Jörg Holleck: „Vor dem Framework kommt das Mindset“

In welchem Arbeitsmodus jemand arbeitet, ist Jörg Holleck sehr wichtig. Entscheidend für den langfristigen Erfolg seiner Teams ist für den Division Manager Application Management bei Rhenus aber vor allem das richtige Mindset. Wie das genau aussieht und welche Erfahrungen er in der Softwareentwicklung mit fünf Scrum Teams gemacht hat, erklärt er im Gespräch mit Detecon-Partner Dr. Roland Keil.

Detecon: Agilität ist derzeit in aller Munde. Was meinen Sie: Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihres Bereiches kennen das Agile Manifest der Softwareentwicklung von 2001 und wie viele gestalten ihren Arbeitsalltag danach?

Jörg Holleck: Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind alle zertifiziert. Als wir vor gut zwei Jahren mit einem kleinen Team von zwölf Mitarbeitern damit begannen, haben wir uns auf die Fahne geschrieben, dass wir, wenn wir mit Scrum in der Ausführung agil arbeiten wollen, auch alle zum Scrum Master oder Product Owner ausbilden. Das ist wichtig, damit alle wissen, wovon wir sprechen und nicht jeder seiner eigenen Interpretation folgt.

Nach unserer Auffassung kommt allerdings vor dem Framework immer das Mindset, denn letztlich greift es in viele Bereiche hinein: Wir suchen neue Mitarbeiter nach dem Mindset aus, nach deren Prinzipien wir selbst stringent arbeiten. Dazu zählen neben dem wertschätzenden Umgang miteinander auch die Selbstverpflichtung zur Übernahme von Verantwortung sowie die offene Fehlerkultur.

Was fasziniert Sie ganz persönlich an der Agilität?

Der oben erwähnte Umgang der Mitarbeiter untereinander ist für uns ein entscheidender Erfolgsfaktor. Darüber hinaus begeistert uns die Erfahrung der kontinuierlichen Lieferfähigkeit, die durch die frühe und stetige Einbindung des Kunden in den Entwicklungsprozess gewährleistet ist. Die regelmäßige Kommunikation mit dem Auftraggeber führt zu einer hohen Transparenz über alle Tätigkeiten, womit Probleme, die durch mangelnde oder schlechte Kommunikation entstehen, vermieden werden können.

Wir beobachten, dass agile Methoden häufig eingesetzt werden, ohne im Vorfeld zu überlegen, welche konkreten Fragestellungen damit angegangen werden sollen. Welchen Herausforderungen möchten Sie bei Rhenus mit agilen Methoden begegnen?

Die enge Zusammenarbeit mit den Auftraggebern. Die Verbesserungen, die wir hier erzielen konnten, waren für uns ein extrem positiver Gewinn. In der engen Zusammenarbeit entwickeln beide Seiten Verständnis füreinander: Man bespricht gemeinsam, was umgesetzt wird, und man entdeckt auch gemeinsam, wenn etwas Wichtiges vergessen wurde.

Früher wurden Fehler oft in der Softwareentwicklung gesucht, während sich der Auftraggeber auf den Standpunkt zurückzog, seine Anforderungen umfassend und vollständig übermittelt zu haben. Heute zeigt sich eher, wenn der Auftraggeber mal etwas vergisst oder einen Fehler macht.

Die Transparenz schafft hier enorme Klarheit und vor allem Verständnis füreinander. Dies gilt auch für späte Anforderungsänderungen – früher in der Wasserfallmethodik ein „No-Go“, jetzt können wir in kürzester Zeit innerhalb eines Sprints auf so etwas reagieren. Auch unsere Auftraggeber finden das sehr positiv.

Haben Sie dazu vielleicht ein konkretes Beispiel?

Zu Beginn einer Anfrage stehen wir vor der Entscheidung: „Buy versus Build“. Die Erfahrungen mit externen Dienstleistern haben gezeigt, dass man teilweise am Anfang eines Projekts Experten zur Verfügung gestellt bekommt, die die Entwicklung gut vorantreiben. Im weiteren Verlauf des Projekts wechseln die Ansprechpartner, so dass die Zusammenarbeit dann nicht mehr so gut funktioniert.

Wir haben den Rhenus Eventmanager als erstes Projekt mit konsequent agiler Vorgehensweise im Auftrag unserer Personalabteilung umgesetzt. Änderungen der Anforderungen entstanden oft während des Entwicklungsprozesses nach dem Motto: „Der Appetit kommt beim Essen“.

Dabei konnten unsere Entwickler konstruktive Vorschläge unterbreiten, die für den Auftraggeber einen Effizienzgewinn darstellten. Jederzeit konnte auf die gesamte technische und fachliche Kompetenz zurückgegriffen werden! Durch die agile Arbeitsweise werden die Auftraggeber manchmal im positiven Sinne unter Druck gesetzt, indem sie ihre Anforderungen schnell und konkret formulieren müssen.

Damit bestimmen heute beide Parteien die Geschwindigkeit. Die Zusammenarbeit wird zeitintensiver, weil konkreter, da die Arbeitspakete bis zur Umsetzbarkeit besprochen werden.

