Human Ressources in der Medizin und im Spiegel der Digitalisierung

Fachkräftemangel ist in vielen Bereichen der Wirtschaft ein zunehmendes Problem, insbesondere in der Medizin. Welche Probleme im klinischen Alltag folgen daraus und welche Alternativen gibt es zur „Ressource“ Mensch? Und welche Rolle kann Digitalisierung spielen?

„Wir steuern tatsächlich auf einen Ärztemangel zu, weil in Deutschland viel zu wenige Mediziner ausgebildet werden", so die Prognose des heutigen deutschen Gesundheitsministers Karl Lauterbach,  bereits am 4. Mai 2019 in der Saarbrücker Zeitung. „Wenn man den Bedarf mit der Zahl der Studienabgänger im Fach Medizin ins Verhältnis setzt, dann werden pro Jahr bis zu 5000 Ärzte fehlen. Das ist weniger der geringeren Bereitschaft zur Vollzeitarbeit geschuldet, sondern vor allem der demografischen Entwicklung.“ (Prof.)

Der anhaltende Trend zur Teilzeitarbeit, das steigende Durchschnittsalter der Ärzteschaft und vor allem der demografische Wandel sind die Hauptgründe für den Ärztemangel. Zudem werden, obwohl die Zahl der Medizinstudierenden seit 2007 kontinuierlich ansteigt, zu wenige letztlich zu Medizinern und Medizinerinnen ausgebildet. Ca. 25 bis 30% der Medizinstudierenden wechseln im Laufe des Studiums und zu Beginn der Facharzt-Weiterbildung in alternative Berufsfelder. Haben Ärzte und Ärztinnen in der Vergangenheit mehr kostenlose Mehrarbeit in Vollzeitstellen erbracht, ist dies bei der jetzt nachkommenden Generation nicht mehr selbstverständlich. Bei ihnen stehen die Work-Life-Balance und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Vordergrund. Somit muss nicht mehr mit der Kopfzahl gerechnet werden, sondern mit der Zahl der Arztstunden pro Kopf. Und diese Zahl sinkt deutlich. Wie die Graphik der ZI-Panels zeigt, unterschiedet sich die Wochenarbeitszeit von selbständigen und angestellten Ärzten und Ärztinnen sehr deutlich. Insbesondere arbeiten letztere sichtbar häufiger in Teilzeit.

Hinzu kommt, dass Deutschland eine der ältesten Gesellschaften der Welt ist, wodurch in den kommenden Jahren mit einem weiteren Anstieg des Behandlungsbedarfes zu rechnen ist. Derzeit prognostiziert das Statistische Bundesamt bis zum Jahr 2040 eine Steigerung des Bevölkerungsanteils der über 67-jährigen um bis zu 42 Prozent. Dies schlägt sich wiederum in durchschnittlich mehr Arztkontakten nieder, was gleichzeitig den Ärztemangel zusätzlich zum Teilzeittrend weiter verschärft (Ärztestatistik zum 31.12.2020 der Bundesärztekammer).

Mangel an Pflegekräften und keine Besserung in Sicht

Der größte Mangel an Fachkräften in der Medizin findet sich bei den Pflegekräften. Bereits 1960 und 1989 gab es einen Pflegekräftemangel. Wie auch damals wird versucht, das Problem durch das Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland zu beheben. Der derzeitige Bedarf wird auf 30.000 bis 50.000 zusätzliche Pflegekräfte geschätzt. (Deutsches Ärzteblatt 2018;115(12)A-505). Allerdings werden 2030 in Deutschland bereits zusätzlich 187.000 Pflegevollkräfte gebraucht (Gutachten „Situation und Entwicklung der Pflege bis 2030“ des Deutschen Krankenhausinstitut).

Die Ursachen für den Pflegekräftemangel sind vielfältig. Wie beschrieben steigt durch den demografischen Wandel auch die Zahl der Pflegebedürftigen, während die Zahl derer, welche einen Pflegeberuf erlernen sinkt. Die hohe körperliche und psychische Belastung, welche mit dem Beruf einhergeht, führt außerdem dazu, dass viele Pflegepersonen aus gesundheitlichen Gründen den Beruf wechseln. Im gesamten Gesundheitswesen ist somit eine erhebliche Arbeitsverdichtung zu beobachten.

Schicht- und Wochenendarbeit ist die Regel

In den letzten Jahren gab es deutliche Lohnsteigerungen für Pflegepersonal im öffentlichen Dienst, von 2020 auf 2021 betrug die prozentuale Steigerung 8,7 Prozent und in der Spitze für Intensivkräfte rund 10 Prozent (Quelle: MFA-Gehaltstarifvertrag / VmF-Online.de). Auch für medizinische Fachangestellte betrug die Gehaltssteigerung in den letzten drei Jahren fast 18 Prozent. Es ist somit fraglich, ob das Gehalt die vordringliche Ursache für den Mangel an Fachkräften in diesen Berufsgruppen ist.

