5G: Zentrales Nervensystem der smarten Fabrik

„Die deutsche Industrie schwächelt“ titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung zum Start der Hannover Messe 2019. Die Industrieunternehmen müssen ihre Produktionsprozesse weiter verbessern, um in einem engen Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Eine Schlüsseltechnologie dafür ist die Vernetzung der Dinge – die ihre ganzen Vorteile aber erst durch 5G entfalten wird. Dafür müssen Unternehmen neue, komplexe 5G-Campusnetze aufbauen – auch gemeinsam mit Telekommunikationsprovidern.

Die Auftragseingänge in der produzierenden Industrie gehen laut Ifo-Institut zurück. Vor diesem Hintergrund nutzen Unternehmen verstärkt neue Technologien, mit denen sie ihre Prozesse weiter optimieren und neue Geschäftsmodelle entwickeln können. Digitalisierung steht daher laut einer aktuellen Umfrage des VDMA an oberster Stelle der Innovationsliste. So ist der Anteil der Unternehmen, die eine Digitalisierungsstrategie definiert haben, 2018 auf 40 Prozent gestiegen – eine Verdoppelung in nur zwei Jahren.

Herausforderung Losgröße 1

Drei Viertel der Unternehmen im Maschinenbau bewerten Internet of Things-(IoT)-Plattformen als bedeutend für ihre Weiterentwicklung. Sie versprechen sich durch vernetzte Maschinen sowie Produktions- und Logistikprozesse bessere Produktqualität, weniger Produktionsausfälle sowie eine optimierte Auslastung der Fabriken. Nicht zuletzt lassen sich durch agile und flexible Abläufe schwankende Auftragseingänge und Konjunkturschwankungen besser abfangen. Zudem stehen auch Serienfertiger vor der Herausforderung, sich zum Einzelfertiger mit Losgröße 1 weiterzuentwickeln.

Wir brauchen das 5G-Netz, lautete eine Forderung der Industrieunternehmen auf der Hannover Messe und zwei Drittel der Unternehmen planen laut einem nicht-repräsentativen Panel von Gartner aus dem Jahr 2018, 5G bis 2020 einzusetzen. Sie sehen in 5G den wesentlichen Schlüssel zur Umsetzung von Industrie 4.0-Konzepten, die den Weg zur smarten Fabrik ebnen. Fahrerlose Transportsysteme, mobile Werkzeuge und Roboter oder auch die Interaktion von Mensch und Maschine über Augmented und Virtual Reality-Anwendungen lässt sich nur mit einer hochleistungsfähigen Funktechnologie umsetzen. „Wenn wir kein 5G-Netz haben, können wir diese Vision – die Industrie 4.0, factory of the future – nicht realisieren. Das ist das Nervensystem. Wir brauchen es“, sagte Boschrexroth-Vorstand Marc Wucherer zur Eröffnung der Hannover Messe 2019.

Kein anderes Netz bietet vergleichbare Effizienz, Garantien und entsprechend geringe Latenzen.

Milliarden zusätzliche Wertschöpfung durch 5G

Die 5G-Euphorie ist also groß, ebenso die Prognosen über die wirtschaftliche Entwicklung von 5G. Sie verheißen dem neuen Funkstandard in den nächsten 15 Jahren weltweit einen Beitrag von 2,2 Billionen US-Dollar (https://www.onvista.de/news/neue-gsma-studie-5g-wird-bis-2025-15-der-globalen-mobilfunkbranche-ausmachen-da-immer-mehr-5g-netzwerke-in-betrieb-genommen-werden-194774557). Allein in Deutschland könnte die Digitalisierung im Jahr 2025 eine zusätzliche Wertschöpfung von rund 85 Milliarden Euro ermöglichen – wofür es aber einen schnellen und flächendeckenden 5G-Rollout benötigt. Bis Flächendeckung durch das Ausrollen der 5G-Technik der großen Telekommunikationsprovider erreicht wird, werden allerdings noch ein paar Jahre ins Land gehen.

Darauf wollen Unternehmen allerdings nicht warten. Sie planen, sogenannte Campus-Netzwerke durch den Kauf von eigenen Mobilfunk-Frequenzen selbst zu errichten. Für den Aufbau dieser lokalen 5G-Netze hat die Regulierungsbehörde in Deutschland Frequenzen im Bereich von 3,7 bis 3,8 GHz sowie bei 26 GHz reserviert, die sie ohne Versteigerung an Unternehmen, regionale Netzbetreiber oder Gemeinden vergeben will. Doch Frequenzen allein machen noch kein Campus-Netzwerk aus. In einer nicht-repräsentativen Online-Umfrage von Tech Pro Research gaben die meisten Unternehmen an, dass die 5G-Einführung nicht einfach wird, weil unter anderem die bestehende Infrastruktur nicht für 5G geeignet ist.

