(Selbst-) Reflexion - eine stark unterschätzte Fähigkeit

Zur Jahreswende das Jahr Revue passieren zu lassen hat durchaus Tradition: War es ein gutes oder ein schlechtes Jahr? Was möchte ich mir für das kommende Jahr vornehmen, was ich im alten nicht geschafft habe? Das Geschehen zu reflektieren kann aber auch beruflich sehr nützlich sein. Detecon-Autorin und Future Learning-Expertin Jaqueline Engels findet, dass Reflexion als Grundlage für erfolgreiches Lernen, verbesserte Produktivität und höhere Zufriedenheit im Job viel öfter stattfinden sollte.

Manchmal tun wir es bewusst und manchmal automatisiert: Wir reflektieren das Geschehene, um etwas zu verändern. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch ok. Doch manchmal ist Reflexion schmerzhaft. Immer dann, wenn man weiß, dass die Reflexion nicht positiv für einen ausfällt, zum Beispiel in Streitsituationen oder aber, wenn wir im vergangenen Jahr vieles nicht gemacht haben, was wir uns vorgenommen haben.

Reflexion schafft Empathie

In unserer Selbstreflexion beobachten wir unser Denken, Fühlen und Handeln und ziehen Konsequenzen daraus. Um besser zu werden, uns besser zu fühlen, um unsere Mitmenschen besser zu behandeln.

Im Privaten reflektieren wir uns und unser Umfeld, da das Streben nach Gruppenzugehörigkeit uns anspornt, uns zu hinterfragen. Doch wann nutzt ihr die Reflexion im Arbeitsalltag? Wann habt ihr euch das letzte Mal nach einem Meeting, nach einem Projektabschluss, nach einem Workshop allein oder mit euren Kollegen hingesetzt und reflektiert?

Learning by doing um "das Denken" ergänzen

Im Arbeitsumfeld ist Reflexion ein wichtiger Stellhebel zum erfolgreichen Lernen, zur Verbesserung der Produktivität und letzten Endes auch zur Zufriedenheit. Normalerweise heißt es in der Praxis oft „Learning by doing“, was bedeutet, dass wir etwas umsetzen und dabei lernen. Grundsätzlich ist das auch richtig. Aufgrund unserer Spiegelneuronen, also jenen Nervenzellen des präfrontalen Kortex, welche aktiviert werden, wenn Sie eine Handlung - zum Beispiel Gähnen - beobachten, funktioniert auch das „Lernen am Modell“ von Bandura genau so.

Beides hilft uns, zu lernen, doch eine entscheidende Komponente fehlt: „das Denken“. Wenn wir etwas ausführen, können wir es gedankenlos ausführen, Verhalten kopieren und weitermachen. Besser ist es aber, darüber nachzudenken und zu hinterfragen.

Reflexion steigert die Leistung

Das Working Paper der Harvard Business School „Learning by Thinking: How Reflection Aids Performance“ gibt hierüber spannende Erkenntnisse. Das Reflektieren über getane Handlungen steigert die Leistung. In verschiedenen Feld- und Laborgruppen wurde getestet, inwieweit die Leistung, gemessen anhand einer Brain Teaser Aufgabe steigt, in Abhängigkeit davon, ob die Probanden ihre Lösungen und das Scheitern reflektieren, ihre Ideen zur Verbesserung mit anderen teilen oder aber keine Zeit fürs Nachdenken eingeräumt bekommen.

Das Ergebnis ist, dass eine Leistungssteigerung von 22,8% zu finden ist, zwischen den Gruppen, die zum Reflektieren oder teilen ihrer Erkenntnisse aufgefordert wurden, im Gegensatz zu denen, die dazu keine Zeit bekommen haben. Ein beachtliches Ergebnis.

Weitergabe von reflektierten Gedanken im Team

Denken wir darüber nach, was dies im Arbeitsalltag bewirken könnte. Ein konsequentes Einführen von Reflexionszeit, sei es im Team oder auch alleine, würde zum einen unsere persönliche Leistung steigern und darüber hinaus könnten wir die so genannten Lessons Learned mit Kollegen teilen und einen weiteren Effekt daraus erzielen. Die Bedeutung von Reflexion und der Weitergabe von Ideen zur Verbesserung hat einen positiven Effekt, der so noch gar nicht gemessen wurde. Leider sieht es in der Praxis oft anders aus. Jeder hetzt von einem Meeting zum nächsten, ist in diverse Projekte verstrickt und froh wenn er/sie noch in der Lage ist, alle Bälle in der Luft zu halten. Die Realität endet dann leider in diesem schönen Comic. Wir bleiben beim Altbewährten, drücken nicht auf die Stopp-Taste, halten inne, um mit etwas Ruhe vielleicht einen besseren Status Quo zu schaffen.

Freiräume für Reflexion schaffen

Was können wir tun, um dem ein Ende zu setzen? Als erstes Zeit für Reflexion einräumen. Unser Tag und vor allem unser Arbeitstag kommen uns doch grundsätzlich immer zu kurz vor. Die Zeit vergeht wie im Flug und die Aufgaben, die man heute noch erledigen wollte, nehmen einfach kein Ende. Doch sind diese Aufgaben wirklich diejenigen, die sinnvoll sind? Welcher Mehrwert wird erzeugt? Statt von einer Aufgabe und einem Gespräch ins nächste zu hetzen, setzt euch hin, nehmt euch 15 Minuten Zeit und fragt euch: Ist das, was ich hier gerade tue, mehrwertstiftend für meinen Betrieb? Ist die Aufgabe wirklich von großer Dringlichkeit? Muss ich diese Mails wirklich beantworten?

Von Fragen leiten lassen

Habt ihr euch einmal daran gewöhnt, euch Zeit für Reflexion zu nehmen - bitte bedenkt hierbei, dass jegliche neue Angewohnheit etwa 4 Wochen braucht, um zur Routine zu werden - sollte die Reflexion unbedingt weiteren Einzug erhalten. Für euch persönlich können folgende Fragen relevant sein: Inwieweit habe ich meine Aufgaben heute erreicht, die ich erreichen wollte? Bin ich mit dem Ergebnis zufrieden? Was kann ich an Rahmenbedingungen, meinem Verhalten, meinem Zeitmanagement ändern, um zufriedener den Arbeitstag zu beenden? Passt das, was Du tust überhaupt zu dem, was Du machen möchtest?

Gemeinsam mit eurem Team oder in eurem Projekt könnt ihr euch fragen: wie gut haben wir es geschafft, uns als Team zu unterstützen, unsere Aufgaben zu erfüllen? Wann haben wir besonders gut zusammengearbeitet? Was haben wir bei diesem Projekt besonders gut oder nicht so gut hinbekommen? Was können wir tun, um Schwierigkeiten das nächste Mal schneller zu lösen?

Diese und viele weitere Fragen helfen euch und eurem Team, zur besseren Leistung zu finden und zu lernen. Entweder allein für sich oder gemeinsam.

Zeitfresser ausräumen

Fragt euch doch als aller Erstes direkt jetzt: welchen Zeitfresser kann ich an meinem Tag ändern, um mehr Zeit für Reflexion zu haben? Ist es die ständige Ablenkung durch Push-Nachrichten, das Durchscrollen diverser Apps oder aber das ständige Öffnen des Email Accounts? Sicherlich werdet ihr beim kritischen Hinterfragen schnell merken, wo euch die Versuchung der Ablenkung hinführt - und wo Reflexion für euch Einzug erhalten kann.

Autorin dieses Artikels ist unsere Alumnus Jaqueline Engels.