Patrick Hahn (Zeiss): Jetzt auf 5G und Campusnetze vorbereiten

Dr. Patrick Hahn verantwortet die Bereiche „IT und Digitalisierung“ der Zeiss AG innerhalb des Großprojektes „High-Tech-Standort Jena“ (HTSJ). Als Leuchtturmprojekt soll das High-Tech-Zentrum neue Maßstäbe setzen. Warum auch 5G und Campusnetze in den Planungen des Weltmarktführer für Optik- und Medizintechnikprodukte eine wichtige Rolle spielen, verrät uns Dr. Hahn hier im Interview.

Das Projekt „High-Tech-Standort Jena“ soll der ganzen Region eine hohe Strahlkraft verleihen. Warum wird dies so sein?

Wir verfolgen damit herausragende Maßstäbe bei Architektur, Design und vor allem im Hinblick auf innovative Arbeitswelten. Zudem wollen wir die Standortprozesse für Produktion und Logistik weiterentwickeln und auf ein neues Niveau heben. Digitalisierung wird als Enabler dabei außerordentlich wichtig sein.

Der Bau des High-Tech-Zentrums für 2500 Mitarbeiter soll die Bedeutung des Standorts Jena, also den Ort unserer Gründung vor 175 Jahren, unterstreichen. Zeiss ist in der Region der größte industrielle Arbeitgeber. Direkt am Bahnhof gelegen und nicht weit vom Stadtzentrum entfernt, wollen wir ein hohes Maß an Mobilität und Erreichbarkeit für alle Mitarbeiter realisieren. Ein starrer Bezug von Person zu Arbeitsplatz wird nicht mehr existieren. Stattdessen wollen wir dem einzelnen Mitarbeiter im Sinne des „Activity Based Working“ ermöglichen, genau dort zu arbeiten, wo es für ihn in der jeweiligen Situation gerade am besten ist. Sei es in der Abteilung, in Projekten oder bei und mit einem externen Partner. Wir planen daher auch, zwei Standorte zusammenzubringen, um allen Mitarbeitern das gleiche Angebot von modernen Arbeitsmöglichkeiten zu geben. 

In welcher Phase befindet sich das Projekt aktuell, wann ist der Start geplant?

Solch große Projekte entstehen natürlich nicht über Nacht. Das Baufeld ist jetzt bereinigt und die Erdbauarbeiten laufen. Momentan wird die Baugrube ausgehoben und mit Betonwänden abgestützt. Diese Hangabsicherung ist notwendig, weil die Grube an den tiefsten Stelle 20 Meter in die Erde reichen wird. Das Baufeld ist 300 x 200 Meter, also einige Fußballfelder groß, im ersten Bauabschnitt werden mehr als 100.000 qm Nutzfläche entstehen. Verbunden mit moderner Architektur und neuen Arbeitswelten braucht dies Sorgfalt und Zeit, daher ist der Einzug für das Jahr 2025 geplant. 

Welche Szenarien und Use Cases könnten künftig dort realisiert werden? Können Sie Beispiele verraten?

Im Fokus stehen neue Arbeitswelten und moderne Produktions- und Logistikprozesse. Zu den digitalen Konzepten zählen etwa eine ereignisbasierte Zutrittskontrolle sowie intelligente Steuerungssysteme, die anhand von Auslastungssituationen die Klimatechnik, aber auch Reinigungen oder bedarfsorientierte Services steuern können. Wir wollen auch Predictive Maintenance realisieren, so dass wir anhand von Sensoren abschätzen können, wann gewisse Steuerungselemente wahrscheinlich ausfallen, um schon vorher reagieren zu können. Dies ist wichtig, da unsere Produktionsprozesse keine plötzlichen Unterbrechungen haben sollten. Zudem ist uns Klimaschutz wichtig: Wenn wir bedarfsorientiert Energie einsetzen, wirkt dies nachhaltig und kosteneffizient.

