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Der Vorstandsbereich Technologie und Innovation der Deutschen Telekom hat sich 2018 umgebaut - Ziel war die Schaffung eines skill-basierten, agilen Grundsätzen folgenden Fachkräftepools. Aus diesem s.g. Innovation Hub (iHub) werden heute flexibel und transparent Innovationsprojekte besetzt. Ein großer Schritt in Richtung Zukunft, aber auch ein Wagnis innerhalb eines komplexen Konzernumfelds. Die Programmleiter Mark Nierwetberg und Daniel Teckentrup sprechen im Interview über einen Weg voller Stolpersteine, die große Herausforderung, Belegschaft und Sozialpartner von dem neuen Modell zu überzeugen, aber auch von der neuen Transparenz und Schnelligkeit.

Detecon: Was waren die Rahmenbedingungen, die euch dazu veranlasst haben, den Innovationsbereich in 2018 zu transformieren?

Mark Nierwetberg (MN): Der Bereich war extrem hierarchisiert, völlig ‚verboxt‘ und ‚verkästelt‘. Dementsprechend gab es unnötig lange Entscheidungswege, überflüssige Reportings und Rechtfertigungsdruck. Hinzu kam, dass der Bereich auch viele Anfragen der Segmente zur Projektunterstützung angenommen hatte, und dort lediglich ‚verlängerte Werkbank‘, nicht aber Innovationstreiber war. Am Ende waren zwar alle sehr beschäftigt, die eigentliche Innovations-Strategie kam aber nicht zum Tragen. Es fehlte die stringente Zielausrichtung.

Daniel Teckentrup (DT): Man muss hinzufügen, dass die ursprünglichen Innovationsbereiche nicht nur aus der Innovation, sondern auch in Teilen aus der Delivery bestand - also normalen Operations für bestehende Produkte, und organisatorisch so aufgebaut waren, wie man es bei einer Delivery erwarten würde: hierarchisch und auf eine lange Dauer angelegt. Auch gab es wenig Transparenz: weder über vorhandene oder fehlende Skills, noch über Projekte. In einem Innovationsbereich gehen Chancen und Risiken Hand in Hand, Projekte können erfolgreich sein, aber auch ein Dead End. Darauf waren unsere damalige Organisationsstruktur und Fehlerkultur nicht ausgerichtet. Es war klar, dass wir eine flexible Organisation für die Innovationsbereiche benötigen würden. Wohlgemerkt sagen wir nicht, dass eine flexible Organisation die richtige Lösung für alles ist, im Gegenteil: in vielen Bereichen wie der Delivery oder der so genannten Governance-Funktionen wollten wir das explizit nicht. Aber wir wollten für jede Art des Arbeitens die stimmige Organisationsstruktur und die war nicht gegeben.

Was war also die ganz konkrete Zielsetzung für das Programm?

DT: Ziel war ein wirklicher ‚Reset‘ in der Innovation. Es sollte ein agiles Umfeld geschaffen werden, in dem flexibel und transparent an den strategisch relevanten Innovationsthemen gearbeitet wird. Das bedeutet, auch aus Misserfolgen zu lernen und darauf schnell und unbürokratisch zu reagieren.

MN: Wir wollten weg vom ewigen ‚Herumschrauben‘ an der Organisation, hin zu einer Chapter-Logik, in der ich auch mal innerhalb von einer Woche ein Projekt aufsetzen kann. Im Fokus stand also, die Team- und Kästchendichte aufzuheben und Transparenz in der Workforce zu schaffen. Wir sehen jetzt zum ersten Mal, wie viele Programmierer wir beispielsweise gerade ausgelastet haben, woran sie arbeiten und wie sie untereinander kalibriert sind in ihren Fähigkeiten.

Veränderungen in einem Konzernumfeld sind nicht leicht durchzusetzen, gerade wenn man - wie Ihr es gemacht habt - auch in die Veränderung der Aufbauorganisation geht. Wie seid ihr vorgegangen?

DT: Der wirtschaftliche Druck im Innovationsbereich war sehr groß. Auch der Druck seitens des Sozialpartners war hoch, weil die Art, wie gearbeitet wurde, auf dem Rücken der Mitarbeiter ausgetragen wurde. Sprich: die Mitarbeiter gehörten zu einem Kästchen für ein Produkt. Wenn dieses Produkt eingestellt wurde, konnte es den Mitarbeitern drohen, dass auch ihr Kästchen dadurch ‚überflüssig‘ wurde - nur weil die Organisationsstruktur kein flexibleres Reagieren hergab. Um dieser sozialen Härte zu entgehen, gab es natürlich auch viele Projekt-Zombies, also tote Pferde, die einfach weiter geritten wurden, da mit dem Bestand des Projekts auch der Bestand des eigenen Kästchens gesichert war. Mit dem Sozialpartner waren wir zu wechselseitigen Zugeständnissen bereit - und zwar über alle Ebenen hinweg. Der Druck zu Lasten der Mitarbeiter war zu groß, und das hat auch der Performance geschadet.

