Anne Walter: Digitalpakt für mobiles Arbeiten

Die Deutsche Post DHL strukturiert die digitale Transformation erfolgreich in drei Aktionsfelder: (1) die Nutzung neuer Technologien als Basis für eine verbesserte Effizienz und eine Vielzahl an kleinen Innovationen, (2) die Geschäftserweiterung durch einzelne große, oft disruptive Innovationen und (3) eine veränderte Unternehmenskultur, die neue Freiräume ermöglicht. lesen Sie hier ein Gespräch mit Anne Walther, EVP Corporate HR Standards & Programs bei Deutsche Post DHL über den CEO als ‚Chief Experiment Officer‘, Arbeitsumgebungen im globalen Kontext und die Rolle von HR in der digitalisierten Arbeitswelt.

Frau Walther, lassen Sie uns über das Thema Digitalisierung sprechen: Wie sehen Sie die derzeitigen Entwicklungen und wie stufen Sie die Auswirkungen auf ihr eigenes Business ein?

Die Digitalisierung bietet – wie die Globalisierung – Herausforderungen, hervorragende Chancen für Unternehmen und Verbraucher. Durch die neuen Möglichkeiten der globalen Vernetzung, kann Kommunikation transparenter und können Transaktionen äußerst effizient erfolgen. Dies wird das weltweite Wirtschaftswachstum, den globalen Austausch von Gütern und damit auch das Logistikgeschäft stützen. Sollte sich 3D-Printing langfristig flächendeckend durchsetzen, hätte dies möglicherweise disruptive Auswirkungen auf den globalen Austausch von Gütern. Solange dies aber nicht der Fall ist, bieten die Technologien, die wir heute sehen, viele Möglichkeiten, unsere Prozesse zu verbessern. Das gilt insbesondere für die Art und Weise, wie wir mit unseren Kunden kommunizieren, wie wir unsere Abläufe z.B. in unseren Logistikzentren optimieren oder wie wir unsere internen Prozesse im Finanz- und Personalbereich steuern. Wir beschäftigen uns deshalb intensiv mit den Themen Automation, Robotics, Virtual Assistent und Augmented Reality und wie wir sie sinnvoll in unserem Geschäft einsetzen und nutzen können. In unserem Bereich DHL Supply Chain konnten wir gerade eine ganze Reihe weltweiter Augmented-Reality-Pilotprojekte erfolgreich durchführen und im Paketbereich haben wir im vergangenen Herbst einen Roboter getestet, der Zusteller auf ihrer Zustelltour begleitet und Briefe und Päckchen für sie transportiert.

Momentan entstehen mehr und mehr digital Labs. Vor allem in Berlin, San Francisco, Israel oder China. Wie stellt man deren Anschlussfähigkeit zum Rest der Organisation sicher.

Auch bei uns entstehen digitale Labs z.B. in Berlin. Es geht aber nicht nur um digitale Labs, sondern vor allem um kleinere Einheiten, die neue Impulse setzen. So ist die Deutsche Post DHL Group seit Anfang Juni 2017 strategischer Partner von Plug and Play, einer globalen Startup- und Venture-Funding-Plattform, die sich auf die Unterstützung von Technologie-Startups in der Frühphase spezialisiert hat. Mit dem Streetscooter, unserem eigenen Elektrofahrzeug für die Paketzustellung, haben wir neue, starke Impulse für die E-Mobilität in Deutschland gesetzt. Mit Saloodo, unserer eigenen Online-Frachtplattform, ist ein neuer B2B-Transportmarktplatz entstanden.

Wenn Sie über Top Management Awareness und Involvement sprechen: Wie kann man sich dies genau vorstellen?

Das Top Management spielt eine wichtige Rolle, den kulturellen Wandel zu gestalten, zu leben und im Unternehmen voranzutreiben. Eine agile Organisation braucht die Bereitschaft zu ständigem Lernen und ein neues Verständnis von Führung mit einer Kultur der Fehlertoleranz und des hierarchiefreien Dialogs. Es braucht eine große Bereitschaft, Dinge auszuprobieren. Der CEO wird hier zum „Chief Experiment Officer“, der immer öfter fragen wird, wie schnell neue Ideen pilotiert werden können, um ihre Belastbarkeit zu messen und letztlich den Mehrwert für die Kunden erhöhen.

Wie sehen Sie die Rolle von HR in diesem Kontext?