Fehlendes 5G-Know-how in der Industrie

Industrieunternehmen müssen in einem für sie neuen Technologieumfeld eine komplexe und vollständige Infrastruktur errichten. Besondere Anforderungen stellen sich unter anderem an die Struktur des Netzes. Campus-Netze müssen sämtliche Bereiche eines Geländes abdecken. Somit spielt die 5G NR-Netzabdeckung eine wesentliche Rolle. Vor dem Aufbau der Netzwerk-Architektur müssen 5G NR-Netzwerkmessungen klären, wie engmaschig die Sendestationen aufgebaut sein müssen, damit die Vorteile von 5G voll ausgeschöpft werden können. Diese Netzwerkmessungen müssen dann während der Installation permanent weitergeführt werden. So lassen sich auch Störungen zwischen verschiedenen Standorten, Zellen und elektromagnetischen Wellen erkennen und beheben.

Gerade mittelständische Unternehmen, die über keine Netzkompetenz verfügen, sollten 5G-Campusnetze gemeinsam mit einem Telekommunikationsprovider oder zumindest mit einem auf Telekommunikation ausgerichteten System oder Beratungshaus aufbauen. Selbst Telekommunikationsprovider stellt der Aufbau eines solch komplexen Unternehmensnetzes auf Basis einer völlig neuen Technologie vor neue Herausforderungen. Ihnen fehlt in der Regel das Know-how, welche Produktions- und Logistikprozesse die Industrie verbessern will. Und es fehlt derzeit noch das ‚Ende-zu-Ende‘-Verständnis von konkreten Usecases.

Nachhaltige Architektur für 5G-Campus-Netzwerk

Die Herausforderungen beginnen bereits im regulatorischen Umfeld. Wer ein 5G-Campus-Netz aufbauen will, muss Frequenzen bei der Regulierungsbehörde beantragen. Die Architektur des Campus-Netzes sollte nachhaltig aufgebaut sein, damit sich auch später eingeführte Anwendungen ohne Umbau der Architektur integrieren und betreiben lassen. Nicht zuletzt stellen sich umfangreiche Daten- und IT-Sicherheitsanforderungen an das Netz, denn insbesondere Echtzeitanwendungen müssen vor Angriffen geschützt sein und die Unternehmen den Zugriff von Wirtschaftskriminellen auf wichtige Produktionsdaten verhindern.

Auch die Integration der Anwendungen auf 5G-Basis in bestehende Systeme wie ERP oder MES-Systeme ist notwendig, um Daten zusammenzuführen und übergreifend Analysen fahren zu können. Und nicht zuletzt ist der spätere Betrieb des 5G-Netzes nicht zu vergleichen mit bisherigen Netzstrukturen. Im Grunde genommen handelt es sich bei der 5G-Technologie um ein softwaregesteuertes Netz, das aktiv gemanagt werden muss. So lässt sich ein 5G Campus-Netz auf die Anforderungen eines Unternehmens auf spezifische lokale Abdeckungs- und Leistungsanforderungen maßschneidern. Dazu gehört auch die Einbindung einer Edge Cloud, über die sich die Auswertungsdauer von Daten weiter verkürzen lässt, wodurch ganz neue Services erst möglich werden.

Industrieübergreifende 5G-Partnerschaften

Aufgrund der Komplexität ist es sinnvoll, wie auch in anderen Bereichen der digitalen Transformation, mit industrieübergreifenden Partnerschaften das Know-how verschiedener Seiten zusammenzubringen. Telekommunikationsprovider und Anwenderunternehmen können über Trials, Testbeds und Innovationspartnerschaften die Vorteile der 5G-Fähigkeiten voll ausschöpfen. Vertreter der OT-Industrie (Operational Technology), der ICT-Industrie (Informations- und Kommunikationstechnologie) und der Wissenschaft haben dafür die 5G Alliance for Connected Industries and Automation (5G-ACIA) gegründet, die eine enge Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Akteuren voranbringen soll.

Wie solche Partnerschaften konkret aussehen können, zeigt ein Campus-Netz, das die Deutsche Telekom gemeinsam mit OSRAM in Betrieb genommen hat, und das ein öffentliches und ein privates Netzwerk zu einer Infrastruktur verbindet. Das Campus-Netz arbeitet zunächst auf 4G-Basis und deckt das OSRAM-Werk in Schwabmünchen ab. Bei OSRAM kommt eine Edge-Cloud zum Einsatz, die Daten nah an der Anwendung verarbeitet. Die Umstellung auf 5G soll so schnell wie möglich erfolgen. Ein ähnliches Campus-Netz will die Telekom auch bei dem Automobilzulieferer ZF Friedrichshafen aufbauen.

Aktuell werden 5G-Technologien unter Live-Bedingungen geprüft: Seit Anfang 2018 testen der Betreiber des Hamburger Hafens HPA, die Deutsche Telekom und Nokia 5G-Technologien im Hamburger Hafen. Sensoren auf Schiffen liefern Umweltdaten in Echtzeit aus großen Teilen des Hafengebiets. Eine Augmented-Reality-Anwendung zeigt 3D-Daten des Hafengeländes, in denen geplante Gebäude in das aktuelle Hafenbild abgebildet werden. Durch Network Slices - Netz-Schichten – lassen sich Kapazitäten des Netzes managen, was den störungsfreien, parallelen Einsatz von unterschiedlichsten Anwendungen ermöglicht.