Ihr habt also den Sense of Urgency genutzt. Wie muss man sich den Weg von der alten hierarchischen zur neuen flexiblem Organisation vorstellen?

MN: Eigentlich haben wir gesagt, wir ordnen mal die Workforce, die wir haben, und schauen in die verschiedenen ‚Tupperdöschen‘, sprich Teams. Dort waren immer die gleichen Farben drin, also z.B. Projektmanager, Programmierer, Designer usw. Daraus haben wir entsprechende Säulen aufgebaut und haben ein Anbietungsverfahren gestartet, bei dem in jeder Säule genügend Stellen für Programmierer, Designer usw. ausgeschrieben wurden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden aufgefordert, sich aus ihren Teams in die Säulen zu bewerben und einzelne Chapter zu bilden. Wichtig war der Wille zu gewissen Zielgrößen. Wir wollten mehr Programmierer, AI-Experten, mehr Macher als Corporate-Funktionen oder Projektmanager. Entsprechend haben wir die Säulen unterschiedlich dimensioniert.

DT: Wir haben als Grundlage relativ rasch einige wichtige Prinzipien mit dem Sozialpartner vereinbart. Es war klar, dass wir für Überhangszenarien gute Lösungen benötigen. Hier gab es schon diverse Übereinkünfte. Auch bestand Einigkeit darüber, Innovation und Delivery getrennt zu betrachten. Es sollten zudem Dinge vereinfacht werden. Und es sollte kein Abbauprogramm sein, sehr wohl jedoch das Prinzip von ‚Fordern und Fördern‘ gelten. Auch haben wir vereinbart, die Situationen allen lokalen Betriebsräten vorzustellen und die eigentlichen Verhandlungen gebündelt auf der höchste Sozialpartnerebene zu führen. Das war wichtig und hilfreich, denn die Einführung einer flexiblen Organisation war ja auch ein Weg ins Unbekannte, mit Rollen, die es vorher nirgendwo im Konzern gab.

Von der Tupperdose in die Säule: hört sich das nicht eher wieder nach Silo an?

DT: Ja, aber anders. Wir haben tatsächlich so wenig Chapter wie möglich gemacht, und das ist gut. Man könnte versucht sein, noch weiter auszudifferenzieren und für noch mehr Rollen weitere Säulen zu schaffen. Das hört sich konzeptionell erst einmal gut an, bringt in der Realität aber nichts – im Gegenteil. Wir haben gemerkt, wir brauchen so wenig - abgrenzbare - Profile wie möglich und so viele wie unbedingt nötig. So sind z.B. die Chapter Design, Hardware, Software und Projektmanager sehr gut voneinander abgrenzbar. Es war ein ziemlicher Kampf für die Telekom und auch eine Zumutung für die Mitarbeiter, dies im Anbietungs­verfahren zu machen. Es ging nicht einfach um das Transferieren der Menschen auf beschriebene Stellen, sondern es musste klar sichergestellt werden, dass die Personen tatsächlich über die explizit geforderten Fähigkeiten verfügen. Das war aber nötig, denn die Aufgabe dieser Chapter ist die professionelle Weiterentwicklung der Mitarbeiter aufgrund ihrer Skills.

Wie hat sich das Thema Führung durch eine Chapter- statt Abteilungslogik verändert?

DT: In der neuen Welt gibt es zwei Arten Führungskräfte: Die Chapterheads, die sich zu einem Großteil um ihre Mitarbeiter kümmern und nicht in Projekten mitarbeiten. Es wird niemand zur Führung genötigt, sondern man muss das wollen und können. Wir hatten durchaus hochrangige Experten bspw. aus dem Software-Bereich, die explizit keine Führungskraft sein wollten. Und es gibt Projektleiter, die andere Fähigkeiten brauchen: sie müssen ohne disziplinarische Führung Menschen zu einem Team machen können, sie müssen Ahnung vom Markt haben und wissen, wie viele Kräfte mit welchen Skills sie für ein Vorhaben brauchen. Das sind also prototypisch die zwei Arten von Managern, die wir brauchen. Da die Ziel-Organisation aus viel weniger verschachtelten Kästchen bestehen sollte, folgte daraus, dass sich auch die Anzahl von Führungskräften stark reduzierte, genauer: um fast 40%. Jetzt, mit dem iHub gibt es 6 Chapter mit Team-Leads plus Ressourcen-Management als Führungskräfte, fertig. Wir sind das Führungskräftethema konsequent angegangen und haben diese Rollen klar definiert und konsequent besetzt. Wir wollten die Organisationskultur beeinflussen. Und das schafft man nur durch Konsequenz.

Diese neuen Manager treffen ja nun in der Organisation auf Manager des alten Typs, die noch mit all ihren Macht-Insignien ausgestattet sind. Was bietet ihr den neuen Managern an, auch an Perspektiven, damit sie mit der Situation zufrieden sind?