Das Arbeiten mit agilen Methoden ist ein Handwerk – die Transformation zu einer agilen Organisation ist eine Kunst. Welche Erfahrungen haben Sie mit agiler Organisation bei Rhenus gemacht?

Wir sind in vier Säulen organisiert, arbeiten aber mit fünf Scrum Teams. Das agile Arbeiten spiegelt sich letztendlich nicht in der Organisationsform wider. Wir sind der Meinung, dass die komplette Führung einer agilen Organisationseinheit nicht ausschließlich mit den Rollen Scrum Master, Product Owner und Development Team zu bewältigen ist. Alle Säulen sind voneinander abhängig und miteinander vernetzt.

Wir müssen also eine Organisationsform finden, die in einer Netzwerkstruktur miteinander kommuniziert – und das auch übergeordnet. Jedes Development Team kann nicht ausschließlich autonom arbeiten, da fast immer zeitliche sowie fachliche Abhängigkeiten zu den anderen Teams bestehen.

Darüber hinaus wünschen sich die Mitarbeiter eine disziplinarische Führung, die sich um organisatorische und administrative Fragen kümmert. Und einige Mitarbeiter möchten bewusst keine Führungsverantwortung übernehmen.

Um eine wachsende Organisation zu strukturieren, könnte Scaled Agile Framework (SAFEe) ein Ansatz sein. SAFe bringt letztendlich wieder eine gewisse Hierarchie mit sich, die sehr personal- und vor allem zeitintensiv ist. Eine agile Organisation mit flachen Hierarchien ist anzustreben, sollte aber nicht zu einem kompletten Verzicht auf Hierarchien führen.

Unsere Herausforderung liegt darin, dass wir vier fachlich unterschiedliche Bereiche in Form von fünf Scrum Teams organisieren. Da in jedem Scrum Team ähnliche Qualifikationen benötigt werden, kann der Bereich letztlich in einer Netzwerkstruktur organsiert werden. Ein positives Beispiel ist das „Spotify Model“. Bei diesem Modell wird zum einen die Fachlichkeit (Chapter) und zum anderen die Beziehung zu den Auftraggebern sowie die Auswirkungen der Wechselwirkungen der Anforderungen (Tribe) als Ordnungskriterium herangezogen.

Wer entscheidet hier?

Letztendlich entscheidet die Führungskraft, was organisatorische und administrative Aspekte betrifft. Fachliche Entscheidungen treffen im Wesentlichen die Teams. Die Führungskraft wird hinzugezogen, wenn grundlegende Ausrichtungen eine Abstimmung erfordern – analog zu Jürgen Klopp, der sagt, dass auf dem Platz jeder besser Fußball spielt als er selbst, und seine Verantwortung darin liegt, wie gespielt werden soll.

Bei Rhenus gehen wir hier grundsätzlich recht pragmatisch vor. In diesem Sinne haben wir hier schon immer sehr agil gearbeitet. Man kann viel ausprobieren, kleine Pflänzchen werden gefördert, bis sie wachsen. Und wenn sie sich nicht entwickeln, hat man den Mut, sie schnell wieder einzustampfen.

Das macht das Arbeiten sehr kurzweilig und ist vermutlich ein Grund, warum viele Mitarbeiter hier gerne und schon lange arbeiten und grundsätzlich über ein gewisses Mindset verfügen. Jetzt haben wir das alles nur in eine offiziellere Form gegossen und mit definierten Rollen besetzt.

Wie passt das, was Sie leben, zu den Unternehmenswerten von Rhenus?

Was wir leben, passt sehr gut mit den Unternehmenswerten der Rhenus zusammen! Unternehmergeist ist beispielsweise einer der Rhenus-Werte. Dazu passt, dass wir die Strukturen sehr zeitgemäß und professionell aufgebaut haben. Unternehmergeist heißt aber auch Mitarbeiterbindung.

Die agile Arbeitsweise können wir hier zum einen als Verkaufsargument für Neueinstellungen nutzen, denn heute möchte in der Softwareentwicklung niemand mehr anders arbeiten. Zum anderen schätzen die Mitarbeiter diese Arbeitsweise, was sich letztlich in einer sehr geringen Fluktuation widerspiegelt.

Kontinuität spielt in der Rhenus-Gruppe ebenfalls eine große Rolle: Wir verbessern kontinuierlich unsere Leistungen, liefern kontinuierlich und sind darüber hinaus auf langfristige Beziehungen zu unseren Kunden ausgerichtet. Dazu kommen Integrität, ein wertschätzender Umgang, kundenfokussierte Lösungen, egal ob für interne oder externe Kunden – die Werte, die unser Vorstand vorgibt, kann man als Mitarbeiter hier prima tragen und umsetzen.

Wenn Sie morgen in eine neue Firma kämen und Agilität in der Softwareentwicklung einführen sollten, womit würden Sie anfangen?

Zuerst sollten die theoretischen Grundlagen geschaffen werden, damit jeder weiß, worum es geht und das Mindset sowie die Begrifflichkeiten klar sind. Ein leichter Einstieg kann dann anhand eines Piloten durchgeführt werden.

