Digitale Geschäftsmodelle 2.0

Warum sollten Sie Ihre Wertschöpfung in Netzwerken und Partnerschaften organisieren? Detecon Managing Partner Dr. Volker Rieger und Detecon Senior Consultants Riem Jalajel und Dr. Daniela Drube erklären, was ein Business-Ökosystem ist und welche Voraussetzungen innerhalb von Unternehmen existieren müssen, damit solche Ökosysteme bestehen können.

Nach wie vor treiben die Anforderungen der Digitalisierung Unternehmen aller Branchen regelrecht vor sich her. Die schier unendliche Menge an Daten, das ‚neue Gold‘, ist Basis für immer neue digitale Geschäftsmodelle. Aber mit der Entwicklung dieser neuen Geschäftsmodelle verändern sich auch die entscheidenden Faktoren, die für Unternehmen zum Erfolg führen – sowohl am Markt als auch bei der organisatorischen Umsetzung im Unternehmen. Was in der IT-Branche schon lange kein Geheimnis mehr ist, wird nun auch in den anderen Branchen Realität: eine rein lineare Wertschöpfung und rein kompetitive Strategien allein sind kein Garant mehr für den Erfolg.

Better together - das Business-Ökosystem

So wie Microsoft ohne seine Reseller und unabhängigen Software-Anbieter nicht denkbar wäre, so wie Amazon ohne den Marketplace nicht seine heutige Größe erreicht hätte, so wie ‚made for iPhone‘ und der App-Store fast schon sprichwörtlich geworden sind, so müssen auch andere Branchen ihre Wertschöpfung in Netzwerken und Partnerschaften organisieren. Neue Allianzen werden ständig geschmiedet, die Grenzen zwischen den Branchen verschwimmen, und es ist schwierig geworden, ein Unternehmen von einem anderen zu unterscheiden und zu sehen wer mit wem gerade konkurriert oder kooperiert.

Dieses dynamische Zusammenspiel aus mehreren Unternehmen über Branchengrenzen hinaus wird als Business-Ökosystem bezeichnet. Angelehnt an die biologische Definition eines Ökosystems, werden Business-Ökosysteme als ein dynamisches, sich erneuerndes und auf Störungen und Wettbewerb reagierendes System betrachtet (WRI, 2000). Ein Business-Ökosystem muss genau wie sein Vorbild kontinuierlich in der Lage sein, sich sowohl auf innere als auch äußere Veränderungen einzustellen. In einem Ökosystem stehen die Spezies nicht ausschließlich im Wettbewerb, sondern großteils in Symbiose. Erst eine große Vielfalt an Spezies bzw. Organisationen gewährleistet die Stabilität des Ökosystems. Damit erhöht sich auch die Überlebens- und Wachstumsfähigkeit jedes einzelnen Mitglieds. Eine Vielfalt an unterschiedlichen Organisationen innerhalb des Ökosystems verleihen diesem und damit jedem einzelnen Unternehmen eine größere Flexibilität und Breite an Reaktions- und Innovationsmöglichkeiten. So wie sich in einem biologischen Ökosystem die Organismen über ihre genetische Information, aber auch durch ihre Beziehungen zu ihrer Beute, Rivalen und Feinden definieren, so definiert sich ein Unternehmen in einem Business-Ökosystem über seine Kompetenzen und Kultur, aber auch über seine Assoziation mit ihren Lieferanten, Wettbewerbern und Kunden (vgl. Rothschild 1990).

Ko-Evolution: Neue Wirtschaftsgefüge orchestrieren

In der wissenschaftlichen Literatur hat Moore schon früh Business-Ökosysteme untersucht. Seinen Analysen zufolge entwickeln die effektivsten Unternehmen neue Geschäftsvorteile, indem sie lernen, durch das Verstehen der wirtschaftlichen und sozialen Landschaft (des Ökosystems) eine wirtschaftliche Ko-Evolution zu führen und potenzielle Innovationszentren als Partner zu suchen. Für jedes Unternehmen besteht die Aufgabe darin, wertschöpfende Beiträge aus einem Netzwerk von potentiellen Partnern unter seiner Leitung zu orchestrieren. Führungskräfte erfolgreicher Organisationen führen nicht nur ihre eigenen Organisationen, sondern auch ihre gegenwärtigen Konkurrenten, d.h. ihre gesamte Branche. Sie dienen auch als Katalysatoren, die das Zusammentreffen verschiedener Geschäftselemente zu einem neuen Wirtschaftsgefüge beschleunigen, aus denen neue Unternehmen, neue gemeinnützige Organisationen, neue Regeln des Wettbewerbs und der Zusammenarbeit sowie neue Industrien hervorgehen. Sie tragen dazu bei, das gesamte Ökosystem, in dem sie tätig sind, zu transformieren (vgl. Moore 1996).

Aktuelle Detecon-Studie: Digitales Ökosystem als Erfolgsfaktor Nr. 1

Diese Erkenntnisse setzten sich immer weiter in der Praxis durch. In einer Detecon Studie vom Dezember 2017 haben wir die Erfolgsfaktoren von digitalen Geschäftsmodellen empirisch untersucht. Das Ergebnis: Die Schaffung eines digitalen Ökosystems wurde von den Teilnehmern aus den verschiedensten Branchen als wichtigster Erfolgsfaktor gesehen. Auch für die Schaffung von Lock-in Effekten wird der Aufbau eines Ökosystems mit passenden Zusatzangeboten (z.B. Apps, Zubehör) essentiell angesehen.

Bei der Frage nach den Voraussetzungen für den Aufbau eines passenden Ökosystems rund um die digitalen Geschäftsmodelle des eigenen Unternehmens waren sich die Teilnehmer der Studie ebenfalls einig. Ohne einen adäquaten Informationsaustausch, Schnittstellen zwischen den Playern, einer klaren Festlegung der eigenen Rolle im Ökosystem und den Aufbau des Ökosystems rund um ein spezifisches Angebot, das sich mit Zusatzleistungen ergänzen lässt (Musikdienste, Finanzdienste, Mobilitätsdienste, …), geht es nicht.

Best Practice: Der DKV macht's vor

Auch in unseren Kundenprojekten erleben wir den Erfolgsfaktor Business-Ökosystem. Detecon begleitet beispielsweise aktuell die DKV Mobility Services Group auf dem Weg in die digitale Produktwelt. Der DKV kümmert sich als Dienstleister in der Logistik- und Transportbranche um Themen wie bargeldlose Unterwegsversorgung (Tanken und Maut), Mehrwertsteuerrückerstattung u.v.m. für aktuell mehr als 170.000 Kunden in über 42 Ländern. Zur Entwicklung und Vermarktung neuer digitaler Lösungen wurde eine neue Abteilung Digital Solutions ins Leben gerufen, die Lösungen so nah wie möglich an den Bedürfnissen der Kunden entwickelt. „Wir streben danach, die Bestandsprodukte, die wir bereits erfolgreich vertreiben, mithilfe digitaler Konzepte weiterzuentwickeln, aber auch neue, datenbasierte Produkte zu entwickeln, die unsere Kernprodukte komplementieren“ erläutert Frank Heimbürger, Head of Digital Solutions der DKV Mobility Services Group. Bei der Entwicklung und Vermarktung der digitalen Lösungen setzt der DKV auf den Aufbau eines breiten und starken Ökosystems, das sich ebenso aus bestehenden Partnerschaften, wie aus weiteren etablierten Marktteilnehmern und Nischenspezialisten bzw. innovativen Startups zusammensetzt. „Ein starkes Partnerökosystem ist Kernbestandteil unserer Digitalstrategie. Wir wollen Win-Win für unsere Partner und uns erzeugen, um so gemeinsam mit unseren Lösungen einen Standard in der Transportbranche zu setzen“ sagt Hendrik Rosenboom, Chief Digital Officer der DKV Mobility Services Group.

Klingt gut - können wir das auch?

Welche Voraussetzungen müssen innerhalb von Unternehmen existieren, damit diese in Business - Ökosystemen bestehen können? Die Antwort liegt auf der Hand: Offenheit und Flexibilität nach außen hin funktionieren nur, wenn diese auch im Inneren vorhanden sind. Starre Strukturen, die hierarchisch auf einen einzigen Zweck hin optimiert sind, können in einem dynamischen System langfristig nicht bestehen.