Weitere Informationen zu 5G im Themenspecial der Deutschen Telekom.

Voll vernetzte Fabriken auf Basis von 5G

Große Vorteile verspricht sich insbesondere die Automobilindustrie von 5G, da sie ihre Zukunft in vollvernetzten Fabriken sieht. Audi zum Beispiel testet mit dem Ausrüster Ericsson Industrieanwendungen auf Basis von 5G, will eine Industrie-Lizenz beantragen und ein werkinternes 5G-Netz aufbauen. „Eine leistungsfähige Netzarchitektur, die in Echtzeit reagieren kann, ist für uns von entscheidender Bedeutung. Im Rahmen des Projekts mit unserem Partner Ericsson erproben wir, welche Chancen die 5G-Technologie für industrielle Anwendungsfälle in der Smart Factory bietet“, sagte Frank Loydl, Chief Information Officer der AUDI AG, Anfang August 2018.

Technisch gesehen, sind die entscheidenden Vorteile des 5G-Standards dessen hohe Zuverlässigkeit, die extrem kurzen Latenzzeiten von bis unter einer Millisekunde sowie eine massive IoT-Konnektivität. So können auf einer kleinen Fläche hunderttausende Endgeräte gleichseitig Daten senden und empfangen. Zudem ist die Sicherheit im Vergleich zu WLAN-Netzen deutlich höher. Ein weiterer großer Vorteil von 5G ist ein einheitlicher Standard, der Sensornetzwerke von festen und mobilen Objekten auf dem gleichen Wireless-Standard unterstützt. Bis dato beklagt die Industrie die Heterogenität der Standards als ein großes Manko vorhandener Technologien. 5G dagegen schafft ein einheitliches Netzwerk für die intelligente Fabrik, die Maschinen verschiedener Hersteller auf Sensor- und Aktorebene mit einer zentralen Überwachungs- und Steuereinheit verbindet.

Einheitlicher Standard für Campus- und öffentliches Netz

Klassisch-kabelgebundene Techniken wie Feldbus und Ethernet sowie kabellose Techniken wie Bluetooth oder WLAN sind im Vergleich mit den Prozess-Monitoring-Möglichkeiten von 5G absolut im Hintertreffen. Die Heterogenität der verschiedenen Netze wird schnell abnehmen, weil das 5G-Funknetz sich für Anwendungen vom Shopfloor bis Büro empfiehlt und es sich zudem mit anderen Netzen kombinieren lässt.

Durch den einheitlichen Standard lassen sich zukünftig unternehmensinterne 5G-Netzwerke auch einfacher mit dem öffentlichen Netzwerk verbinden: Sowohl Campus- als auch normale Netze nutzen den 5G-Standard. Dies vereinfacht die Verbindung mehrerer lokaler 5G-Netze über das öffentliche 5G-Netz. Wer beispielsweise aus einem zentralen Kontrollcenter auf Maschinen verteilter Produktionsstätten zugreifen will, kann dies in einem einheitlich standardisierten Netz realisieren, das ähnlich niedrige Latenzwerte erreicht wie in einem geschlossenen Campus-Netz. Die durchgängige Vernetzung wird die digitale Transformation in der Produktion signifikant beschleunigen. Klassische, statische Produktionslinien, die über Wochen oder Monate hinweg dieselben Produkte fertigen, gehören mit 5G der Vergangenheit an.

Garantierte Latenzen dank Edge und Network Slicing

Unterstützt wird das Zusammenspiel Sensoren, Maschinen und von Menschen durch das sogenannte Network Slicing. Dies ermöglicht Quality of Services. Einzelnen Anwendungen lassen sich dedizierte Ressourcen zuweisen. Produktionskritischen Anwendungen stehen fest definierte Übertragungsraten und Latenzzeiten zur Verfügung. Ein enormer Vorteil gegenüber WLAN-Netzen, in denen sich alle sendenden und empfangenden Geräte die Bandbreite teilen.

Zudem wandern die Daten in einem Campus Netz gar nicht erst vom Endgerät über die Basisstation und Glasfasern in die Cloud im Internet, sondern nur bis kurz hinter der Basisstation, hinter welcher die Verarbeitungsintelligenz einziehen soll. Das ist der Trick, der kurze Latenzzeiten ermöglicht. Denn die Daten müssen die Strecke Endgerät-Netz-Cloud überwinden. Dies wirkt sich besonders auf AR-/VR-Anwendungen aus, die hohe Anforderungen an das Computing stellen. Das Ziel ist also, das Verarbeiten der Daten näher an das Device zu bringen und damit die geringen Latenzzeiten zu ermöglichen. Ergänzend befinden sich die mitunter kritischen Dienste weiter im Campus Umfeld und damit in einem gesicherten Bereich.