HR hat die Aufgabe, die digitale Transformation für die eigene Personalfunktion voranzutreiben. Das beinhaltet auch ein radikales Neudenken von Prozessen. Das bedeutet auch, weniger Governance und mehr Service, weniger Vorgaben, aber dafür mehr Nutzererfahrung. Die Digitalisierung bietet eine große Chance für HR, z.B. administrative Prozesse oder das HR-Datenmanagement durch Einsatz von IT-Lösungen effizienter zu gestalten. Sie bietet Mitarbeitern und Managern mehr Möglichkeiten, eigenständig zu agieren oder durch Nutzung von Virtual Assistent Mitarbeiterfragen zu beantworten. Dort, wo HR eine wichtige Mittlerfunktion zwischen Mitarbeiter und Manager inne hat (Personalgespräche, Feedback, Entwicklungsmöglichkeiten), werden Mitarbeiter und Manager durch eine veränderte Kultur direkter miteinander im Dialog stehen. HR wird sich letztlich aus der Mittlerfunktion zurückziehen und Plattformen schaffen, die Mitarbeiter und Manager in ihrem unmittelbaren Austausch unterstützen. Wenn wir uns andere Bereiche mit Vermittlerfunktion anschauen – nehmen wir das Reisebüro oder den Makler – sehen wir, dass die Rolle dieses Intermediär durch Plattformen oder Marktplätze ersetzt wurde. Das ist auch für HR denkbar: bei der Rekrutierung von Personal geht es im Kern darum, den Job-Suchenden und den Job-Bietenden zusammen zu bringen. Ich kann mir hier sehr gut vorstellen, wie durch digitale Plattformen mit transparentem Informationsangebot ganz neue Möglichkeiten für Mitarbeiter und Manager entstehen, ohne dass HR sich einschalten muss.

Wir lassen uns auch im Bereich Rekrutierung und Learning von Startups inspirieren. Die Nutzung von Social Media Kanälen für die Ansprache von Kandidaten, das automatisierte Screening von Lebensläufen auf Basis von Machine Learning oder der Einsatz von Videointerviews und kurzen Lerninhalten, die per Smartphone mobile abgerufen werden können sind hier nur eine Reihe von interessanten Optionen.

HR hat die Aufgabe, den Kulturwandel im Konzern voranzubringen und dabei die Auswirkungen der Digitalisierung auf die eigenen Mitarbeiter zu steuern und zu begleiten. Wir brauchen konkrete Strategien und Lernangebote, um unsere Mitarbeiter weiterzuentwickeln und für eine digitale Arbeitswelt fit zu machen. Wir müssen verstehen, welche neuen Fähigkeiten wir in der digitalisieren Welt brauchen und wie wir Menschen als Mitarbeiter gewinnen, die diese Fähigkeiten bereits mitbringen.

Was heißt Digitalisierung für die Menschen, die Sie im HR-Kontext zukünftig haben werden und haben wollen?

Wir brauchen bei HR wie in alle anderen Bereichen auch Mitarbeiter, die offen für Veränderung sind und bereit sind, diese mit voranzutreiben. Konkret arbeiten wir intensiver mit unseren IT-Kollegen zusammen als in der Vergangenheit. HR ist nicht mehr nur Nutzer von Stammdatensystemen, sondern entwickelt gemeinsam mit den IT-Kollegen Applikationen für Mitarbeiter. Dabei spielen die HR-Kollegen zukünftig vor allem bei Themen wie strukturiertes Datenmanagement, Datenschutz, User Experience verschiedener Nutzergruppen, Prozessvereinfachungen, Tests, Vermittlung von Systemkenntnissen, Aufbau von Helpdesks und der Vermarktung neuer Applikationen eine entscheidende Rolle.

Auch das Thema Data Analytics wird wichtiger werden. Gelingt es uns zu verstehen, was den Krankenstand an verschiedenen Standorten in die Höhe treibt und können wir präventiv entgegenwirken? Verstehen wir die Erfolgsfaktoren für neu eingestellte Mitarbeiter, so dass wir sie von Anfang an optimal in unser Unternehmen integrieren können? Können wir rechtzeitig erkennen, ob ein Mitarbeiter bereit für den nächsten Entwicklungsschritt ist und ihm unmittelbar eine Perspektive bieten, bevor er sich möglicherweise im Arbeitsmarkt umsieht? Insbesondere im Bereich Recruiting brauchen wir Mitarbeiter, die Social Media Kanäle nutzen, ein positives Unternehmensimageaufbauen und mit potenziellen Kandidaten-Netzwerken können.

Braucht man zukünftig noch HR-, Finanz- oder Controlling-Funktionen oder verwischen diese Areale und man benötigt eher Generalisten mit Big Data Know-how? Was bleibt in diesem Konstrukt Fokusthema von HR?

Ich bin überzeugt, dass es weiterhin eine HR-Funktion braucht - sprich eine Funktion, die sich um die Belange der Mitarbeiter kümmert. In dieser Funktion können dann auch Generalisten arbeiten, sofern der Mitarbeiter im Fokus steht und die Funktion als Advokat der Mitarbeiter auftritt. Selbst beim Reporting oder der Analyse von HR-Daten, reichen rein technische Fähigkeiten nicht aus. Wichtig ist es, Daten richtig auswerten und interpretieren zu können. Auch in anderen Bereichen wie Coaching und Personalentwicklung wird es ohne HR-Funktion nicht gehen.

