Marc Wagner, Atruvia AG: Company Rebuilding braucht ein Regelkonstrukt

Corona hat also doch etwas Positives: Wo Anfang 2020 noch Widerstand gegen flexible Strukturen und neue Arbeitsformen laut wurde, setzten viele Unternehmen während der Pandemie in Windeseile Konzepte aus Company Rebuilding und New Work um. Marc Wagner, Head of Employee Experience bei der Atruvia AG, bejaht diesen Trend und begrüßt die neue Offenheit gegenüber plattformorientierten Strukturen. Er sieht darin nichts Bedrohliches, denn: "Company Rebuilding funktioniert über ein strenges Regelkonstrukt".

Detecon: Company Rebuilding und New Work sind Bereiche, mit denen Sie sich in den letzten Jahren intensiv beschäftigt haben. Was zeichnet diese Konzepte aus und was macht sie anders?

Marc Wagner: Diese neuen Arbeitskonzepte beschäftigen sich mit den Fragen "Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Gestaltung von Arbeit? Welche neuen Strukturen und Formen der Arbeit kommen auf uns zu?" Wir definieren dies entlang der vier Dimensionen "Menschen & Organisation", "Prinzipien & Regeln", "Orte & Plattformen" und "Technologien & Daten". Was in der Vergangenheit jedoch oft vernachlässigt wurde, war die Beziehung zum Kunden: Wie verbindet man das interne Betriebsmodell mit der Kundenansprache und dem Markt? Das ist letztlich die Lücke, die Company Rebuilding schließt: "Wie baue ich das Unternehmen auf Basis der Unternehmens-DNA zum Kunden hin auf, wie gestalte ich die Wertschöpfung und wie beziehe ich den Kunden in diesen Wertschöpfungsprozess ein? Dabei geht es um die viel diskutierte Ambidextrie, also darum, das Bestehende immer effizienter zu machen und gleichzeitig radikale Innovationen zu ermöglichen, die im Zweifel sogar das bestehende Geschäftsmodell in Frage stellen.

Dann ist das eigentliche Ziel von Company Rebuilding, die Ambidextrie innerhalb einer Organisation erfolgreich zu leben?

Genau. Für viele klingt Company Rebuilding fast bedrohlich. Für mich geht es aber darum, die Ambidextrie zum Leben zu erwecken, sie zu operationalisieren und die Geschichte des bestehenden Unternehmens nicht als Ballast zu sehen, sondern das Vorhandene, das Erbe, die Reputation, all die gemachten Erfahrungen als Asset gegenüber neuen Marktteilnehmern zu sehen. Das kann Ihnen durchaus einen Wettbewerbsvorteil verschaffen.

Das Konzept ist im positiven Sinne sehr radikal, weil es die Probleme wirklich an der Wurzel packt. Gibt es Pioniere in der Praxis, die eine solche Struktur bereits umgesetzt haben und damit erfolgreich sind?

Natürlich gibt es die. Wir haben das Konzept nicht "aus heiterem Himmel" als Theorie entwickelt. Vielmehr ist es eine Beobachtung von Erfolgsmustern von Unternehmen, die sich im digitalen Zeitalter besonders erfolgreich positionieren können.

Ein sehr gutes Beispiel ist Haier, der größte Gerätehersteller der Welt. Vor einigen Jahrzehnten befand sich Haier in einer existenziellen Krise - und wählte dann genau diesen radikalen Schritt des Unternehmensumbaus. Das gesamte Unternehmen wurde in kleine dynamische Kleinstunternehmen, so genannte Micro-Enterprises, aufgeteilt und nicht kundenzentrierter Ballast über Bord geworfen, gleichzeitig aber das Vorhandene – Legacy - als Vorteil genutzt. So wurde aus einer starren Organisation nach und nach eine sehr anpassungsfähige Plattform aufgebaut, die die Ambidextrie optimal repräsentiert.

Wie verhindert man in einem solchen Organismus Doppelarbeit oder interne Konkurrenz?

Company Rebuilding erfordert strenge Regeln. Wie lange eine Zelle existiert und wie sie mit anderen Einheiten interagiert, ist genau definiert. Es herrscht maximale Transparenz über die Performance der einzelnen Zellen und Einheiten innerhalb der Zellen, so dass jederzeit erkennbar ist, wo Strukturen existieren, die nicht effizient am Markt agieren und den größtmöglichen Kundennutzen generieren. Solche Einheiten können dann möglicherweise an anderer Stelle im Netzwerk besser eingesetzt werden. Dies ist keine neue Form des Personalabbaus, sondern bietet denjenigen, die mit einer Idee gescheitert sind, die Möglichkeit, ihre Erfahrungen an anderer Stelle einzubringen.

Zur Person: Marc Wagner

Marc Wagner, Head of Employee Experience, Atruvia AG, ist ein ausgewiesener Experte in den Bereichen Employee Experience, Transformation, Agile Organisationen, New Work und Company Rebuilding. Vor seinem Wechsel zur Atruvia war er Managing Partner bei Detecon und verantwortlich für den Aufbau der Company Rebuilding Practice. Er begleitete viele Unternehmen auf ihrem Weg zur digitalen Transformation.