Wir planen zudem, das Smartphone als wichtigen Baustein für Funktionalitäten einzusetzen. So sollen die Mitarbeiter hiermit bestimmte Services oder Tickets und Zahlvorgänge auslösen, aber auch aktuelle Informationen zu bestimmten Themen erhalten können. Wie einzelne Services genau aussehen werden, ist noch zu definieren, weil sich hier vieles in den nächsten Jahren noch weiter entwickeln wird. Ziemlich sicher bin ich aber, dass wir in unserer Logistik fahrerlose Transportsysteme einsetzen werden. Dies soll eine Just-in-Time-Versorgung unserer Produktion ermöglichen. Hierzu müssen die entstehenden Gebäude Sensordaten bereitstellen. Auch einer besseren Integration in ERP- und MES-Systeme bedarf es. Grundsätzlich wollen wir Arbeits- und Produktionsprozesse effizienter und einfacher gestalten.  

Welche Rolle spielt ein zukunftsorientiertes Campus-Netz für das Bauprojekt und die Innovationskraft des Standortes? Welche Technologie soll hier zum Einsatz kommen?

Ich erwähnte ja 20 Meter tiefe Baugruben, da ist jedem Netzwerktechniker klar, dass dorthin keine Funkwellen von außen gelangen können. Stattdessen brauchen wir ein Campusnetz, das Telefonie wie 4G und 5G innerhalb des Gebäudes ermöglicht. Hinzu kommt, dass die Glasflächen der Gebäude mit Metallen bedampft sind, um die Sonneneinstrahlung zu reduzieren. Auch diese Glasflächen sind somit funkabschirmend. Daher muss die Bauplanung die Anschlusspunkte für das Netzwerk berücksichtigen. Wir haben entsprechende Serverräume so dimensioniert, dass sie später 4G und 5G ermöglichen. Welche Ausbaustufe wir 2025 tatsächlich realisieren und welche Endgeräte, welche RANs (Radio Access Networks) wir einsetzen, ist noch offen, weil sich der Markt bis dahin noch weiterentwickelt. Baulich können wir dann aber alle Entscheidungen relativ zügig umsetzen, da wir gemeinsam mit Detecon die Dauer und den Aufwand detailliert abgeschätzt haben.

Viele Fertiger tun sich mit 5G noch schwer. Warum investiert Zeiss in diesem Umfang in einen Netzausbau, auch ohne, dass im Markt (bis dato) eine Applikation existiert, die ein 5G-Campus-Netz zwingend voraussetzt?

Es ist richtig, dass noch nicht viele Use Cases existieren, die explizit 5G erfordern. Ich persönlich bin aber davon überzeugt, dass diese in naher Zukunft existieren werden. 5G wird neue Technologien und Anwendungen ermöglichen, die hohe Bandbreiten und geringe Latenzen benötigen. Gut möglich, dass wir alle sogar überrascht sein werden, wie schnell solche Anwendungsfälle sich entwickeln. Denken wir an das erste iPhone von 2007, was noch relativ wenig Funktionalitäten bot. Nur drei, vielleicht 4 Jahre später waren die Geräte für viele schon ein zentraler, nicht mehr wegzudenkender „Lebensmittelpunkt“. Exponentielle Entwicklungen sind immer schwer vorhersehbar, aber dennoch kann und muss man sich vorbereiten. Wenn wir uns dann erst mit 5G beschäftigen, wäre das ein Fehler. Allein schon nachträglich das Gebäude nachzurüsten, wäre deutlich teurer.  

Welche Varianten an Campus-Netzen gibt es und warum haben Sie sich für ihre Lösungen und Betriebsmodelle entschieden? Wie hat Detecon Sie bei den Planungen unterstützt?