MN: Ich habe inzwischen den Eindruck, dass das Thema Teamgröße für die Führungskräfte gar nicht entscheidend war, sondern eher Mittel zum Zweck, um einen gewissen Impact zu erreichen. Wir müssen jetzt beweisen, dass sie dem System vertrauen können und diesen Impact weiterhin haben, auch ohne direkten Zugriff auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wir hatten ja früher die Situation, dass Manager nur schwerlich Leute an andere abgeben wollten, weil sie befürchteten, keinen Zugriff mehr auf diese Kräfte zu haben. Und das ist für mich ein völlig valides Argument in der alten Struktur. Ich kann verstehen, dass es an dieser Stelle wirklich schwer ist, diesen kooperativen Strukturen zu vertrauen. Zudem ist Teamgröße auch immer ein ‚Verhandlungsargument‘ beim Gehalt und Ausdruck von Bedeutung, entsprechend muss man da auch das alte System abschalten. Dieser Aspekt wird geheilt durch die so genannte Expertenkarriere, die aktuell im Konzern aufgesetzt wird, um auch Experten in Executive-Level zu bekommen. Wir sind da aber erst am Anfang des Weges. Manager nach Impact zu beurteilen und nicht nach Größe von Budgets und Teams, ist noch nicht der Normalzustand.

DT: Geholfen hat natürlich, dass die neuen Manager ihre bisherige Eingruppierung, ihren Status behalten oder verbessert haben und dass sie die Pionierrolle einnehmen durften auf dem Weg in eine ‚neue Welt‘.  Und genau diese Welt, diese Manager neuen Typs, sollten wir künftig stärker promoten.

Was sind die ersten Früchte, die die Veränderung gebracht hat? Und wie messbar sind sie?

MN: Durch die Transparenz, die wir jetzt haben, gab es bereits eine hochwertige Diskussion zum Thema Outsourcing von Knowledge, und ob wir etwa die Lernkurve von einigen Dienstleistern - gerade im IT-Bereich - finanzieren. Dies war zuvor nicht möglich, da wir allenfalls ein Bauchgefühl hierzu hatten. Jetzt haben wir Hard Facts. Und genau solche Diskussionen führen dazu, dass wir jetzt wieder zu einem gesunden Manager-zu-Macher/Programmierer-Verhältnis kommen. Ich halte das für enorm wichtig für uns als Innovationsbereich, dass wir Klarheit über unsere Fähigkeiten haben.

Also von der Verwaltungs- und Fremdkräfte-Koordinationskultur zur sexy Maker-Kultur?

MN: Ich weiß nicht, ob sexy das richtige Wort ist, aber es ist auf jeden Fall eine dynamischere Kultur, die schnell pilotiert, testet und verwirft: Aus einer Verwaltungs-und Auftragsvergabekultur wird immer mehr eine Software-Engineering- und Macher-Kultur. Es war früher zu beobachten, dass der Anteil an Projekten, in denen in fünf Jahren ein Ergebnis angekündigt wurde, immer größer wurde. Man konnte also davon ausgehen, dass es eigentlich nur darum ging, die Delivery immer weiter nach hinten zu schieben, um am Ende nicht daran gemessen zu werden. Auch hat sich niemand getraut, zu sagen, dass ein Produkt garantiert nie laufen wird, weil immer die Angst mitschwang, dass der Bereich dann geschlossen wird. Provokant gesagt haben wir Innovation damit nur simuliert.

DT: Richtig. Aus der Innovations-Simulationseinheit wurde eine Innovationseinheit. Scherzhaft gesagt, wenn in der alten Welt der gesamte Vorstand gesagt hätten, wir brauchen jetzt sofort 20 Experten für ein bestimmtes, neues Innovationsprojekt, dann hätten wir auf Anhieb diese Leute aufgrund der Struktur und bisherigen Praxis nicht pauschal finden können. Jetzt sind wir dazu in der Lage, wir können jederzeit neue Projekte starten und besetzen. Das ist ein Riesensprung nach vorne. Natürlich werden wir auch Misserfolge sehen. Aber gut ist, dass wir sie jetzt sehen.

Gibt es nach einem Jahr schon Anzeichen, dass sich Verbindlichkeit in Ergebnissen und nicht nur in der Projektplanung abzeichnet?

MN: Bewegung ist zu sehen, z.B. bei den Projekten Smart Speaker, auch wenn es länger dauert als gedacht, bei unserem Drohnenprojekt, beim Thema Blockchain, Mobile Edge X u.a. Wir werden schneller in der Einschätzung, ob wir etwas allein schaffen oder nicht. Früher hatten wir uns in die Vorstellung hineingesteigert, wir sind die Deutsche Telekom, natürlich können wir alles. Und das stimmt eben nicht. Vieles müssen wir mit Partnern machen.

DT: Bisher strebten wir nach vielen ‚Moonshots‘, hinter denen sich oft nur Produktpflege verbarg, die haben natürlich keine Misserfolge vermeldet. Jetzt haben wir nur wenige Moonshots, von denen einige fliegen werden.

 

Das Gespräch führten Marc Wagner und Christian Hinrichsen.

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