Dr. med. Schäfer: KHZG - Digitalisierung aus Kliniksicht

Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) soll die Digitalisierung in den Krankenhäusern vorantreiben und Patienten ins Zentrum aller Bestrebungen stellen. Dr. med. Matthias Schäfer arbeitet als Medizinkoordinator im St. Franziskus Krankenhaus Eitorf in Nordrhein-Westfalen und berichtet im Interview mit Pascal Frank über die Herausforderungen und Errungenschaften, die das Gesetz mit sich bringt.  

Detecon: Wenn Sie das KHZG nach der Beantragung ganz allgemein betrachten: Was ist Ihrer Meinung nach besonders gut gelungen?

Schäfer: Das KHZG hat geholfen, die eigene IT-Situation genauer zu beleuchten und zu reflektieren. Unabhängig vom KHZG hatten wir bereits die Zielvorstellung eines Smart Hospitals und somit auch eine Digitalisierungsstrategie. Das KHZG konnte nun einige dieser Gedanken auf unserer Agenda aufgreifen, die zuvor mangels finanzieller Möglichkeiten nicht umsetzbar waren. Aus zeitlicher Sicht hat uns das KHZG dazu angehalten, zügig ein konkretes und klares Umsetzungskonzept festzulegen. Wo wollen wir hin und was sind derzeit die größten Schwächen in unserem IT-System, wenn wir das ein oder andere realisieren wollen? Die Struktur-Vorgaben der sogenannten „Muss-Kriterien“ des KHZGs war dabei sehr hilfreich. Dadurch konnte bei der Prüfung nachvollzogen werden, wo sich Lücken im System befinden und was in welcher Priorisierung vorangetrieben wird, um dem Ziel des Smart Hospitals näher zu kommen.

Am 28.10.2020 trat in Deutschland das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) in Kraft, ein Investitionsprogramm, das für eine modernere Ausstattung und digitalisierte Prozesse in den Krankenhäusern sorgen soll. Bund und Länder fördern diesbezüglich bestimmte Modernisierungsmaßnahmen. Jedem Bundesland steht ein Anteil der insgesamt vom Bund zur Verfügung gestellten drei Milliarden Euro zu. Die meisten Bundesländer haben ihre Bedarfsmeldungen für eine Förderung bereits von den Kliniken eingefordert, einzelne Häuser haben ihre Fördermittel bereits erhalten. Bis spätestens Ende 2021 müssen alle Förderanträge von den Ländern an das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) weitergegeben werden.

 

 

Was ist Ihrer Meinung nach nicht so gut gelaufen und wo sehen Sie das größte Optimierungspotenzial für zukünftige Förderungen?

Es war zwar zunächst leicht, an die Informationen über die Förderkriterien heranzukommen, die Konkretisierung fehlte jedoch in großen Teilen. Oftmals war uns nicht klar, was gemeint ist, weil die Ziele sehr abstrakt formuliert waren. Des Weiteren musste man erst einmal herausfinden, inwiefern die jeweiligen Anbieter in ihren Angeboten die jeweiligen Fördertatbestände und Kriterien abdecken konnten. Hier konnte das Detecon-Team bei der Zusammenarbeit wirklich sehr zügig und erfolgreich unterstützen.

Ein insgesamt größerer Vorlauf und genauere Informationen bei der Umsetzung des KHZG wären wahrscheinlich sinnvoll gewesen. Problematisch ist, dass man anfangs zwar einer Digitalisierungsstrategie folgt, aber durch entstehende Limitierungen, wie z. B. durch Muss-Kriterien und Finanzierungen auch diverse Abstriche machen muss. Viele Punkte setzen eine gewisse Grundinfrastruktur voraus, um überhaupt ein solches System mit Fördertatbeständen realisieren zu können – hier muss oft zwischen Priorität und Finanzierbarkeit abgewogen werden. Das hat zur Folge, dass Geld auch in die verkehrte Richtung fließen kann. Ich gehe davon aus, dass wir nicht das einzige Krankenhaus sind, das auf dem Weg der Antragseinreichung solche Überlegungen angestellt hat.

