Spotlight: Real Time Monitoring (RTM) von E-Fahrzeugen in China

Was treibt die Vermarktung von E-Fahrzeugen in China an? Welche Vorteile bieten sich Kunden, Herstellern, aber auch dem Staat durch das Sammeln von Fahrzeugdaten und welchen Herausforderungen sehen sich internationale Unternehmen dabei gegenübergestellt? Das vorliegende Interview beleuchtet Hintergründe wie auch strategische Handlungsempfehlungen bezogen auf das Real Time Monitoring (RTM) von BEVs und PHEVs in China.

Detecon: Herr Gottwick, Sie beschäftigen sich seit vielen Jahren mit den Themen Smart Mobility, der Entwicklung von Connected-Car-Lösungen und der dazugehörigen Datenmonetarisierung. Derzeit gilt Ihr Fokus dem Thema Real Time Monitoring (RTM) von E-Fahrzeugen in China – was verbirgt sich dahinter?

Herr Gottwick: Ganz kurz gesagt: Die chinesische Regierung subventioniert stringent Zukunftsthemen, welche sie für wichtig hält. Eines davon ist die Förderung der E-Mobilität. Real Time Monitoring (RTM) ist ein in China staatlich verordnetes Programm (auf Basis von empfohlenen GB/T Standards) mit dem Ziel Fahrzeugdaten mit Bezug zur E-Mobilität zu erheben und auszuwerten. Wenn man derzeit ein E-Fahrzeug (BEV – Battery Electric Vehicle und PHEV – Plug-in Hybrid Electric Vehicle) eines lokalen Herstellers in China kaufen und zulassen will, muss man als Endkunde gegenüber dem Fahrzeug-Händler genau dieses dauerhafte Erheben von Daten bewilligen. RTM basiert für internationale Fahrzeughersteller derzeit noch auf freiwilliger Basis, lokale Hersteller in China sind schon heute verpflichtet, diese Klausel beim Fahrzeugverkauf in China unterzeichnen zu lassen. Nach meiner Erfahrung lassen jedoch auch heute schon viele nicht-chinesische Hersteller diese Einwilligung unterschreiben – weil sie dadurch die Steuervergünstigung „Purchase Tax Exemption“ (PTE) und weitere lokale Incentives erwirken können. Nur wenn ein Händler mit seinen Endkunden diese Vertragsklausel unterzeichnet, kann dem Fahrzeughersteller bzw. Fahrzeugkäufer die PTE gewährt werden. Daraus ergibt sich für Hersteller die Möglichkeit, E-Fahrzeuge in China zu deutlich attraktiveren Konditionen anbieten zu können.

Welche Daten werden im Rahmen von RTM erhoben und wem werden diese zur Verfügung gestellt?

Im Fahrbetrieb und beim Ladevorgang werden alle 10 Sekunden ca. 60 verschiedene Datenpunkte erhoben und übermittelt. Generell muss man aber zwei Arten von Daten unterscheiden, die bei RTM eine Rolle spielen: Ein Teil bezieht sich auf den Zulassungsprozess einer Fahrzeug-Baureihe (Modelldaten), ein anderer Teil auf den Betrieb des einzelnen Fahrzeuges (dynamische Daten). Die Modelldaten beinhalten Informationen aus den Entwicklungs- und Produktionssystemen, die dynamischen Daten beinhalten, unter anderem Informationen zu den Geopositionsdaten, dem Ladezustand der Batterie und verschiedenen weiteren Fahrzeugfunktionen. Die gesammelten Daten werden im Backend des Automobilherstellers gespeichert und bei Bedarf an die chinesischen Behörden übermittelt. Zusätzlich werden bei außergewöhnlichen Vorfällen schriftliche Berichte für die Behörden erstellt, diese gleichen die Inhalte der Berichte dann mit den bereits zuvor übermittelten Daten ab. Die chinesischen Behörden kooperieren in erster Linie mit forschungsnahen Organisationen und Instituten wie z.B. dem „Shanghai Electric Vehicle Public Data Collecting, Monitoring and Research Center“. Diese Institute werten die gesammelten Daten aus, entwickeln die Data-Analytics-Ansätze und bereiten sie für die verschiedenen Behörden auf.