Entspricht ein Unternehmen, das nach den Prinzipien des Company Rebuildings geführt wird, im Innenverhältnis einer sozialen Plattform? Alle Mitglieder des Unternehmens sind auf dieser Plattform vernetzt und teilen Informationen, Ressourcen und bauen etwas "Neues" auf.

Ganz genau. Mit Hilfe der Technologie sind wir nun in der Lage, eine solche Plattform zu schaffen und die Kommunikation und Zusammenarbeit sehr effizient zu gestalten. Die digitale Zusammenarbeit ermöglicht es uns, die Komplexität der Kommunikation und Zusammenarbeit zu reduzieren und die Wertschöpfung in kleinen Einheiten zu forcieren.

Welche drei Dinge muss man beachten, wenn man den Company Rebuilding im eigenen Unternehmen angehen will?

Der erste Punkt klingt trivial: Machen Sie es zu einem Topmanagement-Thema! Eine radikale Transformation verändert Strukturen und beinhaltet kulturelle Eingriffe - dafür ist die Unterstützungs- und Vorbildfunktion des Topmanagements wichtig. Das bedeutet übrigens auch, dass neu geschaffene Strukturen geschützt werden müssen, damit sie nicht vom bestehenden System aufgefressen werden.

Der zweite Punkt betrifft die Werteorientierung, die Ergebnisorientierung im OKR-Konzept. Man muss sich darüber im Klaren sein, was man mit den vorhandenen Ressourcen, Potenzialen und Möglichkeiten schaffen kann. Strikte Fokussierung auf den Kundennutzen bedeutet auch, alle Aktivitäten zu eliminieren, die keinen messbaren Kunden- oder Mitarbeiternutzen haben. Sonst wird das Konzept nicht funktionieren.

Der dritte Punkt ist: Lassen Sie sich nicht von den ersten Niederlagen und Rückschlägen ablenken. Sie müssen sich Zeit für eine solche Transformation geben.

Was ist der erste Schritt, den das Topmanagement unternehmen muss, wenn Company Rebuilding eingeführt werden soll?

Das Topmanagement sollte sich darauf konzentrieren, wie man mit den vorhandenen Ressourcen den größtmöglichen Kundennutzen generieren kann. Dafür ist es wichtig, einen genauen Überblick über die Ausgangssituation zu haben. Das Topmanagement muss auch das Team bilden, das die Transformation anführt und vorantreiben kann. Im Auswahlprozess sollten weniger persönliche Beziehungen eine Rolle spielen. Das Ziel sind hochleistungsfähige Teams.

Wie schätzen Sie die Entwicklung in den kommenden Jahren ein, wenn es um die Strukturen von Organisationen - insbesondere von Unternehmen - geht?

Corona war ein unglaublich starker Booster für organisatorische Veränderungen und damit für die Umsetzung von Konzepten aus dem Bereich New Work. Kontrollverlust und Intransparenz waren plötzlich eher hinderlich, denn es gab keinen anderen Weg als die Arbeit von zu Hause aus, die rein auf Vertrauen basierte. Das war ein großer Schritt, den viele Unternehmen unter normalen Bedingungen nicht so schnell gemacht hätten. Ich gehe daher davon aus, dass wir in Zukunft offener für solche plattformorientierten Strukturen sein werden.

Sie sind nun für die Employee Experience verantwortlich. Wie ist die Employee Experience im Kontext des Company Rebuilding zu sehen? Fühlen sich die Mitarbeiter dort wohl oder haben sie eher Angst?

Zunächst einmal müssen Sie sich überlegen, was Sie unter Employee Experience verstehen. Wir haben es so definiert: Employee Experience sorgt dafür, dass ein Arbeitsumfeld geschaffen wird, in dem Mitarbeiter ihr Potenzial im Interesse des Unternehmens optimal entfalten können. Und das gliedern wir in die folgenden wesentlichen Elemente:

Wir eliminieren alle Zeitfresser, die die Mitarbeiter daran hindern, sich auf den Kunden zu konzentrieren. Denn unser kostbarstes und wichtigstes Gut ist Zeit. Und wir schaffen ein Umfeld, das die Mitarbeiter inspiriert, in dem man gerne interagiert und die Extrameile geht. Das Physische wird dabei immer relevant sein, aber wir investieren viel Energie in neue Formen des sozialen Zusammenhalts oder die digitale Darstellung von "Stolz auf den Erfolg".

Empoyee Experience umfasst auch eine End-to-End-Sicht auf die Servicefunktionen People Management, People Analytics, Digital Work, Real Estate und Facility Management sowie Sustainability und Health Management. Mit diesem innovativen "End-to-End"-Ansatz will das Unternehmen seine internen Dienstleistungen auf ein integriertes Mitarbeitererlebnis mit neuen Entwicklungsmöglichkeiten für die Mitarbeiter ausrichten.

Wenn Sie als Mitarbeiter in einer Krisensituation wie der aktuellen Corona-Pandemie feststellen, dass Ihre flexiblen Strukturen und funktionsübergreifenden Teams gut funktionieren - wovor sollten Sie sich fürchten?

Das macht Mut! Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte