Die Revolution ist ausgeblieben

Wie ist der Status Quo der digitalen Transformation in der Finanzbranche – gerade auch im Zusammenspiel mit FinTechs? Philip Laucks, Personalchef der Privat- und Firmenkundendivision der Deutsche Bank AG und früherer Chief Digital Officer der Postbank AG, über den Veränderungsdruck der Finanzindustrie, die Entstehung von Neuem in enger Zusammenarbeit mit dem Kerngeschäft und die Rolle von HR.

Detecon: Was bedeuten Digitalisierung, Disruption und exponentielle Wachstumsmodelle für die Postbank und die gesamte Branche? Welche Chancen und Risiken sehen Sie in diesem Zusammenhang?

Philip Laucks: Die Finanzbranche steht schon seit Jahren unter einem immensen Veränderungsdruck. Das liegt natürlich auch daran, dass sie auf Grund ihrer Geschäftsmodelle im besonderen Fokus von Startups – sogenannten FinTechs - steht, die mit ihren disruptiven Geschäftsmodellen den Markt komplett verändern wollen. Der FinTech-Markt in Deutschland ist einer der am besten kapitalisierten Märkte, sodass disruptive Unternehmen hier tatsächlich sehr gute Voraussetzungen vorfinden. Allerdings muss ich das gleichzeitig ein bisschen einschränken, denn die zuerst befürchtete Revolution ist ja bislang ausgeblieben. Beide Seiten haben sich inzwischen angenähert und verstanden, dass man am besten in einem gemeinsamen Ökosystem zusammenarbeitet. Ganz alleine die Welt zu verändern, schafft weder der eine, noch der andere.

Auf unser Geschäftsmodell bezogen spüren wir Disruption weniger bei unseren Kernprodukten, als bei Plattformthemen. Wir beobachten einen relevanten Marktzuwachs bei Plattform-Anbietern wie Check 24 oder Smava, aber nicht unbedingt bei einem neuen Bank-Player wie N26.

Auf der Kundenseite merken wir nach wie vor, dass die Marke und das Grundvertrauen in sie eine wichtige Rolle spielt. Wenn ein Kunde beispielsweise kurz vor seinem Renteneintritt steht, 50.000 Euro gespart hat und damit seinen Lebensabend versüßen möchte, dann wendet er sich eher an eine etablierte Bank als an ein FinTech. Und das ist bei allen großen, einmaligen Lebensereignissen der Fall. Bei der Eröffnung eines weiteren Girokontos oder der Beantragung eines Ratenkredits sind die Kunden schon eher onlineaffin und nutzen alternative Angebote. Das ist also sehr produktabhängig.

Das heißt auch bei Ihnen geht es darum die Balance zwischen dem Kerngeschäft und dem Neuen zu finden – was man heute unter den Begriff Ambidextrie zusammenfasst. Wie genau haben Sie das bei der Postbank gelöst?

Diese Frage haben wir damals intern intensiv diskutiert. Mit der norisbank hatten wir zum Beispiel einen Nukleus geschaffen, der sich selbstständig entwickeln und weitestgehend außerhalb der Konzernstrukturen agieren konnte. Allerdings ist der Spillover-Effekt in den Postbank Konzern ausgeblieben: das, was dort passiert, strahlte nicht zurück in die Kernorganisation. Daher haben wir uns vor einiger Zeit dazu entschieden, die digitale Transformation nicht zu weit außerhalb der Kernmarke voranzutreiben, sondern intern kleine Zellen von Mitarbeitern zu bilden, die von dem Thema überzeugt sind und die notwendigen Kompetenzen mitbringen. Mit diesen kleinen revolutionären Zellen, die sich überall im Unternehmen verteilen, nehmen wir das ganze Unternehmen mit. Nach vorne gerichtet werden wir dennoch zusätzlich dem ambidexteren Modell folgend ein neues digitales Angebot am Markt platzieren. Dabei geht es dann aber weniger um die Transformation an sich, sondern vielmehr darum, für uns aktuell schwer zu erreichende Teile des Marktes wieder zu besetzen.

Das passt genau zu unserem CompanyRebuilding Ansatz, der sich damit beschäftigt, wie man Skills aus der bestehenden Organisation rausziehen kann, um neues Geschäft hervorbringen zu können, ohne dabei radikal das gesamte Unternehmen auf den Kopf stellen zu müssen. Wie stellen Sie denn sicher, dass das Neue nachher die gewünschten Netzeffekte hervorbringt und nicht wieder in der Versenkung verschwindet?

Grundüberzeugung bei der Postbank war es von Anfang an, dass uns das reine Gründen eines Digital Labs nicht helfen wird. Denn wenn man sich viele dieser Initiativen mal genauer anschaut, dann wird schnell klar, dass die dort entwickelten Ideen eben an der Rückführung in die Kernorganisation scheitern. Stattdessen haben wir kleine Teams ausgebildet, die für dezidierte Zeit an Themen gearbeitet haben und diese dann wieder in die Organisation zurückgetragen haben. So hat ein Team sich zum Beispiel mit der Digitalisierung des Prozesses zum Abschluss des Postbank Ratenkredits beschäftigt – und zwar mit den Kollegen, die auch heute in der stehenden Organisation daran arbeiten und nun die digitalen Experten für dieses Thema sind.

Wie stellen Sie sicher, dass das Immunsystem des Konzerns da nicht zuschlägt, das Neue wieder platt macht und die Leute total frustriert sind?

Die Gefahr besteht natürlich und es hängt sehr stark von den Voraussetzungen ab, ob es dazu kommt. Als wir das Chief Digital Office an einem separaten Standort in Bonn aufgebaut hatten, kam es anfangs auch zu Verwunderung unter den Kollegen. Das haben wir, glaube ich, mittlerweile gut eingefangen, weil wir eine komplette Transparenz darüber haben, wie zum Beispiel Budgets verteilt werden. Es gibt also keine offensichtliche Sonderbehandlung. Das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist, das Thema auf die Managementagenda zu heben, an der alle beteiligt sind und von der alle Vorstandsmitglieder überzeugt sind – nicht nur der CDO.

Braucht man überhaupt einen CDO?

Ich denke, dass es nicht ausreicht, wenn die digitale Transformation nur von einer Person vorangetrieben wird. Das ist zu wenig. Ansatz der Postbank war es daher, dass das Chief Digital Office nur zeitlich beschränkt existieren wird. Auf der anderen Seite braucht man einen CDO ja schon, um über den Tellerrand hinaus zu schauen und Themen breiter zu denken – vor allem in einem digitalen Kontext. Das schafft die stehende Organisation von sich aus häufig nicht. Das digitale Mindset in die Organisation zu bringen, das kann ein CDO natürlich sehr gut. Ich stimme Ihnen aber zu, dass ein CDO eine Übergangserscheinung ist und es vermutlich 2020 nur noch wenige geben wird.

Ich würde gerne noch auf das Thema Talente zu sprechen kommen. Der Bewerbermarkt ist sehr hart umkämpft – vor allem im technologischen Bereich. So suchen zum Beispiel alle Firmen nach Data Scientists. Wie gehen Sie das Thema digitale Talente an? Und wie schaffen Sie ein attraktives Umfeld, wo die Leute auch bleiben wollen?

Das ist, wie für viele andere Unternehmen auch, ein sehr schwieriges Unterfangen, allein aufgrund der Demographie auf der einen Seite und der extrem guten wirtschaftlichen Situation in Deutschland auf der anderen Seite. Der Bewerbermarkt ist faktisch leer; oder andersrum: Wir haben heute einen Arbeitnehmermarkt, keinen Arbeitgebermarkt. Im normalen Wettbewerb haben Sie immer mehrere Möglichkeiten, einen Kandidaten von sich zu überzeugen. Die einfachste, aber nicht die Beste, ist natürlich über das Gehalt. Eine andere könnte sein, als Unternehmen mit einem tollen Markennamen allein auf die Ausstrahlungskraft der Marke zu setzen. Der dritte Ansatz geht über die Verantwortung: wieviel kann ich als Mitarbeiter bewegen? Ich glaube, dass man von Person zu Person prüfen muss, welcher Ansatz am besten funktioniert. Wir haben bei der Postbank gute Erfahrungen damit gemacht, dass wir Menschen sehr früh ans Unternehmen binden, zum Beispiel über duale Studien- oder Ausbildungsgänge. Die Postbank ist einer der größten Ausbildungsbetriebe in Deutschland. Die Bindung schaffen wir dort weniger über Gehaltszahlungen, sondern über interessante Projekte, über Aus- und Weiterbildung - zum Beispiel in der Postbank Systems AG, wo wir natürlich viele technische Profile haben. Es ist uns gelungen, die Mitarbeiteranzahl der Postbank Systems AG deutlich auszubauen, aber trotzdem bekommen wir nicht all die Mitarbeiter, die wir haben wollen.

Wie müssen sich aus Ihrer Sicht auch Führungskräfte verändern?

Wir sollten wahrscheinlich zwei Perspektiven dabei berücksichtigen. Die eine ist, dass wir als stark regulierte Bank nicht so frei agieren können, wie andere Unternehmen. Wir sind gezwungen, gewisse Regelprozesse einzuhalten und brauchen maximale Disziplin dabei – damit sind wir dann eben auch in den meisten Bereichen hierarchisch organisiert. Für gewisse regulierte Prozesse und Abläufe brauchen wir also weiterhin Mitarbeiter, die bereit sind, in einer solchen Umgebung zu arbeiten. Die Kunst besteht dann darin, auf der anderen Seite Freiräume für die Mitarbeiter zu schaffen, die agil arbeiten und neue Themen entwickeln wollen. Auch unser Managementteam hat sich sehr verändert. Wir sitzen mittlerweile in offenen Büros und haben die Barrieren gesenkt. Damit hat sich auch die Kultur verändert – zum Beispiel duzen wir viele Mitarbeiter, tragen keine Krawatten mehr und sind unkompliziert im Umgang. Viele unserer Statusprivilegien haben wir schon aufgegeben, die Interaktion ist viel direkter geworden. Im Fokus steht bei uns aber das fachliche Können und nicht die Hierarchie.

In welche Richtung entwickelt sich aus Ihrer Sicht die Rolle von HR? Viele Tätigkeiten könnten dort zukünftig auch durch künstliche Intelligenz erledigt werden. Wie sind Sie HR-seitig aufgestellt und wohin geht die Reise?

Die Postbank ist hier noch sehr klassisch aufgestellt, anders als die Deutsche Bank zum Beispiel, die gerade ein komplett neues Personalsystem einführt. Sobald dieses Tool etabliert ist, werden wir uns übergreifend natürlich auch damit befassen und uns vor allem anschauen, welche Möglichkeit für People Analytics dadurch entstehen. Wir sind da auf einem guten Weg, aber noch lange nicht am Ziel angekommen.

Wie gehen Sie damit um, dass Sie im Unternehmen immer die Mitarbeiter haben, die die Transformation mittragen und jene, die eine Veränderung mit allen Mitteln verhindern? Versuchen Sie diese mitzunehmen und von Ihrer Sache zu überzeugen?

Grundsätzlich ist es doch so: wenn Sie nur das Tempo des Langsamsten gehen, dann kommen Sie nicht richtig voran. Sich umgekehrt nur an den Schnellsten zu orientieren und den Rest liegen zu lassen, führt ebenso wenig ans Ziel. Es ist also schon wichtig, so viele Mitarbeiter wie möglich mitzunehmen und auf diesem Weg zu unterstützen. Am Ende gewinnen Sie als Unternehmen nur, wenn möglichst alle Mitarbeiter am Ziel angekommen sind. Und genau das muss der Managementansatz sein.

Wenn Sie jetzt mal fünf Jahre nach vorne schauen, wann würden Sie sagen, sind Sie richtig erfolgreich in Ihrer Rolle gewesen?

Aus Unternehmenssicht würde ich mich wohlfühlen, wenn große Teile des Neugeschäftes und unseres Massengeschäfts über digitale Kanäle ablaufen würde und wenn wir in fünf Jahren ein Grundverständnis dafür hätten, digitaler zu agieren und zu denken, Probleme anders anzugehen als wir das aus der heutigen statischen Welt tun. Außerdem würde ich mich wohlfühlen, wenn in fünf Jahren junge Hochschulabsolventen sagen: ‚Hey, ich würde gerne bei der Postbank oder der Deutschen Bank arbeiten. Das scheint mir ein cooles Unternehmen zu sein!‘ So ungefähr würde ich das definieren.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Interview führten Marc Wagner und Vanessa Dahm

 

Philip Laucks ist seit Mai 2018 Mitglied des Executive Committee Private & Commercial Banking der Deutschen Bank und Aufsichtsrat der DB Privat- & Firmenkundenbank AG. Nach Bankausbildung und Studium an der Universität Regensburg hatte er eine Reihe von verschiedenen Management Positionen im Deutsche Bank-Konzern inne, u.a. als CEO der norisbank GmbH, als Chief Digital Officer der Deutschen Postbank AG und Personalvorstand der Deutschen Postbank AG.

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