Es gilt nicht „Hier ist der Scrum Master und der erklärt euch jetzt mal die Welt“, sondern wir prüfen mit Hilfe eines kleinen Projekts als Startballon, wie es sich entwickelt. Mit den ersten Erfahrungen können Verbesserungen vorgenommen und im weiteren Vorgehen berücksichtigt werden. Somit wird kontinuierlich nachjustiert.

Bei uns ist es aktuell so, dass alle fünf Scrum Teams sehr unterschiedlich arbeiten. Angefangen bei einer unterschiedlichen Anzahl an Teammitgliedern über eine sehr unterschiedliche Anzahl an Themengebieten bis hin zu unterschiedlich langen Iterationsschritten.

Reicht es aus, Agilität allein in der Softwareentwicklung einzuführen, oder müssen hierbei nicht zwangsläufig auch andere Bereiche der IT und die Geschäftsfelder einbezogen werden?

Das Mindset ist auch in anderen Bereichen extrem wichtig. Eine Förderung des agilen Mindsets ist für alle Bereiche und Ebenen von großem Vorteil, weil damit schnell und kontinuierlich die am besten am Kunden ausgerichtete Lösung geschaffen wird. Und das muss letztendlich nicht immer nur Software sein. Die Bereitschaft, Verantwortung abzugeben und den Mitarbeitern das Vertrauen entgegen zu bringen, dass sie grundsätzlich ihr Bestes geben, ist dafür eine der Voraussetzungen.

Was muss den Mitarbeitern bereitgestellt und worin müssen sie befähigt werden, damit sie agil arbeiten können?

Vorleben ist das A und O. Es ist mir wichtig, auch in schwierigen Situationen die Ruhe zu bewahren und zu analysieren, wie eine Lösung aussehen kann. Darüber hinaus ist Hilfsbereitschaft in unserem Team wichtig. Es geht ja nicht darum, auf sein Recht zu pochen, sondern für den Kunden die beste Lösung zu finden.

Bei der Mitarbeiterrekrutierung stehen für Rhenus generell die Persönlichkeit sowie die Einstellung und Motivation eines Bewerbers an erster Stelle. Offenheit, Flexibilität und Erfahrung sind ein guter Mix – und die Grundlage für eine langfristige und erfolgreiche Zusammenarbeit.

Das Verständnis von Verantwortung ist ebenfalls relevant: Man hat immer die Verantwortung für sein Tun. Jeder soll seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt werden. Das ist in einem cross-funktionalen Team notwendig und gewünscht.

Je komplizierter es wird, umso mehr braucht man auch ein Team, zum Beispiel in Form des Vier-Augen-Prinzips in der Softwareentwicklung. Bei einfacheren Tätigkeiten prüft möglicherweise keiner mehr, umso größer ist aber auch die Verantwortung für denjenigen, der die Tätigkeit übernimmt.

Wie motivieren Sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ihrem Bereich, sich selbst zu organisieren und dabei nicht die Unternehmensziele aus den Augen zu verlieren?

Die Art, agil zu arbeiten, ist hochtransparent. Konflikte gibt es natürlich auch. Diese werden prinzipiell teamintern in der Retrospektive angesprochen und aus dem Weg geräumt.

Wenn es notwendig ist, unterstützen wir bei Rhenus unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, indem wir Konfliktgespräche offen und wertschätzend moderieren. Jeder macht mal Fehler, aber es ist wichtig, zeitnah darüber zu sprechen und eine Lösung zu finden. Gegebenenfalls auch gemeinsam mit dem Kunden, wenn es die Situation erfordert. Auf gute Kommunikation legen wir sehr viel Wert.

Wo stand Ihnen Agilität einfach nur im Weg?

Auf diese Frage kann ich Ihnen nicht wirklich persönliche Erfahrungen mitteilen. Da die Agilität so viel Transparenz schafft, denkt man oft, sie sei das Problem – letztlich deckt sie aber nur das eigentliche Problem auf.

Woher nehmen Sie Ihre Motivation, sich so konsequent auf den Weg der agilen Transformation zu machen?

Auch wenn es sehr pathetisch klingt: Agilität macht die Arbeitswelt zu einem besseren Ort. Wir leben in einer VUCA(Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity)-Welt, müssen schnell reagieren, offen und mutig agieren und uns immer wieder fragen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Falls nicht, besteht immer die Möglichkeit, sich weiter zu entwickeln.

Vertrauen sowie alle weiteren Werte, die hinter dem agilen Arbeiten stehen, sind dabei wichtig. Zufriedene Mitarbeiter und Lösungen, die dem Kunden wirklich weiterhelfen, sind zwei der wichtigsten Motivatoren.

Wenn morgen die „gute Fee der Agilität“ in Ihrem Büro auftauchen und Ihnen drei Wünsche freistellen würde, welche Wünsche würden Sie nennen?

Die ganze Organisation sollte agil arbeiten. Die Fee sollte aber auch berücksichtigen, dass Menschen Halt brauchen – den Rahmen dafür finden sie zumindest teilweise in Hierarchien. Dieser Aspekt ist uns bei Rhenus sehr wichtig.

Vielen Dank für diese Einblicke!