können, bildet ein funktionierendes Wissensmanagement. Dieses setzt immer ein System voraus, das zum einen die Nutzung von vorhandenem Wissen ermöglicht und gleichzeitig über Mechanismen verfügt, die gewährleisten, dass im Idealfall kontinuierlich neues Wissen in den Wissensspeicher aufgenommen wird. Ein solides Wissensmanagement sowie die entsprechende Bereitschaft, dieses Wissen zu teilen werden immer relevanter.
Wissen als (tückische) Superwährung
Vielen Unternehmen mangelt es nicht an der nötigen Expertise und Erfahrung. Allerdings liegt die Krux darin, dass Wissen häufig nicht oder nur unzureichend dokumentiert, schwer zugänglich oder schlichtweg nicht ausreichend geteilt wird. Das scheint daran zu liegen, dass Informationen, insbesondere solche mit hoher Exklusivität, eine Art Superwährung in Unternehmen darstellen. Noch immer sind viele von uns doch diejenigen, die mehr wissen als andere und damit unentbehrlich sind für den Team- oder gar Unternehmenserfolg.
Ein solche Haltung gründet auf der Annahme, dass es immer jemanden gibt, der gewinnt, und dieser Gewinn gleichzeitig bedeutet, dass jemand anderes verliert. Dass sich zwei Parteien den Gewinn teilen, ist dabei kein möglicher Ausgang. Bestehende Ressourcen reichen nur für uns selbst und müssen unter allen Umständen gehortet werden. Ein solches Verhaltensmuster lässt sich häufig auch dann beobachten, wenn es darum geht, Wissen mit anderen zu teilen.
In and Out of the Loop
Gedankenspiele wie diese führen dazu, dass es in den meisten Unternehmen häufig zwei Lager gibt. Diejenigen, die „im Loop“ sind und eine hohes Informationsniveau haben, und diejenigen, die sich nur bedingt „im Loop“ befinden und nur wenige Informationen bekommen. Laut einer Statistik verbringen Wissensarbeiter knapp ein Drittel ihrer Arbeitszeit damit, Informationen zu besorgen beziehungsweise Wissen zu generieren, das bereits besteht. Die Effizienz- und Produktivitätsverluste sind immens, ganz zu schweigen von den negativen Effekten auf die langfristige Arbeitsmotivation.
Was im englischen Sprachgebrauch recht treffend als Knowledge Hoarding bezeichnet wird, verstärkt diese Effekte und lässt die Kluft zwischen „In and Out of the Loop“ immer größer werden. Ein derartiges Ungleichgewicht in der Allokation von Wissen wirkt besonders dann geschäftsschädigend, wenn Mitarbeiter mit einem hohen Informationsniveau das Unternehmen verlassen. Wird das generierte (Erfahrungs-)Wissen nicht ausreichend mit anderen geteilt oder in entsprechenden Systemen gespeichert, fließt es mit dem Austritt ab und muss wieder innerhalb der Organisation neu aufgebaut werden. Was aber können Unternehmen tun, um den Wissensaustausch innerhalb der Organisation zu fördern? Open-Space-Büros, Kitchen Talk, Areas und Barcamp-Formate sind zwar ein richtiger und wichtiger Anfang, es sind aber zwingend weitere Schritte notwendig.
Teilen muss sich lohnen
Unternehmen kommen nicht darum herum, konkrete Anreize für mehr Kooperation und Wissensaustausch zu schaffen. Wenn Wissen gleich Macht und Status bedeutet und Teilen maximal mit einem Schulterklopfen belohnt wird, kann nicht von Mitarbeitern erwartet werden, dass diese bereitwillig ihr Wissen teilen. Am Ende des Tages muss sich die Bereitschaft zu teilen lohnen. Wenn einen „Knowledge Hoarding“ sukzessive in der Unternehmenshierarchie aufsteigen lässt und die Führungskraft beifällig nickt, bleibt der emsige Bau des Wissensmonopols die dominante Karrierestrategie.
Um eine wirkliche Veränderung anzustoßen, müssen Unter- nehmen individuelle Anreize für mehr Kooperation und Wissensaustausch schaffen, die auch in der Entlohnungsstruktur abgebildet werden. In den meisten Unternehmen haben Kennzahlensysteme mittlerweile eine Granularität erreicht, in der nahezu jede erdenkliche Aktivität mit oftmals gleich mehreren Kennzahlen gemessen wird. Liegt das Problem weniger in der Menge abgebildeter Kennzahlen, müssen sich Unternehmen die Frage stellen, ob die wirklich wichtigen Aktivitäten gemessen werden. Wird Wissensmanagement als strategisch wichtiges Thema deklariert, sollten Unternehmen darüber nachdenken, Sharing KPIs einzuführen. Die erhobenen Kennzahlen sollten neben der Bereitschaft, Wissen zu teilen, sowohl input- als auch nutzenorientiert sein, sprich sowohl die Quantität der Wissens- und Erfahrungsweitergabe als auch deren Qualität berücksichtigen. Sharing KPIs würden nicht nur den Stellenwert unternehmensweiter Kollaboration und Wissensweitergabe heben, sondern auch auf individueller Ebene dafür sorgen, dass sich jeder im Unternehmen bewusster mit den eigenen Wissensressourcen auseinandersetzt und darüber nachdenkt, welche Möglichkeiten bestehen, diese mit anderen zu teilen.
Die Macht der Vielen
Sind die motivationalen Effekte einer über Belohnung gesteuerten Einflussnahme auf das Verhalten eines Individuums begrenzt, gilt es darüber hinaus immaterielle Anreize zu schaffen. Allein auf die direkte Führungskraft und ihre Vorbildfunktion zu verweisen, greift zu kurz. Wertschätzung gegenüber Kollegen zu zeigen, die sich besonders für den Wissensaustausch einsetzen und mit positivem Beispiel vorangehen, ist Aufgabe aller und dabei genauso wichtig wie das Teilen positiver Erfolgsgeschichten.
Eine gelebte Sharing-Kultur entwickelt sich nur im Kollektiv und benötigt gemeinsame, übergreifende Initiativen. Nur eine Kultur, die das Teilen von Knowhow und Erfahrungen offen fordert und fördert, versetzt Unternehmen in die Lage, der hohen Veränderungsgeschwindigkeit und dem stetig wachsenden Wettbewerbs- und Innovationsdruck Stand zu halten.
In gemeinsamer Co-Kreation mit Kunden und Partnern werden gemeinsame Wertschöpfungsprozesse etabliert und laufend verbessert. Die Wertschöpfung in einem solchen Ökosystem beruht auf der Nutzung von Netzwerkeffekten und setzt somit einen intensiven Erfahrungs- und Wissensaustausch aller Akteure voraus. Nur Unternehmen, die sich die Macht der vielen zu Nutze machen, werden in Zukunft bestehen.
Dieser Beitrag erschien erstmals in der Sonderausgabe 'Weiterbildung' der Zeitschrift Personalwirtschaft im Dezember 2019
Vielen Dank an die Mitarbeit von Marc Wagner an diesem Artikel.