Es werden also Kunden- und Fahrzeugdaten gesammelt und chinesischen Behörden sowie Forschungsinstituten zur Verfügung gestellt. Ganz konkret: Was für einen Mehrwert haben die Kunden davon, dass sie ihre Daten teilen?

Man muss hier zwei Ebenen unterscheiden: National und lokal. Auf nationaler Ebene bleibt den Kunden in der Regel keine Wahl. Der Mehrwert ist hier, dass sie das von ihnen gewünschte Fahrzeug anmelden und auf öffentlichen Straßen betreiben dürfen. Zusätzlich erhalten sie häufig die oben dargestellte PTE. Durch die Überwachung der „New Electric Vehicles“ (NEVs) und deren Hersteller werden auch die hohen Sicherheitsstandards kontrolliert und umgesetzt, welche gerade in Großstädten eine wichtige Rolle spielen und so den Kunden und schlussendlich der gesamten Bevölkerung zugutekommen. Darüber hinaus können die ausgewerteten Daten genutzt werden, um E-Fahrzeuge besser weiterentwickeln zu können und die Planung einer nutzergerechten Ladeinfrastruktur voranzutreiben. Wenn Kunden sich zusätzlich um die begehrten grünen E-Fahrzeug-Nummernschilder in Großstädten wie Shanghai und Peking bewerben möchten, müssen sie auch dort ihre Daten für die weitere Nutzung bei den lokalen Einrichtungen freigeben. Dafür winkt ihnen dann ein gratis Nummernschild oder der Käufer muss nicht an einer Verlosung der Nummernschilder teilnehmen.

Warum hat der chinesische Staat dieses Programm ins Leben gerufen?

Zwei Hauptgründe werden in diesem Kontext immer wieder genannt: Sicherheit und Förderung der E-Mobilität. Mit Bezug zur Sicherheit wollen die Behörden durch das extensive Sammeln von Daten sicherstellen, dass aus kleinen Unfällen gelernt wird und größere Zwischenfälle (wie Brände in Tiefgaragen oder in dicht besiedelten urbanen Gebieten) gänzlich vermieden werden können. Darüber hinaus soll mit den erhobenen Daten die E-Mobilität gezielt gefördert werden - beispielsweise durch den Ausbau der Ladeinfrastruktur und den Bau von maßgeschneiderten Verkehrswegen. Inwieweit die Daten auch zum Erstellen von personenbezogenen Nutzerprofielen genutzt werden, lässt sich aus heutiger Sicht nur schwer beurteilen.

Welche Auswirkung hat dies auf internationale Fahrzeughersteller?

Die Tatsache, dass die chinesischen Behörden bereits seit längerem fortlaufend Daten sammeln und auswerten gibt hier vor allem chinesischen Marktteilnehmern einen klaren Vorsprung, da insbesondere eine enge Kooperation zwischen den lokalen OEMs und den chinesischen Behörden besteht. Dies bedeutet eine große Herausforderung für internationale OEMs, die diesen Vorsprung nun einholen müssen. Um auf Augenhöhe mit den chinesischen Behörden agieren zu können, benötigen internationale OEMs zeitnah umfassende Data-Analytics-Möglichkeiten. Nur so können sie die eigene Fahrzeugflotte dauerhaft im Blick behalten. Bei Warnmeldungen aus dem RTM System müssen betroffene Fahrzeuge schnell geortet und geeignete Maßnahmen unverzüglich eingeleitet werden können.

Können Sie zum Abschluss noch einen kleinen Ausblick geben: Wie sollten internationale OEMs mit dieser Situation umgehen und können sie möglicherweise auch von diesem Datenschatz profitieren?

Stand heute sind bereits über zwei Millionen Fahrzeuge mit dem RTM System in China ständig online, diese Daten werden durch die chinesischen Behörden fortlaufend und systematisch ausgewertet. Viele internationale Fahrzeughersteller müssen sich jetzt also damit auseinandersetzen, wie sie selbst die bereits in China erhobenen und vorhandenen Daten strukturiert ablegen und auswerten können und insbesondere wie sie daraus maßgeschneiderte digitale Serviceangebote mit einem klar erkennbaren Kundenmehrwert ableiten können.

Vielen Dank für das Interview.

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