Wie sorge ich als Unternehmen und auch als Deutsche Post DHL Group dafür, die Top-Talente in die Organisation zu bringen und diese auch zu halten?

Top-Talente suchen nach dem Dreiklang bestehend aus angemessener Vergütung, Perspektive und herausfordernder, sinnstiftender Tätigkeit. Wir sind ein globales Unternehmen, das in mehr als 220 Ländern weltweit tätig ist. Der globale Austausch von Gütern verbindet Menschen weltweit. Wir sind Marktführer in der Logistik und stehen in unserer Branche für Exzellenz und Innovation. Wir zeichnen uns durch eine anpackende Unternehmenskultur aus. Wir sind damit ein attraktiver Arbeitgeber. So ist zum Beispiel unser Bereich DHL Express 2017 von Place to Work® und FORTUNE als weltweit achtbester Arbeitgeber ausgezeichnet worden.

Wie gehen Sie damit um, dass generell der Trend zu einer immer stärkeren Automatisierung geht, jedoch, wenn es um Mitarbeiter geht, eine immer stärkere Individualisierung gefragt ist?

Ich bin nicht sicher, ob es tatsächlich einen Trend hin zu mehr Individualisierung gibt. In der täglichen Arbeit und bei Projekten steht der Teamgedanke mehr denn je im Vordergrund. Richtig ist sicher, dass Mitarbeiter persönlich gehört und für ihren Beitrag geschätzt werden wollen. Ebenso richtig ist auch, dass Mitarbeiter mehr Freiheitsgrade beanspruchen vor allem, was die Gestaltung ihrer Arbeitszeit und Arbeitsort anbetrifft.

Wie gehen Sie mit der Schaffung von individuellen Arbeitsumgebungen im internationalen Kontext um?

Hier setzten wir ganz auf lokale Regelungen. So haben wir in unserem Headquarter gerade einen sogenannten Digitalpakt geschlossen, der mobiles Arbeiten – also das Arbeiten an einem selbstgewählten Ort abseits des regulären Arbeitsplatzes – unterstützt.

Diversity in Verbindung mit High Performing Teams wird momentan in der Fachwelt stark diskutiert. Gerade international agierende Unternehmen haben hier in der Auswahl ihrer Fachkräfte ein breites Spektrum, aus dem sie wählen können. Wie gehen Sie damit um und wie unterstützen Sie dies?

Für uns als globales Unternehmen, das in mehr als 220 Ländern weltweit aktiv ist, ist die Vielfalt unserer Beschäftigten eine besondere Stärke. Unsere Organisation vereint Menschen aus einer Vielzahl von Kulturkreisen und kulturellen Hintergründen – mit den verschiedensten Fähigkeiten, Erfahrungen und Sichtweisen. Wir sind stolz auf diese Vielfalt und davon überzeugt, dass uns diese Vielfalt so erfolgreich macht. Wir setzen sehr viel Energie darauf ein, das Bewusstsein hierfür weiter zu schärfen.

Talente zu erkennen und zu fördern wird im Zeitalter der Digitalisierung immer wichtiger, wie gehen sie das genau an?

Wir sehen das Erkennen und Fördern von Talenten als gemeinsame Aufgabe von Mitarbeitern, Managern und HR. Wir haben systematische Prozesse etabliert, in denen wir mit den Managern regelmäßig in den Austausch gehen und die Frage stellen, wer im Team das Potenzial hat, einen nächsten Schritt zu gehen und welche Zielrolle passend sein könnte. Wir fordern auch unsere Mitarbeiter auf, Verantwortung für ihre eigene Karriere zu übernehmen. Wir bieten dafür eine interne Plattform, auf der Mitarbeiter klar benennen können, für welchen nächsten Karriereschritt sie sich konkret interessieren.

Wenn Sie in den HR-Bereich schauen: Was sind Ihre Top-Themen in den nächsten 3 bis 5 Jahren?

Ganz oben steht die Weiterentwicklung unserer Mitarbeiter, um sie für die digitale Arbeitswelt via maßgeschneiderten Lernangeboten fit zu machen. Darüber hinaus gilt es, effizientere und effektivere People-Prozesse durch Datenmanagement, nutzerfreundliche IT-Applikationen und Schnittstellenmanagement zu schaffen. Und drittens gilt es, die Nutzung von neuen Technologien, neuen Kommunikations- und Kollaborationstools und Social Media, um insbesondere Talent Sourcing, Mitarbeiterengagement und Kulturwandel voranzutreiben.

Frau Walther, vielen Dank für das spannende Interview!

Das Gespräch führte Marc Wagner.

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