Auch wenn es natürlich Beispiele für Unternehmen gibt, die bereits vor Jahrzehnten eine flexible und auf kleine Strukturen hin ausgerichtete Unternehmenskultur (vgl. Packard 1995) entwickelt haben, so fällt es den meisten traditionellen Unternehmen schwer, die notwendigen Veränderungen vorzunehmen. Zu lange waren sie in starren, linearen Wertschöpfungsketten unterwegs, deren Ausrichtung auf bewährten, aber in die Jahre gekommenen Theorien basieren. Diese reichen von Taylor (Taylor 1911) über Coase (Coase 1937) bis hin zu Porter (Porter 1980) und orientieren sich meist an militärischen Praktiken, die zunächst erfolgreich bei Ford, GM und GE eingesetzt wurden, bevor sie in übertragbare Organisationsrezepte gegossen wurden. Menge mal Preis, ausgedrückt durch Marktanteile und Kostenvorteile dominierten bislang häufig die strategischen Diskussionen.

Fit für das Business-Ökosystem mit Company ReBuilding

Wie aber kann das Umdenken und Umhandeln beginnen? Der Company ReBuilding-Ansatz von Detecon nutzt hier ebenfalls eine Analogie aus der Biologie, welches die natürliche Fortsetzung des Ökosystem-Gedankens auf der Makro-Ebene hinein in die Mikro-Ebene des Unternehmens ist: die Prinzipien der Zelle und der Zellteilung. Unternehmen stellen eine verbundene Ansammlung von Zellen dar, die in ihrer DNA eine gemeinsame Unternehmenskultur und Werte tragen und über klare Kommunikationswege und Regeln miteinander verbunden sind. Jede Zelle für sich ist annähernd autonom und flexibel nach New Work-Prinzipien organisiert. Ein explizit oder implizit ausgeprägter Kontrollmechanismus sorgt dafür, dass jede einzelne Zelle permanent auf Kunden- und Mitarbeiternutzen hin optimiert bleibt.  Unternehmen unterscheiden sich gegenüber Einzelzellen (vulgo Startups) davon, dass der Verbund einerseits gemeinsame Ressourcen mobilisieren (orchestrieren) kann und andererseits eine Fürsorgepflicht gegenüber den einzelnen Zellen ausübt. Nicht erfolgreiche Zellen werden nicht verstoßen, sondern aufgelöst und ihre Bestandteile an anderer Stelle oder für neue Zellen wiederverwandt. So gehen weder Wissen noch Ressourcen verloren.

Fast alle Branchen befinden sich heute in einer Plattform-Ökonomie und Unternehmen agieren zunehmend in einem Business-Ökosystem. Nur solche Unternehmen, die sich auch im Inneren an die dort geltenden Spielregeln halten, werden überleben. Der Company ReBuilding-Ansatz bietet etablierten Unternehmen einen Veränderungspfad, in dem sie ihre Stärken weiterhin ausspielen können.

Es ist höchste Zeit, diesen Weg zu gehen!

Vielen Dank für die Mitarbeit am Artikel an Ivo Leonhardt

Quellenangaben:

Coase, Ronald H (1937): The Nature of the Firm, in: Economica, Vol. 4, No. 16, S. 386-405.

Moore, James F. (1996): The Death of Competition: Leadership and Strategy in the Age of Business Ecosystems, New York: HarperCollins Publishers.

Packard, David (1995): The HP Way: How Bill Hewlett and I Built Our Company, New York: HarperCollins Publishers

Porter, Michael E. (1980): Competitive Strategy, New York: Free Press

Rothschild, Michael L. (1990): Bionomics: Economy as Ecosystem, New York: Henry Holt and Company.

Taylor, Frederick W. (1911): The Principles of Scientific Management, New York, London: Harper & Brothers.

World Resources Institute (2000): A Guide to World Resources 2000-2001: People and Ecosystems: The Fraying Web of Life, Washington: World Resources Institute

Wagner, Marc (2018): Company ReBuilding: Die Zeit ist reif! https://www.xing.com/news/insiders/articles/company-rebuilding-die-zeit-ist-reif-1226468

Wagner, Marc, Vinke, Verena (2018): die Erschütterung der alten Macht