Neben der Förderung werden ab 2024 Abschlagszahlungen fällig, wenn nicht der Mindestdigitalisierungsgrad erreicht wurde. Was denken Sie dazu? Ist das ein sinnvolles Mittel?

Die drohenden Abschlagszahlungen relativieren sich trotz imposanter Fördersumme von fast 4,5 Mrd. Euro, da nicht alle Krankenhäuser in der Lage sind, die Kernkriterien zu realisieren. Ich gehe daher erst einmal nicht davon aus, dass die Abschlagszahlungen durchführbar sind. Die Investitionen, mehrere Fördertatbestände durchzuführen sind so hoch, dass diese oftmals außerhalb des zugeteilten Budgets liegen. Unser Erstantrag war lediglich ein Bruchteil dessen, was uns später als Förderbudget zugeteilt wurde. Wir haben uns daher zunächst sehr gefreut, als das Förderbudget dreimal so hoch angesetzt wurde, wie es im eigentlichen Antrag der Fall war. Im Laufe der Antragserstellung haben wir jedoch teilweise noch viele Korrekturen angebracht, sodass wir am Ende nur einen einzigen Fördertatbestand im Antrag unterbringen konnten, der sich mit diesem Budget realisieren ließ. Fast wäre es noch dazu gekommen, nicht den eigentlich priorisierten Tatbestand zu ergreifen, sondern nach der Bezahlbarkeit zu entscheiden. Die Finanzierung und Verteilung orientieren sich somit nicht zwangsläufig an dem Bedarf – da sollte gegebenenfalls ein anderer Maßstab angesetzt werden.

Größere Kliniken, Klinikketten oder Universitätskliniken, die teilweise auch davon betroffen sind, haben per se ganz andere Investitionsvolumina im Rahmen der Digitalisierung zur Verfügung. Den kleineren Häusern der Grund- und Regelversorgung darf man unterstellen, dass Notwendigkeit der Investitionen in die IT-Infrastruktur am größten ist. Die Kliniken, die diesbezüglich den größten Bedarf haben, bekommen trotzdem aufgrund ihrer Größe ein geringeres Volumen zugeteilt. Der Sprung in ein digitales Krankenhaus ist grundsätzlich für alle gleich teuer. Die Anzahl der Arbeitsplätze oder die Anzahl der Zugriffsmöglichkeiten sind nicht der größte Kostenfaktor, das sind die Grundinvestitionen. Im Förderbudget sind sie dementsprechend der Hauptkostentreiber, sodass für weitere Tatbestände oftmals kein Geld mehr übrig bleibt.

Ich nehme an, dass es kleineren Krankenhäusern genauso geht wie uns. Es kann nur ein Teil der zentralen Fördertatbestände 2 - 6 realisiert werden. Wenn das KHZG einen Sinn ergeben soll, dann sollte die Frage der Harmonisierung der Gesamt-IT im Vordergrund stehen. Es kann keine Krankenhäuser geben, die alles digitalisiert haben. Wenn die elektronische Patientakte von kleineren Kliniken nicht geliefert werden kann, weil gewisse Tatbestände nicht realisierbar sind – da nützt auch die Digitalisierung im größeren Maßstab in der Zusammenarbeit nichts und ein Teil der Investitionen laufen ins Leere.

Inwiefern wäre es sinnvoll gewesen, Fördermittel für Grundinvestitionen bereitzustellen, bevor man so umfangreich Muss-Kriterien fordert?

Genau dieser Gedanke kam uns auch. Es wäre sicherlich sinnvoll gewesen, erst eine gewisse Basis zu definieren. Das haben die Muss-Kriterien zwar ursprünglich vorgesehen, aber in der Realität wurde ein idealtypisches Bild gefordert, um überhaupt eine Förderung bekommen zu können. Wären die Muss-Kriterien etwas weicher und damit realistischer gefasst worden oder hätte man die grundsätzliche Infrastruktur hinterfragt, auf die die Kriterien aufbauen, dann wäre eine Grundförderung der bessere Weg gewesen. Die Muss-Kriterien wären dann am Ende angepasst und deren partielle Nichterreichung nicht direkt als förderschädlich eingestuft worden. Somit würden mehrere Fördertatbestände verwirklicht und ein insgesamt homogener Digitalisierungsgrad erreicht. Nun hat man das Problem, dass es in den Krankenhäusern ein oder zwei Fördertatbestände gibt, die fast zu 100 Prozent der Kriterien erfüllen und die anderen Tatbestände liegen bei null. Eine realistischere Idee wäre vielleicht gewesen, beispielsweise drei der Tatbestände zu 60-70 Prozent zu erfüllen, statt einen zu einhundert Prozent.