Für die Ärzteschaft und Pflegepersonal steht eher die zeitliche und berufliche Belastung im Vordergrund. Insbesondere die erhebliche Arbeitsverdichtung und der hohe administrative Aufwand lassen sich nicht in Deckung zu den o.g. Berufsbildern bringen. Ebenso belastend ist der Arbeitsdruck. So klagt fast jeder zweite Arzt in Deutschland über Gefühle körperlicher, emotionaler und mentaler Erschöpfung. 24 Prozent geben an, dass sie unter „Depressionen“ und „depressiven Verstimmungen“ leiden. 9 Prozent bezeichnen ihre Symptome als eine Kombination aus Burnout und Depression.

Viel Verwaltungsarbeit führt zu hoher Belastung

Gemäß internationaler Umfragen empfinden Ärztinnen und Ärzte vor allem die Verwaltungsaufgaben als große Belastung. Zu viele Arbeitsstunden, mangelnde Anerkennung im sozialen Umfeld, zu starke Gewinnorientierung und unzureichende Vergütung sind weitere Faktoren, die die Belastung erhöhen.

Die zunehmenden administrativen Aufgaben und die Unwegsamkeit im deutschen Gesundheitswesen führen dazu, dass immer weniger Fachärzte und -ärztinnen in der Niederlassung in Anstellung gehen. Statt selbst Unternehmer zu werden, werden häufig Teilzeitmodelle gewählt. Aber genau in der Niederlassung findet der Hauptteil der ärztlichen Behandlungen in Deutschland statt, ca. 1 Milliarde Arzt-Patientenkontakte pro Jahr. Somit macht sich der Ärztemangel in der Niederlassung besonders bemerkbar.

Schwere Folgen für den Arbeitsalltag in Klinik und Praxis

Weniger Personal setzt eine Spirale aus Arbeitsverdichtung und Personalabwanderung in Gang, was durch den Kostendruck sowohl in den Kliniken als auch in den Praxen zusätzlich verstärkt wird. Die Folge sind zunehmende krankheitsbedingte Personalausfälle und Kündigungen. Im Krankenhaus müssen Betten gesperrt oder Abteilungen geschlossen und damit Behandlungen verschoben werden. In den Praxen müssen Termine verschoben werden, was im Facharztbereich zu immer längeren Wartezeiten führt, unabhängig vom Versicherungsstatus.

Die höheren Tarifabschlüsse führen dabei zu deutlichen Kostensteigerungen, denn Personalkosten machen ca. 70% der Kosten einer Gesundheitseinrichtung aus. Während die Kosten für das Pflegepersonal in den Kliniken direkt von den Krankenkassen übernommen werden, ist dies in den Arztpraxen in den budgetierten Vergütungen inkludiert und Lohnsteigerungen können nur sehr begrenzt ausgeglichen werden, was die Spirale aus Arbeitsverdichtung und Kostendruck weiter antreibt.

Digitalisierung als Lösungsansatz

Es braucht also verschiedene Lösungsansätze. Zum einen müssen mehr Mediziner und Medizinerinnen sowie Pflegepersonal ausgebildet werden, zum anderen muss der Verwaltungsaufwand als Hauptursache für die Unzufriedenheit des medizinischen Personals reduziert werden. Letzteres kann durch Digitalisierung sehr viel einfacher erzielt werden als Ersteres. Hier müssten nur einfach zu erschliessende und intuitiv zu bedienende IT-Lösungen eingesetzt bzw. ausgeweitet werden.

Digitalisierte persönliche Patientenaufklärung kann medizinisches Personal von administrativen Tätigkeiten befreien und so mehr Zeit für die eigentliche Behandlung von Pateienten zu schaffen. Schon heute werden Roboter und Robotik eingesetzt, um Personal zu ersetzen oder zumindest zu unterstützen - zum Teil sogar am Patienten. Hierdurch kann die körperliche Belastung insbesondere der Pflegekräfte erheblich reduziert werden. Entsprechende Lösungen werden beispielsweise eingesetzt zur selbstständigen Reinigung und Vorbereitung von Operationsräumen, zum Transport von Medikamenten oder Laborproben, oder auch zur Unterstützung von komplexen Operationen.

Aber nicht nur die Prozesse können automatisiert werden, künstliche Intelligenz (KI) wird unsere Arbeitswelt, auch in der Medizin, tiefgreifend verändern. Ein Beispiel ist die Befundung von bildgebenden Verfahren durch KI. Neben der Ausbildung kann die Digitalisierung im Medizinischen Bereich somit einen zentralen Beitrag zur Entlastung des Gesundheitssystems beitragen, wenn diese richtig eingesetzt wird.