Wir haben intensiv mit Detecon diskutiert, welche Möglichkeiten sowie Vor- und Nachteile die diversen Netzwerkstrukturen oder Campuslösungen haben. Grundsätzlich werden unsere baulichen Vorhaltungen alle Varianten ermöglichen. Wenn die RANs physisch erst einmal installiert sind, lassen sich, wenn entsprechende Funkfrequenzen bei der Bundesnetzagentur angemeldet sind, über logische Verfahren sehr viele Varianten realisieren. Welche Varianten, Ausbaustufen oder Provider zum Zuge kommen, werden wir noch entscheiden. Aber ich gehe davon aus, dass wir sowohl ein öffentliches Netz als auch private Funkspektren am Campus ermöglichen. Also einerseits ein sowohl vom Provider bereitgestelltes Spektrum nutzen als auch ein eigenes, lokales Spektrum zur Eigennutzung beantragen. Um von möglichst geringer Latenzzeit und hohen Bandbreiten zu profitieren, werden wir auch einen lokalen Breakout realisieren, über den Daten direkt vor Ort in einer lokalen Cloud latenzoptimiert bearbeitet werden können. Ich bin überzeugt, dass die geringe Latenz eines der wesentlichen Erfolgskriterien für die 5G-Technologie wird. Dies kann ich aber nur verwirklichen, wenn ich auch eigene Netzwerkstrukturen verwende.
 
Das Planungsprojekt bot viel Lernpotenzial auf allen Seiten. Wir haben auf unterschiedlichen Flughöhen begonnen und mussten zunächst die gemeinsame Sprache lernen. Telekommunikation ist nicht trivial, auch meine Kolleg*innen aus der Netzwerkarchitektur haben viel gelernt, zumal 5G-Knowhow in der Industrie noch kaum verbreitet ist. Die Lernprozesse zu Themen wie Netzwerkstrukturen, Anmeldeprozessen bei der Netzagentur, die Unterschiede zwischen Providerspektrum und öffentlichem Spektrum, oder einzelner RANs, all dies hat uns erst ermöglicht, am Ende des Tages qualifizierte Entscheidungen zu treffen.

Was würden Sie anderen Unternehmen empfehlen, die vor ähnlichen Entscheidungen beim Netzausbau stehen?

Stehen Unternehmen vor Bauvorhaben, empfehle ich klar, sich jetzt mit dem Thema 5G zu beschäftigen. Denn später im laufenden Betrieb ein Gebäude nachzurüsten ist sehr aufwändig. Geht es um Bestandsgebäude, würde ich dennoch empfehlen, zunächst kleinere Pilotprojekte zu starten. Fragen Sie sich, wo Sie heute noch Probleme haben oder – etwa in der Produktion – gerne Use Cases realisieren würden, die Sie mit bestehender Funktechnologie schlicht nicht realisieren können. Gegebenenfalls kann 5G ein Ersatz für etablierte WLAN-/WiFi-Technologien sein und eine bessere Funkabdeckung ermöglichen.

Inwiefern wird das Zentrum als eine Art Ökosystem auch Kooperationspartnern wie etwa kommunalen oder universitären Einrichtungen offenstehen? Ist eine Evolution als Smart City geplant oder denkbar?

Natürlich sollen externe Partner mit uns arbeiten und entwickeln können, wir werden ihnen – abhängig von den Use Cases – die gleichen Funktionalitäten wie unseren Mitarbeitern zur Verfügung stellen.

Parallel zu unserem Projekt plant auch die Stadt Jena ein Smart-City-Projekt. Wir sind hier in engem Austausch und werden sicherlich Schnittstellen schaffen, um Services in beide Richtungen nutzen zu können. Dies kann sich auf Verkehr und Logistik beziehen. Was konkret realisiert wird, kann ich noch nicht sagen, weil die Projekte auf beiden Seiten noch nicht im Realisierungsmodus sind. Derzeit legen wir die Architektur fest und werden später sicherlich zu einigen Ideen kommen. Selbstverständlich muss zuvor auch die Cybersecurity für das gesamte Ökosystem zuverlässig stehen.

Jena hat eine rege Digitalisierungs-Community, etliche tausend Mitarbeiter arbeiten bereits lokal in Digitalfirmen. Gemeinsam mit der Stadt, Start-Ups, Instituten, Digitalunternehmen und anderen Akteuren gibt es immer viele gute Ideen. Es gibt hohes Potenzial und ich bin zuversichtlich, dass hier vieles entstehen wird. 

Vielen Dank für das Interview!