Wenn Sie bei der Beantragung und Durchführung einen Wunsch gehabt hätten, welcher wäre das?

Das man begründet je nach individueller Situation, die Muss-Kriterien durch eine Erklärung relativieren kann.

Wie schätzen Sie die grundsätzliche Klinik-Landschaft in Deutschland nach Abschluss, also nach 2025, in Bezug auf die Digitalisierung ein?

Die digitale Kommunikation der Kliniken wird sicherlich vieles erleichtern und beschleunigen, z. B. das Entlassmanagement – das ergibt auch absolut Sinn. Ich bin dennoch skeptisch, ob das Ziel, vermehrt die Patienten mit den vielen Kriterien, beispielsweise dem Check-in einzubinden, erfolgreich wird.

Es gibt sicherlich eine Bevölkerungsgruppe, die mit dem Smartphone und den digitalen Medien sehr gut umgehen kann und es gewohnt sind, elektronisch einzuchecken. Man muss allerdings aber auch die Klientel mitnehmen, die sich nicht unbedingt mit digitalen Möglichkeiten gut auskennen. Das sind nach wie vor der Hauptanteil unserer Patienten und ich bin mir nicht sicher, wie aufgehoben und wohl sie sich fühlen, wenn sie auf ein ausschließlich digitales Krankenhaus stoßen.

Ich denke daher nicht unbedingt, dass die Digitalisierung momentan ein strategischer Vorteil bei der Patientenakquise ist. Das kann in ein paar Jahren sicherlich anders sein. Man muss es den Patienten zunächst erst einmal „verkaufen“, dass überhaupt digitale Strukturen vorhanden sind. Da wo die Digitalisierung Prozesse beschleunigt und vereinfacht, z. B. beim täglichen Ablauf der Arbeit der Mitarbeiter, wird es sehr viel effektiver laufen. Den Patienten bei der Digitalisierung in das Zentrum zu stellen, halte ich momentan und auch im Hinblick auf 2025 noch als verfrüht.

Würden Sie eine solche Förderung anderen Ländern in Europa empfehlen?

Grundsätzlich finde ich die Investitionen in eine Digitalisierung richtig und notwendig. Es sollte dennoch ein organisches Wachstum angestrebt werden, welches evolutionär und nicht revolutionär funktioniert. Das KHZG ist momentan eher einer Revolution zuzuordnen, dass nicht alle Beteiligten so mitnimmt, sodass es vollumfänglich glückt.

Vielen Dank für das Interview!

Dr. med. Matthias Schäfer ist als Medizinkoordinator am St. Franziskus Krankenhaus Eitorf tätig. Zugleich berät er andere Kliniken bei medizinischen Reorganisationsprozessen. Nach dem Studium der Humanmedizin an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz schloss er 1998 die Facharztweiterbildung im Bereich Anästhesie, Intensivmedizin, Notfallmedizin und Schmerztherapie an der Klinik für Anästhesiologie ab und arbeitete wissenschaftlich und klinisch, zuletzt als Geschäftsführender Oberarzt, an der Universitätsmedizin Mainz. Während dieser Zeit war er federführend für eine Reihe von Projekten, wie Zentrales Personalmanagement, Reorganisation des OP-Managements und ambulantes Operieren zuständig. Im Auftrag des Innenministeriums Rheinland-Pfalz entwickelte das System der regionalen Depots für Arzneimittel, Medizinprodukte und eines Antidotdepots in Rheinland-Pfalz (Zentrales Notfalldepots für Katastrophenfälle). Ab 2010 leitete er als Klinikdirektor standortübergreifend an drei Kliniken die Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin des Gemeinschafts­skli­nikum Mittelrhein. 2017 wechselte er als Leitender Chefarzt zur DRK Krankenhausgesellschaft Thüringen-Brandenburg.

Das Interview führte